Protocol of the Session on December 18, 2003

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer das Bremische Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung und zur Änderung anderer Gesetze mit der Drucksachen-Nummer 16/90 in zweiter Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD und CDU)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen Bündnis 90/Die Grünen und Abg. T i t t m a n n [DVU])

Stimmenthaltungen?

(Abg. W e d l e r [FDP])

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt entsprechend.

Überprüfung nach dem Stasi-Unterlagengesetz

Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 10. Dezember 2003 (Drucksache 16/98)

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

(Zurufe: Antragsteller!)

Entschuldigung! Er war nur wieder so flott, und die anderen haben sich nicht gemeldet. Das ist nicht richtig, Herr Tittmann! Es haben erst die Antragsteller das Wort, Entschuldigung!

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Hannken.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Fraktionen von CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben einen gemeinsamen Antrag in diese Sitzung der Bürgerschaft eingebracht, mit dem beschlossen werden soll, dass die Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes bitten, die Parlamentarier auf Grundlage des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und unter Einbeziehung der so genannten Rosenholz-Dateien zu überprüfen und diese Ergebnisse an den Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft zu übermitteln.

Diese Praxis, die wir hier gewählt haben, die freiwillige Selbstüberprüfung der Parlamentarier dieses Hauses, ist schon in den neuen Bundesländern Praxis, und auch in den alten Bundesländern ist die Diskussion darüber in Gang gesetzt worden, und einige Parlamente sind in dieser Frage auch schon weiter. Nicht zuletzt durch die Bundesratsinitiative des Landes Thüringen wurde ein neuer Anstoß im September 2003 gegeben, dass auf Grundlage insbesondere der Rosenholz-Dateien eine Überprüfung stattfinden kann.

Ich möchte, da der Antrag ja interfraktionell ist, mich auf einige kurze Punkte zur Begründung beschränken! Ich denke, dass ich hier nicht ganz so ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

viel Überzeugungsarbeit leisten muss, weil alle bis auf die beiden einzelnen Mitglieder des Hauses den Antrag unterzeichnet haben.

Besondere Bedeutung haben hier die so genannten Rosenholz-Dateien. Dabei handelt es sich nicht, wie man vielleicht denken mag, um Akten, sondern um mikroverfilmte Karteien der Stasi-Auslandsabteilung. Das ist die so genannte Hauptverwaltung Aufklärung, HVA, die Aufschluss über das Agentennetz der HVA im Westen gibt und auch über das Inlandsnetz der HVA in der ehemaligen DDR geben kann. Dies sind personenbezogene Karteien, aus denen sich der Klarname, der Deckname und die Registrierungsnummer ergeben. Es sind Unterlagen aus dem Jahr 1988 und wichtige Quellen der Auslandsaufklärung.

Diese Unterlagen sind erst seit kurzem frei zugänglich beziehungsweise nur im Rahmen dieser Aufklärung zugänglich, also nicht für jeden frei zugänglich. Sie gelangten in der Wendezeit auf unbekanntem Weg in die USA, dort in die Hände des Geheimdienstes, und können seit dem 1. Juli 2003 wie auch die übrigen Stasi-Unterlagen entsprechend dem Stasi-Unterlagengesetz verwendet werden.

Wie gesagt, auch aufgrund der fortgeschrittenen Zeit und weil es sich um einen interfraktionellen Antrag handelt, brauche ich Sie jetzt, glaube ich, nicht lange zu überzeugen, dass diesem Antrag die Zustimmung gegeben wird. Ich möchte nur zum Ausdruck geben, dass dieser Antrag nicht dazu dienen soll, Misstrauen zu säen, sondern ganz im Gegenteil, er soll dafür Sorge tragen, dass Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit gewonnen wird, dass Vertrauen in die Parlamentarier gewonnen wird. Wir gehen auch nicht davon aus, dass sich diverse Stasi-Spitzel unter uns befinden. Es ist eine freiwillige Überprüfung, und ich denke, dass man damit insgesamt das Vertrauen in die Parlamentarier, auch in den westdeutschen Parlamenten, stärken kann.

Ich glaube aber auch insbesondere, dass diese Überprüfung, die wir hiermit in Gang setzen, dazu dient, einen Beitrag zur deutschen Einheit zu leisten, denn es betrifft nicht nur die neuen Bundesländer, sondern auch die alten Bundesländer. Es gibt nämlich mindestens 12000 Westdeutsche, die zwischen 1950 und 1989 für die Stasi spioniert haben. Das kann heute keine strafrechtlichen Konsequenzen mehr haben, weil in den meisten Fällen die Verjährung eingetreten ist. Es ist aber gut, dass man eine Aufklärung darüber macht, dass man darüber informiert und dass man auch weiß, mit wem man sich auseinander setzen muss.

Ich denke, dieses Parlament geht hier mit gutem Beispiel voran, wenn wir diesen Antrag heute beschließen. Ich würde mir wünschen, dass auch der Senat diesem Beispiel folgen würde und sich einer solchen freiwilligen Überprüfung unterzieht.

(Beifall bei der CDU)

Vielleicht kann er auch Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes insgesamt dazu bewegen, sich einer solchen freiwilligen Überprüfung zu unterziehen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Kleen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Am 26. September 2003 hat der Bundesrat beschlossen, dass Bund und Länder die mit der Freigabe der Rosenholz-Dateien gewonnenen neuen Erkenntnisse nutzen sollten, ich zitiere, „um weiteren Aufschluss über eine mögliche Tätigkeit von Bediensteten für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR zu erhalten“. In der Entschließung des Bundesrats heißt es: „Die Parlamentarier von Bund und Ländern sind aufgerufen, sich ebenfalls einer solchen Überprüfung zu unterziehen.“ Die drei Fraktionen dieses Hauses haben beantragt, dass wir genau das tun sollen. Die Mitglieder der SPDFraktion schließen sich diesem Aufruf natürlich an.

Damit wird zunächst eine Debatte abgeschlossen, die nach der Freigabe der Rosenholz-Dateien wieder aufgebrochen war. Warnende Stimmen in die eine und die andere Richtung, welche Folgen denn jetzt eigentlich die Zugänglichkeit von Stasi-Akten und -Dateien haben müsste, hatte es schon früher gegeben. Auf der einen Seite wurde daran erinnert, dass die Dateien in einer verbrecherischen Organisation in keineswegs lauterer Absicht und ohne hinreichende Zuverlässigkeit oder Wahrhaftigkeit angelegt wurden. Dazu kam der Hinweis, dass, nachdem sich die CIA auf bisher ungeklärtem Wege bei der Wende die Dateien gesichert hatte, bei der Übertragung in das Englische Fehler und Ungenauigkeiten nicht ausgeschlossen werden könnten. Marianne Birthler, die Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde, hat darauf hingewiesen, dass Namen falsch eingegeben wurden, dass Vornamen und Nachnamen verwechselt wurden, so dass eine sehr mühselige Nacharbeit erforderlich war, bis die Dateien vollständig genutzt werden können.

Während auf der einen Seite also Skepsis vorherrschte, gab es auf der anderen aber auch kräftige Gegenargumente. So kann es nicht verwundern, dass insbesondere auch im Osten Deutschlands gefordert wird, die schlimme Geschichte der Stasi unzweideutig aufzuklären. Dabei darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Die Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit war und ist kein ausschließlich ostdeutsches Problem, auch wenn gerade in diesem Zusammenhang Marianne Birthler immer wieder darauf hinweist, wie wenig in den westlichen Bundesländern zur Kenntnis genommen wird, was es in den neunziger Jahren schon an Gerichtsver––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

fahren und auch Verurteilungen im Zusammenhang mit Spionage für die Staatssicherheit gegeben hat. Im Westen soll es immerhin 20 000 bis 30 000 Bundesbürger als so genannte Westagenten gegeben haben.

Meine Damen und Herren, wir werden diese Debatte um Stasi-Akten und -Dateien nicht weiter führen, sondern der Aufforderung des Bundesrates folgen, auch wenn wir davon ausgehen, dass diese Überprüfung nicht zu negativen oder zu positiven Ergebnissen, wie man es germanistisch sieht, führen wird. Fälle, die noch zu Gerichtsverfahren führen könnten, wird es wegen der Verjährungsfristen nicht geben, darauf hat Frau Hannken schon hingewiesen.

Meine Damen und Herren, die Stasi war kein Zusammenschluss von Ehrenmännern. Ihre Dateien sind mit gehöriger Sorgfalt und rechtsstaatlicher Gewissenhaftigkeit auszuwerten. Die Stasi hat keine Siege verdient, auch keine späten, allerdings auch nicht ihre Schergen im Westen. Wer sich schuldig gemacht hat, der soll auch noch nach langer Zeit dafür geradestehen müssen.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich kann mich in den wesentlichen Punkten der Vorrednerin und dem Vorredner anschließen. Wir haben das ja auch im Vorfeld diskutiert, und ich finde es gut, dass alle drei Fraktionen hier gemeinsam diesen Antrag gestellt haben. Das war ja auch von Anfang an – hier auch noch einmal mein Dank – der Wunsch der CDUFraktion. Wir hatten damit als grüne Fraktion gar keine Probleme, uns dem anzuschließen.

Im Bundestag ist das ja ein bisschen auf einer anderen gesetzlichen Grundlage geregelt, nach dem Paragraphen 44 im Abgeordnetengesetz, wo die Freiwilligkeit noch einmal besonders herausgestrichen wird. Unsere grünen Kollegen im Bundestag gehören zu denen, die auch der namentlichen Erwähnung in dem Abschlussbericht des Ausschusses des Bundestags in der Regel zustimmen. Von daher haben wir da traditionell eine sehr offene Haltung gegenüber dem Anliegen, dies zu überprüfen.

Herr Kleen und Frau Hannken hatten schon erwähnt, dass wir es hier mit den jetzt für uns in Deutschland neuen Daten der Rosenholz-Datei zu tun haben. Wir haben in der Parlamentarischen Kontrollkommission für den Verfassungsschutz bereits einige Informationen zu diesem Thema bekommen, die ja allerdings vertraulich sind. Auch da ist aber ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

deutlich geworden, dass es sehr sinnvoll ist, zum einen diese Überprüfung jetzt zu machen, dass man zum anderen aber alle, die jetzt vielleicht ahnen, dass es riesige skandalträchtige Vorgänge hier in Bremen geben könnte und die bremische Geschichte neu umgeschrieben werden müsste, vielleicht etwas enttäuschen muss, weil es wohl nicht so ganz hoch hängen wird, ohne dass ich hier zu viel aus diesen Beratungen, die ja vertraulich sind, verrate.

Ich kann mich auch dem Wunsch anschließen – und habe es ein bisschen bedauert, dass der Senat hier noch nicht mitgezogen ist –, dass sich der Senat und vielleicht der öffentliche Dienst insgesamt, aber vor allen Dingen doch die Top-Beamten, würde ich einmal sagen, die Amtsleiter, Behördenleiter und -leiterinnen, vielleicht auch die Geschäftsführer der Gesellschaften, freiwillig dieser Initiative anschließen, das fände ich ganz gut. Ich habe bisher auch noch kein Argument gehört, warum der Senat dies für sich selbst als Organ, aber auch für den öffentlichen Dienst, zumindest in seinen Top-Bereichen, nicht tun sollte. Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt schon abschließend im Senat beraten ist oder ob das nicht vielleicht offen ist und der Senat dem dann anschließend noch beitreten kann. Ich würde es mir jedenfalls für meine Fraktion wünschen, dass er es täte.

Ich möchte zum Abschluss, weil wir ja hier inhaltlich so einig in dieser Frage sind, doch noch auf ein möglicherweise auftretendes Problem mit dem Verfahren aufmerksam machen! Wir haben in Bremen im Unterschied zum Bundestag keine gesetzliche Regelung, nach der wir uns richten. Dort haben wir einen Paragraphen im Abgeordnetengesetz, wir haben eine Richtlinie, wir haben eine schriftlich festgelegte Absprache, und danach wird das alles formal abgewickelt.

Wir müssen uns hier fragen, und ich würde anregen, dass wir das gemeinsam im Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss tun, wie wir jetzt damit umgehen, dass wir hier jetzt zwar gemeinsam diesen Antrag beschließen, aber damit ja noch keine individuelle Erklärung der einzelnen Abgeordneten, die jetzt möglicherweise gar nicht zustimmen, hinausgehen oder heute gar nicht anwesend sind, erfolgt ist, die aber, soweit ich weiß, aus Sicht der Birthler-Behörde notwendig ist, um diese Überprüfung vorzunehmen. Entweder müssen wir es also so regeln, dass noch einmal jede und jeder Abgeordnete eine entsprechende Erklärung unterzeichnet oder dass wir nachträglich noch die Verfahrensgrundlagen schaffen.

Ich denke, das ist nur eine Verfahrensfrage. Die sollten wir aber nicht vergessen, damit wir hier keine rechtsfehlerhaften Dinge beschließen, die anschließend im luftleeren Raum irgendwie verpuffen. Das müssen wir nacharbeiten. Da müssen alle drei Fraktionen gestehen, das ist bisher noch nicht erfolgt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich glaube, das werden wir aber trotzdem gemeinsam hinbekommen. Ich wünsche mir, dass wir das jetzt auch zumindest von den Abgeordneten, die noch im Hause anwesend sind, einmütig beschließen und dann in einem ordentlichen Verfahren abwickeln. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Dringlichkeitsantrag mit der Drucksachen-Nummer 16/98, Überprüfung nach dem Stasi-Unterlagengesetz, ist ein richtiger, wichtiger und überfälliger Antrag, den ich im Namen der Deutschen Volksunion uneingeschränkt unterstützen werde. Aber, jetzt kommt das Aber, wie eben erwähnt, hätte ich mir einen solchen Antrag schon viel früher als Antrag und nicht heute als späten Dringlichkeitsantrag gewünscht. Tatsache ist doch, dass die Stasi der ehemaligen DDR auch mit Hilfe ranghoher westdeutscher Parlamentarier wahrscheinlich quer durch alle so genannten demokratischen Parteien in einem hervorgerufenen harmonischen und gemeinschaftlichen Zusammenschluss von SPD, KPD, kommunistisch geführter Diktatur, SED-Regierung Millionen von Menschen erpresst, bedroht, bespitzelt, ausspioniert und sogar nachweislich Menschen brutal ermordet hat.

Meine Damen und Herren, Fakt ist auch, dass das Ministerium für Staatssicherheit das Instrument der SED, also der harmonischen Verbrüderung von KPD und SPD, war. Dort saßen die Verantwortlichen des Systems. Als die Macht im Staat, als das Aushängeschild der Partei waren der Stasi keinerlei Grenzen gesetzt, keine juristischen Grenzen, keine moralischen Grenzen. Vor niemandem und vor nichts wurde Halt gemacht, nicht einmal vor dem Bundeskanzler Brandt alias Herbert Frahm.

Meine Damen und Herren, viele dieser Subjekte sind heute noch immer in ranghoher wirtschaftlicher und behördlicher Stellung. Wenn ich dann nur an einen Herrn Gysi, PDS, oder Stolpe, SPD, denke, in dessen Fall neue Dokumente den Verdacht erhärten, dass der jetzige Verkehrsminister Stolpe, SPD, in den sechziger Jahren als inoffizieller Mitarbeiter von der Stasi geworben wurde, kann man durchaus mit Fug und Recht behaupten, dass wahrscheinlich ehemalige inoffizielle Stasi-Mitarbeiter sogar heute noch ranghohe politische Ämter ausüben, wobei ich sagen muss, bei dieser politischen Karriere und Vergangenheit vom SPD-Stolpe in einem hundertprozentigen Überwachungsstaat verwundert es mich doch schon sehr, dass dieser SPD-Verkehrsminister nicht einmal das Maut-System, also die Autobahnüberwachung, hinbekommt. Das wundert mich schon!