Protocol of the Session on July 20, 2005

Ich halte nochmals fest: Ein gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum gibt es längst, Sie brauchen es nicht erst zu fordern.

Nicht brauchbar war der Vorschlag einiger unionsgeführter Länder und Ihre jetzt erhobene Forderung, Herr Minister Dr. Beckstein, für eine Anti-Terror-Datei. Dass eine solche Datei nützlich ist, steht außer Frage. Das wird hier auch nicht bestritten. Aber die von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen waren nicht praktikabel.

Meine Damen und Herren von der CSU, ein ganz alter Hut in diesem Zusammenhang ist der von Ihnen geforderte Einsatz der Bundeswehr im Innern, so auch die Ministerpräsidenten Stoiber und Koch und heute auch Sie, Herr Innenminister Dr. Beckstein. Ihre Argumentation ist rein suggestiv. Sie fragen: Wenn die Bundeswehr selbst in Afghanistan für die Sicherheit in Deutschland sorgen

muss, warum nicht auch im eigenen Land? Sie wecken damit Hoffnung auf mehr Sicherheit, die niemals eingelöst werden kann. Dort, wo die Bundeswehr über die erforderliche Ausstattung verfügt, etwa im Katastrophen- und Luftsicherheitsfall, leistet sie ohnehin Amtshilfe. Wo dies nicht der Fall ist, sollten wir hingegen die Bundeswehr nicht heranziehen. Es ist nun einmal so, dass unsere Streitkräfte nicht als Polizeibeamte ausgebildet sind. Stellen Sie mehr Polizisten ein. Das wäre der richtige Weg.

(Beifall bei der SPD)

Ebenfalls zu erwarten war die Forderung nach mehr Videoüberwachung. Die SPD lehnt dies nicht rundweg ab. Aber hilft uns das wirklich weiter? Gerade in London gibt es eine ausgeprägte Videoüberwachung. Leider Gottes konnten dort die Anschläge nicht verhindert werden; die Wirkung beschränkt sich auf die Täterermittlung im Nachhinein. Die Verdrängungswirkung aufgrund des bloßen Vorhandenseins einer Kamera, die Sie bei Handtaschenräubern behaupten, wird bei Attentätern, die selbst zum Sterben bereit sind, nicht eintreten. Eine Wirkung könnte allenfalls erreicht werden, wenn die Monitore simultan überwacht werden. Wer aber sollte dies angesichts des Personalabbaus bei der Bayerischen Polizei tun?

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister Dr. Beckstein, so konsequent Sie in einigen Bereichen vorgehen – Sie haben Recht, und Sie haben unsere volle Unterstützung, wenn Sie alles daransetzen, Hassprediger loszuwerden. Einige Fragen bleiben jedoch offen, etwa: Warum haben Sie im Bundesrat verhindert, dass unsere Sicherheitskräfte beim Großereignis Fußballweltmeisterschaft 2006 mit einem abhörsicheren Digitalfunk ausgestattet sind? Ihr Nein im Bundesrat lässt zumindest Zweifel daran, was Ihnen wichtiger ist: den Bund blockieren, wo es möglich ist, oder etwas für die innere Sicherheit tun.

Wie passt es zusammen, dass Sie permanent – und auch heute wieder – vom Bund mehr Anstrengungen fordern, aber selbst bei der Polizei über tausend Stellen streichen? Die 650 zusätzlichen Stellen, die Sie soeben wieder genannt haben, sind doch längst eingezogen.

Meine Damen und Herren, es steht fest, dass wir dem Terrorismus nicht weichen. Langfristig muss es allerdings gelten, Täter zu verhindern.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Kurzfristig können wir nur versuchen, Taten zu vereiteln. Heute schon entschlossene Täter sind weder für Verhandlungen noch für Resozialisierungen empfänglich. Bevorstehende Anschläge lassen sich nur durch eine effi ziente Zusammenarbeit der Polizeien und Geheimdienste aller Länder verhindern. Daran hapert es noch national wie international. Auf lange Sicht muss es aber darum gehen, potentiellen Terroristen ihre Motivation zu entziehen, und hier haben wir großen Handlungsbedarf.

Entscheidend ist, dass wir mit unseren Maßnahmen tatsächlich etwas verbessern. Reine Freiheitsbeschränkungen ohne Sicherheitsgewinn, das will ich abschließend feststellen, sind mit uns Sozialdemokraten nicht zu machen – nicht mit Otto Schily und nicht mit unserer Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Abgeordneter Dr. Kreidl.

Herr Präsident, Hohes Haus! – Djerba! Istanbul! Madrid! London! – Es gibt keinen Zweifel: Europa befi ndet sich mitten im Fadenkreuz der Terroristen.

Nach den schrecklichen Anschlägen am 11. März letzten Jahres in Madrid wurden von den Bomben in London erneut völlig unschuldige Menschen in den Tod gerissen oder schwer verletzt. Die Folgerungen aus diesen und anderen Ereignissen müssen lauten, dass die Anstrengungen im Hinblick auf die Sicherheitspolitik weiter auf hohem Niveau vorangetrieben werden müssen und dass es in besonderer Weise gilt, die Gewalttäter aufzuspüren, potenzielle Gewalttäter zu erkennen und die notwendigen Maßnahmen in die Wege zu leiten. Dabei sind natürlich die Informationsdienste in besonderer Weise gefordert. Man kann sagen: Verfassungsschutz ist notwendiger denn je.

Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, die grundsätzliche bayerische Sicherheitspolitik in einigen wesentlichen Punkten noch einmal darstellen.

Die Ereignisse in London bedeuten eine neue Qualität der Herausforderungen an die Sicherheitspolitik. Denn es hat sich gezeigt, wie schnell aus nicht auffällig gewordenen Bürgern Attentäter werden. Es ist besonders bedenklich, dass die Selbstmordattentäter von London vorher völlig moderate Muslime, völlig unauffällige Mitbürger waren und dann durch Methoden, die an Psychosekten erinnern, zum Morden quasi programmiert worden sind.

Was sind die Lehren aus diesen fürchterlichen Vorgängen von London? Den Hasspredigern und religiösen Fanatikern darf es nicht ermöglicht werden, Glaubensbrüder so weit zu bringen, dass sie zu Selbstmordattentätern werden. Deshalb ist es wichtig, im Vorfeld potenzielle Attentäter aufzuspüren, sie zu überwachen und letztlich entsprechend zu behandeln, bis hin zur Ausweisung.

Es darf auch nicht sein, dass sich friedliebende Moslems nicht eindeutig von gewaltbereiten Glaubensbrüdern abgrenzen. Es ist deutlich die Forderung zu erheben, dass hier eine Trennungslinie bestehen muss. Außerdem müssen bereits Sprengstoffbeschaffung und -herstellung unter Strafe gestellt werden. Wenn sich so etwas anbahnt, darf man nicht erst abwarten, bis tatsächlich ein fürchterliches Ereignis eintritt, sondern entsprechende strafrechtliche Maßnahmen müssen bereits im Vorfeld greifen, um so etwas zu verhindern.

Die verheerenden Anschläge von New York liegen nun fast vier Jahre zurück. Seitdem wurden die bayerische Sicher

heitsstrategie konsequent weiterentwickelt und die Bemühungen der Sicherheitsbehörden intensiviert. Zweifelsohne zeichnen sich entsprechende Erfolge ab. Aber trotz großer Fahndungserfolge und hohen Aufklärungs- und Ermittlungsdrucks können Anschläge gegen Personen und Objekte in Deutschland auch heute nicht ausgeschlossen werden. Sie können zu keiner Zeit ausgeschlossen werden, weil es eben die perfekte Überwachung und die perfekte Aufklärung nicht gibt.

Eines ist durch die Sicherheitsstrategie – das möchte ich besonders hervorheben – erreicht worden. Die Anschläge sind zumindest deutlich erschwert worden. Bayern macht im Kampf gegen den islamistischen Extremismus von den Möglichkeiten des neuen Zuwanderungsgesetzes konsequent Gebrauch, um Islamisten, die die Sicherheit gefährden oder Hass predigen, schnell außer Landes zu bringen.

Durch die erfolgreiche Arbeit der extra dafür eingerichteten Arbeitsgruppe „BIRGiT“ wurden seit November 2004 19 Gefährder aus Deutschland ausgewiesen. Das ist in relativ kurzer Zeit eine relativ hohe Zahl. Dadurch konnte verhindert werden, dass aus potenziellen Gefährdern tatsächliche Attentäter oder Gewalttäter werden.

Auf der Grundlage systematischer Beobachtung und Überwachung ist es den Sicherheitsbehörden gelungen, den Druck auf islamistische Extremisten im Freistaat deutlich zu erhöhen. Deshalb – das möchte ich besonders betonen – wäre die Aufl ösung der Länderverfassungsschutzbehörden ein Irrweg. Denn die Länderverfassungsschutzbehörden sind an dem potenziellen Gefährdungsfeld einfach dichter dran. Wenn man deren Arbeit zentralisieren und den Abstand zwischen den Verfassungsschutzbehörden, den Informationsdiensten und dem entsprechenden Gefährdungsfeld erhöhen würde, würde das mit Sicherheit zu einer Verschlechterung, keinesfalls zu einer Verbesserung führen. Unabhängig davon ist jedoch zu fordern, dass die Koordination zwischen den Länderverfassungsschutzbehörden und dem Bundesverfassungsschutz entsprechend ausgebaut und weiter verbessert wird.

Durch bundesweite Durchsuchungsaktionen wurde die islamistische Szene verunsichert. Ihre Handlungsfähigkeit wurde ganz erheblich eingeschränkt. Die Sicherheitsbehörden wissen heute deutlich mehr über Struktur und Netzwerke der Islamisten. Diese Erkenntnisse tragen ganz offensichtlich Früchte, wie ich eben dargelegt habe.

Eines, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist völlig klar: Der permanente Fahndungsdruck im Umfeld islamistischer Terrornetzwerke ist unabdingbar, um Anschlagplanungen nach Möglichkeit bereits im Keim zu ersticken.

Für mich ist nicht nachvollziehbar – damit gehe ich auf das ein, was Sie, Frau Kollegin Schmitt-Bussinger, gesagt haben –, dass gerade auch auf Bundesebene bei den zweifelsohne richtigen Schritten, die der Bundesinnenminister gemacht hat, die notwendigen Schritte nicht noch weitergegangen werden. Es trifft zwar zu, dass ein gemeinsames Lage- und Analysezentrum von Polizei und Nachrichtendiensten mittlerweile errichtet worden ist,

aber durch die konsequente Einhaltung des Trennungsgebots gibt es zweifelsohne Defi zite. Das läuft noch nicht effi zient genug. Wenn man die Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendiensten eindeutig vornimmt, dann gibt es noch erhebliche Reibungsverluste.

Deshalb möchte ich die von unserer Seite erhobene Forderung unterstreichen, diese Entwicklung weiter voranzutreiben. Man braucht keine strikte Trennung, sondern eine Zusammenführung zu diesem Lage- und Analysezentrum.

Auf Bundesebene wurden sicherheitsrelevante Maßnahmen nicht so konsequent vorangetrieben, wie es erforderlich gewesen wäre. Ich nenne nur das Stichwort Antiterrordatei. Von uns wird seit langer Zeit gefordert, dass die Antiterrordatei endlich eingerichtet wird, damit nicht wertvolle Informationen irgendwo verloren gehen oder vorhandene Informationen nicht an die richtige Stelle weitergeleitet werden. Eine zentrale Kartei hilft uns, konsequent zu handeln.

Die bayerische Sicherheitspolitik ist konsequent, schlüssig und nachvollziehbar. Dadurch hebt sie sich sehr positiv von Unzulänglichkeiten ab, die auf Bundesebene leider noch bestehen.

In Bayern – das darf ich zusammenfassend darstellen – wurden folgende Maßnahmen zur Terrorbekämpfung ergriffen. Das umfangreiche Sicherheitspaket wurde zielstrebig umgesetzt. Es ist das umfangreichste Sicherheitspaket unter allen Bundesländern. Seine Umsetzung erbringt entsprechende Erfolge.

Außerdem ist ein strategisches Innovationszentrum der Polizei, das Zentrum SIZ, unter Einbindung hochqualifi zierter Islamismusexperten errichtet worden. Da wird sehr gute Arbeit geleistet.

Außerdem erinnere ich an die Einrichtung von AKIS: Aufklärung krimineller islamistischer Strukturen. Es wurden alle Polizeipräsidien zusammenführende Einsatzgruppen gebildet, die das islamistische Umfeld und die islamistischen Strukturen untersuchen und entsprechende Erkenntnisse liefern. Die Anforderungen an die Ausweisungen wurden abgesenkt. Es ist die Einführung der Regelanfrage beim Verfassungsschutz vorgenommen worden.

Zwingend notwendig ist Folgendes, liebe Kolleginnen und Kollegen: Bayern will mit der Novellierung des Polizeiaufgabengesetzes die Befugnisse für die Polizei verbessern. Darauf werden meine Kollegen, die nach mir sprechen, vertieft eingehen. Deshalb belasse ich es bei diesem allgemeinen Hinweis. Wir werden den konsequenten Weg in der Sicherheitspolitik, den wir bisher beschritten haben, weitergehen. Die innere Sicherheit ist zweifelsohne eine Kernfrage des Staates und mit einem sozialen Grundrecht zu vergleichen. Die Bevölkerung hat ein Anrecht darauf, dass Leben und Freiheit mit Entschlossenheit geschützt und verteidigt werden.

Die CSU-Fraktion wird die Staatsregierung und die Sicherheitsbehörden nach Kräften unterstützen. Wir

werden unseren Weg konsequent weiter beschreiten, damit ein Höchstmaß an Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger erreicht wird.

(Beifall bei der CSU und des Staatsministers Dr. Günther Beckstein)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Stahl.

Herr Präsident, meine Herren und Damen! Die Anschläge in London lassen uns nicht unberührt. Mittlerweile sind 53 Tote zu beklagen. Den Angehörigen gebührt unser tiefes Mitgefühl. Es darf aber bezweifelt werden, dass die von Ihnen angesetzte Regierungserklärung am heutigen Tag einen echten Beitrag zur Terrorismusbekämpfung darstellt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielmehr entspricht es alten Ritualen, und weil Herr Stoiber, der sich im Allgemeinen in einem Wahljahr keine Gelegenheit entgehen lässt, hier zu reden, anscheinend keine Lust hat, schickt er seinen Innenminister vor, um die bekannte Debatte zu führen. Er tut dies wohl auch, um sich für die Bundespolitik zu empfehlen.

(Widerspruch bei der CSU)

Herr König, Sie werden noch genügend Gelegenheit haben, auf Sachfragen einzugehen, wenn Sie mich zunächst meine Ausführungen fortführen lassen. Sie wollen heute wieder Gesetzesverschärfungen durchsetzen, obwohl Ihrer Aussage nach Bayern sicher ist. Ich glaube Ihnen das: Bayern ist sicher. Nur – das gebe ich Ihnen zu bedenken – es ist paradoxerweise so – das haben Wissenschaftler der Stiftung Kriminalprävention in Münster herausgefunden –, dass das Sicherheitsgefühl der Menschen umso brüchiger wird, je öfter man über Sicherheit debattiert. Deswegen sagen wir Ihnen, Sie haben heute mit Ihrer etwas – wie ich meine – künstlichen Debatte eine große Verantwortung übernommen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das eigentlich klar ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nach den Selbstmordattentaten wurden die Regale des Gemischtwarenladens für Sicherheitszubehör mit mehreren Auslaufmodellen neu bestückt von meines Erachtens in Teilen selbst ernannten Sicherheitsexperten, die den Kunden und Kundinnen Schnäppchen anbieten, die Ihren Preis nicht wert sind: Kronzeugenregelung, Bundeswehr im Inneren, Video-Überwachung, Vorratsdatenspeicherung, Verschärfung des Ausländerrechts, Ausweitung der DNA-Analyse und Ähnliches. Sie haben noch einiges mehr genannt. Gleichzeitig müssen wir als Bürgerinnen und Bürger langfristig damit rechnen, dafür mit dem Verlust der freien, unkontrollierten Gesellschaft, der offenen Gesellschaft, und mit dem Verlust des öffentlichen Raums zu bezahlen.

Wir müssen feststellen, dass es hierfür leider auch schon Belege gibt, gerade was den Verlust der offenen Gesell

schaft angeht. Schauen Sie in die USA. Die Anmeldungen an amerikanischen Universitäten haben abgenommen, weil ausländische Studierende aufgrund dieser verschärften Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr in die USA wollen. Das hat für die Universitäten massive fi nanzielle Auswirkungen. Der Verlust der offenen Gesellschaft ist der Preis, den wir zahlen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)