Protocol of the Session on October 24, 2002

Frau Kollegin Münzel hat gefragt: Warum soll ich als kinderlose Frau vom Ehegattensplitting profitieren? Ich denke, Sie sollten sich fragen, ob es wirklich sinnvoll ist, statt dem Leben mit Kindern das Institut Ehe zu fördern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wissen ganz genau, dass wir den Haushalt sanieren, Schlupflöcher schließen sowie Mitnahmeeffekte verhindern und abbauen müssen. Unter diesen Überschriften würden Sie sich sogar noch unter den Schirm stellen.

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mir schmeckt so manche Sparpille auch nicht. Bei der Eigenheimzulage sehe ich gerade für einen Ballungsraum wie München besondere Härten und Schwierigkeiten. Ich habe da ganz erhebliche Probleme. Man muss schauen, inwieweit man da noch ein Korrektiv reinbringen kann. Aber Sie machen hier nochmal mehr. Ich meine, es ist das Recht der Opposition auf der Berliner Ebene zu sagen, wo einen der Schuh drückt. Aber Sie verbreiten in Ihrem Antrag

relativ viel Panik, ohne dass Sie dann, so schneidig, wie Sie da den Stift führen, auf der anderen Seite sagen, wie Ihre Lösungsbeiträge aussehen. Mit gutem Zureden und dem Stiften einer Kerze wird sich wahrscheinlich im Haushalt nichts ändern. Ich kann Ihnen sagen: Beim Kerzenstiften habe auch ich Erfahrung, das hilft nichts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da müssen Sie bei den Überschriften einmal Butter bei den Fischen bringen. Das ist schmerzhaft und da werden wir noch in vielen Punkten streiten. Ich sehe, dass wir zum Beispiel bei der Ökosteuer mehr Gerechtigkeit brauchen. Wir hatten immer beklagt, dass es beim kleinen Mann ankommt, aber nicht oben. Von daher sind wir mit dem, wie die Ökosteuer jetzt reformiert wurde, in gar keiner Weise unzufrieden. Ich sage Ihnen auch: Ich kann nichts Schlechtes daran finden, wenn man zum Beispiel bei einem Strauss Blumen oder einem Blumenkübel 16 Prozent Mehrwertsteuer verlangt. Man muss differenzieren. Vieles ist im Fluss und wird noch verhandelt. Deshalb seien Sie gewiss: Wir werden auch unsere Punkte einbringen und sagen, wo es uns kneift und wo es uns nicht passt.

Aber mich stört viel in Ihrem Antrag:

Sie haben Ihre Alternativen zur Familienpolitik eher mit einem Märchencharakter und einer Luftschlossromantik versehen. Man muss sich doch Ihren Plan zum Familiengeld anschauen, das Sie versprochen haben. Dessen Finanzierung – ich will es Ihnen ganz ehrlich sagen –, stand ganz massiv unter dem Diktum: Herr Stoiber soll Kanzler werden und dann kommt schon Geld in die Kasse.

Das ist eine Luftnummer. Das können Sie nicht verwirklichen. Mir fehlen Ihre Konsolidierungsvorschläge. Wo wollen Sie Einsparungen vornehmen, mit wem wollen Sie in ernsthafte Verhandlungen treten? Lösungsorientierte Beiträge habe ich von Ihnen heute nicht gehört. Da ist nur Fehlanzeige. Mit ihrer vermeintlichen familienpolitischen Philippika haben Sie nur Ihren Frust herausgelassen und Koalitionsschelte betrieben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich erteile das Wort Frau Staatsministerin Stewens.

Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Familienpolitik ist ein wirklich ernsthaftes Thema, und der Zustand in Deutschland ist keineswegs so, dass die Familien auch nur den Eindruck gewinnen könnten, ihre Angelegenheiten stünden ganz oben auf der politischen Tagesordnung. Sie standen einmal ganz oben auf der Tagesordnung – im Wahlkampf.

Wenn man sich die Programme der Parteien anschaut, dann stellt man fest, dass dort die unterschiedlichsten Aussagen zur Familienpolitik stehen, auch zum Familienleistungsausgleich. Renate Schmidt hat sich in einer

Pressemitteilung für ein moderates Familiengeld und, zumindest in einem ersten Schritt, für eine gewaltige Erhöhung des Kindergeldes ausgesprochen. Im Wahlkampf hat man auch die GRÜNEN gehört, die von einem Kindergrundsicherungsprogramm gesprochen haben.

(Frau Gote (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das tun wir immer noch!)

Aber Sie verwirklichen es nicht. Sie können vieles sagen. Angesichts Ihres Regierungsprogramms und Ihrer Wahlversprechen kann ich nur sagen: Mir graut davor.

Sie sollten sich einmal die heutige Pressemitteilung des Präsidenten des Bundes der Steuerzahler, Dr. Däke, durchlesen. Dazu brauchen wir überhaupt keinen Kommentar mehr abzugeben. Diese Pressemitteilung spricht Bände und wirft ein Licht auf die Glaubwürdigkeit der Familienpolitik. Ihrer Familienpolitik liegt überhaupt keine Konzeption zugrunde.

Herr Kollege Schultz, wer hat denn Erziehungsgeld und rentenbegründende und rentensteigernde Erziehungszeiten eingeführt? – Das war die Regierung Kohl. Damals gab es eine Konzeption, und die war toll. Zum erstenmal hat man die Erziehungsleistung, die in einer Familie erbracht wird, anerkannt. Sie haben zwar durchaus einige Leistungen für die Familien verbessert, aber das an anderer Stelle dadurch wieder weggenommen, dass Sie die Abgabenlast erhöht haben. Darunter leiden Familien am meisten. Familien sind dadurch ungeheuer stark belastet worden und haben unter dem Strich nichts gewonnen. Jetzt verschließen Sie die Augen vor dieser Situation und machen einfach weiter so. Das kann es nicht sein. Das ist das Problem.

Die Antwort, die Sie nach dem Wahlkampf jetzt unseren Familien geben, ist nach meiner festen Überzeugung schlicht und einfach beschämend. Von Ihren Versprechungen ist nichts mehr vorhanden. Die Koalitionsvereinbarung ist eine familienpolitische Bankrotterklärung.

Übrigens, Herr Kollege Schultz, wir werden die Koordinierungsstelle Mütterzentrum fördern. Ich glaube auch, dass Sie es schon wissen. Die Mütterzentren wissen es schon lange. Ich hatte einen Internet-Chat mit ihnen. Wir haben auch des Öfteren mit ihnen korrespondiert. Nachdem diese Information schon in der Zeitung stand, nehme ich an, dass sie auch nicht so ganz spurlos an Ihnen vorübergegangen sein kann.

(Zuruf des Abgeordneten Schultz (SPD))

Das Konkreteste, was die Koalitionsvereinbarung für die Familien bietet, sind familienbelastende Maßnahmen. Diese führt der Dringlichkeitsantrag der CSU-Fraktion auf. Es handelt sich um die Einschnitte bei der Eigenheimförderung, die weitere Erhöhung der Ökosteuer, die Erhöhung der Steuer auf Erdgas, die Anhebung der bisher ermäßigten Mehrwertsteuersätze und die steigenden Beiträge in nahezu allen Sozialversicherungszweigen. Darunter leiden am meisten die Familien. Was den Familien bleibt – da wird es ganz schön –, ist die Ganztagsbetreuung.

Nehmen wir einmal die 1,5 Milliarden e für die Kinder von 1 bis 3 Jahren, die bei Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission angeblich von den Kommunen erwirtschaftet werden sollen. Die Kommunen sollen sparen, Frau Schopper. Aber wo sparen sie denn? Angeblich sparen die Kommunen bei der Arbeitslosenhilfe II, weil sie die Sozialhilfe einsparen. Dann erhalten nämlich die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger Arbeitslosenhilfe. Dann bekommen die Kommunen, die das Konzept „Arbeit statt Sozialhilfe“ nicht richtig umgesetzt haben, mehr Geld. Aber wenn Sie meine ehrliche Meinung wissen wollen: Es fließt kein einziger Euro tatsächlich. Das sind nur Luftblasen und Versprechungen. Es ist schon dramatisch, dass man mit solchen Versprechungen an die Öffentlichkeit geht und sagt, dass die Kommunen davon die Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen zur Verfügung stellen sollen.

(Zuruf des Abgeordneten Schultz (SPD))

Schauen Sie sich doch einmal an, wer in den Kommunen die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger sind. Ich habe mir die Zahlen für meinen Landkreis angeschaut. Das sind zu 50% die alleinerziehenden Mütter.

(Frau Radermacher: Weil sie keine Kinderbetreu- ung haben!)

Der grundsätzliche Rat, den die Bundesregierung den alleinerziehenden Müttern gibt, heißt: Bleibt nicht zuhause, geht arbeiten. Dann geht es euch besser.

Das sagt die Bundesregierung vor dem Hintergrund von 4 Millionen Arbeitslosen. Das muss man sich sehr genau überlegen. So sieht die gesamte Familienpolitik der Bundesregierung aus. Sie signalisiert: Euch wird es finanziell besser gehen, wenn ihr erwerbstätig seid.

Das ist eine zentrierte Lösung, und es wird den Familien deutlich gemacht, dass sie keine Wahlfreiheit haben und sich nicht frei entscheiden können.

Ich gehe einmal von meiner eigenen Situation aus. Wie sieht es denn aus, wenn man drei oder mehr Kinder hat? Die finanzielle Situation einer solchen Familie wird durch den Familienleistungsausgleich keineswegs verbessert, sondern man muss arbeiten gehen. Das ist die „Wahlfreiheit“, wie sie Rot-Grün in unserem Land versteht. Das kann es nicht sein.

Ich gebe Ihnen Recht, dass wir mehr für die Kinderbetreuung tun müssen. Wir müssen die Einrichtungen zur Betreuung der Dreijährigen stärker ausbauen. Das ist gar keine Frage. Wir müssen auch mehr für die Betreuung der Schulkinder tun. Aber so schlecht steht Bayern wirklich nicht da. Bei den unter Dreijährigen liegt Bayern bei 3,5%, was den Ausbau der Krippenplätze und die Tagespflege betrifft.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Bei den Krippenplätzen nicht. Nicht lügen, Frau Stewens!)

Damit nehmen wir einen guten Platz im Vergleich zu den anderen westlichen Ländern ein. Mit dieser Zahl können

wir uns sehen lassen. Man sollte die Fakten zur Kenntnis nehmen.

Die 313 Millionen e sind durchaus ein Pfund, mit dem man in Bayern wuchern kann, und anhand dessen wir aufzeigen können, wer die Betreuung der unter Dreijährigen verbessert. Dasselbe gilt auch für die Grundschule und die Kinderhorte.

(Zuruf des Abgeordneten Schultz (SPD))

Wenn ich an die Gewerbesteuerumlage und Ähnliches mehr denke, dann sieht man, dass der Bund nicht besonders sorgfältig mit den kommunalen Finanzen umgegangen ist. Deshalb haben die Kommunen Schwierigkeiten, die Kinderbetreuung weiter auszubauen. Bei uns läuft das Programm zur Betreuung der unter Dreijährigen sowie die Betreuungen in den Horten und an der Grundschule hervorragend. Ich bin in einigen Bereichen schon zu 100% ausgelastet, in Oberbayern könnte man vielleicht noch einiges mehr machen. Dort ist auch die Nachfrage etwas höher.

1,1 Millionen Kinder leben in Familien, die Sozialhilfe beziehen. Auch wir in Bayern haben einen Anstieg der Zahl dieser Kinder zu verzeichnen. Bundesweit beträgt der Anteil aber 6,6%, in Bayern nur 3,3%, also 50% weniger als bundesweit.

Sie sollten mit den richtigen Fakten und Zahlen nicht hinter dem Berg halten, sondern zugeben, dass es in Bayern ein ganzes Stück besser aussieht als im bundesweiten Vergleich.

(Zuruf des Abgeordneten Schultz (SPD))

Sie sollten etwas ehrlicher argumentieren.

Deswegen, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, halte ich es für ungeheuer notwendig, dass wir auf der einen Seite die unterschiedlichen Familienmodelle, die wir in unserer Gesellschaft haben, akzeptieren; ob das die Patchwork-familie ist, ob das die alleinerziehende Mutter ist; wir sagen immer, Familie ist da, wo Eltern Verantwortung für ihre Kinder tragen.

Aber wir sollten den Eltern auch Zeit für ihre Kinder geben. Und wir sollten auch über die Zeit reden. Damit möchte ich auf die dritte Säule im Bereich der Familienbildung kommen. Davon reden Sie kein Wort, das kommt so gut wie gar nicht vor. Wir brauchen, gerade vor dem Hintergrund der vielen schwierigen Kinder, die in ihrem Verhalten auffällig sind, Sie wissen das und kennen die Probleme, wir haben sie in den Kindergärten und fortgesetzt in den Schulen, deswegen ist es ganz wichtig, dass wir da die Familien in ihrer Erziehungskraft stärken. Null im rot-grünen Regierungsprogramm! Nichts, es wird keine Aussage dazu gemacht, nur Luftnummern. Die einzige Aussage, die die Bundesregierung für die Familien trifft, die in sozialer Hilfe leben oder in schwierigen sozialen Situationen leben, ist, zu sagen: Geht arbeiten! Und das bei vier Millionen Arbeitslosen!

(Beifall bei der CSU)

Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf der Drucksache 14/10524, das ist der Antrag der CSU-Fraktion, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CSU. Gibt es Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Keine. Der Dringlichkeitsantrag ist damit angenommen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf der Drucksache 14/10532, das ist der Antrag der SPD-Fraktion, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gibt es Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Gibt es Stimmenthaltungen? – Keine. Dieser Dringlichkeitsantrag ist dann abgelehnt.

Ebenfalls zur gemeinsamen Behandlung rufe ich jetzt auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Maget, Strasser, Schmitt-Bussinger und Fraktion (SPD)

Sanierungskonzept für die finanziell angeschlagenen Bezirke (Drucksache 14/10525)