Protocol of the Session on October 24, 2002

Sanierungskonzept für die finanziell angeschlagenen Bezirke (Drucksache 14/10525)

und den nachgezogenen

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Christine Stahl, Elisabeth Köhler, Tausendfreund, Kellner und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lösung der drängenden Probleme der Bezirke (Drucksache 14/10536)

Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Kollegen Strasser.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Aus den Medien haben wir entnommen, dass seit einiger Zeit die Bezirke im Freistaat Bayern enorme finanzielle Schwierigkeiten haben. Ob Oberbayern, Mittelfranken oder Schwaben, die Defizite in den Bezirkshaushalten steigen. Es gibt unterschiedliche Zahlen. Ich werde als Beispiel einmal hernehmen, dass das Defizit beim Bezirk Schwaben im letzten Jahr etwa drei Millionen e betragen hat; dann dürfte es in diesem Jahr auf elf Millionen e lauten und insgesamt im letzten Jahr und in diesem Jahr zusammen genommen etwa um 15 Millionen e. Das Gleiche gilt für den Regierungsbezirk Mittelfranken, das Gleiche gilt für den Regierungsbezirk Oberbayern.

Das Problem sehen wir darin, dass in der Zwischenzeit ja die Umlagekraft zugenommen hat. Es ist nicht so, dass die Einnahmen der Bezirke wegen des Rückgangs der Gewerbesteuer sich so verringert haben. Die Umlage ist bereits früher festgelegt worden. Im Landesvergleich muss man sehen, dass zum Beispiel in diesem Jahr die Umlagekraft im Vergleich zum letzten Jahr um

4,3% gestiegen ist. Folglich haben die Bezirke etwa 4,3% mehr eingenommen, trotzdem sind sie in diese Defizite bis heute gekommen. Aufgrund dieser Entwicklung, die nicht das geringste – darauf weise ich hin – mit einer Politik der Bundesregierung zu tun hat, fordern wir also die Staatsregierung auf, umgehend ein Sanierungskonzept vorzulegen, das die Bezirke einfach wieder auf eine solide Grundlage stellt.

Als Drittes weise ich darauf hin, dass in der Vergangenheit natürlich dieses Thema wiederholt im Landtag eine Rolle gespielt hat. Zum ersten Mal haben wir, die SPDFraktion, im Landtag 1994 das Thema angeschnitten und darauf hingewiesen, dass die Finanzsituation der Bezirke bedenklich ist und dass man insgesamt etwas tun muss. Aber die CSU-Fraktion hat dies damals abgelehnt.

Auch im Jahre 2000 haben wir hier einen Antrag mit der Bitte eingebracht, die Situation doch realistisch zu sehen und die Mittel nach Artikel 15 FAG entsprechend anzuheben, weil die Bezirke in finanzielle Engpässe kommen. Der Grund liegt darin, dass die Bayerische Staatsregierung und die CSU-Fraktion den Bezirken immer wieder unwahrscheinlich viele Aufgaben zugewiesen haben, für die sie nicht zuständig sind. Folglich ist die finanzielle Situation der Bezirke wirklich hausgemacht. Die CSU und die Bayerische Staatsregierung tragen dafür ganz allein die Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wer es von der CSU-Fraktion noch nicht versteht, den bitte ich, sich das System der Umlagekraft anzusehen. Das System der Umlagekraft liegt darin, dass die Bezirke in diesem Jahr mehr Geld eingenommen haben bei gleichem Hebesatz. Das ist ja das Problem: 4,3% wurden mehr eingenommen bei gleichem Hebesatz! Dies bedeutet ganz konkret – ich habe bei der Begründung einige Beispiele aufgezeigt; das können Sie auch für Niederbayern machen –, die Kommunen müssen über die Kreisumlage wesentlich mehr bezahlen. Die Bezirke haben mehr Geld in der Kasse und trotzdem haben sie dieses Defizit. Dieses Defizit muss seine eigentlichen Ursachen haben. Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele woran es ebenfalls liegt: Wir müssen uns überlegen, ob es in der Vergangenheit richtig war, was immer wieder gemacht worden ist, den Bezirken einfach Aufgaben zuzuweisen, für die sie nicht zuständig sind.

Der Freistaat Bayern hat sich nicht bereit erklärt, zum Beispiel eine Hochschule für Musik in Augsburg und München zu installieren, obwohl es eine Hochschule für Musik als staatliche Aufgabe in Würzburg und in München gibt.

Die SPD-Fraktion hat hierzu wiederholt Anträge gestellt und erklärt, dies sei eine staatliche Aufgabe. In anderen Bundesländern wurden alle Konservatorien von dem jeweiligen Land übernommen, nur in Bayern nicht. Plötzlich hat man sich dazu durchgerungen und den Bezirk mit ins Boot geholt. Der Bezirk muss jetzt Betriebskosten bezahlen, das Personal bezahlen usw. Dies sind aber Aufgaben, die im Grunde genommen vom Bezirk Mittelfranken und vom Bezirk Schwaben übernommen wurden, wo jede Kommune über die Kreisumlage mitbezah

len muss. Für die Aufgabe ist aber eigentlich der Freistaat Bayern zuständig.

Das gleiche Problem besteht im sozialen Bereich. In den letzten Tagen hat man immer wieder gehört, dass die Kosten und die Pflegesätze in Altenheimen und Pflegeheimen unwahrscheinlich steigen. Wenn man den Hintergrund ein bisschen betrachtet muss man sehen, dass sich natürlich der Freistaat Bayern in der Förderung unwahrscheinlich zurückgezogen hat. Der Sozialhilfeanspruch steigt, aber die Bezirke werden in das Boot genommen. Es ist also hier eine hausgemachte Politik, und hierfür ist allein die Bayerische Staatsregierung verantwortlich.

Ich komme noch einmal auf die Umlagesätze. Im Frühjahr dieses Jahres hat das Bayerische Finanzministerium sicherlich im Hinblick auf die Bundestagswahl erklärt, die Umlagesätze gehen um 2,7% zurück. Im letzten Jahr sind sie um 4,3% gestiegen. Sie liegen also immer noch höher und zwar über dem Satz vom letzten Jahr.

Das sind alles Beispiele, die man beliebig erweitern könnte.

Wir meinen, die Situation ist äußerst prekär und schwierig. Wir sind im Grunde genommen als Parlament aufgefordert, wirklich eine solide Grundlage für die Bezirke zu schaffen, sonst ist es für ihre Zukunft nicht gut bestellt. Die Bezirke brauchen ein transparentes Finanzsystem und müssen vor allem von den Aufgaben entbunden werden, für die sie nicht unmittelbar verantwortlich sind, sondern für die der Freistaat Bayern die Verantwortung trägt.

Deshalb bitten wir, bis zum 30. November – also rechtzeitig vor den ganzen Haushaltsberatungen, die zwar schon laufen, aber damit man auch eine Perspektive hat – ein Sanierungskonzept zur Finanzlage der Bezirke in Bayern vorzulegen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Strasser. Als nächste Rednerin hat das Wort die Frau Kollegin Tausendfreund.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die finanzielle Lage der Bezirke ist prekär. Da hilft kein Drumherumreden. Die Erfüllung der Pflichtaufgaben im sozialen Bereich ist nicht mehr sichergestellt.

Mit dem Rückgang der Steuereinnahmen hat sich natürlich die Finanzsituation der Kommunen insgesamt verschlechtert. Das schlägt auf die Bezirke ebenfalls durch.

Die Bezirke haben bereits angekündigt, dass sie die Umlagensätze deutlich erhöhen werden. Das ist allerdings keine Lösung des Problems. Die Bezirke wollen sich damit ihre Finanzen dort holen, wo es nichts mehr zu verteilen gibt.

In der Folge der Erhöhung der Bezirksumlage werden die Landkreise die Kreisumlage erhöhen und es trifft wieder einmal die Städte und Gemeinden, deren Säckel eh schon leer ist.

Mit dem Fingerzeig nach Berlin können sich CSU und Staatsregierung nicht aus der Affäre ziehen; sie sind selbst zu einem großen Teil an der Finanzmisere der Kommunen verantwortlich.

Das Konnexitätsprinzip war für CSU und Staatsregierung bisher ein Fremdwort, auch wenn die Minister Beckstein und Faltlhauser signalisiert haben, bei diesem Thema künftig gesprächsbereit zu sein.

Denn die Liste der Aufgaben und Leistungsverpflichtungen, die der Freistaat in den letzten Jahren ohne ausreichenden Kostenausgleich den Kommunen übertragen hat, ist lang. Aktuell kommen beispielsweise die Kosten für die Mittagsbetreuung, die Ganztagsbetreuung an den Schulen hinzu, die Kosten für die Computerausstattung, der Anteil an den Kosten der Schülerbeförderung.

Die Aufgaben im sozialen Bereich – für Pflege, Hilfe für Behinderte, Psychiatrie, Jugendhilfe – müssen erledigt werden. Das kann nicht einfach ausgesessen werden.

Die Stilblüten, wenn die Betroffenen zwischen Landkreis und Bezirk hin- und hergeschoben werden, weil Streit darüber besteht, wer zahlen muss, die können wir nicht dulden. Das ist ein Verschiebebahnhof par excellence. Da muss erst genau untersucht werden, ob es sich um stationäre oder um ambulante Pflege handelt oder welche Form der Behinderung jeweils genau vorliegt. Hier werden Verwaltungskapazitäten nur für die Prüfung blockiert, wer eigentlich die Kosten übernehmen muss.

Grundsätzlich muss der gesamte kommunale Finanzausgleich überarbeitet werden. Die Reform der Kommunalfinanzen steht auch in Berlin ganz oben auf der Agenda.

Für die jetzige Situation kann eine Lösung nur zielführend sein, wenn sie von allen Beteiligten gemeinsam erarbeitet wird. Deshalb unser Antrag, mit dem wir die Staatsregierung auffordern, gemeinsam mit den Spitzenverbänden Gemeindetag, Städtetag, Landkreistag, Verband der bayerischen Bezirke das Problem anzugehen.

Ein übergestülptes Sanierungskonzept für die Bezirke, losgelöst und nur auf die Bezirke bezogen, wie von der SPD beantragt, ist hier zu kurz gesprungen.

Für die Zukunft wird es jedenfalls nicht mit einer einmaligen Geldspritze in den kommunalen Finanzausgleich für die Bezirke getan sein. Wir müssen uns grundsätzlich an die Aufgabenüberprüfung bei den Bezirken heranmachen: Wie können die Leistungen effektiver gestaltet werden, bei wem sind sie sinnvollerweise anzusiedeln, auf welche Aufgaben kann auch verzichtet werden?

Hier rächt es sich, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CSU, dass Sie sämtliche Ansätze einer Reform der Bezirke im Keim erstickt haben.

Eine Debatte über die Neustrukturierung der kommunalen Ebenen, bei der auch auf die Bezirke hätte verzichtet werden können, kam für Sie sowieso nicht in Betracht. Spätestens nach der Order des Ministerpräsidenten, dass alles beim Alten bleiben soll, war die Debatte endgültig beendet.

Nicht einmal die zarten Reformansätze ihrer Projektgruppe „Zukunft der Bezirke“, zumindest die Aufgabenund die Finanzverantwortung zusammenzulegen, kamen zum Zuge.

Alles aussitzen, das zeugt nicht von großer Regierungsfähigkeit. Deshalb handeln Sie jetzt und stimmen Sie unserem Antrag zu!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Letzte Wortmeldung, Herr Kollege Meyer.

Verehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! In den Regierungsverlautbarungen und -vereinbarungen in Berlin heißt es immer wieder vollmundig: Wir wollen die Finanzkraft der Kommunen stärken.

Die Realität der rot-grünen Steuerreform und auch das Abwälzen von Bundesgesetzen, verehrter Herr Kollege Strasser, auf die Kommunen hat für unsere Kommunen in Bayern existenzbedrohende Ausmaße angenommen.

Gerade die Gewerbesteuereinnahmen brechen auf breiter Front weg. Die Grundsicherung der Rente bringt weitere finanzielle Belastungen für unsere Kommunen mit sich.

Wie ich heute auch der Presse entnommen habe, hat der bayerische Landkreistag berechnet, dass allein davon etwa 300 Millionen Euro die Landkreise in Bayern träfen. Der Bund überweist aber nur 35 Millionen Euro.

Gemeinden, Landkreise und Bezirke sind eine große kommunale Einheit und die Politik der Bundesregierung trifft diese kommunale Einheit und damit auch unsere Bezirke mit voller Wucht.

Die Bezirke leiden erstens unter den ständig steigenden Kosten für die Sozialhilfe und zweitens auch unter dem Rückgang der Umlagekraft. Der Rückgang der Umlagekraft resultiert aus dem Rückgang der Steuereinnahmen der Kommunen. Die Gründe liegen insbesondere in der Wirtschafts- und Steuerpolitik der Bundesregierung.

Ihr Bundeskanzler verkennt die schwierige Situation der Kommunen. Noch auf der Hauptversammlung des Städtetages im Mai des letzten Jahres sagte er, er sei bei reichen Verwandten zu Gast.

Dies zeigt einmal mehr, dass er sich mit den Problemen der Kommunen nicht beschäftigt bzw. auch nicht beschäftigen will.

Auch die Reform der Gemeindefinanzen wurde 1998 von der Bundesregierung angekündigt. Mehrere Jahre Funkstille! Nichts wurde unternommen. Erst in diesem Jahr gab es die ersten Besprechungen.

(Zuruf von der SPD)

Herr Kollege, der Einbruch bei den Gewerbesteuereinnahmen ist bundesweit enorm.