Protocol of the Session on December 1, 2010

Unter Führung von Rainer Brüderle

(Hubert Aiwanger (FW): Brüderchen!)

hat das Bundeswirtschaftsministerium eine Strategie für Informations- und Kommunikationstechnologien für die digitale Zukunft mit dem Titel "Deutschland digital 2015" erarbeitet. Das Ganze ist erst im November im Bundeskabinett verabschiedet worden. Vorrangiges Ziel ist es, die großen Potenziale dieses Bereichs für

Wachstum und Beschäftigung in Deutschland besser zu erschließen. Diese Strategie der Bundesregierung orientiert sich an der Zielsetzung der digitalen Agenda für Europa. Es gibt bereits Pläne bei Unternehmen, schon Mitte nächsten Jahres Digitalradio auf Mobiltelefonen - der Kollege Sinner hat es gerade gesagt anbieten zu können. Ziel ist, dass man den ganzen Datenverkehr, den Internetradiostreams verursachen, eindämmt, dass man so Kosten spart, und, meine Damen und Herren, gerade bei Jugendlichen erfreut sich doch das Radio per Handy hoher Beliebtheit. Deswegen ist es einfach sinnvoll, das auf einen modernen Weg zu übertragen.

Die Bundesländer müssen ihre Zurückhaltung bei der Erschließung der neuen Technologie endlich aufgeben. Wir brauchen digitalen Hörfunk so schnell wie möglich. Sonst wird sich die deutsche Medienlandschaft von der aktuellen europäischen Entwicklung abkoppeln. Wir müssen Neugeräte mit digitalen Empfangsmöglichkeiten ausstatten, und wir brauchen einheitliche Standards für das digitale Radio.

Deshalb bitte ich Sie: Unterstützen Sie diesen Antrag.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CSU)

Nächste Wortmeldung: Kollege Dr. Rabenstein für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Frage an Sie: Wer hat zu Hause ein digitales Radio? Ich habe keines, und ich kenne auch in meinem Bekanntenkreis niemanden, der eines hat. Das zeigt schon die Problematik. Die Einführung des digitalen Radios oder DAB oder DAB-plus verspricht viel, jedoch ist der Verlauf in den letzten zehn Jahren mit großen Widerständen und Rückschlägen über die Bühne gegangen. Es wurden bisher Hunderte von Millionen investiert, aber viele Radiosender sind nach einer Versuchsphase wieder ausgestiegen.

Zurzeit senden in sieben Bundesländern ausschließlich öffentlich-rechtliche Anstalten Hörfunkprogramme digital. Auch private Programmanbieter beenden die DAB-Ausstrahlung, nachdem entsprechende staatliche Subventionen weggefallen sind. Das ist natürlich ein Problem; denn jeder, auch von uns, möchte natürlich auch dann noch die privaten Sender empfangen können.

Das Problem lag und liegt aber nicht nur bei den privaten Anbietern, also den Rundfunkanstalten, sondern auch bei den Kunden, also den potenziellen Hörern des digitalen Radios. Die Geräte sind nicht einmal so teuer. Man bekommt jetzt schon welche im

Handel für unter 100 Euro, aber es herrscht eine große Unsicherheit bei den Kunden. Wer nämlich im guten Glauben ein DAB-Gerät gekauft hat, der kann damit nicht oder nur mit Updates DAB-plus empfangen. Viele, die sich ein solches Gerät gekauft haben, wussten das aber nicht. Außerdem genügen den meisten Radiohörern ihre Geräte, mit denen sie UKW empfangen können. Die Vorzüge werden zwar geschildert, doch wer ein gutes Radiogerät hat, für den besteht meiner Meinung nach kein echter Bedarf. Deswegen ist im Gegensatz zur digitalen Fotografie die Nachfrage noch nicht so stark. Bei der digitalen Fotografie hat jeder schnell selbst gemerkt, dass er keinen Film mehr benötigt und die Bilder sehr schnell auf den PC übertragen kann. So gibt es heute kaum mehr Fotoapparate, die nicht mit den digitalen Funktionen ausgestattet sind.

Der Preis kommt auch noch dazu. Beim Radio ist das eben nicht so der Fall. Allerdings bin ich überzeugt, dass sich digitales Radio auf längere Sicht durchsetzen wird. Deswegen zielt der Antrag, diese Technologie zu fördern, in die richtige Richtung.

Ich sehe aber Probleme in Bezug auf den vierten Spiegelstrich des Dringlichkeitsantrags. Darin wird gefordert, dass die Geräte "mindestens einen digitalen Rundfunkstandard" empfangen müssen. Ich frage mich, ob diese Verpflichtung nicht zu weit geht. Ich würde das lieber dem Markt überlassen. Die Gerätehersteller sollen nicht verpflichtet werden, Geräte so herzustellen, dass man beides empfangen kann, also auch digital. Darauf, meine ich, wird der Markt reagieren, auch die Hersteller. Firmen werden reagieren, sobald der Bedarf da ist. Dann werden diese Geräte hergestellt, aber ich kann niemanden dazu verpflichten, dieses Empfangsteil in die Geräte einzubauen. Was dies betrifft, habe ich äußerste Bedenken. Außerdem wird dadurch das Gerät teurer.

In dem letzten Spiegelstrich heißt es, dass die Begrenzung der "teuren parallelen analogen und digitalen Ausstrahlung … so kurz wie möglich zu halten" ist. Auch dieser Punkt ist meiner Meinung nach äußerst problematisch; denn das bedeutet, dass Millionen von Hörern, die sich jetzt ein Gerät kaufen müssten, um die digitalen Sender empfangen zu können, ihr altes Gerät in die Ecke stellen können. Viele werden sagen: Ich habe mir gerade ein teures Gerät gekauft, und jetzt muss ich mir ein neues Gerät kaufen, weil ich mit dem alten Gerät keinen Empfang mehr habe. - Deswegen meine ich, dass man das Ganze eher strecken sollte, sodass man lieber parallel, wie es schon jetzt der Fall ist, digitales und analoges Radio empfangen kann, damit auch der normale Radiohörer, der nicht auf dieses Hightech-Gerät umstellen möchte, die Rundfunksendungen, auch im Autoradio, ebenso ana

log empfangen kann. Deswegen sollte dies nicht so kurzfristig umgestellt werden, sondern längerfristig. Aber die SPD war und ist schon immer eine Partei des Fortschritts.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen unterstützen wir natürlich auch eine fortschrittliche Technologie. Trotz dieser Bedenken stimmen wir diesem Dringlichkeitsantrag zu, weil wir der Meinung sind, digitale Technik für die Zukunft muss gefördert werden. Das wollen wir fördern.

(Beifall bei der SPD und den Freien Wählern)

Danke schön, Kollege Dr. Rabenstein. - Für die Fraktion der Freien Wähler Herr Prof. Dr. Piazolo. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Bei den ersten beiden Wortmeldungen von Herrn Sinner und Frau Sandt hatte ich den Eindruck, dass wir uns beinahe in einer Radiowerbesendung befanden, wobei ich sagen muss: Von dem, was Sie inhaltlich zur Technologie und zur Zukunft des digitalen Radios gesagt haben, kann ich Vieles teilen. Auch ich glaube, dass es eine sinnvolle neue Technologie ist. Ich finde es auch gut, dass sich Bayern intensiv darum bemüht.

Die Frage ist aber - das hat Herr Kollege Rabenstein bereits angesprochen -, was in den Spiegelstrichen 4 und 5 geregelt ist. Was dies betrifft, haben wir - das sage ich ganz offen - insbesondere beim Spiegelstrich 5 Bauchschmerzen. Das geht so weit, dass wir deswegen dem Dringlichkeitsantrag nicht zustimmen werden. Ich hatte das Gefühl, Herr Rabenstein, dass Sie diesen Dringlichkeitsantrag ablehnen - bis auf Ihre letzten zwei Sätze. Alles ging in diese Richtung, aber am Schluss kam der letzte Satz, dass Sie doch zustimmen. Bei uns wird es etwas konsistenter. Das größte Problem habe ich damit, dass Sie die Zeit, in der es sowohl analoges als auch digitales Radio geben soll, begrenzen wollen; denn es ist nicht sehr sinnvoll, viele Menschen, die erst vor Kurzem neue Radios, vielleicht auch ein neues Autoradio, gekauft haben, zu zwingen, in kurzer Zeit umzustellen. Das kostet sehr viel Geld, und das kommt, meine ich, bei den Menschen nicht gut an.

Sie, Herr Rabenstein, sagten früher, die SPD sei die Partei der Technik, und deshalb stimmen Sie jetzt zu. Wir, die Freien Wähler, sagen, wir sind diejenige Gruppierung, die nahe bei den Menschen ist. Da sehen wir die Probleme, und deswegen können wir nicht zustimmen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Herr Kollege Dr. Piazolo, sind Sie fertig?

Ja.

Es gibt eine Zwischenbemerkung. Herr Sinner, bitte schön.

Herr Piazolo, Ihnen ist sicherlich bekannt, dass im jetzigen § 63 Absatz 5 des Telekommunikationsgesetzes "2015" steht. Das ist Gesetzeslage,

(Prof. Dr. Michael Piazolo (FW): Ja! )

und diese Phase soll verlängert werden.

(Prof. Dr. Michael Piazolo (FW): Richtig!)

Jetzt kann man sagen, diese Phase verlängere ich bis 2030, oder ich kann sagen, diese Phase verlängere ich bis 2020. Also gibt es eine Laufzeitverlängerung, die Ihren Bedenken ausdrücklich entgegenkommt. Die Formulierung im Dringlichkeitsantrag zielt nur darauf ab, diese Phase nicht ewig auszudehnen, weil dann natürlich der Effekt nicht gegeben ist. Wir sehen also das Problem, aber es darf keine Ewigkeitsphase werden, weil die Welt auf die Gemütlichkeit in Deutschland keine Rücksicht nimmt. Sie werden, wenn Sie Anzeigen aufmerksam studieren, sehen, dass das digitale Radio schon jetzt ein Weihnachtsgeschäft aus der Sicht der Mobilfunkanbieter, der Handy-Anbieter, um es noch deutlicher zu sagen, sein kann, die den digitalen Radioempfang im Handy bereits ermöglichen. Wenn Sie den Umsatz und den Umschlag im Bereich Mobiltelefone sehen, dann wissen Sie, dass das schneller geht als in solchen Zeiträumen.

Das steht dahinter. Sie sollten überlegen, ob Sie nicht genauso fortschrittlich wie der Kollege Rabenstein sein wollen und können.

Vielen Dank. Das ist mir schon bewusst. Trotzdem haben wir in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass es mit der Umstellung und dem Kauf nicht so schnell geht, wie das gewünscht ist. Deshalb gibt es in anderen Bundesländern Bedenken. Wenn es denn so schnell geht, wie Sie sagen, wenn der Markt das so schnell steuert, dann ist es sicherlich auch kein Problem, wenn man eine längere Frist vereinbart; denn dann geht das automatisch.

Wir haben die Sorge, dass in dem Moment, wenn man die Frist - 2015 ist vom Tisch; das weiß ich auch - vielleicht bis 2017 oder 2018 nicht verlängert, ein

sehr großer Druck entsteht, aber auch viel Unverständnis bei den Menschen, die sich unter Druck gesetzt fühlen und die die neue Technologie häufig bis heute noch gar nicht kennen.

(Eberhard Sinner (CSU): Sie haben in Ihrem Beitrag keine Zahlen genannt!)

Für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN hat Frau Kollegin Gote das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Sinner, Sie haben "meine Freundin" gesagt. Damit haben sie völlig recht. Sie wissen, dass ich genauso wie Sie bei allem, was gerade die neuen und besseren Technologien im Medienbereich angeht, eine ähnliche Leidenschaft entwickeln kann wie Sie.

Dennoch kann ich Ihr Engagement für DAB nicht richtig teilen. Vor allen Dingen kann ich nicht dieselben Schlüsse ziehen, wie Sie es in Ihrem Dringlichkeitsantrag tun. DAB war bisher alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Sogar die pessimistischsten Einschätzungen wurden noch unterschritten. Wir haben von Anfang an kritisiert, dass hier einseitig eine Verengung auf nur einen Standard stattgefunden hat. Dieser wurde mit sehr viel Geld gepusht und sollte auch weiterhin gepusht werden. Wir haben das immer für eine verfehlte Subventionspolitik gehalten.

Ich frage Sie: Ist der DAB-plus-Standard wirklich so gut? Natürlich gibt es Klangvorteile. Es fragt sich aber, ob sie wirklich so groß sind, dass der Einsatz von sehr viel Geld der Bürgerinnen und Bürger - egal, ob das Geld aus Gebühren oder aus Haushaltsmitteln stammt - gerechtfertigt ist. Man muss sich auch fragen: Ist die Lösung vielleicht technisch schon wieder überholt? Gibt es vielleicht auch andere Standards? Kommt vielleicht etwas Neues? Sie haben das Internet genannt. Aber es gibt noch andere Übertragungsmöglichkeiten.

Auch der Hinweis, auf andere Länder zu schauen, taugt nicht und trägt nicht. Frankreich hat sich für einen anderen Standard entschieden. Deshalb ist der Vergleich zwischen BMW und Peugeot ist ein bisschen irreführend; denn die Franzosen haben DMB eingeführt.

Sie haben auch Großbritannien genannt. Dazu muss ich Ihnen sagen: Der "Guardian" vom 24. November das ist also ganz aktuell - hat berichtet, dass sich die Radioveranstalter weigern, sich an einer der größten Digitalwerbeaktionen zusammen mit der BBC zu beteiligen, und zwar aus genau denselben Gründen, weswegen auch wir Bedenken haben, weil nämlich

die Infrastruktur nicht ausreicht und auch dort DAB nicht überall empfangen werden kann. Also auch dort ist die Realität nicht ganz rosig.

Wem nützt DAB und vor allem das Pushen dieses einen Standards? Sie haben gesagt, die großen öffentlich-rechtlichen Anstalten unterstützen das; das ist richtig. Aber es nützt ihnen eigentlich nicht wirklich; denn sie schaffen sich zusätzliche Konkurrenz.

Nützt es den privaten und den kleinen Anbietern? Ja, denen kann es nützen. Aber Sie wissen so gut wie ich - ich aus dem Medienrat, Sie aus Ihrer Zeit davor bzw. aus Ihrer Kompetenz in diesem Bereich -, dass sich viele kleine Radioanbieter bereits in die Überschuldung getrieben sehen und getrieben worden sind, weil sie auf DAB setzen mussten, zum Teil auch getrieben von unserer BLM, und dass noch immer niemand sie empfangen kann. Da ist die Entwicklung also in eine falsche Richtung gelaufen.

Wir sehen, wie gesagt, die Verengung auf nur einen Standard sehr kritisch. Wir wollen nicht schlechtem Geld, das schon ausgegeben worden ist, weiteres, gutes Geld hinterherwerfen.

Besonders wundert mich die Haltung der FDP. Wenn sich eine neue Technologie durchsetzen soll, dann sollte das zumindest marktgetrieben geschehen. Bei DAB ist solches über all die Jahre jedoch nicht zu erkennen.

Sie haben das Beispiel Digitalfotografie gebracht. Sie hat keine Subventionen gebraucht. Deshalb ist DAB für mich ein ganz schlechtes Beispiel. Nach meiner Meinung brauchen wir noch lange UKW und Digitalempfang nebeneinander. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir auf ein digitales Radio zusteuern müssen, weil das die Zukunft ist. Allerdings sollten wir diese Entwicklung nicht mit Steuermitteln und anderen politischen Instrumenten vorantreiben.

Ihr Antrag ist bezüglich einer Verlängerung der Phase der UKW-Ausstrahlung etwas nebulös. Dazu hat sich Herr Brüderle auf Bundesebene schon konkreter geäußert. Ich wüsste gern: Wollen Sie mehr oder weniger als Brüderle? Der hat von 2025 gesprochen.

Ich habe die Sorge, dass am Ende die Verbraucherinnen und Verbraucher die Dummen sind. Sie geben viel Geld für neue Geräte aus. Sie kaufen sich den neuesten Standard. Aber schließlich wird man sehen, dass man entweder nicht empfangen kann oder sich ein anderer Standard durchsetzen wird.