Protocol of the Session on April 26, 2018

Ich eröffne die Aussprache. Für die SPD-Fraktion darf ich Frau Kollegin Kohnen das Wort erteilen. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bayern ist wirtschaftlich stark, und darauf sind wir alle stolz. Das verdanken wir den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber natürlich auch den Unternehmerinnen und Unternehmern. Diese Feststellung reicht aber schlichtweg nicht aus; denn wir müssen genau hinsehen. Fast 40 % der Beschäftigungsverhältnisse in unserem Land werden als atypisch bezeichnet. Das heißt, Menschen arbeiten in Teilzeit, in Leiharbeitsverhältnissen oder befristeten Arbeitsverhältnissen, und das sehr oft ohne sachlichen Grund. Dazu kommen immer mehr Menschen im Freistaat, die nur noch mit Nebenjobs überhaupt über die Runden kommen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit mindestens einem zusätzlichen geringfügigen Beschäftigungsverhältnis, einem Nebenjob, hat sich in den letzten 15 Jahren nahezu verdreifacht. Sie ist von 190.000 auf 567.000 gestiegen. Natürlich ist klar, dass nicht jeder, der in einem sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnis arbeitet oder einen Nebenjob hat, dies unfrei

willig macht. Die überwältigende Mehrheit der Menschen gerade in den Ballungsgebieten mit hohen Lebenshaltungskosten macht es aber nicht freiwillig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bedeuten diese Zahlen eigentlich? – Viel zu viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bayern arbeiten hart, aber sie haben nichts von unserer wirtschaftlichen Stärke. Stark ist Bayern nur dann, wenn alle davon profitieren.

(Beifall bei der SPD)

Genau deshalb dürfen wir uns nicht zurücklehnen und uns auf guten Wachstumsraten und niedriger Arbeitslosigkeit ausruhen. Wir müssen uns darum kümmern, dass jeder und jede Einzelne in Bayern von der Arbeit gut leben kann. Unser Ziel muss es daher sein, die Menschen in nachhaltige, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen und genau dort anständig zu entlohnen.

(Beifall bei der SPD)

Wer einen anständig bezahlten Vollzeitjob hat, braucht keinen Nebenjob. Das ist doch logisch. Wir wollen die besorgniserregenden Entwicklungen – dazu gehört auch der kontinuierliche Rückgang der Tarifbindung – nicht nur stoppen, sondern wir wollen diese Entwicklung auch umkehren. Das ist die Pflicht eines starken, handlungsfähigen Staates. Was nützt es denen, die keinen sicheren Job haben, die viel arbeiten müssen und schlecht bezahlt werden und ständig um ihren Arbeitsplatz bangen müssen, wenn ihnen immer wieder entgegengehalten wird, die wirtschaftliche Lage sei doch so gut, die Arbeitslosenzahlen seien niedrig und überhaupt sei doch in Bayern alles viel besser als anderswo? – Das nützt diesen Menschen rein gar nichts.

(Beifall bei der SPD)

Klar ist doch für uns alle, dass nur ein fester und anständig bezahlter Arbeitsplatz die Sicherheit gibt, die man braucht, um sein Leben und seine Zukunft wirklich gestalten zu können. Das gilt gerade in den Zeiten, in denen immer mehr Menschen im Wandel der Arbeitswelt nicht mehr mit Zuversicht zur Arbeit gehen, sondern mit der Sorge, ob es den Job in 5, 10 oder 15 Jahren noch gibt.

Nicht alle Maßnahmen, die wir in unserem Dringlichkeitsantrag vorschlagen, sind einfach zu verwirklichen. Nicht alle sind von heute auf morgen zu verwirklichen. Bei manchen Maßnahmen braucht es auch das sprichwörtliche Bohren von dicken Brettern. Aber der Freistaat kann hier einiges tun, und er muss es tun.

Folgende Maßnahmen schlagen wir vor:

Erstens. Die Sozialministerin – sie ist gerade nicht da; man kann es ihr vielleicht ausrichten – muss die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und die Gewerkschaft an einen Tisch bringen, um endlich einen Pakt für anständige Löhne zu schließen.

(Beifall bei der SPD)

Es müssen Strategien entwickelt werden, um die Tarifbindung endlich wieder zu stärken; denn inzwischen – das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen – sind nur noch etwa 30 % der Betriebe tarifgebunden. Anfang des Jahrtausends waren es noch mehr als die Hälfte. Studien, übrigens auch von Wirtschaftsverbänden, zeigen, dass Beschäftigte in nicht tariflich gebundenen Betrieben durchschnittlich länger arbeiten müssen, weniger verdienen und häufiger gekündigt werden. Das ist in einem reichen Land wie Bayern nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Die Tarifbindung können wir auch dadurch deutlich stärken, dass wir die Möglichkeit verbessern, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären, natürlich im Wissen und im gemeinsamen Wirken der Tarifvertragsparteien, dass wir den Grundsatz nicht angreifen wollen.

Drittens. Wir brauchen ein gesetzlich verankertes Recht auf bezahlte Freistellung für Weiterbildung.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man sich weiterbilden kann in der Arbeit, ist man auch gewappnet für die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Wir müssen uns klarmachen: Bildung ist der einzige Rohstoff, den wir in unserem Land haben.

(Beifall bei der SPD)

Viertens. Überall dort – das habe ich letzte Woche auch schon gesagt –, wo der Freistaat als Arbeitgeber auftritt, darf es keine sachgrundlosen Befristungen geben. Hier muss der Freistaat endlich Vorbild für die gesamte Arbeitswelt sein. Das hat auch etwas mit Respekt vor den Menschen zu tun.

Fünftens. Finger weg von jeglicher Aufweichung des Arbeitszeitschutzes unter dem Deckmantel der angeblichen Flexibilisierung. Das ist ein ganz sensibler Bereich, mit dem Sie als Unionskollegen durchaus Probleme haben. Jeder hat ein Recht auf Feierabend gerade in Zeiten, in denen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen. Ständige Erreichbarkeit – das wissen Sie selbst, und das sehen

wir an allen Ecken und Enden in der Arbeitswelt – ist für Menschen gesundheitlich nicht gut, sondern schädlich. Ich nenne nur die Stichworte Burn-out und Schlafstörungen. – Das heißt, die Menschen haben ein Anrecht auf Nichterreichbarkeit.

(Beifall bei der SPD)

Sechstens. Das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit ist in den Koalitionsvertrag bereits hineinzementiert. Da erwarte ich von den Kollegen der Union, dass sie nicht anfangen, daran herumzubasteln. Dieses Rückkehrrecht wird kommen.

Siebtens, wir müssen unsere Anstrengungen verstärken, auch all diejenigen in den Arbeitsmarkt hineinzubekommen, die es besonders schwer haben, indem der Freistaat als Vorreiter öffentlich geförderte Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen schafft, die besondere Unterstützung brauchen und nicht leicht zu vermitteln sind. Das hätte eine echte Vorbildwirkung für andere Arbeitgeber.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Regierungserklärung der letzten Woche war von Arbeit verdammt wenig zu hören. Deswegen bitten wir, den Maßnahmen, die wir hier jetzt vorschlagen, klar zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Für die CSU-Fraktion erteile ich jetzt Herrn Dr. Hopp das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege.

(Vom Redner nicht autori- siert) Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Hohes Haus, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kohnen, ein Stück weit kann ich Sie schon verstehen.

(Natascha Kohnen (SPD): Zufall!)

Der SPD-Bundesparteitag letzte Woche war anstrengend. Das muss jetzt bearbeitet werden. Der 1. Mai steht vor der Tür. Die Maikundgebungen werden stattfinden, und da wollen Sie bei den Gewerkschaften gut dastehen.

(Natascha Kohnen (SPD): Das brauchen wir nicht extra!)

Als Mitglied der IG Metall sage ich Ihnen: Das wird Ihnen mit diesem Dringlichkeitsantrag nicht gelingen.

(Natascha Kohnen (SPD): Ich bin auch Metallerin! Das wissen Sie doch!)

Sie sprechen von einer Offensive für gute Arbeit. Das klingt erst einmal nach einem durchdachten Konzept,

das Sie vorlegen wollen. Tatsächlich aber legen Sie ein Sammelsurium von alten Anträgen vor, die früher schon eingebracht und beraten wurden. Sie fordern vieles ein, wofür Sie selbst in überraschender Weise im Bund zuständig sind. Vieles ist altbekannt oder vielleicht sogar überflüssig. Allein deswegen, weil vieles schon besprochen wurde, werden wir Ihren Antrag heute ablehnen.

Dennoch will ich auf einzelne Punkte eingehen.

Zunächst zur Tarifbindung: Wir alle in diesem Hohen Haus wollen – das verbindet uns –, dass die Menschen gut und fair bezahlt werden. Und da ist es wichtig, dass wir den Mindestlohn haben. Ich bin auch Ihrer Meinung, dass eine gute Tarifbindung zu einem guten Tarifgefüge beitragen kann. Aber Tarifbindung zu schaffen – das haben wir hier schon öfter gemeinsam besprochen –, ist in erster Linie Aufgabe der Tarifpartner, der Arbeitgeber und der Gewerkschaften.

Das gilt auch für die Löhne. Weitere staatliche Eingriffe würden auch in die Tarifautonomie eingreifen. Ich glaube nicht, dass die Tarifpartner hiervon begeistert wären. Ich bin mehr dafür, sie zu stärken und zu unterstützen und ihnen Rückendeckung zu geben.

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen und Herren, Sie haben doch gesehen, dass es möglich ist, sich zu einigen. Ich verweise auf den Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie, wo neue Ansätze gefunden wurden und wegweisende Lösungen entstanden sind. Im Übrigen vergibt der Freistaat öffentliche Aufträge nur an diejenigen Bieter, die Tarifvertrag und Mindestlohn einhalten. Damit stärken auch wir als Freistaat Bayern ganz entscheidend die Tarifbindung.

Zur Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Sie wissen: Tarifverträge werden meistens von der Bundesregierung, genauer gesagt vom Bundesarbeitsministerium, einem SPD-geführten Ministerium, für allgemeinverbindlich erklärt. Das heißt, Sie könnten sich direkt mit Ihrem Antrag an Ihren Parteigenossen Hubertus Heil wenden.

(Natascha Kohnen (SPD): Das gilt doch auch für Bayern!)

Bayern unterstützt in den allermeisten Fällen auch die Allgemeinverbindlichkeit. Das kennen Sie beispielsweise aus der Anfrage der Kollegin Weikert vom vorletzten Jahr. Wir haben im Koalitionsvertrag gemeinsam auf Bundesebene vereinbart, die Bezahlung tarifspeziell in der Altenpflege weiter stärken zu wollen. Wir wollten gemeinsam mit den Tarifpartnern dafür sorgen, dass die Tarifverträge in der Pflege flä

chendeckend zur Anwendung kommen. Hier steht viel gemeinsame Arbeit auf Bundesebene für alle an.

Die Weiterbildung ist ebenfalls angesprochen worden. Auch sie wurde hier im Hohen Haus schon mehrfach diskutiert, zuletzt im Februar dieses Jahres. Ich will mich nicht wiederholen. Was ich damals gesagt habe, gilt nach wie vor: In Bayern setzen wir auf das freiwillige Engagement der Beschäftigten und der Arbeitgeber. Wir wissen, dass gesetzliche Regelungen hier nicht helfen. Das sehen wir an den Erfahrungen in den anderen Bundesländern. Wir gehen einen anderen Weg. Wir setzen Anreize, zum Beispiel mit dem Pakt für Aus- und Weiterbildung, mit dem Meisterbonus oder auch mit den Bildungsschecks über maximal 500 Euro, die gerade für Mitarbeiter in den kleinen und mittleren Unternehmen eine wichtige Unterstützung sein werden. Sie wurden in der Regierungserklärung in der letzten Woche angesprochen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist der bessere Weg. Davon sind wir überzeugt.

Auch die Arbeitszeit wurde von Ihnen angesprochen. Liebe Kollegen der SPD, hier verstehe ich Ihren Ansatz nicht. Misstrauen Sie Ihren Kollegen in Berlin? Wir haben doch im Koalitionsvertrag gemeinsam vereinbart, wie wir das Thema Arbeitszeit angehen wollen, zum Beispiel bei der Familienzeit, der Flexibilisierung oder den Chancen der Digitalisierung. Die Tarifpartner sollen hier eingebunden werden. Es ist auch sinnvoll, den Tarifpartnern mehr Flexibilität zu geben, damit auf die konkreten Bedürfnisse vor Ort und in der Branche besser reagiert werden kann. So können wir Innovation und den notwendigen Arbeitsschutz gemeinsam denken. In diesem Sinne wurde der Koalitionsvertrag im Bund ausgehandelt.

Das Gleiche gilt für das Teilzeitrecht. Auch dieses Thema haben wir auf Bundesebene im Koalitionsvertrag gemeinsam geregelt. Wir sind uns doch völlig einig, dass wir vor allem Frauen helfen wollen, leichter wieder in die Vollzeitarbeit zurückzufinden. Das ist auch im Hinblick auf die Altersvorsorge sehr sinnvoll. Wir machen uns deshalb für das Recht auf befristete Teilzeit stark. Wir wollen das zügig umsetzen. Deshalb wurden dazu konkrete Eckpunkte festgeschrieben. Natürlich begleiten wir diesen Prozess konstruktiv. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegt aber am SPD-geführten Arbeitsministerium, einen Entwurf vorzulegen, mit dem diese Eckpunkte umgesetzt werden können.

Das Gleiche gilt für die öffentlich geförderten Beschäftigungsmöglichkeiten, die Sie angesprochen haben. Auch das ist im Koalitionsvertrag vorgesehen. Sie kennen die Punkte sicherlich; denn Sie haben ja mitverhandelt. Wir wollen die öffentlich geförderte Be