Protocol of the Session on July 11, 2002

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Weiter habe ich nach den Gründen gefragt, weshalb die Grenze für diesen Eingriff bei 21 Jahren belassen werden sollte. Der Vertreter der Landesschülervertretung war auch im Ausschuss und hat aus Sicht der Betroffenen vehement gegen diesen Gesetzentwurf protestiert. Er sagte, er habe sein Abitur mit einundzwanzigeinhalb Jahren gemacht. Hier endete also der Erziehungsauftrag ein halbes Jahr vor dem Abitur. Das sind doch ganz seltsame Vorstellungen.

Bei solchen Eingriffen muss natürlich auch immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden. Man muss nur einmal den Katalog der Maßnahmen betrachten, bei denen eine Mitteilung erfolgt. Die Mitteilung erfolgt nicht nur dann, wenn der betroffene Schüler der Schule verwiesen wird, sondern schon bei der drittniedrigsten Stufe, bei der Versetzung in eine Parallelklasse an der gleichen Schule. Weiter erfolgt eine Mitteilung beim Ausschluss von einem Fach für die Dauer von bis zu vier Wochen und beim Ausschluss vom Unterricht für die Dauer von drei bis sechs Tagen. Alle diese Maßnahmen sollen den früheren Erziehungsberechtigten mitgeteilt werden, und das vielleicht auch noch bei einem Schüler, der schon selbst verheiratet ist und eigene Kinder hat. Das ist doch absurd.

(Welnhofer (CSU): Das kommt auch sehr häufig vor!)

Sie können sich auch nicht darauf berufen, dass diese Bestimmung eine Sollvorschrift und keine Mussvorschrift ist. Wir alle wissen, dass für die Juristen das Soll ein Muss ist, es sei denn, es liegt ein ganz besonderer Ausnahmefall vor. Sehen Sie sich doch einmal die Praxis an. Welcher Lehrer wird sich trauen von einer Mitteilung abzusehen? Er hat doch Angst davor, dass im Falle,

dass etwas passieren sollte, die Leute auf ihn zeigen und sagen, wenn er die Maßnahme mitgeteilt hätte, hätte der Vorfall vermieden werden können.

Aus diesem Grund ist diese Vorschrift nicht nur verunglückt, sondern schlicht verfassungswidrig. Nachdem es in Bayern sehr weitreichende Möglichkeiten gibt, vor den Verfassungsgerichtshof zu gehen, nehme ich an, dass irgend jemand Popularklage erheben wird. Er bräuchte es also gar nicht zu provozieren, für vier Tage aus dem Unterricht ausgeschlossen zu werden, um dann von allen Rechtsmitteln Gebrauch machen zu können. Nein, hier kann jeder die Frage der Verfassungswidrigkeit vor dem Verfassungsgerichtshof klären lassen.

(Welnhofer (CSU): Schauen wir halt einmal!)

Ich wäre dankbar, wenn man diese Maßnahme den bayerischen Schülerinnen und Schülern, vor allem denjenigen, die nicht gerade in idealen Familienverhältnissen leben, ersparen würde. Es wäre ein Zeichen von Klugheit, wenn man auf diese Vorschrift verzichten würde. Andernfalls aber ist es ein Zeichen von Verbohrtheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Welnhofer (CSU): Heftigster Beifall!)

Um das Wort hat Herr Kollege Klinger gebeten.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die gesetzliche Regelung zur Unterrichtung von Eltern volljähriger Schüler nach Artikel 86 des Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes ist nach unserer Meinung längst überfällig – nicht erst seit Erfuhrt, sondern schon sehr viel länger, weil sowohl vonseiten der Schulen als auch vonseiten der Eltern immer wieder der Wunsch nach einer solchen Regelung an uns herangetragen wurde. Im Artikel 86 des Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes sind die Ordnungsmaßnahmen festgelegt. Sie reichen vom einfachen Verweis bis zur Verweisung von einer Schule oder von allen Schulen Bayerns. Bisher ist es nicht möglich gewesen, die Eltern zu informieren, wenn erwachsene Schülerinnen oder Schüler in der Schule durch gravierendes Fehlverhalten auffällig wurden. Der neue Artikel 88 a führt nun die Unterrichtungspflicht gegenüber Eltern volljähriger Schüler bis zur Grenze des 21. Lebensjahres ein.

Herr Kollege Hahnzog, Sie haben Recht, dass es sich bei dieser Maßnahme um einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung handelt. Ein solcher Eingriff ist nur im überwiegend öffentlichen Interesse gerechtfertigt. Das heißt also, dass die mit dieser Maßnahme verbundene Grundrechtseinschränkung nicht weiter gehen darf, als es zum Schutze öffentlicher Interessen unerlässlich ist. Wir sind der Meinung, dass die Voraussetzungen dafür gegeben sind, und wir sind davon überzeugt, dass die Unterrichtung der Eltern volljähriger Schüler über Ordnungsmaßnahmen im öffentlichen Interesse gerechtfertigt ist.

Meine Damen und Herren, die Schule hat einen Erziehungs- und einen Bildungsauftrag; auch das haben Sie gesagt, Herr Kollege Hahnzog. Spätestens seit der PisaStudie wissen wir, dass die Schule diesen Auftrag optimal und maximal erfüllen muss.

(Dr. Hahnzog (SPD): Aber immer im Rahmen der Wertediskussion!)

Deshalb ist die Einbeziehung der Eltern in den schulischen Erziehungs- und Bildungsauftrag nach unserer Meinung auch gegenüber volljährigen Schülerinnen und Schülern unbedingt notwendig.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CSU)

Meine Damen und Herren, Sie führen immer wieder Schüler an, bei denen die Kommunikation mit den Eltern gestört ist, oder Schüler, die sich irgendwo im pathologischen Bereich bewegen.

Die Eltern können zur besseren Erfüllung, zur Förderung und zur Verstärkung des Erziehungsauftrages und des Bildungsauftrages der Schule beitragen. Darum ist es wichtig, die Eltern auch nach der Volljährigkeit der Schüler über deren Verhalten und Leistungen zu informieren.

(Dr. Hahnzog (SPD): Warum 21 Jahre? – Frau Radermacher (SPD): Warum nicht 22 Jahre?)

Eltern können zur Förderung des schulischen Erziehungsauftrags beitragen. Es gibt viele Möglichkeiten, dies im Rahmen der innerfamiliären Kommunikation zu tun. Sie wissen genau, dass auch erwachsenen Schülern an normalen Beziehungen im Elternhaus gelegen ist.

(Frau Radermacher (SPD): Dafür brauchen wir das Gesetz nicht!)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Vogel?

Nein. Die Eltern können einen Beitrag zum Erziehungsauftrag der Schule leisten. Die Voraussetzung dafür ist, dass sie Bescheid wissen und darüber informiert sind, was der junge Erwachsene in der Schule macht. Deshalb halten wir es für kontraproduktiv und lebensfremd, dem Schüler das Recht einzuräumen, der Unterrichtung der Eltern zu widersprechen. Dies steht meines Erachtens der notwendigen Erfüllung des Erziehungsauftrags entgegen.

Der erwachsene Schüler ist sicherlich lebenstüchtig und nicht lebensfremd. Er weiß, dass durch Informationen auch sein gutes Verhältnis zu den Eltern und die innerfamiliäre Kommunikation gestört werden könnte.

(Frau Radermacher (SPD): Dann kann er gar kein gutes Verhältnis haben!)

Der junge Mann wird nach der Devise handeln: Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.

Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus dem Schulleben geben: Ein erwachsener Schüler setzt sich mit einer Lehrerin wegen einer Note auseinander. Die Lehrerin bleibt standhaft und ändert die Note nicht. Der Schüler betitelt daraufhin die Lehrerin als „alte Schlampe“. Damit verstößt der Schüler gegen alles, was einen zivilisierten Mitteleuropäer ausmacht. Er verstößt gegen die Würde des Menschen, gegen den Respekt vor dem anderen und vor allem der Frau, und er verstößt gegen die Gesetze der Höflichkeit. Die Eltern müssen doch informiert werden können, wenn sie den schulischen Erziehungsauftrag unterstützen wollen.

(Frau Radermacher (SPD): Und was passiert dann?)

Ich für meinen Teil will wissen, wenn mein Sohn seine Lehrerin als „alte Schlampe“ bezeichnet. In diesem Fall die Zustimmung des Delinquenten zu der Information des Elternhauses zu fordern, halte ich für absurd. Der Schüler weiß doch, dass der Haussegen schief hängt, wenn das Elternhaus informiert wird. Deshalb ist die Information im öffentlichen Interesse.

Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass die Unterrichtung der Eltern vor allem auch zur Unterstützung des Erziehungsauftrags der Schule notwendig ist. Deshalb haben wir den Artikel 88 a eingeführt, gemäß dem Erziehungsberechtigte volljähriger Schüler, welche das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, über Ordnungsmaßnahmen nach Artikel 86 Absatz 2 Nummern 3 – 10 unterrichtet werden sollen. Wir halten diese Position für richtig. Ich bin der Meinung, dass wir damit dazu beitragen, die Erziehung unserer erwachsenen Schüler verbessern zu können und erreichen, dass die Schule dem Erziehungsauftrag besser nachkommen kann.

(Beifall bei der CSU – Frau Münzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Erziehung der erwachsenen Schüler! – Frau Radermacher (SPD): Das ist an den Haaren herbeigezogen. Herr Klinger war schon lange nicht mehr in der Schule!)

Herr Kollege Vogel hat um das Wort gebeten.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Klinger hat mich dazu gereizt, mich zu Wort zu melden. Ich war 20 Jahre lang Oberstufenbetreuer an einem Gymnasium. Herr Klinger, wenn sich ein Schüler so verhält, wie Sie es soeben dargestellt haben, dann brauche ich mit dem Elternhaus nicht mehr zu reden.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann hat es schon vorher im Elternhaus nicht geklappt. Wenn ein solcher Schüler sein Fehlverhalten nicht einsieht, dann braucht man auch nicht mit den Eltern zu reden.

Ihre Beispiele machen deutlich, auf welch tönernen pädagogischen Füßen Ihre Argumentation steht.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Rede hat auch deutlich gemacht – das möchte ich mit allem Nachdruck betonen –, was die CSU in Bezug auf innere Schulreformen in den letzten 10 bis 20 Jahren versäumt hat. Sie haben nichts gemacht. Es fehlt der pädagogische Freiraum, um sich der geschilderten Probleme anzunehmen, und jetzt glauben Sie, durch diese äußerst fragwürdige, datenschutzrechtlich und verfassungsrechtlich problematische Lösung das kompensieren zu können, was Sie im pädagogischen Bereich zu tun versäumt haben. Darin besteht in meinen Augen das Problematische und Schäbige.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben kein einziges gutes Argument für Ihre Maßnahmen, sondern nehmen in populistischer Weise das äußerst traurige Ereignis von Erfurt zum Anlass, um pädagogische Rundumschläge durchzuführen. Sie sind im Übrigen auf die Frage von Herrn Kollegen Dr. Hahnzog, warum man das Alter ausgerechnet auf 21 Jahre festlegt, mit keinem Wort eingegangen. Was machen Sie denn mit einem Schüler, der 22 Jahre alt ist?

(Beifall bei der SPD)

Warum darf ich dann die Eltern nicht informieren? Dann lassen Sie uns die Altersgrenze doch gleich bis zum 50. Lebensjahr ausdehnen. Es wäre sinnvoll, die Eltern manches Kollegen hier im Parlament über sein Verhalten zu informieren.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD und beim BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum kann der Arbeitgeber nicht informieren? Warum kann an der Universität nicht der Professor oder der Institutsleiter informieren? – Es gibt dafür gute Gründe. Die jungen Menschen sind mit 18 volljährig. Setzen wir uns mit unserem pädagogischen Rüstzeug mit diesen jungen Menschen auseinander. Damit sind wir gut bedient, und deshalb bedürfen wir nicht Ihrer merkwürdigen rechtlichen Vorschläge.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Aussprache ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Abstimmung liegen der Initiativgesetzentwurf auf Drucksache 14/9582, der Änderungsantrag auf Drucksache 14/9679 und die Beschlussempfehlung mit Bericht des federführenden Ausschusses für Bildung, Jugend und Sport auf Drucksache 14/9934 zugrunde.

Zunächst stelle ich den vom federführenden Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport zur Ablehnung vorgeschlagenen Änderungsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 14/9679 zur Abstimmung. Wer entgegen dem Votum des Ausschus

ses dem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gibt es Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Keine. Der Änderungsantrag ist abgelehnt.

Zum Gesetzentwurf empfiehlt der federführende Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport Zustimmung mit der Maßgabe verschiedener Änderungen. Dieser Beschlussempfehlung stimmt auch der Ausschuss für Staatshaushalt und Finanzfragen zu, allerdings mit der Maßgabe von weiteren Änderungen. Der Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen übernimmt bei seiner Endberatung die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses mit der Maßgabe einer zusätzlichen Änderung. Ich verweise insofern auf die Drucksache 14/9934. Wer dem Gesetzentwurf in der Fassung des endberatenden Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CSU. Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Das ist die Fraktion der SPD. Dann ist der Gesetzentwurf so beschlossen.