Protocol of the Session on June 26, 2018

Interessant wird es, wenn man sich die Situation an der Flexiblen Grundschule anschaut. Die Eltern, deren Kinder dieses Schulmodell nutzen, stellen deutlich seltener zurück als Eltern, deren Kinder nicht an diesem Schulmodell teilnehmen. Während es sonst 13 % sind, liegt die Zurückstellungsquote an der Flexiblen Grundschule bei nur 4 %. Zwar kann ein Kind drei Jahre in der Eingangsstufe verweilen; aber auch das sind nur 4 %. Insgesamt liegt der Anteil derjenigen, die zurückgestellt werden oder ein Jahr länger brauchen, an der Flexiblen Grundschule bei nur rund 8 %, während an der normalen Grundschule im Durchschnitt 13 % die Zurückstellung wünschen. Was heißt das? Wenn die Kinder erst einmal im Schulsystem sind, dann merken die Eltern sehr schnell, dass das Kind vielleicht doch ein Stück weit schulfähig war und sie die Schulfähigkeit möglicherweise ein Stück weit falsch eingeschätzt haben. Deswegen ist es sinn

voll, die Eltern in der Zeit der Entscheidung nicht alleinzulassen, sondern durch entsprechende Beratung von verschiedenen Seiten zu begleiten.

Herr Piazolo, Sie behaupten in Ihrer Antragsbegründung, statt der Zustimmung zu dem Zurückstellungsantrag werde häufig sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt. Beides ist völlig unabhängig voneinander. Auch mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist man nicht automatisch zurückgestellt; natürlich ist auch in diesem Fall die Einschulung möglich. Der sonderpädagogische Förderbedarf hat völlig andere Hintergründe; dabei geht es um Maßnahmen der Inklusion oder Ähnliches. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

Dann propagieren Sie, die spätere Einschulung erhöhe die Wahrscheinlichkeit des Übertritts an das Gymnasium und führe deswegen zu mehr Bildungsgerechtigkeit. Ich hatte gehofft, dass wir diese Diskussion hinter uns haben und stattdessen die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung erkannt haben.

(Beifall bei der CSU)

Es mag sein, dass einige Eltern darauf schielen, dass ihr Kind nach der vierten Jahrgangsstufe vielleicht doch den Weg auf das Gymnasium finden kann. Die Einführung eines Einschulungskorridors ist jedoch nicht der geeignete Weg. Über die Diskussion, die Bildungsgerechtigkeit durch mehr Übertritte an das Gymnasium zu erhöhen, sollten wir doch hinweg sein. Das wäre nicht zielführend.

Wir wissen, dass die Zurückstellung von vielen verschiedenen Punkten abhängt, zum Beispiel vom Stadt-Land-Gefälle, vom Migrationshintergrund und davon, ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen handelt. Es gibt viele Parameter; der Übertritt an das Gymnasium ist nicht der ausschlaggebende. Über Bildungsgerechtigkeit wird in unserem differenzierten Schulsystem anders entschieden, lieber Kollege. Aus diesem Grund werden wir dem vorliegenden Antrag nicht nähertreten.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön. – Die nächste Wortmeldung: Kollegin Dr. Strohmayr, bitte sehr.

Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um die Einschulung. Die FREIEN WÄHLER beantragen die Einführung eines Einschulungskorridors. Der bisherige Stichtag soll vom 30. September auf den 30. Juni zurückverlegt werden. Kinder, die in diesem

Zeitraum geboren sind, sollen nach Vorstellung der FREIEN WÄHLER zukünftig mit einfacher Erklärung der Eltern von der Einschulung sozusagen zurücktreten können. Dann ist also kein gesonderter Antrag mehr notwendig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wir sollten an den Beginn unserer Überlegungen zu diesem Thema erst einmal stellen, dass Kinder unterschiedlich sind. Gerade kleine Kinder sind sehr heterogen. Da gibt es Kinder, die im Alter von fünf Jahren schon perfekt lesen können, und da gibt es andere Kinder, die das vielleicht erst mit sieben oder gar mit acht Jahren können. Diese Heterogenität, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, müssen wir endlich akzeptieren und unser Bildungssystem danach ausrichten. Es kommt gar nicht so sehr, so glauben wir, auf den Einschulungsstichtag oder -korridor an, sondern es geht vielmehr darum, dass wir die Kinder, die in die Schule kommen, in der Schule da abholen, wo sie stehen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte aber noch etwas zur tatsächlichen Situation sagen. Der Kollege hat es gerade schon gesagt: Ungefähr 13 % der Kinder werden zurückgestellt. Wenn man sich die Zahlen einmal etwas genauer ansieht, stellt man fest, dass von diesen 13 % zurückgestellten Kindern 62 % Buben und nur 37 % Mädchen sind. Ich finde, das sollte einem schon zu denken geben. Ich finde, dass es gerade zu viele Jungs sind. Diese Zahlen zeigen mir auch, dass hier etwas falsch läuft. Mütter, mit denen ich spreche, erzählen mir, sie stellen ihre Kinder deswegen zurück, weil sie schon Angst haben, dass ihre Kinder, wenn sie sie in die Schule schicken, später den Übertritt nicht schaffen. Das kann doch nicht Sinn und Zweck sein. Im Vordergrund muss doch die individuelle Förderung jedes einzelnen Kindes stehen.

(Beifall bei der SPD)

Was brauchen wir also, um die Situation zu verbessern? – Wir brauchen gute Kitas, in denen wirklich sichergestellt ist, dass jedes einzelne Kind von Beginn an gefördert wird. Dazu brauchen wir genug Personal. Ich möchte Sie auch erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen: Es gab einmal ein Vorzeigeprojekt, das sich KiDZ nannte. Da sind zusätzlich Lehrkräfte in die Kitas gegangen, und siehe da: In diesen Kinderbetreuungseinrichtungen gab es tatsächlich einen Mehrwert. Dieses Projekt ist wissenschaftlich wunderbar ausgewertet. Schade, dass es nach der wunderbaren wissenschaftlichen Auswertung eingestellt wurde.

Wir brauchen ferner fließende Übergänge von der Kita in die Grundschule. Auch da können wir noch vie

les verbessern. Bei uns gibt es immer noch Vorkurse, mit denen die spezielle Förderung von Kindern sichergestellt wird. Es ist aber immer noch so, dass einige Kinder diese Kurse aus organisatorischen Gründen nicht besuchen können. Ich höre immer wieder, dass, wenn zu wenig Lehrer da sind, genau diese Vorkurse ausfallen. Diese Mängel müssen behoben werden.

Frau Kollegin, Sie schauen schon auf die Uhr, oder?

Ja, ich sehe, dass meine Redezeit zu Ende ist.

Ja.

Eine Sache muss ich aber noch sagen.

Na ja; bitte kommen Sie zum Schluss.

Wir brauchen vor allen Dingen andere Schulen. Die Schulen müssen sich auf die Kinder einstellen. Es ist gut, dass da einiges passiert ist; wir haben aber noch jede Menge vor uns. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Frau Kollegin Strohmayr. – Nächste Wortmeldung: Kollege Gehring, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön.

(Vom Redner nicht auto- risiert) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion der FREIEN WÄHLER hat einen Antrag eingebracht, der einer Open Petition entspricht, die gerade im Netz ist. Sie führen unserer Meinung nach eine gute Diskussion an; wir glauben aber, dass uns dieser Antrag nicht tatsächlich viel weiterbringt.

Wenn wir über das Thema Einschulung sprechen, sollten wir vielleicht doch einen kurzen Blick in die Stoiber-Zeit werfen – Kollege Piazolo hat sie schon angesprochen. Damals ist tatsächlich gedacht worden, es sei klug, den Einschulungstag, den Stichtag der Vollendung des sechsten Lebensjahres, vom 30. Juni auf den 31. Dezember sukzessive vorzuverlegen. Das war in der Zeit, als CSU-Bildungspolitik hieß: jung, schnell, effektiv. Das heißt, die meisten Kinder wären mit fünf Jahren in die Schule gekommen. Man muss der letzten Staatsregierung und Herrn Minister Spaenle anrechnen, dass sie das gestoppt haben. Ich habe Herrn Spaenle damals auch gelobt. Eigentlich sieht man, dass wir uns, aber auch

Sie, die CSU-Fraktion, sich von all den Stoiber-Themen befreit haben, ob das die Einschulung ist, ob das das G 8 ist, ob das die Arbeitszeit für Lehrerinnen und Lehrer ist und andere Dinge mehr. Das heißt, eigentlich wurde die Bildungspolitik dieser Ära wieder völlig zurückgenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht sollten Sie sich einmal überlegen, wem von Ihren Altvorderen Sie zuhören, wenn sie Ihnen momentan Ratschläge geben. Ich würde Stoiber nicht zuhören; ich wüsste andere, denen man zuhören sollte.

Der Antrag der Fraktion der FREIEN WÄHLER will den Stichtag praktisch durch einen Einstellungskorridor ersetzen. Es gibt andere Bundesländer, die schon in diese Richtung gehen, zum Beispiel Bremen und Niedersachsen. Ein Stück weit ist das aber nach wie vor eine starre Regelung, die durch eine andere ersetzt wird. Wir stellen fest, dass, egal wie die Regelungen sind, die Zahl der Zurückstellungen steigt und dass es für viele Eltern ein großes Thema ist, ob sie ihrem Kind noch Zeit geben sollen, bevor es in die Schule geht, oder ob sie ihr Kind rechtzeitig oder zu früh in die Schule schicken. Da ist viel Unsicherheit und Sorge vorhanden. Dies hat nichts mit der konkreten Regelung zu tun, sondern mit dem Bild, das Eltern von der Grundschule in Bayern haben.

Die Grundschulzeit ist zu kurz. Nach nur vier Jahren steht der Übertritt an. Dadurch entsteht Druck. Die Eltern haben oft Sorge, dass ihr Kind diesen vier Jahren nicht gerecht wird und den Übertrittsdruck nicht aushält. Deswegen sagen viele Eltern, dass sie den Kindern mehr Zeit geben müssen, da die Kinder weiterkommen müssen. Sie wollen ihnen die Einschulung deswegen ersparen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der erste Schultag ist ein wirklich toller Tag. Er ist ein toller Tag im Leben eines Menschen. Er sollte uns mit Freude erfüllen, nicht mit Sorge. An diesem Beispiel sieht man sehr gut, dass wir im bayerischen Bildungssystem einen großen Veränderungsbedarf haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Lederer hat sehr genau darauf hingewiesen, wo der Punkt ist. Er hat beim Einschulungsalter zwischen Flexibler Grundschule und der Regelgrundschule unterschieden. Das zeigt tatsächlich das Bild von Grundschule, das vermittelt wird. Die Flexible Grundschule bringt mehr. Wir können das Kind an seinem Standort abholen; wir können ihm die individuelle Zeit geben, die es zum Lernen braucht. Damit verändert sich das Verhalten der Eltern.

Das zeigt: Wir müssen unsere Bildungspolitik verändern. Wir müssen die Grundschule reformieren. Wir brauchen mehr Zeit, mehr individuelle Förderzeit. Wir müssen den Übertrittsdruck herausnehmen. Dann bekommen wir mehr Gelassenheit im Bildungssystem.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch die Schule, die wir uns wünschen: mit glücklichen Kindern, unterstützten Lehrkräften und entspannten Eltern. Wenn wir eine solche Grundschule haben, werden wir über das Thema Einschulungszeitpunkt oder korridor nicht mehr diskutieren müssen. Lassen Sie uns deswegen diese Themen angehen. Lasst uns die Bildungspolitik in Bayern verändern. Lasst uns diesen Übertrittsdruck abbauen. Dann werden wir in Bayern eine bessere Schule und vor allem entspanntere Eltern haben.

Dem Antrag der Fraktion der FREIEN WÄHLER können wir nicht zustimmen. Wie gesagt: Es ist ein gutes Thema. Wir werden uns bei diesem Antrag enthalten. – Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Kollege Gehring. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen, und wir kommen zur namentlichen Abstimmung über diesen Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/22855. Die Urnen sind bereitgestellt. Ich eröffne die Abstimmung. Sie haben fünf Minuten, meine Damen und Herren.

(Namentliche Abstimmung von 18.38 bis 18.43 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich schließe die Abstimmung und bitte Sie, die Plätze wieder einzunehmen. Uns liegen einige Ergebnisse namentlicher Abstimmungen vor, die ich jetzt bekanntgebe.

Zunächst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Rinderspacher, Rosenthal, Aures und anderer und Fraktion (SPD) betreffend "Europe United: Gemeinsam handeln statt nationaler Alleingänge" auf Drucksache 17/22854. Mit Ja haben 55, mit Nein 82 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Es gab 15 Stimmenthaltungen. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 1)

Nun zum Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den nachgezogenen Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Kreuzer, Freller, Reiß und anderer und Fraktion (CSU) betreffend "Für ein starkes Europa –

Zusammenarbeit der Staaten auf Augenhöhe zur Bewahrung der europäischen Grundwerte" auf Drucksache 17/22893. Mit Ja haben 80, mit Nein 55 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Es gab 13 Stimmenthaltungen. Damit ist der Dringlichkeitsantrag angenommen.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 2)

Nun komme ich zum Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den geänderten Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Kreuzer, Reiß, Freller und anderer und Fraktion (CSU) betreffend "Neuordnung der Migrationspolitik: Begrenzung, Steuerung und Ordnung von Zuwanderung!" auf Drucksache 17/22853. Mit Ja haben 74, mit Nein 43 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Es gab 8 Stimmenthaltungen und 15 ungültige Stimmen. Damit ist der Dringlichkeitsantrag angenommen.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 3)

Die Dringlichkeitsanträge auf den Drucksachen 17/22856 mit 22863 sowie 17/22897 und 22898 werden in die zuständigen federführenden Ausschüsse verwiesen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf: