Protocol of the Session on October 24, 2002

Die nächste Stufe der Steuerreform soll die Familien weiter entlasten und die steuerliche Abzugsfähigkeit von Betreuungskosten ausbauen. Es gilt, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die gerade in Bayern in den letzten Jahren dramatisch angestiegene Armut bei Jugendlichen und Familien zu vermindern. Herr Kollege Unterländer, genau das haben wir in einer der letzten Sitzungen miteinander besprochen. Wir haben feststellen müssen, dass der Anstieg auf diesem Gebiet gerade in Bayern eklatant gewesen ist. Das heißt, hier besteht akuter Handlungsbedarf. Deshalb kann ich Ihnen nur sagen, statt an dem herumzumäkeln, was im Augenblick an Vorschlägen, Ausarbeitungen und Plänen des Bundes auf dem Tisch liegt, sollten Sie lieber Ihre Hausaufgaben hier in Bayern machen.

Die Mängelliste ist lang, wobei ich nur einige Mängel nennen will. Die Schaffung von Betreuungseinrichtungen mit Ausnahme der Kindergärten – weil hier insbesondere die Kommunen zuständig sind – haben Sie schlicht verschlafen. Das heißt, Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Sie haben das auch deswegen nicht getan, weil Sie bei Krippen eine fundamentale Einstellung vertreten haben. Das Gleiche gilt für die Ganztagsschulen. Wenn wir sagen, dieses Angebot ist notwendig, sind Sie vor allem deswegen dagegen, weil Sie offensichtlich fundamentale Bedenken und schlechte Erinnerungen haben, auch wenn ich nicht weiß, welche. Auf jeden Fall erweisen Sie den Familien und den jungen Menschen in diesem Lande einen Bärendienst, wenn Sie in dieser Verweigerungshaltung verharren.

(Beifall bei der SPD)

Das Angebot der Ganztagsschulen fehlt. Das habe ich gemeint. Die Mittagsbetreuung, die von Ihnen im Munde geführt wurde, wurde weitestgehend auf Kosten der Kommunen und der Eltern durchgeführt. Sehr geehrter Herr Unterländer, Herr Goppel, wenn Sie von 313 Millionen e für die Zukunft sprechen, dann kann ich Sie nur fragen: Was ist das für eine Politik wenn gleichzeitig Mitte dieses Jahres das Netzwerk „Mütterzentrum“ kaputt gemacht wird, weil man nicht einmal 50000 e übrig hat?

(Beifall bei der SPD)

Die Leute müssen sich doch darauf verlassen können. Sie können doch nicht einfach sagen, in Zukunft werden es 313 Millionen e sein. Hier geht es darum, dass das getan wird, was im Augenblick wichtig ist.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Unterländer?

Jetzt machen wir erst einmal weiter. Nachher können wir miteinander sprechen.

Zu den Horten und Nachmittagseinrichtungen kann ich nur den CSU-Kollegen Deimer vom Bayerischen Städtetag zitieren, der erst in der letzten Woche ausdrücklich bedauert hat, dass der Freistaat Bayern nicht bereit ist, sich seiner bildungspolitischen Verantwortung zu stellen. Hier heißt es: „Während die Kommunen zusammen mit den freien Trägern in den nächsten fünf Jahren 27000 zusätzliche Betreuungsplätze für Schülerinnen und Schüler in Horten und Nachmittagseinrichtungen schaffen, will der Freistaat selbst lediglich 30 Ganztagsschulen einrichten. Darüber hinaus weigert er sich, erzieherisches Personal wie Sozialpädagogen an den Schulen einzustellen. Deimer dazu: ‚Es ist ein Irrweg, die Kommunen als Ausfalllbürgen in der Bildungspolitik des Freistaates in Anspruch zu nehmen.‚ “

Das ist die Situation, die wir hier in Bayern haben und mit der wir uns auseinander setzen müssen, wobei Sie etwas ändern müssen und könnten, wenn Sie es denn wollten. Dazu gehört auch das Landeserziehungsgeldgesetz. Es ist überfällig, dass in dieses Gesetz alle Familien einbezogen werden, wie es beim Bundeserziehungsgeld der Fall ist. Da ist immer noch nichts passiert.

(Beifall bei der SPD)

Inzwischen sind wir so weit, dass von denen, die im ersten Lebensjahr ihres Kindes Bundeserziehungsgeld in Anspruch nehmen, nur noch knapp ein Drittel in den Genuss des Landeserziehungsgeldes in Bayern kommt. Ich meine, Sie sollten sich überlegen, was dringend notwendig ist. Offensichtlich sind Sie auch nur dann in der Lage, etwas gegen die Ausgrenzung der Familien zu tun, wenn Sie durch ein Gerichtsurteil dazu angehalten werden. Das ist in der Zwischenzeit geschehen. Ich kann Sie nur auffordern: Tun Sie etwas. Es ist dringlich. Der Anstieg der Armut bei Jugendlichen und Familien mit Kindern in Bayern ist enorm.

In der Familienpolitik brauchen wir das Zusammenwirken aller gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Kräfte und der Politik auf allen Ebenen. Hier Obstruktionspolitik zu betreiben, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, das ist familienfeindlich. Die rot-grüne Koalitionsvereinbarung zeigt, dass man die Interessen der jungen Menschen und Familien zum Schwerpunkt dieser Legislaturperiode gemacht hat. Wie vor der Wahl versprochen, gilt dies auch für eine nachhaltige und gerechte Wohnungspolitik, insbesondere für das Bekenntnis der Regierung, Wohnen zur Miete und im Eigentum als gleichberechtigte Wohnformen anzuerkennen. Gleiches gilt für die beabsichtigte Stärkung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus, die klare Prioritätensetzung bei einer integrierten Stadtentwicklung mit dem Ziel, das Wohnen in der Stadt attraktiver und sicherer zu gestalten. Was die Wohnungsbauförderung betrifft, ist die SPD der Ansicht, dass der Wohnungsbau auch in Zukunft staatliche Anreize braucht. Dafür werden wir uns in konstruktiver Weise in Berlin einsetzen.

An Sie richte ich als Familienpolitiker den Appell: Kommen sie aus Ihrem Schmollwinkel und Ihrer Verweigerungsecke nach der verlorenen Bundestagswahl heraus. Machen Sie, statt Obstruktion und Fundamentalverweigerung zu betreiben – was insbesondere für die Ganztagsschulen gilt –, endlich mit, wenn es darum geht, die Lebens-, Bildungs- und Wirtschaftsbedingungen für Jugendliche und Familien in Bayern und in Deutschland nachhaltig zu verbessern.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Frau Kollegin Schopper.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CSU-Fraktion hat heute im Rahmen ihrer Dringlichkeitsanträge zum zweiten Teil des parlamentarischen Wundenleckens nach der letzten Plenarsitzung ausgeholt. Wir erleben eine weitere gemeinsame Mitleidsveranstaltung. Dieses Mal ist es die Familienpolitik, die als Deckmäntelchen herhalten muss, um die Backen zu blähen. Sich gegenseitig bemitleidend, malen Sie ein Schauerbild der rot-grünen Familienpolitik. Wenn man Ihren Antrag durchliest, könnte man meinen, dass die rot-grüne Bundesregierung in Berlin plane, familienentziehende, zwangsweise verordnete Fremdbetreuung bei gleichzeitiger Streichung von Lohn und Gehalt durchzuführen.

(Zurufe von der CSU)

So war es recht, oder? Ich kann das viel schöner sagen als der Generalsekretär; dem wäre das gar nicht eingefallen;

(Zurufe von der CSU)

nein, es heißt „machen glauben“. Sie können es nachlesen. Sie müssen schon ein wenig Sorgfalt walten lassen.

Wenn man Ihre Pläne zur Familienpolitik Revue passieren lässt, dann wird doch klar, dass Sie genau für Ihre Familienpolitik eine Abfuhr erteilt bekommen haben, denn die Strahlkraft der Familienpolitik der Union hat in etwa so eine Potenz, wie wenn ich eine Lichtorgel verspreche, dann aber nur eine Kerze anzünde.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Vor allem junge Frauen, die Beruf und Familie vereinbaren wollen, die sich überlegen, Kinder haben zu wollen, für die ganz konkret die Entscheidung ansteht oder diese bereits getroffen haben, finden sich in der Familienpolitik der Union kaum wieder. Wenn man sich auf Ihre Positionen vor der Bundestagswahl bezieht, sieht man: Die Familienpolitik bei Ihnen hat nur ein bisschen Reiche, aber ganz viel Meisner.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Weder die Frauen noch die Männer glauben Ihnen, dass Sie eine Familienpolitik, die einen moderneren Anstrich hat, wollen. Die Familien wissen sehr genau, dass in finanziell knappen Zeiten Schwerpunkte gesetzt werden. Ich muss Sie daran erinnern, was Sie in Ihrer Regierungszeit für die Familien nicht getan haben. Sie haben schöne Worte gefunden, aber nichts gemacht. Sie haben gegackert, aber keine Eier gelegt. Rot-Grün hat in den letzten vier Jahren die wirtschaftliche Situation der Familien deutlich verbessert und die finanziellen Leistungen massiv angehoben. Allein die Mittel von über 13 Milliarden Euro, die auch pro Jahr erhöht wurden, sprechen eine deutliche Sprache. Wir haben es gehört: Erhöhung des Kindergeldes, Abzugsmöglichkeiten für Betreuungskosten, Flexibilisierung der Elternzeit. Ich muss nicht wiederholen, was der Kollege Schultz bereits gesagt hat. In dieser Legislaturperiode hat die rot-grüne Bundesregierung den Schwerpunkt auf das Ziel, Infrastruktur zu schaffen, gelegt, das heißt, für Familien, Frauen und Männer verlässliche Angebote zur Kinderbetreuung zu gewährleisten, damit eben nicht mit dem Feststellen der Schwangerschaft die Suche nach einer Betreuungsmöglichkeit und die Anmeldeprozedur um einen Krippenplatz beginnt. Ein bedarfsgerechtes und verlässliches Betreuungsangebot für Kinder zu schaffen – auch für Kinder bis 16 Jahre; die Ganztagsbetreuung für den schulischen Bereich ist da angesprochen –, ist in den nächsten Jahren oberstes Ziel der Familienpolitik. Ich sage Ihnen ganz deutlich, Herr Kollege Unterländer: Den Staat geht es nichts an, welche Entscheidungen die Familien und die Frauen treffen. Da gebe ich Ihnen Recht. Es will aber auch keine rot-grüne Bundesregierung den Familien vorschreiben, wie sie das wollen, dass ihre Kinder in den Jahren, bis diese in eine gewisse Selbstständigkeit entlassen werden, betreut werden.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Goppel (CSU)

Nein, die hatten doch bisher überhaupt keine Wahl, weil in der Krippenbetreuung – –

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Goppel (CSU))

Hören Sie doch auf. Bei der Krippenbetreuung, die Sie angeboten haben, müssen Sie lange fahren, bis Sie eine Krippe finden. Ich kann erst eine Wahl und Verlässlichkeit für mich reklamieren, wenn ich die Möglichkeit habe, ein Kind so unterzubringen, dass ich das Gefühl habe, das Kind wird qualitativ gut betreut, während ich arbeiten kann. Das ist doch genau der Weg aus der Armutsfalle, den Sie hier so kläglich beschreiben, nämlich, dass die Alleinerziehenden, die eben keinen Betreuungsplatz haben, eine Möglichkeit bekommen, weiterhin einer Arbeit nachzugehen und nicht in die Sozialhilfe abzurutschen, indem ihnen mit einer verlässlichen Betreuungsstruktur zur Seite gestanden wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abgeordneten Dr. Goppel (CSU))

Ach, Sie verordnen das? Das würde Ihnen so gefallen, wenn es drinstehen würde. Da müssen Sie aber erst einmal wegkommen von Ihrer Schablone.

(Dr. Goppel (CSU): Sie müssen nachdenken und dann reden!)

Sie brauchen sich gar nicht so aufzuregen.

(Dr. Goppel (CSU): Ich rege mich nicht auf!)

Vielleicht haben Sie einen Adrenalinausstoss. Das weiß ich nicht. Ich möchte Ihnen einfach nur sagen: Auch in Bayern sind Sie doch auf die Spur eingebogen, Investitionen in den Betreuungsbereich zu stecken. Auch dort ist der Einstieg in die Krippenfinanzierung mittlerweile nicht mehr das große Tabuthema, auch wenn wir bei der Bedarfszahl von anderen Voraussetzungen ausgehen. Aber Ihr Dilemma ist doch, dass wir wissen, wohin die Reise einer modernen Familienpolitik geht, während Sie sich vor der Schelte fürchten.

(Dr. Goppel (CSU): Wowereit und Co. kriegen keine Kinder! Das ist die Wirklichkeit!)

Ich bitte, die Beiträge aus dem Plenum auf wirkliche Zwischenrufe zu beschränken.

Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie das Gefühl haben, jetzt einschreiten zu müssen.

Ich will es Ihnen trotzdem noch einmal sagen: Sie wissen, wohin der Zug fährt, wissen und fürchten aber gleichzeitig, dass Ihnen, wenn Sie in den Zug einsteigen, um verlässliche Strukturen zu schaffen, traditionelle Wähler und nahestehende Gruppen die Gefolgschaft am Bahnsteig verweigern und in der Gegenrichtung mitfahren. Wenn ich mir – um in dem Bild zu bleiben – so manches Gesicht hier anschaue, habe ich nicht das Gefühl, dass die Fahrplanänderung innerhalb der CSU schon ganz verstanden wurde.

(Hofmann (CSU): Wie soll ich das verstehen?)

Krippenbetreuung bedingt nicht per se eine Rabenmutter. Genau das schwingt bei Ihnen mit.

(Hofmann (CSU): Vorbildlich!)

Herr Hofmann, ich kenne Ihre persönliche Situation nicht.

(Hofmann (CSU): Gott sei Dank!)

Das ist auch nicht mein Bereich. Da muss ich mich nicht drum kümmern.

Wir haben in zwei Schritten gehandelt: Es muss eine materielle Ausstattung gegeben und eine Betreuungssituation gewährleistet sein. Eben diese Betreuungssituation ist bei der Bundestagsfraktion und bei der Bundesregierung das zentrale Thema, was umgesetzt werden soll. Wir müssen – Sie brauchen doch nicht so zu tun, als hätten wir überall noch die Spendierhosen an – ganz klar Prioritäten setzen. Wir wissen, dass wir die Gelder, die wir auf der Bundesebene haben, nur einmal ausgeben können, dass der Euro sich nicht einfach durch schönes Anschauen und Lächeln verdoppelt. Vor diesem Hintergrund fordere ich Sie auf, sich konstruktiv an dem Kindergipfel zu beteiligen und sich im Interesse der bayerischen Kinder auf der Bundesebene dafür einzusetzen, zu verteilende Gelder abzufordern und für die Ganztagsbetreuung einzusetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen ganz ehrlich sagen, ich hätte mir im materiellen Bereich noch mehr gewünscht. Freuen Sie sich aber nicht so sehr. Wir hätten gern noch eine Kindergrundsicherung eingeführt, um den ärmeren Familien und den ärmeren Kindern eine Aufbesserung des Kindergeldes zu ermöglichen. Zum Ehegattensplitting: Auch wenn Ihnen das weh tut, denke ich, es ist nichts Verkehrtes daran, das Ehegattensplitting in der Höhe zu kappen, um zielgenau ärmere Familien zu unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Münzel hat gefragt: Warum soll ich als kinderlose Frau vom Ehegattensplitting profitieren? Ich denke, Sie sollten sich fragen, ob es wirklich sinnvoll ist, statt dem Leben mit Kindern das Institut Ehe zu fördern.