Protocol of the Session on March 3, 2005

Die CSU-Fraktion führt im Hohen Haus keine unsachlichen Debatten. Wir haben Ihnen auch in den letzten Jahren nicht den geringsten Anlass zu der Unterstellung gegeben, dass wir heute eine unsachliche Debatte führen würden.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Sie haben wirklich eine selektive Wahrnehmung, Herr Kollege!)

Nach Ihrem Beitrag, Frau Kollegin Stahl, kann ich allerdings feststellen, dass Sie nach wie vor um das entscheidende Thema herumreden. Ich will auf die Entstehungsgeschichte des speziellen Falles des schrecklichen Mordes und den Werdegang des Täters Prinz nicht näher eingehen. Frau Ministerin wird dazu sicherlich gleich ausführlich Stellung nehmen. Ich will zu dem Thema nur sagen, dass wir für heute angekündigt hatten, wir wollen, dass Sie heute Farbe bekennen. Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Herr Kollege Schindler zumindest für die SPD - das wird in dem vorliegenden Antrag konkretisiert - für die Heranwachsenden, die nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden, nun konzediert, in Zukunft die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung ins Auge zu fassen.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das haben Sie bisher auch nicht gewollt!)

- Dazu komme ich gleich; hören Sie zunächst einmal zu, Herr Kollege Wahnschaffe.

In der Tat hat man das bisher übersehen.

(Franz Schindler (SPD): Sie auch!)

- Ich gehe doch ganz sachlich auf das ein, was Sie eben gesagt haben. Immerhin gehen wir jetzt einen Schritt weiter und sind wenigstens in diesem Punkt einer Meinung: Jawohl, wir brauchen die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung für Heranwachsende, die nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wurden.

Ich fand es toll, Frau Kollegin Stahl, dass Ihre Fraktion bei dem Beitrag des Kollegen Schindler begeistert Beifall be

kundet hat. Wenn ich Ihre Ausführungen allerdings recht verstehe, bezeichnen Sie diesen Punkt als verfrüht und sind eben nicht bereit, die simple Erkenntnis heute zu akzeptieren und zu sagen, dass es hier eine Lücke in unserem Strafrecht gibt, die alsbald geschlossen werden muss.

(Beifall bei der CSU)

Dazu bedarf es keiner langen Geschichtsbetrachtung; denn ein solcher Fall kann bedauerlicherweise morgen in Bayern, Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Brandenburg wieder auftreten. Da sind wir doch gemeinsam aufgerufen – das erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns –, so schnell wie möglich in Bundestag und Bundesrat zu handeln.

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD))

Unsere Position lautet: Man muss diese Möglichkeit der Sicherungsverwahrung auch für Jugendliche, die nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wurden, schaffen. Wir sprechen ja ohnehin von der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Es kann ja passieren, dass zum Beispiel jemand mit 17 ½ Jahren einen so schrecklichen Mord begeht. Wenn dieser Jugendliche dann zu zehn Jahren verurteilt ist, muss es möglich sein, ihn am Ende seiner Haftzeit noch einmal von Gutachtern untersuchen zu lassen, und wenn die Gutachter dann nach den zehn Jahren kurz vor seiner Freilassung feststellen, dass ein hohes Risiko besteht, dass so etwas wieder passiert, muss man doch die Möglichkeit haben, nachträglich die Sicherungsverwahrung anzuordnen. Da, liebe Frau Stahl, eiern Sie herum und verschleiern die Tatsachen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Wir wollen die Tat aufklären! Verschleiern tun Sie!)

Bei der Sicherungsverwahrung geht es eben nicht um Resozialisierung und die Frage, wie ich jemanden wieder gut in die Gesellschaft hineinbringen kann, was beim Jugendstrafrecht im Vordergrund steht. Deshalb ist auch diese Unterscheidung zwischen Jugendstrafrecht und Erwachsenenstrafrecht nicht angebracht. Die Sicherungsverwahrung wird ausschließlich von Richtern angeordnet und setzt allein bei der Frage an, ob einer so gemeingefährlich für die Gesellschaft ist, dass er ein ganz schweres Verbrechen wie einen Mord oder eine Sexualstraftat erneut verüben wird.

Ich akzeptiere Ihre Argumentation gegen unseren Antrag hinsichtlich Verlängerung der Höchstjugendstrafe; da sind wir einfach anderer Meinung. Ihre Argumentation zur Sicherungsverwahrung, wenn es also um die Sicherheit der Bevölkerung vor der Wiederholung einer solchen Straftat geht, geht am Thema völlig vorbei. Deswegen haben wir dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt, weil die Bundesjustizministerin in den letzten zwei Wochen bei dem Thema nur herumgeeiert hat. Sie hat bis heute nicht Farbe bekannt, ob sie wenigstens die erste Forderung, die Sie von der SPD heute mit Ihrem Antrag unterstützen, auch unterstützt. Bis heute gibt es keine Äußerung von Frau Zypries dazu, ob sie diese Haltung für richtig hält, die

Sie jetzt erfreulicherweise hier einnehmen. Ich hoffe, dass sich Frau Zypries in den nächsten Tagen auch einmal deutlich genau so äußert.

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD))

Ich sage noch einmal: Genau dasselbe ist für jugendliche Straftäter notwendig. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir dieses Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt haben und ganz sachlich diskutieren, weil wir jetzt wenigstens in einer Hinsicht – Herr Kollege Schindler, ich begrüße das – einen Schritt weiter sind. Die GRÜNEN verweigern sich nach wie vor einer klaren Haltung bei dieser Frage.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Klären Sie auf, dann reden wir weiter!)

Lieber Herr Kollege Dürr, Sie müssen dann schon hinnehmen, dass wir darüber, dass Sie nicht bereit sind, in diesem Punkt rechtsstaatlich zu handeln, in der Tat weiterhin in Bierzelten und an Stammtischen reden werden;

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Sie verschleiern! – Zahlreiche Zurufe von den GRÜNEN – Unruhe)

denn es ist offenkundig: Wir wollen handeln, und Sie wollen es nicht. Das ist das Ergebnis der jetzigen Debatte.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Mir liegen noch Wortmeldungen von Herrn Kollegen Maget, Frau Kollegin Stahl und von Frau Ministerin vor. Herr Kollege Maget, bitte.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Herrmann, nachdem Sie die – wir fi nden: unsäglichen – Äußerungen des Herrn Söder jetzt als Stilfragen abgetan haben, will ich dazu, aber auch zur Sache noch einige Bemerkungen machen.

Dieser konkrete Mordfall ruft viele Fragen hervor, nicht nur die Frage nach der Sicherungsverwahrung, sondern auch die Frage nach dem Gerichtsurteil, danach, ob es eine richtige Einschätzung war, den Täter zur Höchststrafe zu verurteilen und nicht in den Maßnahmevollzug zu geben. Er ruft die Frage nach Therapiemöglichkeiten hervor, die im Strafvollzug in Bayern bestehen bzw. fehlen. Er lässt die Frage stellen nach dem Gutachten und danach, ob die vom Gericht bestellten Gutachter richtig gelegen sind. Er ruft die Frage hervor, ob die Bewährungshilfe richtig funktioniert hat. All diese Fragen richten sich an die bayerische Justiz

(Beifall bei der SPD)

und gehören zum Verantwortungsbereich Ihres Hauses. Frau Ministerin, ich käme nicht im Traum auf die Idee, Sie auch nur ansatzweise einer Mitschuld an einem Verbrechen zu bezichtigen, weil bestimmte Dinge im Verantwortungsbereich der Justiz vielleicht nicht optimal funktionieren, was vorkommen kann. Ich käme nicht im Traum auf

diese Idee. Ich würde es schäbig und beschämend fi nden, wenn wir Sie persönlich für einen Mordfall verantwortlich machen würden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir würden das nie tun, weil damit – –

(Zuruf des Abgeordneten Ernst Weidenbusch (CSU))

Herr Kollege, Sie können sich gern zu Wort melden.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Bitte nicht, das fehlt uns noch!)

Herr Kollege Herrmann, es ist ein Unterschied, ob man sachlich darüber diskutiert, was man gegebenenfalls verändern muss, auch an bestehenden Gesetzen, oder ob man eine Tabugrenze überschreitet, und zwar bewusst. Diese Tabugrenze ist überschritten worden, als man sich in der „Bild am Sonntag“ mit zwei Sätzen zu Wort meldete. Der erste Satz lautete: „Der Bundeskanzler ist mitverantwortlich für Verbrechen an Kindern.“

(Zurufe von der SPD: Pfui!)

Wenn wir sagen würden, Sie sind mitverantwortlich, wenn Verbrechen in Bayern geschehen, weil irgendetwas in Ihrem Verantwortungsbereich nicht funktioniert, wäre das auf der gleichen Ebene. Das wäre ein Tabubruch; das wäre eine Grenzüberschreitung, die wir nicht tun würden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Maget, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weidenbusch?

Ja, bitte.

Herr Kollege Maget, dann frage ich Sie, ob der Vorhalt aus der Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums „Die bayerischen Unionsvertreter müssen sich fragen lassen, ob von den bayerischen Behörden wirklich alles getan worden ist, um diese Straftat zu verhindern“

(Zurufe von der SPD: Sehr gut! – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das ist doch richtig!)

denn nicht das Gegenteil dessen ist, was Sie hier behaupten, und ob das nicht nur eine Reaktion ist, mit der Sie leben müssen?

(Lebhafte Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN – Große Unruhe – Glocke des Präsi- denten)

Überhaupt nicht, Herr Kollege Weidenbusch.

(Anhaltende Unruhe)

Einen Moment, Herr Kollege. – Ich möchte, dass hier mehr Ruhe herrscht. Auch Ihre eigene Fraktion sollte Ihnen die Chance geben, dass Sie für alle verständlich sind.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das war so ein Käse, das war selten dumm!)

Im Gegenteil, Herr Kollege Weidenbusch. Ich gehe sogar davon aus, dass es dieser Pressemeldung des Bundesjustizministeriums nicht bedurft hätte und dass Frau Ministerin Merk von sich aus diese Frage gestellt hat