Protocol of the Session on July 16, 2014

All diese Dinge sind wichtig; denn es steht uns im Freistaat Bayern und der Bundesrepublik Deutschland nicht gut an, derartige Irrtümer und Fehlleistungen einfach damit abhaken zu wollen, dass diese Fehler nach 10 Jahren durch einen Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren bereinigt werden; denn die Schicksale laufen weiter. Bei aller Betroffenheit geht es auch darum, uns Klarheit darüber zu verschaffen, wie wir die Systematik insgesamt verbessern können.

Damit ist keinerlei Vorbehalt oder Vorverurteilung verbunden. Wenn Sie sich die Beiträge im Netz oder die derzeit immer noch anstehende öffentliche Diskussion über diesen Fall anschauen, sehen Sie: Teilweise schießen schon wieder Spekulationen ins Kraut, die für eine ordentliche Aufklärung und Prävention für die Zukunft kontraproduktiv sind. Viele haben sich engagiert, um das Wiederaufnahmeverfahren in Gang zu setzen. Dem ist Rechnung zu tragen.

Das Wiederaufnahmeverfahren ist beendet, die Konsequenzen sind bislang aber nicht gezogen. Es ist gut, wenn wir als Landtag wissen wollen, was daraus geworden ist. Deswegen bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege Arnold. – Für die CSU-Fraktion: Herr Kollege Dr. Rieger. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! So bedauerlich dieser Fall sowohl im Ablauf als auch im Ergebnis ist, zumindest bisher, ist es umso wichtiger, ihn mit der gebotenen Sorgfalt und Objektivität zu betrachten. Tut man dies, so stellt man erstens fest, dass die Korrektur- und Kontrollmechanismen der bayerischen Justiz, der bayerischen Gerichte funktioniert haben. Nachdem neue Beweismittel vorlagen – Kollege Arnold hat es schon ausgeführt –, insbesondere nachdem sich zu einer wesentlichen Tatsache herausstellte, dass ein Mitinsasse des Verurteilten vorsätzlich falsch ausgesagt hatte,

(Horst Arnold (SPD): Angestiftet durch die Polizei!)

hat das Landgericht Bayreuth ein Wiederaufnahmeverfahren durchgeführt, die Verurteilung des Angeklagten zu lebenslanger Freiheitsstrafe aufgehoben und den Verurteilten freigesprochen. Von der lebenslang verhängten Freiheitsstrafe war übrigens bis dahin und ist bis heute noch nichts vollstreckt, weil sich nämlich der Verurteilte wegen anderer Taten in einem psychiatrischen Krankenhaus befand.

Zweitens belegen die beiden Urteile, dass die Staatsanwaltschaft, natürlich unter Zugrundelegung der jeweils vorhandenen Beweismittel, richtig und einwandfrei gearbeitet hat. Die Strafgerichte sprechen nämlich nicht nur Recht gegenüber dem und über den Angeklagten; sie üben auch eine Kontrollfunktion über die Ermittlungsbehörden aus, und zwar in doppelter Hinsicht: nämlich bei der Entscheidung und Prüfung der Zulassung der Anklage und in der Hauptverhandlung. In beiden Strafverfahren gab es keine Beanstandun

gen der Ermittlungstätigkeit durch die Gerichte. Im Gegenteil: Die Anklage im ursprünglichen Verfahren wurde zugelassen, der von der Staatsanwaltschaft vorgegebene Sachverhalt wurde – was nicht immer der Fall ist – vom Gericht übernommen.

Wollte man die staatsanwaltschaftliche Ermittlungstätigkeit nochmals durch eine Expertenkommission überprüfen, also durch Dritte, würde das die Unabhängigkeit unserer Gerichte und damit das Gewaltenteilungsprinzip tangieren.

(Horst Arnold (SPD): Die Staatsanwaltschaft ist kein Gericht!)

Herr Kollege Arnold, wir würden damit, wenn auch nur indirekt, die dritte Gewalt überprüfen, wozu wir nicht legitimiert sind.

Dieser Fall zeigt aber auch, dass insbesondere die Kontrolle und Selbstkontrolle der Staatsanwaltschaft funktionieren und auch die Kontrolle der Staatsanwaltschaft über die Polizei. Genau das haben Sie nicht erwähnt, Herr Kollege. Auf zwei Anfragen der FREIEN WÄHLER hat das Bayerische Staatsministerium der Justiz im Februar dieses Jahres umfassend und detailliert Auskunft gegeben, auch über die weiteren Konsequenzen vonseiten der Staatsanwaltschaft in diesem Fall. Ich will darauf ausdrücklich hinweisen: Die Staatsanwaltschaft hat nach Wiederaufnahme des Verfahrens weitere Ermittlungen in jeder Richtung angestellt, unter anderem wegen des Verdachts der Aussageerpressung in Richtung der Polizei. Im Ergebnis stellte sich heraus, dass es eben nicht die geringsten Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der Polizei gibt.

(Widerspruch des Abgeordneten Horst Arnold (SPD))

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass die Staatsregierung mit diesen Auskünften größtmögliche Transparenz gewährleistet hat. Das zeigt, dass die parlamentarische Kontrolle und das parlamentarische Kontrollsystem funktionieren.

Unter Berücksichtigung der gegebenen Sachlage ist eine Expertenkommission nicht notwendig. Die Aufarbeitung des Komplexes "Peggy" erfolgt bzw. erfolgte durch das Wiederaufnahmeverfahren sowie durch die umfassenden weiteren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Polizei. Erkenntnisse von grundsätzlicher Bedeutung werden der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis mitgeteilt. Selbstverständlich werden etwaige über diesen Sachverhalt hinausgehende Kritikpunkte ebenfalls geprüft. Wir werden diesen Antrag deshalb ablehnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Rieger. Wir hören nun eine Zwischenbemerkung von Herrn Kollegen Arnold. Bitte schön.

Herr Kollege Dr. Rieger, es wäre wirklich schön und angemessen, wenn die Justiz aufgrund dieser Tatsachen, die von Privaten zutage gefördert worden sind, so reagiert hätte, wie Sie es geschildert haben. Aber wie erklären Sie sich die Äußerung des Leitenden Oberstaatsanwalts in Hof noch im April 2013, der mit den Widersprüchen aus diesen Ermittlungen konfrontiert wurde und darauf gesagt hat, dass diese Widersprüche für ein Wiederaufnahmeverfahren juristisch irrelevant seien? Es ist ein Leitender Oberstaatsanwalt einer wichtigen Behörde; diese Behörde ist natürlich ein Bestandteil der Justiz.

Um dies klarzustellen: Die Staatsanwaltschaft ist im Gegensatz zu den unabhängigen Gerichten weisungsabhängig. Wir wollen keine Urteile überprüfen, sondern aus Ermittlungsfehlern Konsequenzen ziehen. Im Jahr 2013 war der Leitende Oberstaatsanwalt in Hof der Ansicht, dass diese Fehler nicht relevant sind. Wir schreiben heute das Jahr 2014. Sie können also nicht behaupten, dass dieser Gesinnungswandel wegen des Wiederaufnahmeverfahrens eingetreten ist. Vielmehr liegen systemische Missverständnisse vor. Unabhängige Experten mögen diese aufklären und die Staatsregierung darüber unterrichten. Dann möge die Staatsregierung berichten. Das ist Gegenstand des Antrags, nicht ein Gerichtsverfahren oder Revisionsverfahren mit der Folge, dass über einzelne Personen ein Urteil gefällt wird.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Arnold, ich kenne diese Äußerungen des Leitenden Oberstaatsanwalts nicht und weiß auch nicht, ob Sie einzelne oder aus dem Zusammenhang gerissene Sätze angeführt haben. Doch ich möchte Ihnen das Folgende verdeutlichen: Wir haben es hier mit dem Fall eines Mädchens zu tun, das seit 13 Jahren verschwunden ist. Es geht um einen unaufgeklärten Sexualmord an einem Kind, der allerlei Spekulationen ins Kraut schießen lässt. Darüber wurde, wie man sagen muss, nur ein Indizienprozess geführt, und wir verfügen auch weiterhin nur über Indizien. Es gibt Ermittlungen und weitere Verdächtige. Solch ein Fall eignet sich weder für eine Emotionalisierung noch für eine Politisierung.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter, und der Fall ist immer noch ungeklärt. In vielen solchen Fällen wird es viele ungeklärte Tatsachen geben; das wissen Sie aufgrund Ihrer Erfahrung als Richter selbst. Sie for

dern eine Prüfung durch eine unabhängige Expertenkommission. Ich weiß nicht, um wen es sich bei diesen Experten handeln soll; denn Richter können der Kommission nicht angehören, weil sie befangen wären. Wollen Sie Universitätsprofessoren die Prüfung vornehmen lassen? – Wenn Sie dies weiter durchdenken, müssten Sie in Zukunft jeden unaufgeklärten Mordfall von einer unabhängigen Expertenkommission prüfen lassen, bloß weil es irgendwelche Ungereimtheiten gibt. Sie wissen selbst genau, dass es in Fällen wie dem vorliegenden, in dem seit 13 Jahren noch nicht einmal die Leiche des Opfers gefunden wurde, eine Menge offener Fragen gibt. Ich muss betonen: Die CSU ist aus Prinzip dagegen, einen solchen Fall zum Präzedenzfall zu machen, zumal die Staatsregierung umfassend Auskunft gegeben und die Staatsanwaltschaft umfassend weiterermittelt hat, auch gegenüber der Polizei. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag auf eine unabhängige Expertenkommission ab, wie auch immer sie zusammengesetzt sein soll.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön. Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Kollegen Streibl für die FREIEN WÄHLER. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, werter Herr Ministerpräsident, werte Kolleginnen und Kollegen! In diesem kurz geschilderten Fall wundere ich mich. Herr Dr. Rieger sagt, es liege ein unaufgeklärter Sexualmord vor, aber man habe noch keine Leiche gefunden. Woher wissen Sie dann, dass es einen Sexualmord gab?

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN, der SPD und den GRÜNEN)

Als Tatsache ist festzuhalten, dass ein kleines Mädchen 2001 verschwunden und bis heute nicht mehr aufgetaucht ist und dass 2004 Ulvi K. einen Mord gestanden hat. Danach erwies es sich, dass dieses Geständnis falsch war, worauf Ulvi K. rehabilitiert wurde. Man muss betonen, dass die Strafjustiz im Wiederaufnahmeverfahren den begangenen Fehler klar korrigiert hat. Das muss man anerkennen. Trotzdem bleiben Fragen übrig: Wie kann es dazu kommen, dass jemand, der erwiesenermaßen unschuldig ist, verurteilt wurde? Dieser Frage sollte man nachgehen.

Letztes Jahr haben wir im Zusammenhang mit dem Untersuchungsausschuss zum Fall Mollath betont, dass wir eine neue Fehlerkultur brauchen. Damit könnte man hier anfangen. Die geforderte Expertenkommission wäre ein Schritt in Richtung einer neuen Fehlerkultur und eine Möglichkeit, Fehler in Ermittlungen aufzuarbeiten. Deswegen begrüßen und unter

stützen wir diesen Antrag. Natürlich stellen sich hier Fragen. Sie haben dankenswerterweise meine Anfragen an die Staatsregierung erwähnt. Ich habe gefragt, ob eine sehr umstrittene Methode der Vernehmung angewandt worden ist. Die Antwort lautete: "Eine strukturierte Vernehmung nach ‚REID‘ oder einer abgewandelten Methode wurde nach Aktenlage nicht durchgeführt." – Vielleicht geschah dies außerhalb der Aktenlage; dies müsste zu klären sein.

Mich verwundert nun, dass eine Kleine Anfrage der Abgeordneten der Linken im Deutschen Bundestag vom 14. Mai 2014 vorliegt. Darin wird nach dieser umstrittenen REID-Verhörmethode gefragt. Die Bundesregierung führt in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage aus, dass diese Methode schon 1955 in Amerika beim Fall Darrel Parker angewandt worden ist. Der Betroffene hat schließlich einen Mord gestanden. Erst nach Jahren hat sich seine Unschuld erwiesen. Im gleichen Atemzug nennt die Bundesregierung in ihrer Antwort Ulvi K. Ich frage mich: Ist diese Methode bei einem geistig Behinderten angewandt worden, obwohl es sich um eine höchst fragwürdige Methode handelt, bei der man weiß, dass es zu Fehlgeständnissen kommen kann?

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Dieser Frage müsste nachgegangen werden; denn hier klafft ein Widerspruch zwischen der Antwort der Bundesregierung und der Antwort der Staatsregierung. Ich würde gerne wissen, wer recht hat und wer nicht. Wer hat möglicherweise nicht alle Karten auf den Tisch gelegt? Man muss hinzufügen: Wie wird hier mit unseren Anfragen umgegangen?

(Horst Arnold (SPD): Es geht um Wahrheit und Transparenz!)

Dieser Aspekt wäre in einer solchen geforderten Kommission zu klären.

Ein Punkt in diesem Fall stört mich ungeheuerlich und bringt mich auf die Palme. Man hat 2004 wohl unter höchstem Ermittlungsdruck gearbeitet und einen Täter präsentiert, wonach sich herausstellte, dass er nicht der Täter war. Wenn wir unterstellen, dass wirklich ein Mord an einem Kind vorliegt, müssen wir die Möglichkeit einräumen, dass jahrelang der tatsächliche Mörder auf freiem Fuß war. Darin besteht der ganze Skandal bei diesem Fall. Das darf nicht geschehen. Man muss den Ermittlungsbehörden vertrauen und sich darum bemühen, dass der eigentliche Täter gefunden wird. In diesem Sinne wäre das Parlament gut beraten, wenn wir zustimmen, um einen weiteren Schritt in eine neue Fehlerkultur zu gehen, um auch für die Zukunft aufzuklären und unseren Ermittlungsbehörden und Ermittlungsbeamten eine Hilfe

stellung zu geben, damit sie aus diesen Fehlern lernen können. Das wäre äußerst wünschenswert.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Streibl. Für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Kollegen Dr. Dürr das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich kann Herrn Kollegen Streibl nur vorbehaltlos zustimmen und den Antrag unterstützen, sodass der Abstimmung nichts mehr im Wege steht.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Herr Kollege Dürr. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der federführende Ausschuss für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen empfiehlt auf Drucksache 17/2616 die Ablehnung des Antrags. Wer entgegen dem Ausschussvotum dem Antrag auf Drucksache 17/1961 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FREIEN WÄHLER und der SPD. Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Es scheint auf der linken Seite eine deutliche Mehrheit zu sein.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN – Zuruf von der CSU: Ham- melsprung!)

Die Geschäftsordnung sieht Hammelsprung vor, wenn das Ergebnis nicht eindeutig ist bzw. von jemandem aus dem Präsidium angezweifelt wird. Eine Kollegin zweifelt das Ergebnis an, also kommen wir zum Hammelsprung.

(Widerspruch bei der SPD, den FREIEN WÄH- LERN und den GRÜNEN – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich bitte um Ruhe. Die Geschäftsordnung sieht vor, dass ein Hammelsprung durchgeführt wird, wenn das Ergebnis angezweifelt wird. Darüber brauchen wir jetzt nicht zu diskutieren.

Ich bitte Sie, zum Hammelsprung den Saal zu verlassen. - Wir können beginnen.

(Abstimmung gemäß § 129 der Geschäftsord- nung)