Protocol of the Session on November 11, 2010

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Frau Ministerin, bitte bleiben Sie noch kurz. Wir haben noch eine Zwischenbemerkung der Kollegin Scharfenberg von den GRÜNEN.

Frau Justizministerin, könnten Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir als GRÜNE auf dem Boden der Verfassung stehen? Könnten Sie zur Kenntnis nehmen, dass von uns Gewalt in jeder Form abgelehnt wird? Das ist von den GRÜNEN-Politikerinnen und -Politikern am Sonntag vor Ort auch verbalisiert worden. Könnten Sie bitte auch zur Kenntnis nehmen, dass Sitzblockaden keine Gewalt sind? Die neuere Rechtsprechung hat hierzu ein eindeutiges Urteil gefällt.

(Staatsministerin Dr. Beate Merk: Entschuldi- gung, haben Sie nicht zugehört?)

Deswegen stehen Sie nicht auf dem Boden der Verfassung, wenn Sie so etwas behaupten. Wir sehen das anders, und wir wollen, dass Sie das richtigstellen.

Frau Kollegin, haben Sie nicht zugehört? Ich bin sehr deutlich auf die Rechtsprechung von 1995 und auf die Rechtsprechung zu Sitzblockaden eingegangen. Ich habe nicht daran gezweifelt, dass Sie bestimmte Dinge als Gewalt bezeichnen. Ich habe ganz klar gesagt, dass Sie gewalttätiges Verhalten kleingeredet haben. Das Verletzen von 78 Polizistinnen und Polizisten ist ein massives Vorgehen und nicht irgendein geringer Anteil. Ich habe Sie wörtlich zitiert.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dafür werden die Anträge wieder getrennt. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/6258 - das ist der interfraktionelle Antrag der Fraktionen der CSU und der FDP - seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen der CSU, der FDP der Freien Wähler und Frau Dr. Pauli. Gegenstimmen? - Das ist die Fraktion der GRÜNEN. Enthaltungen? - Das ist die Fraktion der SPD. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag angenommen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag der SPD auf Drucksache 16/6271 die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Oppositionsfraktionen und Frau Dr. Pauli. Gegenstimmen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 16/6272 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen der GRÜNEN und der SPD. Gegenstimmen? - Das sind die Fraktionen der CSU, der FDP, der Freien Wähler und Frau Dr. Pauli. Enthaltungen? Gibt es nicht. Damit ist auch dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Geschäftsleitend möchte ich darauf hinweisen, dass Sie für die letzten beiden Tagesordnungspunkte sehr viel Redezeit gewonnen haben. Abstimmungen können jedoch nur bis 18.00 Uhr durchgeführt werden. Sie können sich bei den nächsten beiden Tagesordnungspunkten auf zwei einstündige Debatten und eine Abstimmung oder zwei halbstündige Debatten einrichten. Ich überlasse es den Rednern, weise über die Redezeit zu entscheiden.

Zur gemeinsamen Beratung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Thomas Mütze, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Keine "Basta-Entscheidungen" - wirksame Ablehnung der Laufzeitverlängerung im Bundesrat durchsetzen (Drs. 16/6256)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Ludwig Wörner, Dr. Thomas Beyer u. a. und Fraktion (SPD)

Entschädigungspflicht für nachträgliche Auflagen im Atomgesetz streichen (Drs. 16/6263)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Der erste Redner ist Herr Kollege Hartmann von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nicht nur die jetzige Debatte über die Arten des Protests vom letzten Wochenende, sondern die Ereignisse der gesamten letzten Monate haben deutlich gezeigt, dass in diesem Land ein massiver Unmut gegen die Atompolitik der Bundesregierung besteht. Dabei handelt es sich um einen Deal, der während einer Nachtsitzung gefällt worden ist und von einem Großteil der Bevölkerung nicht mitgetragen wird.

An dieser Stelle möchte ich nicht nur auf Gorleben eingehen. Zur Erinnerung: Im April 2010 hat es eine über 120 Kilometer lange Menschenkette von Brunsbüttel nach Krümmel gegeben. Damit haben die Menschen gegen die Laufzeitverlängerung demonstriert. Am 18. September haben 100.000 Menschen in Berlin gegen den Atomdeal demonstriert. Selbst in München sind am 9. Oktober 50.000 Menschen auf die Straße gegangen, die sich gegen die Atompolitik ausgesprochen haben. In München war dies die größte Anti-Atom-Demonstration seit den Widerstandstagen in Wackersdorf. Die Bevölkerung hat sich sowohl gegen die Laufzeitverlängerung als auch gegen die Art und Weise, wie dieser Deal zustande gekommen ist, ausgesprochen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Höhepunkt der Auseinandersetzung hat unumstritten am Wochenende in Gorleben stattgefunden, wo 50.000 Menschen gewaltfrei und friedlich eine Kundgebung abgehalten haben. Nach Aussagen des Polizeipräsidenten in Lüneburg haben 99 % der Demonstranten über die gesamte Zeit gewaltfrei und friedlich demonstriert. Das müssen Sie einfach zur Kenntnis nehmen: 99 % waren gewaltfrei und friedlich.

Die Debatten, die hier geführt worden sind, waren erstaunlich. Kollegen aus der Unionspartei sind um einiges weiter als die Bayerische Staatsregierung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der baden-württembergische Ministerpräsident hat verstanden, dass die Zeit der Basta-Politik, bei der Entscheidungen im Parlament durchgezogen werden, ganz egal was auf der Straße passiert, vorbei ist. Ministerpräsident Mappus hat wörtlich gesagt: Der Umkehrschluss ist, dass Großprojekte so wie bisher nicht

mehr durchgesetzt werden können. Dies hat er im Zusammenhang mit Stuttgart 21 geäußert. Die Bundesregierung ist davon weit entfernt. Die Bundesregierung zieht das weiter so durch.

Das Thema Atomgesetz, das Thema unseres Antrages ist, wird von der Bundesregierung genauso fortgeführt, wie es im September begonnen wurde. Im Umweltausschuss des Bundestages wurde die Geschäftsordnung aufs Gröbste missachtet. Die Geschäftsordnungsanträge sind nicht zugelassen worden. Der Bundestagspräsident hat seine Kritik sehr diplomatisch ausgedrückt. Er sagte, das Gesetz sei kein Glanzstück der parlamentarischen Arbeit gewesen. Dies hat er ganz wörtlich gesagt. Hier wird einfach weitergemacht.

Die Bundesregierung hat ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben zum Thema "Müssen die Bundesländer bei der Rücknahme des Atomausstiegs gefragt werden?". Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, kam zu dem Ergebnis, dass die Länderkammer bei einer deutlichen Verlängerung befragt werden muss. Was macht das Bundesjustizministerium? Ohne die Vorlage eines eigenen Gutachtens und eine inhaltliche Begründung sagt das Bundesjustizministerium: Das muss nicht sein.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat den Tiefpunkt der Rechtspolitik erreicht, obwohl sie in der Vergangenheit ehrenwerte liberale Positionen vertreten hat. Mich erstaunt auch die Einstellung der CSU in dieser Sache. Die CSU stellt sich immer ganz vorne hin und verteidigt die Interessen der Länder. Die CSU steht immer für den Föderalismus ein.

(Erwin Huber (CSU): Die waren auch nicht beteiligt! Die haben es akzeptiert! Die haben nicht geklagt!)

- Herr Huber, Sie haben damals eine Befragung der Länder gefordert. Das hat Bayern gefordert. Die rotgrüne Bundesregierung hat die Länder von einer Aufgabe entlastet. Der große Unterschied ist jetzt jedoch, dass die Länder mehr Aufgaben erhalten, wenn sich die Laufzeit des Schrottreaktors Isar 1, der faktisch abgeschaltet werden sollte, um das Zehnfache verlängert. Das ist ein riesiger Aufwand. Es kann nicht sein, dass die Länder dazu nicht gefragt werden.

Wir stehen mit dieser Meinung nicht alleine da. Der Rechtsausschuss des Bundesrates hat sich ebenfalls mehrheitlich dafür ausgesprochen, die Länderkammer bei diesen Dingen zu befragen. Er hat sich mehrheitlich dafür ausgesprochen. Bayern ist von der Laufzeitverlängerung massiv betroffen. Die Restlaufzeit der fünf bayerischen Kernkraftwerke verdreifacht sich.

Das bedeutet, das Risiko wird größer. Es ist hinreichend bekannt, dass ältere Atomkraftwerke störungsanfälliger sind als neuere Anlagen. Das ist unumstritten. Für den unsichersten Reaktor Isar 1 verzehnfacht sich die Laufzeit. Somit wird das Risiko überproportional größer.

Die Laufzeitverlängerung beeinflusst die Energiepolitik in Bayern massiv. Bayern ist wie kein anderes Bundesland zu fast 60 % vom Atomstrom abhängig. Dank der rot-grünen Bundesregierung und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz - EEG - sind die erneuerbaren Energien in diesem Land stark ausgebaut worden. Das ist nicht das Verdienst der Parteien, sondern der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. Das hat dazu geführt, dass Bayern bereits seit Jahren Strom exportiert, den es in Bayern im Überfluss gibt. Das führt ebenfalls dazu, dass erneuerbare Energien vom Netz genommen werden müssen, weil zu viel Strom produziert wird. Der Strom aus den Kernkraftwerken verstopft die Netze.

Zum einen werden die erneuerbaren Energien ausgebremst. Wir bremsen eigentlich folgende Unternehmen aus: die kommunalen Stadtwerke und die Kleinenergieversorger, also Unternehmen, die in der Hand der Bürger, des Steuerzahlers, und der Kommunen sind. Diese Unternehmen haben im letzten Jahr im Glauben und Vertrauen darauf, dass die Politik zuverlässig ist und sich an die hier gemachten Absprachen und Gesetze hält, in moderne und effiziente Kraftwerke massiv investiert, die heutzutage durch die Verlängerung der Atomlaufzeiten eigentlich kaum noch rentabel arbeiten können.

(Erwin Huber (CSU): Preistreiberei!)

Das führt dazu, dass eigentlich rentable Kraftwerke der Kommunen durch die Laufzeitverlängerung unrentabel werden, während alte, gefährliche Kernkraftwerke weiterlaufen dürfen, wodurch nur die Taschen der großen Konzerne gefüllt werden.

(Zuruf des Abgeordneten Erwin Huber (CSU))

Ich appelliere an Sie, unserem Antrag zuzustimmen, Ihre Wagenburg endlich zu verlassen und sich beim Thema Laufzeitverlängerung der öffentlichen Debatte zu stellen und nicht diese reine "Basta-Politik" zu betreiben: Es ist so beschlossen worden. Wer der Justizministerin vorhin zugehört hat, hat fast das Gefühl: Für sie begrenzt sich Demokratie auf den Tag der Wahl. Das finde ich ziemlich schade.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als nächsten Redner darf ich für die SPD-Fraktion Ludwig Wörner an das Mikrofon bitten.

(Erwin Huber (CSU): Uns bleibt heute wirklich nichts erspart!)

(Vom Redner nicht autori- siert) Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Unser Antrag beschäftigt sich natürlich auch mit der Laufzeitverlängerung. Wir fordern die Staatsregierung auf, sich im Bundesrat bezüglich des Elften Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes für eine Einberufung des Vermittlungsausschusses einzusetzen. Wir begründen dies wie folgt: Es ist uns völlig klar, dass die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke, das Elfte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes - das ist zum großen Teil auch die Auffassung in der Bundesrepublik - der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Im Übrigen sagt das seit heute auch der überwiegende Teil der Justizminister. Überdies freut es mich, dass die GRÜNEN seit heute wieder zu ihrer Linie gefunden haben und die Kontinuität wahren, die wir in den letzten Tagen beim Abstimmungsverhalten ein bisserl vermisst haben. Seit heute passt es wieder, herzlichen Dank.

Wir müssen schon auch sagen, worauf man sich da einlässt. Das Problem ist, dass ausgerechnet derjenige, der das Ganze mit angezettelt hat, nämlich der Herr Söder, heute nicht da ist. Herr Söder erzählt dem Parlament das Blaue vom Himmel herunter, nämlich Bayerns Kernkraftwerke seien sicher.

(Erwin Huber (CSU): Richtig, richtig!)

Und kaum ist der Beschluss für die Laufzeitverlängerung gefasst, holt er seine Bürgermeister zusammen, um die Beruhigungspillen zu verteilen und zu sagen, jetzt müssen wir aber ertüchtigen, und zwar in Höhe von insgesamt über 1 Milliarde Euro in Bayern, und allein 350 Millionen Euro in Ohu 1 investieren. Wenn die Kernkraftwerke so sicher gewesen sind, wie Sie immer behaupten, dann müssten Sie sie jetzt nicht plötzlich in Höhe dieser gigantischen Summe ertüchtigen. Entweder er hat uns bisher belogen, oder er wirft jetzt Geld zum Fenster hinaus.

(Erwin Huber (CSU): Logisch!)

Die zwei Möglichkeiten stehen im Raum. Es ist schade, dass er nicht da ist, weil man ihn dann selber fragen könnte. Minister Zeil steht zwar auch zur Atomenergie. Aber bei der Sicherheit von Kernkraftwerken hat der Herr Kollege Thalhammer zumindest kurzfristig seine Zweifel anmelden dürfen, als es um Isar 1 ging; das hat er inzwischen schon wieder etwas revidiert. Aber es gilt, vom Freistaat Bayern Schaden ab

zuwenden. Deswegen haben wir ausdrücklich gesagt, § 18 Absatz 3 des Atomgesetzes, nämlich die Regelung der Entschädigung, bedarf vor allem dann der Änderung, wenn ein Bundesland - nicht die Bundesrepublik, sondern ein Bundesland - den Betreibern der Atomkraftwerke die Auflage macht, ihre Kraftwerke zu ertüchtigen. Das können diese zum Teil anmelden und müssen sie ersetzt bekommen. So steht es halt mal im Gesetz.

Wollen Sie das ernsthaft? Es sei denn, Sie sagen, das Geld, das wir aus der Brennelementesteuer einnehmen wollten, verbrennen wir jetzt gleich wieder, indem wir die Kraftwerke nachrüsten lassen, und dafür geben wir ihnen dann das Geld, das wir eingenommen haben. Dann hätten Sie wiederum eine Lüge produziert, weil Sie behaupten, Sie wollten damit regenerative Energien fördern. Ich habe Ihnen schon oft gesagt, das hätten Sie viel einfacher haben können. Wenn Sie die Zinsen aus den Rückstellungen besteuert hätten, hätten Sie Geld genug gehabt, um die regenerativen Energien zu fördern. Aber nein, Sie wollen die Laufzeiten mit einem hohen Risiko für die Bevölkerung Bayerns verlängern. Sie wissen alle, was bei dem Gutachten für Ohu 1 herausgekommen ist, nämlich die Rissbildung, und die nimmt zu. Das ist halt mal ein Alterungsprozess, bei der Technik sowieso, dem wir im Übrigen alle unterliegen. Wir sollten das also nicht so wegschieben.

(Erwin Huber (CSU): Man sieht es Ihnen an!)

- Ja, natürlich, Herr Huber. Doch zumindest kann ich mich noch im Spiegel anschauen, aber Sie nimmer; denn das, was Sie in Bayern angerichtet haben, habe ich noch nicht geschafft.