Protocol of the Session on March 3, 2005

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben keinen Anlass, uns vor einer namentlichen Abstimmung zu fürchten, wenn Sie sie haben wollen. Wir lassen uns von Ihnen auch nicht vorführen, weil es nichts vorzuführen gibt,

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

sondern es geht darum, ein Problem zu lösen. Wenn es Ihnen darum geht, ein Problem zu lösen, dann pfeifen Sie erstens Ihren Generalsekretär zurück und machen Sie zweitens keine Show aus einem Thema, das viel zu ernst ist, um es so zu behandeln, wie Sie es getan haben.

(Lang anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Stahl.

Herr Präsident, meine Herren und Damen! Wer auch nur einen Funken Mitgefühl hat, der wird ob des grausamen Mordes tiefe Trauer empfi nden. Wir bedauern zutiefst das grausame Schicksal, das dem neunjährigen Peter zuteil wurde und uns und – davon gehe ich aus – auch Sie mit offenen Fragen zurücklässt. Wir fragen uns: Warum musste diese Tat geschehen, warum hat man sie nicht verhindern können?

Die Trauer darf uns allerdings nicht von einer umfassenden sachlichen Aufklärung aller Umstände im Zusammenhang mit dem jüngsten Sexualmord abhalten. Wir brauchen eine kritische Analyse. Sowohl kriminologische und soziale Faktoren als auch ein eventuelles Fehlverhalten öffentlicher Stellen und mögliche Gesetzeslücken, wie von Ihnen angesprochen, müssen in diese Analyse einbezogen werden.

Nur das ist echter Opferschutz, und nur das dient tatsächlich dem Schutz unserer Kinder.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kreuzer, anders als Sie sind wir an einer sachlichen Lösung und Aufarbeitung dieses tragischen Falls interes

siert, obwohl ich erstaunt darüber war, wie zurückhaltend Sie tatsächlich waren, sind wir doch von Ihnen anderes gewöhnt. Wir wollen kein politisches Spektakel und keinen Machtkampf anhand dieses Themas. Bitte, spielen Sie das üble Spiel, das in den letzten Tagen außerhalb dieses Landtags geführt wurde – von den Herren Stoiber und Schröder begonnen –, nicht mit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Keine Gewalttat gleicht der anderen, sondern jede ist im negativen Sinn einzigartig. Das beweist, dass man sich die Begleitumstände und Bedingungen, unter denen diese Taten geschehen, sehr genau ansehen muss.

Die Fälle zeigen auch – das können Sie nicht negieren –, wie schwierig es ist, auf alle Taten mit einer passenden Lösung zu antworten. Wer hier vorschnell Lösungen anbietet – und dessen bezichtige ich Sie –, wird Gefahr laufen, Defi zite und Lücken zu übersehen, die wiederum dem nächsten Opfer zum Verhängnis werden können. Deshalb werden wir hier sehr sachlich und sehr überlegt, wohl auch schnell, aber nicht mit der ideologischen Brille auf der Nase und refl exartig, handeln.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eine Reihe von Fragen, die in den letzten Tagen aufgetaucht ist, ist bis heute nicht beantwortet worden. Die Fragen, teilweise auch die in den Medien gegebenen Antworten, blieben vonseiten der Staatsregierung unwidersprochen. Wir haben schon letzte Woche eine Schriftliche Anfrage eingereicht, weil uns an einer Aufklärung der tatsächlichen Umstände liegt. Erst nach deren wirklich umfassender Beantwortung – es sind insgesamt 17 Fragen – werden wir sagen, ob wir Ihren Vorschlägen folgen können oder nicht. Letzteres ist dann der Fall, wenn sich zeigt, dass hier noch ganz andere Lösungen getroffen werden müssen, die in Ihrem Vorschlag überhaupt noch nicht enthalten sein können, weil Sie noch keine Analyse durchgeführt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte gerne wissen: Was ist an der Aussage des Kriminalkommissars dran, die Haftanstalt und die Staatsanwaltschaft seien kurz vor der Entlassung auf die Gefährlichkeit des Täters aufmerksam gemacht, aber es sei überhaupt nicht reagiert worden? Was ist an diesem Verhalten der Behörden dran? Wie funktionierte die Führungsaufsicht beim Täter? Wenn sie nicht funktionierte – Herr Kollege Schindler hat es angesprochen –, ist zu prüfen, warum sie nicht funktionierte. Man muss auch prüfen, ob die Maßnahmen tatsächlich geeignet waren und was verbessert werden muss. Sie haben in Ihrem Antrag geschrieben, insbesondere dieses und jenes müsse ergänzt werden. Aber Sie sagen nicht, was es tatsächlich sein soll. Sie haben keine Liste genannt. Damit lassen Sie eine Reihe von Punkten offen.

Allein mit der Aussage, dass es sich bei der Führungsaufsicht um ein stumpfes Schwert handele, geben wir uns nicht zufrieden; denn wenn schon vor so langer Zeit festgestellt wurde, dass es sich hier um ein stumpfes Schwert

handele, frage ich mich natürlich – und Ihr euch wahrscheinlich auch, liebe GRÜNE Kolleginnen und Kollegen –, warum man dann daran nichts geändert hat; denn man hätte Möglichkeiten gehabt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wollen schon genau wissen, welche Aufl agen und Weisungen der Täter hatte, deren Nichteinhaltung eventuell zu Sanktionen geführt hätte. Ich denke hierbei an den schon genannten § 145 a, der auch die Möglichkeit einer Haftstrafe beinhaltet. Wir möchten wissen, welche Aufl agen und Weisungen der Täter nicht eingehalten hat und in welcher Weise von den bayerischen Behörden reagiert bzw. nicht reagiert worden ist. Wir wollen auch wissen, an welche Stellen und in welchem Umfang Informationen gegangen sind; ferner, welche Stellen zusammengearbeitet haben – das halte ich für einen ganz wichtigen Punkt, der bisher auch in der Medienberichterstattung nicht geklärt wurde – und wie es mit der Zusammenarbeit zwischen Strafanstalt, Gericht, Aufsichtsstelle, Bewährungshilfe und Jugendamt aussieht. Hat diese Zusammenarbeit nicht oder doch funktioniert? Gab es, soweit es die gesetzlichen Regelungen zugelassen haben, überhaupt einen Austausch? Wenn es die gesetzlichen Regelungen – aus welchen Gründen auch immer – nicht zugelassen haben, müssen wir unter Umständen auch diese Regelungen ändern. Dazu können Sie in Ihrem Antrag überhaupt noch nichts sagen; denn Sie haben nichts analysiert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wollen auch wissen, wie die Betreuung während der Haft war, welche Therapieangebote es gab, wie der Täter sie angenommen hat, ob die Therapieangebote geeignet waren oder ob sie gescheitert sind. Wir wollen die Situation der Gutachter durchleuchten; denn die Gutachten sind seit langem ein bekanntes Problem.

Wir wollen auch die Situation der Bewährungshilfe beachtet wissen. Konnte die Bewährungshilfe in diesem besonderen Fall ihrer Aufgabe überhaupt nachkommen? Denn seit der Debatte zum Justizhaushalt konnten wir feststellen, dass man sich vom Resozialisierungsgedanken komplett gelöst hat, einem Resozialisierungsgedanken, der mit der darin enthaltenen begleitenden Betreuung so etwas wie soziale Kontrolle gewährleistet, wovon Sie sich aber verabschiedet haben. Die Bewährungshelfer in den Städten klagen trotz Aufstockung der Stellen, dass statt 45 nunmehr 70 bis 90 Probanden begleitet werden müssen. Vielleicht – vielleicht auch nicht, ich weiß es nicht – war auch dies in diesem Fall ein Problem.

Eine Hand voll Gutachter ist für sehr schwierige Fälle zuständig. Die forensischen Abteilungen der Bezirkskrankenhäuser sind chronisch überbelegt. Wir haben diese Bezirkskrankenhäuser im letzten Jahr aus anderen Gründen allesamt abgefragt. Was wir dabei gehört haben, war mehr als erschreckend, wenn auch eigentlich seit langem bekannt. Diese Krankenhäuser liegen in Ihrem Verantwortungsbereich. Hier hätten Sie schon längst etwas ändern können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es wurde über die Beeinträchtigung bzw. völlige Behinderung so mancher Therapie geklagt. Ich frage mich, wie dies mit Ihrer Forderung nach einer Zwangstherapie und einer Sanktion während der Führungsaufsicht zusammenpasst, wenn der Weisung nach Therapie nicht nachgekommen wird. Dann möchte ich aber auch sichergestellt haben, dass der Betroffene eine Therapie erfolgreich durchführen kann. Dafür sehe ich bei uns in Bayern überhaupt keine Ansätze.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Man konnte uns nicht einmal den Bedarf an Therapieplätzen nennen.

In unserem Dringlichkeitsantrag fordern wir in enger Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten eine umfassende Aufklärung darüber, ob im Vorfeld alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, um den Schutz der Öffentlichkeit vor einer Wiederholungstat zu gewährleisten. Auch das vermisse ich bei Ihnen. Glauben Sie mir, Sie wissen nicht alles. Es gibt eine Reihe von Fachleuten, die sehr gut Bescheid wissen, und deren Urteil kann sich auch die CSU einmal anhören. Wir sind nicht so blauäugig, nicht zu sehen, dass durchaus die eine oder andere Antwort dabei sein könnte, die uns im ersten Moment nicht so gefällt. Aber wir werden diese Antworten akzeptieren, weil wir Wiederholungstaten verhindern wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es könnte aber auch durchaus sein, dass Ihnen eine Reihe von Antworten nicht gefällt. In genau diesem Umfang erwarte ich dann, dass Sie diese Antworten akzeptieren, wie auch wir es tun, ohne die Verantwortung auf andere zu schieben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir halten deshalb die im Dringlichkeitsantrag der CSUFraktion enthaltenen Vorschläge und Forderungen für verfrüht; denn wir wollen erst einmal sehen, welche Vorschläge die Experten machen. Bisher wurden Ihre Vorschläge zu einem Großteil von den Experten – nicht nur vom Strafverteidigertag, dem man vielleicht Lobbyismus vorwerfen könnte, sondern auch von Psychologen, Strafrechtlern oder vom Verfassungsgericht – klar abgelehnt, weil sie nicht zielführend sind oder nicht präventiv wirken; hierfür wurde das Beispiel der Heraufsetzung der Strafe von 10 auf 15 Jahre genannt. Dass bisher ein Großteil Ihrer Vorschläge von den Experten abgelehnt wurde, ist eigentlich nichts Neues, da sind auch ein paar ältere Geschichten dabei.

Ich bitte zu bedenken, dass hier ganz klar und bewusst zwischen Jugend- und Erwachsenenstrafrecht unterschieden wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die von Ihnen gemachten Vorschläge folgen aus unserer Sicht vorschnell dem pauschalen Ruf nach härteren Strafen ohne eine vorab durchgeführte Analyse. Ihre Vorschlä

ge empfi nde ich als eindimensional, weil sie eine Reihe von Punkten, beispielsweise die Zusammenarbeit, überhaupt nicht betreffen; sie sind undifferenziert. Sie werfen alle Jugendlichen in einen Topf, und sie reden noch nicht einmal, wenn es um diese schweren Gewalttaten geht, davon, dass man diese von der üblichen Jugendkriminalität unterscheiden müsste, sondern Sie sagen, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Jugendstrafrecht für alle gelten soll. Das ist in der von Ihnen vorgelegten Form überhaupt nicht zu akzeptieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

All Ihre Vorschläge habe ich auf den konkret vorliegenden Fall übertragen. Ich muss Ihnen sagen, Ihre Vorschläge hätten bei diesem konkret vorliegenden Fall so gut wie nicht geholfen, und da frage ich mich schon, wozu wir dann eine Verschärfung brauchen. Teile Ihrer Vorschläge wie die Zwangstherapierung oder die Behandlung der Heranwachsenden automatisch nach dem Erwachsenenstrafrecht wurden bereits unter der Regierung Kohl in den Jahren 1997/1998 verworfen. Dafür gab es bereits damals gute Gründe. Gerade bei der Zwangstherapie ist es ja so, dass sich ein Täter, der nicht besonders dumm ist, auf eine Therapie einlässt, ohne dass man ihn dazu zwingen müsste, weil er glaubt, er könnte den Psychiater unter Umständen hinters Licht führen. Teilweise machen sie diese Therapie auch deshalb, weil damit Vergünstigungen verbunden sind. Es ist überhaupt nicht gewährleistet, dass nach Abschluss einer solchen Therapie tatsächlich ein geheilter Täter stünde. Deswegen glauben wir, dass die Forderung nach Zwangstherapierung bei Ihnen in falschen Händen ist; Sie haben tatsächlich nicht geprüft, was sie bewirkt und welche Lösung sie bieten kann.

Über die Ausweitung der Strafbarkeit von Verstößen gegen Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht können wir diskutieren. Das ist bei Ihnen zwar - wie schon ausgeführt - nur sehr unkonkret abgehandelt und bezieht sich nur auf zwei Punkte, die ich so im ersten Moment gar nicht von mir weisen möchte. Aber ich brauche dafür zunächst eine anständige Analyse, bevor ich etwas in die Welt setze, was für diesen Fall überhaupt nicht nötig ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Anders als in den vergangenen Tagen sind Sie heute relativ sachlich mit dem Thema umgegangen. Allerdings hat ja bisher auch nur Herr Kreuzer geredet und der musste sich sehr zusammennehmen. Wie sie mit dem Thema weiter verfahren werden - wir erleben das immer wieder -, wenn Sie diesen Saal verlassen haben und in die Bierzelte und an Ihre Stammtische zurückgekehrt sind, obliegt Ihrer Verantwortung. Wenn Sie nicht wollen, dass wir bis zu den Bundestagswahlen eine durchgehende Schlammschlacht erleben, tragen Sie außerhalb dieses Hohen Hauses dazu bei, die Debatte zu versachlichen. Ein Stil, der die Skandalisierung für richtig hält, führt dazu, dass die Öffentlichkeit bei der Beurteilung von Gewalt abstumpft und das Unrechtsbewusstsein verliert. Behalten Sie also einen sachlichen Stil bei, dann, denke ich, kommen wir auch in den Sachfragen zueinander.

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Kollege Herrmann.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu den Beiträgen der Kollegen Schindler und Stahl nur wenige Sätze sagen. Vorausschicken möchte ich, Frau Kollegin Stahl, dass wir keine Stilberatung von Ihnen brauchen.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von den GRÜNEN)

Ich habe es in den letzten Tagen schon wiederholt gesagt: Es gab nicht den geringsten Anlass für das Spektakel, das Sie im Vorfeld der heutigen Plenartagung veranstaltet haben.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Die CSU-Fraktion führt im Hohen Haus keine unsachlichen Debatten. Wir haben Ihnen auch in den letzten Jahren nicht den geringsten Anlass zu der Unterstellung gegeben, dass wir heute eine unsachliche Debatte führen würden.