Protocol of the Session on July 17, 2008

Jetzt, wo ein politischer Kompromiss auf dem Tisch liegt, muss jeder wissen: Wer sich, wie die GRÜNEN und die SPD, einem Wunschdenken hingibt, wer den Vertrag zu Fall bringt, der wird am Ende nicht einmal den Vertrag von Nizza haben, der wird stattdessen mit leeren Händen dastehen, denn die Bestrebungen zu weiterer Einigung nehmen eher ab als zu. Wahrscheinlich wäre es weiser gewesen, und so war es auch der Wille der Mitgliedstaatsregierungen, vor der Osterweiterung diese Hausaufgaben zu erledigen. Daran ist der Vertrag von Nizza aber gescheitert. Bei der Ost-Erweiterung konnte man da nicht mehr zurück. Nun vermehrt sich die Zahl der Mitgliedstaaten und damit auch die Frustration über die ganze Europäische Union.

Im Übrigen, und das möchte ich den GRÜNEN ein Stückweit ins Stammbuch schreiben, beruht das, was von den GRÜNEN hier so heftig bekämpft wird, zum größten Teil auf dem Verfassungsvertrag, für den der GRÜNE, Joschka Fischer, ständig die Miturheberschaft reklamiert.

(Zuruf von der CSU: So ist es!)

Ich weiß, Sie von den GRÜNEN haben sich schon früh von dieser Miturheberschaft distanziert. Trotzdem, wo es um die Aufklärung der Wähler geht, muss das in diesem Hause schon einmal festgestellt werden.

(Beifall bei der CSU)

Vertrags. Sie sagen, das sei bereits passiert. Wir wissen nicht, ob es bereits passiert ist. Für den Fall, dass es passiert, muss man sich aber Gedanken machen. Und dazu sehen wir durchaus vernünftige Vorschläge bei den GRÜNEN. Ich kann es in fünf Minuten nicht weiter erklären, deshalb werden wir zustimmen.

Lassen Sie mich noch einen letzten Gedanken äußern. Dieses Europa geht letztlich zurück auf das Frankenreich. Karl der Große hat vor zwölfhundert Jahren gelebt. Lange bevor es eine EU und ähnliche Gedanken gab, ist dort bereits etwas vorweggenommen worden, worüber wir heute und auch die Generationen nach uns philosophieren. Hier steht ein Franke, nicht ein Franke Karls des Großen, sondern ein Franke, der in seinen Gebietsansprüchen inzwischen etwas bescheidener geworden und Teil des Freistaats Bayern ist.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Und was ist mit den Römern? – Dr. Manfred Weiß (CSU): Hochfranke!)

Nein, das nicht. Es ist ein Teil des Freistaats Bayern. Wir Franken haben gezeigt, dass wir sozialverträglich, europaverträglich, auskömmlich usw. sind. Auch wenn wir dies bisher gezeigt haben, muss man doch immer wieder an die Zukunft denken. Über den Verbleib Karls des Großen ist heute nichts Näheres bekannt. Deshalb kann man von ihm auch nicht verlangen, dass er den Europagedanken weiterträgt. Ich als Franke will Ihnen aber sagen: Wenn Sie den Europagedanken weitertragen wollen und nicht mehr weiterwissen, fragen Sie einen Franken. Der weiß es am allerbesten, weil er zum Geburtsstamm Europas gehört. Das ist immer noch eine gute Adresse für die Zukunft. Herzlichen Dank und Ihnen alles Gute!

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Bocklet.

(Dr. Manfred Weiß (CSU): Ein Oberbayer, kein Franke!)

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte den eben gehörten Nachruf auf Franken nicht weiter kommentieren. Er kommt von einem Franken, der muss es ja wissen.

(Ludwig Wörner (SPD): Er traut sich bloß nicht, weil der Ministerpräsident auch ein Franke ist!)

Die GRÜNEN erklären mit ihrem Dringlichkeitsantrag den Vertrag von Lissabon für tot und fordern die Staatsregierung auf, auf die Bundesregierung einzuwirken, dass sich diese für organisatorische und institutionelle Reformen, das heißt konkret für einen neuen grundlegenden europäischen Vertrag einsetzt. Dazu ist Folgendes festzustellen.

Erstens. Der Vertrag von Lissabon ist im Ratifizierungsprozess durch das irische Nein zwar auf Schwierigkeiten gestoßen, aber noch längst nicht tot. Zwar gibt es auch

Aber, Herr Kollege Bocklet, eines mag ich Ihnen aber nicht ersparen, denn Sie sind ein Meister der Doppelzüngigkeit und der Scheinheiligkeit.

(Zurufe von der CSU: Oho, oho!)

Im Ausschuss habe ich mir erlaubt, aus einem Artikel von Ihnen zu zitieren, der, zugegebenermaßen, aus dem Jahr 2004 stammt. Dieser Artikel hat aber keineswegs an Aktualität verloren. Sie schreiben, Dynamik in Richtung Zentralisierung, EU-Vertrag, muss nachgebessert werden. Dann schreiben Sie:

Die Zentralisierungsdynamik bleibt ungebrochen, ja sie wird sogar noch verstärkt. Zuständigkeiten der mitgliedstaatlichen Parlamente, Bundestag und Landtag, in den Bereichen Daseinsvorsorge, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Raumforschung, Energie, Außenpolitik, Grenzschutz, Zivil- und Strafprozessrecht, Strafrecht, Polizeiwesen, Gesundheit, Industrie, Sport, Zivil- und Katastrophenschutz, Verwaltungszusammenarbeit und vieles mehr – –

Jetzt kürze ich ab,

werden außerhalb der üblichen EU-Rechtssetzungsverfahren europäischen Politikvorgaben unterworfen.

(Herbert Ettengruber (CSU): Ist das ein Legastheniker?)

Dann spielen Sie auf die offene Methode der Koordinierung an, Herr Kollege Bocklet. Daran hat sich materiell überhaupt nichts verändert, das wissen Sie auch. Ich zitiere noch einmal Ihre Überschrift zu dem Artikel. Sie heißt: „Der Vertrag muss nachgebessert werden.“ Hier stellen Sie sich jetzt wieder staatsmännisch hin und versuchen, eine andere Position zu begründen. Das ist doch nichts anderes als Scheinheiligkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kollege Bocklet, bitte.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Erstens. Die Bundeskanzlerin braucht keinen Ratschlag von Ihnen, Herr Dr. Runge.

(Beifall bei der CSU – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Aber von Ihnen, Herr Bocklet!)

Zweitens. Mit dem Hinweis, dass Sie schon im Jahr 2003 das gesagt haben, was sie heute wieder vorgetragen haben, beweisen Sie, dass es Ihnen ausschließlich um die eigene Profilierung geht und nicht um einen Beitrag zur Lösung der Probleme.

(Christine Stahl (GRÜNE): Super Antwort!)

Man kann sich nicht in Berlin feiern lassen, und hier die Opposition gegen die Politik in Berlin spielen.

(Beifall bei der CSU – Franz Maget (SPD): Das merken Sie sich mal, Herr Bocklet! – Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ja, wir können das besser als Sie!

(Heiterkeit bei der CSU – Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD): Zugegeben! – Unruhe bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Als Fazit lässt sich feststellen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Dringlichkeitsantrag der GRÜNEN ist weder dringlich – wir brauchen im Moment noch keinen Plan B, weil das Ratifizierungsverfahren noch läuft, deshalb bin ich auch anderer Meinung als Sie, Herr Hoderlein – noch zeugt er von politischer Verantwortung. Im Übrigen entlarvt dieser Antrag das Bekenntnis zur Europäischen Union, das am Beginn des Antrags der GRÜNEN so „großartig“ dargelegt wird, als pure Heuchelei. Bei diesem Antrag handelt es sich um einen der typischen grünen Schaufensteranträge. Dringlich ist an diesem Antrag allenfalls das Profilierungsbedürfnis der Antragsteller.

(Beifall des Abgeordneten Johannes Hinters- berger (CSU))

Ich bitte deshalb, diesen Antrag in namentlicher Abstimmung abzulehnen, und zwar guten Gewissens.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Bocklet, Ihre Redezeit ist vorüber. Ich möchte Sie aber bitten, für eine Zwischenintervention des Herrn Kollegen Runge am Rednerpult zu bleiben. Bitte schön, Herr Kollege Runge.

Herr Kollege Bocklet, Sie dürfen es schon uns überlassen, die Dringlichkeit zu beurteilen. Wir haben diesen Antrag kurz nach dem irischen Referendum, nach dem irischen Votum gestellt. Wenn wir uns die Hilflosigkeit Ihrer Kanzlerin und anderer aus der Union ansehen, dann ist sehr wohl eine Dringlichkeit gegeben, andernfalls gerät Europa nämlich noch völlig aus den Fugen.

Joschka Fischer und der Verfassungsvertrag – dieses Argument von Ihnen zu hören, ist immer wieder schön. Wir haben im Jahr 2003 als erste dieses Thema im Plenum gespielt und haben schon damals darauf hingewiesen, dass es gemischte Alllianzen gibt. Ich brauche in diesem Zusammenhang gar nicht den Namen Ihres Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler zu nennen. Es waren hauptsächlich CSU-Bundestagsabgeordnete der Landesgruppe Bayern, die vor wenigen Monaten im Bundestag dagegen gestimmt haben. Ihr Verweis auf Joschka Fischer ist deshalb ein schlechtes Argument.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Europa einen Weg, um uns zusammenzuraufen? Finden wir einen Weg, um eine Antwort zu geben? Finden wir einen Weg, um unseren Kontinent so zu stärken, damit die Menschen in dieser globalisierten Welt wirklich eine Zukunft haben? – Am Ende des Tages wird es, lieber Herr Dr. Runge, keine Zwischenlösung geben.

Da wird es kein Prinzip der deutschen Politik geben, in dem Nachbesserung zur substanziellen Antwort wird. Es wird am Ende nur die Frage geben: das eine oder das andere. Wenn wir Deutsche als größtes Land in Europa sagen, wir versuchen uns irgendwie durchzumogeln, wird Europa in der Form, wie wir es in der Zukunft brauchen, scheitern. Deswegen geht es hier um die Frage der Verantwortung, und zwar gemeinsamer Verantwortung europäischer Natur, die wir brauchen, nicht nur um Parteitaktik. Europa zerfällt, oder Europa wird stark.

Wir haben nicht alles im Vertrag von Lissabon gut gefunden, aber er ist der bestmögliche Kompromiss, der angesichts der Interessen von 27 Staaten – das darf man nie vergessen, da gibt es völlig unterschiedliche Interessen – gefunden werden konnte. Was es aber braucht – und dabei können alle hier im Hause mithelfen –, ist, dass man zeigt, dass Europa die Sorgen der Menschen ernst nimmt. Ich nenne Ihnen drei Beispiele:

Wenn die Menschen die Bürokratie in Europa zu Recht als zu stark ansehen, macht es dann wirklich Sinn, kurz nach der Abstimmung in Irland komplett neue Vorschläge für ein neues Antidiskriminierungsgesetz vorzulegen, mit dem wieder nur neue Bürokratie und neue Vorschriften entstehen? – Hier könnte man zeigen: Das ist zu viel, liebe Freunde.

(Beifall bei der CSU)

Ein zweites Beispiel: Ein Großteil der Menschen hat Angst und fragt: Wie entwickelt sich Europa? Die Menschen wollen Europa, sie wollen aber kein grenzenloses Europa. Sie haben Sorge, wie sich ein Europa bei Migration, Kriminalität und sozialen Problemen in der Welt aufstellt. Finden Sie es dann wirklich eine gute Entscheidung, dass kurz nach der Abstimmung in Irland, bei der solche Bedenken artikuliert wurden, darüber diskutiert wird, ein neues Beitrittskapitel mit der Türkei zu eröffnen? Meine Damen und Herren, das ist ein falsches Signal für Europa.

(Beifall bei der CSU)

Ein drittes Beispiel: Europa bedeutet Einheit in Vielfalt. Die Einheit in Vielfalt ist ein elementarer Bestandteil unserer gemeinsamen kulturellen Identität. Die kulturelle Identität richtet sich aber nach der Sprache. Wir haben 23 Amtssprachen, 800 Dialekte und drei Arbeitssprachen. Die Muttersprache, die in Europa am meisten gesprochen wird, ist nach wie vor das Deutsche.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜNE))