Protocol of the Session on October 14, 2009

Ausgenommen von der Abstimmung ist die Listennummer 4, die auf Antrag der SPD-Fraktion einzeln beraten werden soll. Es handelt sich um den Antrag von Abgeordneten der SPD-Fraktion, betreffend Bayerisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz, Drucksache 16/1319.

Hinsichtlich der jeweiligen Abstimmungsgrundlage mit den einzelnen Voten der Fraktionen zu den Verfassungsstreitigkeiten und den übrigen Anträgen verweise ich auf die Ihnen vorliegende Liste.

(Siehe Anlage)

Wer mit der Übernahme seines Abstimmungsverhaltens bzw. dem jeweiligen Abstimmungsverhalten seiner Fraktion entsprechend der aufgelegten Liste einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist das einstimmig so beschlossen, und der Landtag übernimmt diese Voten.

Ich rufe erneut den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Antrag der Abgeordneten Franz Schindler, Markus Rinderspacher, Horst Arnold u. a. (SPD)

Bayerisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz (Drs. 16/1319)

Für diesen Antrag wurde Einzelberatung beantragt. Hierzu eröffne ich die Aussprache und weise darauf hin, dass die Redezeit pro Fraktion fünf Minuten beträgt. Wir sollten vor 19.00 Uhr zu einem Ende dieser Debatte kommen, um abstimmen zu können.

Erster Redner ist der Kollege Schindler für die SPDFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Hinblick auf die Zeit muss ich es ganz kurz machen, damit wir auch noch abstimmen können, und will deshalb nur Folgendes sagen: Regelmäßig befinden sich etwa 2.000 bis 2.500 Personen in einem bayerischen Gefängnis in Untersuchungshaft. Ausweislich der Strafvollzugsstatistik, in die die Untersuchungshaft systematisch eigentlich nicht gehört, weil Untersuchungshaft gerade kein Strafvollzug ist, befanden sich zum Beispiel am 1. Januar 2008 insgesamt 2.429 Personen in U-Haft, sind im Laufe des Jahres 9.866 hinzugekommen und gleichzeitig 10.071 abgegangen, entweder in Strafhaft, in eine andere Haftart oder auch in Freiheit, sodass am 31. Dezember 2008 2.224 in U-Haft waren. Wir reden hier also über eine Vielzahl von Personen, die im Laufe eines Jahres in Untersuchungshaft genommen werden.

Meine Damen und Herren, wir reden über Personen, die als unschuldig zu gelten haben. Der Vollzug der UHaft greift massiv in Grundrechte der Untersuchungsgefangenen ein und steht damit unter dem Vorbehalt des Gesetzes. Ein Gesetz über den Vollzug der U-Haft gibt es, jedenfalls in Bayern, bis heute nicht. Die U-Haft wird vielmehr auf einige wenige Einzelbestimmungen in der Strafprozessordnung, im Strafvollzugsgesetz und im Jugendgerichtsgesetz gestützt. Die nähere Ausgestaltung folgt bislang auf der Grundlage der sogenannten Strafvollzugsordnung, einer Verwaltungsvorschrift. Der bisherige Regelungszustand ist verfassungsrechtlich unbefriedigend und wird der kriminalpolitischen Bedeutung der U-Haft nicht gerecht.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Meine Damen und Herren, wichtig ist für uns, dass die Gesetzgebungskompetenz für den Vollzug der U-Haft nicht für die Anordnung - seit der Föderalismusreform, und das sind jetzt immerhin schon drei Jahre, nämlich seit dem 1. September 2006, bei den Ländern liegt. Der Bund hat nur noch die Zuständigkeit für das gerichtliche Verfahren, was im Übrigen eine Vielzahl neuer Probleme mit sich bringen wird. Seit drei Jahren also ist der Freistaat zuständig, ohne dass bisher eine gesetzliche Regelung erfolgte. An einer Arbeitsgruppe von zwölf

Bundesländern mit dem Auftrag, einen gemeinsamen Entwurf für ein entsprechendes Ländergesetz vorzulegen, hat sich die Staatsregierung nicht beteiligt und bis heute auch keinen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Ja, sauber!)

Nun weiß ich, dass es einen Referentenentwurf gibt. Bei der Ausschussberatung ist uns bereits entgegengehalten worden, warum wir so ungeduldig seien.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Drei Jahre warten wir schon? Respekt!)

Ich meine, das kann man auch sein, wenn man drei Jahre von einer Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch macht, während man bei anderen Materien, bei denen wir die Gesetzgebungskompetenz auch vor drei Jahren erst bekommen haben, sofort bei der Stelle war, neue Gesetze zu schaffen. Ich denke zum Beispiel an das Versammlungsgesetz.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD) - Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Allerdings!)

Es wird also höchste Zeit, dass ein entsprechendes Gesetz vorgelegt wird. Hierfür müssen entsprechende Mindeststandards gewährleistet werden. Diese haben wir in unserem Antrag aufgelistet. Ich kann sie jetzt nicht im Einzelnen nennen im Hinblick auf die Zeit.

Lassen Sie mich nur so viel sagen: Grundsatz eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes muss sein, dass Untersuchungsgefangene grundsätzlich als unschuldig zu gelten haben

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

und dass deshalb gar nicht der Anschein erweckt werden darf, als seien sie Strafgefangene. Das hat Auswirkungen auf die Organisation in den Haftanstalten. Es muss eine Trennung stattfinden. Es muss ein ganz anderer Umgang mit den Verteidigern stattfinden. Es muss eine ganz andere Regelung auch bei Kontakten mit außen, zum Beispiel im Briefverkehr, erfolgen, um dem besonderen Charakter der Untersuchungshaft Genüge zu leisten.

Das haben wir in unserem Antrag gefordert, und zwar schon im Mai dieses Jahres, und immer noch liegt kein Gesetzentwurf vor. Deswegen ist dieser Antrag nach wie vor aktuell.

Heute wurde uns bei der Behandlung der Dringlichkeitsanträge ein Antrag von CSU und FDP zugemutet

mit der Forderung nach einer Selbstverständlichkeit, die die Staatsregierung sowieso erfüllt.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Genau!)

Da spricht doch alles dafür, sie jetzt aufzufordern, etwas zu tun, was sie bisher unterlassen hat. In diesem Sinne hoffe ich auf Zustimmung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Freien Wähler)

Für die CSUFraktion erteile ich Herrn Kollegen Dr. Rieger das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es besteht Einigkeit darüber, dass wir ein einheitliches, schnelles und natürlich der Verfassung gemäßes Untersuchungshaftvollzugsgesetz brauchen. Es besteht aber keine Einigkeit damit, dass wir jetzt in einem schon angehenden Gesetzgebungsverfahren bestimmte Mindestanforderungen, die die SPD in zwölf Punkten vorgelegt hat, diskutieren müssen. Es besteht nämlich überhaupt kein Bedarf, da das Gesetz wahrscheinlich im Frühjahr 2010 in Kraft treten wird -

(Zuruf des Abgeordneten Franz Schindler SPD - Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Kaum warten wir vier Jahre, schon passiert was!)

Wir haben im Übrigen, Herr Schindler, dafür Zeit bis Ende 2011. Es gibt auch keinen Bedarf, dass dieses Gesetz jetzt möglichst schnell mit Mindestanforderungen in Kraft treten soll, weil dadurch etwa Rechte von Untersuchungshäftlingen minimiert werden könnten. Dafür ist die Sache viel zu diffizil. Sie wissen, man muss verfassungsrechtliche Vorgaben beachten. Diese müssen eingehend und richtig diskutiert werden.

Zum Beginn des Gesetzgebungsverfahrens will ich Folgendes sagen: Das Gesetz befindet sich im Entwurf. Es muss noch mit der FDP abgestimmt werden.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Ach so! Jetzt wissen wir Bescheid! Da kann es noch lange dauern!)

Dann bekommen wir es als Regierungsentwurf vorgelegt. Wenn die SPD meint, uns jetzt Vorgaben machen zu müssen, dann zeigt das für mich das mangelnde Selbstbewusstsein. Denn dafür zuständig ist im Endeffekt der Landtag. Sie können dann im Gesetzgebungsverfahren entweder Abänderungsanträge stellen oder einen eigenen Gesetzesvorschlag einbringen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist eine Hilfestellung! Soweit käme es noch!)

Aber jetzt ist, glaube ich, der falsche Zeitpunkt, dass wir auf der Basis von zwölf Programmpunkten die im Wesentlichen - nicht alle - dann im Entwurf enthalten sein werden, der Staatsregierung bestimmte Vorgaben machen. Also reichen Sie doch einen eigenen Gesetzentwurf ein. Das können Sie tun. Der Entwurf der Staatsregierung wird bald vorliegen; wir werden deshalb Ihren Antrag ablehnen und wir werden nicht dafür stimmen, jetzt zwölf Programmpunkte sozusagen getrennt von einem Gesamtgesetzentwurf zu diskutieren. Deshalb bitte ich um Verständnis für unsere Haltung; wir haben es im Ausschuss schon gesagt. Wir werden den Antrag ablehnen.

(Beifall bei der CSU)

Entschuldigung, Frau Kollegin Stahl, es war etwas zu früh, als ich Sie eben aufrufen wollte. Zunächst hat der Kollege Streibl für die Freien Wähler das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Entschuldigung, wenn ich mich vorgedrängt haben sollte. Es geht bei diesem Antrag um die Situation von Untersuchungshäftlingen und ich möchte meine Rede wegen der fortgeschrittenen Zeit möglichst kurz halten.

Wir als Freie Wähler werden den Antrag der SPD unterstützen, denn wir brauchen nicht nur ein schnelles und praktikables Gesetz, sondern vor allen Dingen auch ein gerechtes Gesetz, ein Gesetz, das der Situation der Untersuchungshäftlinge gerecht wird.

(Beifall bei den Freien Wählern und der SPD)

Man muss einmal von der Situation der Untersuchungshäftlinge ausgehen. Ein Untersuchungshäftling ist noch nicht Gegenstand eines Verfahrens im eigentlichen Sinne, sondern er wird mehr oder weniger vor seiner Haustür mit seiner Verhaftung konfrontiert; er wird aus seinem Lebensumfeld herausgerissen, er wird von seinem Arbeitsplatz, seiner Familie oder seinen Verwandten getrennt und kommt in Untersuchungshaft. Diese besondere Situation muss man berücksichtigen.

Ein verurteilter Häftling hat demgegenüber ein langes Strafverfahren hinter sich und kann sich seelisch auf die Haft vorbereiten. Der Untersuchungsgefangene kann das nicht. Er ist damit in einer viel schlimmeren Situation als ein Verurteilter.

Da wir aber die Unschuldsvermutung haben, muss ich einen Untersuchungshäftling auch wie einen Unschuldigen behandeln und kann ihn nicht einfach mit anderen Häftlingen gleich behandeln.

Deshalb muss man mit einem solchen Gesetz sehr sensibel umgehen. Man muss zwischen Jugendlichen und Erwachsenen unterscheiden, und auch die Situation der weiblichen Gefangenen muss man anders betrachten als die der männlichen.

Was wir bis jetzt von dem Gesetzentwurf gehört haben, ist zu befürchten, dass darin sehr pauschal gehandelt wird, dass die Haftanstalten einen sehr großen Spielraum beispielsweise bei der Unterbringung haben. Da ist vor einer Lex Stadelheim zu warnen, falls man diese größte Vollzugsanstalt im Lande als Beispiel für alle anderen nehmen wollte. Denn man könnte sicherlich in den einzelnen Untersuchungsanstalten ganz unterschiedlich handeln. Man darf nicht einfach die schärfste Form suchen, sondern muss die gerechteste Form finden.

In der jetzt noch geltenden Untersuchungshaftvollzugsordnung sind zum Beispiel die Religionsausübung und die Seelsorge gewährleistet. Anstaltsseelsorger können auch ohne Erlaubnis zu den Häftlingen kommen. Das beispielsweise wäre ein Merkposten, den man der Forderung im SPD-Katalog hinzufügen könnte. Es gibt auch noch eine weitere Reihe von Merkposten, die wir der Regierung gerne mit auf den Weg geben wollen, um bereits im Vorfeld eine Klärung zu finden und nicht erst während der Gesetzesberatung mit Anträgen kommen zu müssen.

Deshalb bitte ich Sie wenigstens, diese Anregungen aufzunehmen, wenn Sie schon den Antrag ablehnen wollen. Zumindest sollten Sie darüber nachdenken. Denn es geht hier um Menschen, die im Auge des Gesetzes immer noch als unschuldig gelten. Für die sollte man sich stark machen.

(Beifall bei den Freien Wählern)