Die sicherheitsbehördlichen und sozialpolitischen Recherchen sind und waren in London noch nicht abgeschlossen. Sie, Herr Beckstein, sind etwas differenzierter darauf eingegangen, aber Herr Kreidl weiß alles. Er weiß, dass es sich um Selbstmordattentäter gehandelt hat, obwohl überhaupt noch nicht feststeht, ob sie wirklich freiwillig als Selbstmordattentäter agiert haben.
Es sind tote Menschen, wie Sie richtig sagen, und da denke ich, sollten wir ein bisschen anders reagieren, als Sie es eben getan haben.
Sie wissen jetzt schon ganz genau – obwohl diese Recherchen noch nicht abgeschlossen sind –, wie darauf zu reagieren ist. Wie eh und je werden Scheinlösungen für eine gefühlte Sicherheit angeboten. Sie tun so, als hätte es die Otto-Kataloge 1 bis 2 gegeben und als fi nge diese Sicherheitsdebatte bei Null an. Wir nennen das unprofessionell und fahrlässig.
Sie beschädigen damit das Ansehen derjenigen Beamtinnen und Beamten, die sich im Bereich der Sicherheit sehr stark engagieren, wenn Sie behaupten, das alles habe bisher nicht gereicht, und Sie untergraben – das halte ich noch für viel gefährlicher – das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Sicherheitsinstitutionen.
Grob fahrlässig ist Ihre Art der Sicherheitspolitik auch deshalb zu nennen, weil Sie Teilaspekte vollkommen außer Acht lassen. Da ist das eine, was ich mit den Selbstmordattentätern, gerade gesagt habe: Wie freiwillig sind die tatsächlich mit den Bomben in die U-Bahn gegangen bzw. haben sich in die Luft gesprengt? Das ist nicht geklärt. Sie verkennen darüber hinaus, dass es sich um junge Männer handelt, die seit ihrer Geburt unauffällig in England gelebt haben. Sie hatten gute Schulabschlüsse und hätten ohne Probleme den biometrischen Pass bekommen. Hier würden also alle Maßnahmen, die Sie hin zu mehr Kontrolle über biometrische Merkmale fordern, nichts nützen. Damit wären sie durch jede Rasterfahndung gefallen.
Die Gemeinde, in der sie gelebt haben, ist entsetzt und verunsichert. Die Gemeindemitglieder fragen sich, was passiert ist. Sie wollen das selbst noch einmal analysieren
und wollen wissen – wie wir auch –, warum es überhaupt so weit gekommen ist. Gab es tatsächlich eine Anwerbung von außen? Vielleicht über Sommercamps. Der Eine soll ja tatsächlich in Pakistan in einem solchen Camp gewesen sein. Ich habe trotzdem den Eindruck, dass Sie diese Fragen, die ein Schlüssel sein können, um präventiv wirksam tätig zu werden, für eine wirksame Terrorbekämpfung nicht interessieren.
Sie künden nur Altbekanntes an; nach dem Otto-Katalog folgt also die „Günther-Versicherung“. Identifi ziert wurden die Täter anhand von Fingerabdrücken und Papieren am Tatort. Ihr Weg konnte dann anhand von Videokameras verfolgt werden. Verhindert haben diese Kameras aber nichts; meine Kollegin hat es bereits gesagt.
Ihre Sicherheitspolitik können wir in diesem Zusammenhang nur konzeptionslos nennen. Denn das, was durch die Medien in den vergangenen Wochen gegeistert ist, war am einen Tag mal so: mehr Video-Überwachung, aber vielleicht doch nicht auf allen Plätzen und na ja, mit dem Personal haben wir auch Probleme, und am nächsten Tag fest reingehauen, als es darum ging, alle Moscheen zu überwachen. Als ob Terrorschulung und Hasspredigten unter den Augen von Videokameras passieren würden.
Ich bin froh, dass der Herr Präsident vom Verfassungsschutz da ist; er ist zwar bereits verabschiedet, aber noch da.
Es freut mich, dass Sie da sind, denn ich bin eigentlich davon ausgegangen – vielleicht bin ich da aber auch etwas blauäugig –, dass spätestens seit dem 11. September 2001 selbstverständlich überprüft wird, was in den Moscheen stattfi ndet. Da frage ich jetzt doch: Hat das bisher nicht stattgefunden? Ich habe auch immer gedacht – zumindest stand es so in den Medien – Sie wollten die Muslime nicht unter Generalverdacht stellen. Wenn Sie aber jetzt ohne jeden Verdacht jede Moschee „auf den Kopf stellen“ – –
(Susann Biedefeld (SPD): Ja, das hat er gesagt! – Zuruf der Abgeordneten Johanna Werner-Muggendorfer (SPD) – Lebhafter Widerspruch bei der CSU)
Es erstaunt mich, wie wenig Sie zuhören, wie wenig Sie offensichtlich Zeitung lesen und wie wenig Sie Ihrem
In Deutschland leben 3,2 Millionen Muslime. Das sind nicht ganz 4 % der Bevölkerung. Wiederum 2,4 % dieser Menschen sind türkischer Herkunft. Noch einmal: Wie wollen Sie diese Menschen alle überwachen? – Sie haben gesagt, Sie wollen in jeder Moschee V-Leute haben. In Ordnung. Das können Sie machen, weil man damit auch feststellt, dass es bei der Mehrzahl dieser Moscheen nichts zu fi nden gibt. Natürlich gibt es auch die verdächtigen Moscheen, die Sie genannt haben. Wollen Sie vielleicht den biometrischen Pass für die Einlasskontrolle verwenden? – Wie stellen Sie sich das vor? –
Der Zentralrat der Muslime hat beklagt, dass bei Verdachtsdurchsuchungen häufi g die Hundertschaften der Polizei nicht sehr sensibel vorgehen. Sie müssen sich das immer wieder vor Augen führen: Hier handelt es sich um Durchsuchungen auf Verdacht, ohne konkrete Anhaltspunkte. Stellen Sie sich dieses Vorgehen der Polizei einmal in einem katholischen Gotteshaus vor. Dann fällt es Ihnen vielleicht leichter, sich in eine solche Situation hineinzuversetzen.
Ebenso wenig kann ernsthaft behauptet werden, dass der Bundeswehreinsatz im Inneren – eine alte Forderung von Ihnen – Selbstmordattentate verhindern könnte. Das gelingt der israelischen Armee schon jetzt nicht. Für die Tätigkeiten, für die wir die Bundeswehr brauchen könnten, zum Beispiel im Katastrophenfall, kann sie bereits eingesetzt werden. Selbst der Bundeswehrverband – für mich sind das Fachleute – möchte den Einsatz im Innern nicht.
Nun zur Vorratsdatenspeicherung: Auch hier handelt es sich um eine Scheinlösung. Wenn die EU tatsächlich bei ihrem ursprünglichen Plan bleibt, den Mitgliedsländern eine Speicherdauer von drei oder auch weniger Jahren für alle Kommunikationsdaten vorzuschreiben, auch von Nichtbeteiligten, von Unverdächtigen und ganz normalen Bürgerinnen und Bürgern, dauert der Suchlauf mit der jetzigen Technologie 50 Jahre. Das ist doch ein nettes Beispiel. Damit fi nden Sie allenfalls das sandverwehte Grab von Bin Ladin, aber sicher keine Täter in einer aktuellen Gefährdungslage, die gefasst und dingfest gemacht werden müssten.
Ein weiteres schönes Beispiel: Bei einer Speicherdauer von zwölf Monaten für den Email-Verkehr des größten Internet Providers – hier handelt es sich um 30 000 Gigabyte – würden sich 3000 Kilometer von Ordnern ergeben, wenn diese Daten ausgedruckt würden. Von einem Effi zienzgewinn kann hier meines Erachtens nicht mehr die Rede sein. Dabei spreche ich gar nicht von den Milliardenkosten, die auf die Wirtschaft zukämen.
Ich habe mich schon gewundert, wann die entsprechende Presseerklärung auf Landesebene kommt. Sie kam dann von Herrn Kollegen Ettengruber, und darin folgt auf dem Fuß die Forderung nach der Einführung der Telekommunikationsüberwachung mit der Begründung, der Schutz der Bevölkerung müsste absoluten Vorrang haben. Allerdings steht nicht drin, wovor er Vorrang haben muss. Vorrang vor Recht und Gesetz? – Vorrang vor der Verfassung? – Sie müssen sich schon klar darüber sein, wie dieser Vorrang aussehen soll.
Übertragen auf den Londoner Fall, mit dem die CSU ihre Vorstöße begründet, kann festgestellt werden: Die präventive Telekommunikationsüberwachung – über die wir hier reden – hätte der Polizei ohne Vorkenntnisse nichts genützt, es sei denn, dass alle Muslime abgehört würden. Das ist nicht meine Logik, sondern die Logik der Sicherheitsexperten. Hinzu kommt, dass sich der Verfassungsschutz schon bei der Einreise bekannter Islamisten um diese kümmert, und zwar mit allen technisch möglichen Mitteln.
Bei einer konkreten Gefahrenlage – etwa bei der Verabredung eines Bombenanschlags – handelt es sich um die Vorbereitung zu einem Verbrechen. Die Polizei darf bei einer entsprechenden Information sofort zugreifen. Deshalb halten wir eine präventive Telekommunikationsüberwachung im vorliegenden Fall nicht für nötig.
Damit komme ich zur Kronzeugenregelung. Auch dieses Beispiel wird immer wieder gern in diesem Zusammenhang gebracht. Ich glaube, dass die Absprachen, die mittlerweile bei den Staatsanwaltschaften möglich sind, ausreichen. Allerdings muss hier die Frage gestellt werden, zu welchem Zeitpunkt eine solche Kronzeugenregelung eintritt. Sie ist sicher nicht geeignet, um ein Verbrechen zu verhindern. Mit diesem Instrument kann lediglich im Nachhinein versucht werden, an die Täter und die Hintermänner zu kommen. Das ist natürlich auch ein wichtiger Aspekt. Als Grüne muss ich Ihnen aber sagen: Mir widerstrebt es, mit Terroristen, Hintermännern und Unterstützern irgendwelche Geschäfte zu machen. Das machen wir nicht mit.
Ich war verblüfft, dass Sie das Beispiel der Kontenabfrage auf Verdacht gebracht haben. Ich hätte es mir aber denken können. Auch hier sind wieder einmal die bösen Grünen und der Datenschutz dafür verantwortlich, dass nicht gehandelt werden kann. Ich möchte deshalb den § 8 Absatz 5 des Bundesverfassungsschutzgesetzes vorlesen: Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten, Finanzunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Konten, Konteninhabern usw. und so fort, dann, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgabe notwendig ist und tatsächliche – das ist es wahrscheinlich, was Ihnen nicht gefällt – Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren vorliegen, abfragen.
Leider ist es so, dass es Ihnen häufi g nicht genügt, nur dann handeln zu dürfen, wenn konkrete Anhaltspunkte
vorliegen. Sie wollen bei Verdacht handeln. Ich muss Ihnen sagen: Das ist unseres Rechtsstaates nicht würdig.
Ich komme damit zu den ausländerrechtlichen Forderungen. Herr Kollege König, ich weiß nicht, ob Sie sich schon zu Wort gemeldet haben.
Um einer sachlichen Debatte Willen möchte ich auf die ausländerrechtlichen Forderungen und auf das, was rechtlich bereits möglich ist, eingehen. Herr Kollege König, dazu können Sie dann Stellung nehmen. Personen, von denen aufgrund einer tatsachengestützten Gefahrenprognose eine terroristische Gefahr ausgeht, können erleichtert abgeschoben werden. Wahrscheinlich ist es bei dieser Formulierung das Wort „tatsachengestützt“, das Ihnen nicht gefällt. Wir fühlen uns jedoch dem Rechtsstaat verpfl ichtet und haben deshalb diese Einschränkung hineinverhandelt. Ist eine Abschiebung nicht möglich, weil im Herkunftsland Folter oder Tod drohen oder weil es aus tatsächlichen Gründen nicht geht, können scharfe Auflagen verhängt werden. Hier kommen Sie immer wieder mit Einzelfällen, die belegen sollen, dass diese Regelungen nicht ausreichen. Ich sage Ihnen: Sie können nicht mit Einzelfällen Politik machen, schon gar nicht Sicherheitspolitik.
Eine zweite Möglichkeit: Personen können ausgewiesen werden, die in öffentlichen Hetzreden terroristische Taten billigen und damit die Schwelle zur bloßen Meinungsäußerung überschreiten. Hier besteht ein Spannungsverhältnis. Ich fand Ihre Aussage zu Speaker‘s Corner, ehrlich gesagt, ein bisschen daneben. Bei Ihnen hat der Wunsch, die Meinungsfreiheit einzuschränken, Vorrang vor verfassungsrechtlichen Grundsätzen. In der Verfassung steht aber, dass die Meinungsfreiheit zu schützen ist. In diesem Spannungsverhältnis müssen wir bemüht sein, den Terroristen oder denen, die Taten planen, Herr zu werden.
Bei Einbürgerungen müssen Antragsteller Verurteilungen angeben, die in einem rechtsstaatlichen Verfahren im Ausland ausgesprochen worden sind. Sie werden doch nicht ernsthaft etwas dagegen haben, diese Regelung auf Verfahren zu beschränken, die rechtsstaatlich sind? –
Danke, Herr Dr. Dürr. Beim Verfassungsschutz gibt es die Regelanfrage, auch bei der Erteilung eines Daueraufenthaltsrechts. Im Übrigen ist der Verfassungsschutz, wie alle öffentlichen Stellen, verpfl ichtet, den jeweils zuständigen Behörden vorliegende Ausweisungsgründe mitzuteilen. Ich weiß nicht, wo es bei den Landesämtern hängt oder wo es auf der Bundesebene hängt. Diese Möglichkeiten sind da.