Um auf den Gesetzentwurf der CSU-Fraktion zu sprechen zu kommen, war der ganze eilige Aufwand eigentlich die Sache nicht wert, denn im Grunde genommen wurde wenig Bahnbrechendes beschlossen, im Gegenteil: Es kristallisierte sich die grundsätzliche Missachtung gegenüber notwendigen Partnern heraus, die für konstruktive Mitarbeit und Neuerungen unerlässlich sind. Ich nenne hierfür stellvertretend drei Bereiche: das Schulforum, die Verlagerung der Zuständigkeit für den Bereich der Förderschulen und die volljährigen Schüler.
Ich beginne mit dem Schulforum: Die im Vorblatt des Gesetzentwurfs gewählte Formulierung: „Das Schulforum soll mehr Entscheidungskompetenzen erhalten“ ließ den Leser noch hoffen. Bei genauerer Betrachtung hingegen sind diese Erwartungen sehr schnell im Winde verflogen. Denn gerade die für die Schülerinnen und Schüler entscheidenden Kompetenzen, beispielsweise „Neuerungen innerhalb der Lehrpläne mitzugestalten“, werden lediglich mit einer äußerst vagen Kann-Formulierung umgesetzt. Der konkrete Änderungsvorschlag der SPD, diese Formulierung bindender zu fassen, wurde von Ihnen, Kolleginnen und Kollegen der CSU – wie nicht anders erwartet – abgelehnt. Dass die CSU inzwischen die Entwicklung eines eigenen Schulprofils propagiert, das habe ich bereits bei der Ersten Lesung positiv vermerkt.
Weiter gehende Vorschläge aus dem Änderungsantrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, die von uns inhaltlich mitgetragen werden und die eine wirklich umfassende Stärkung des Schulforums zum Ziel haben, wurden ebenfalls in Bausch und Bogen abgelehnt. Dies zeigt deutlich, dass in der Kultusbürokratie von Partizipation zwar geredet, aber noch viel zu wenig danach gehandelt wird. Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ich frage Sie: Was ist eigentlich mit Ihrem Motto „Zeit für Taten“? Wo bleiben denn die Taten?
Außerdem ist es nach unserer Auffassung völlig unverständlich, warum bislang kein Schulforum in der Grundschule eingerichtet wurde.
Es dürfte doch unstrittig sein, dass die Einbindung und die Mitsprache von Kindern in angemessener Form maßgeblich dazu beitragen, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und damit ihre Persönlichkeitsentwicklung positiv zu beeinflussen und zu fördern. Für eine derartige Entwicklung unserer Kinder scheinen Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, nach wie vor nicht zu interessieren. Von unserer Seite werden deshalb für diesen Bereich weitere Aktivitäten angeboten.
Das im Kultusministerium kaum vorhandene Gespür für Subsidiarität lässt sich an dem nächsten von mir genannten Beispiel, der Verlagerung der Zuständigkeit für Förderschulen vom Schulamt auf die Regierungsebene, recht deutlich aufzeigen. Auch hier wird weg von den Betroffenen weiter zentralisiert, anstatt bewusst die organisatorische Nähe aufrechtzuerhalten. Es ist schon eigenartig, dass der Anspruch auf Subsidiarität dem Bund gegenüber immer zu gelten hat, während er im eigenen Land nur geringe Bedeutung zu haben scheint. Diese Verlagerung wird von Fachleuten vehement kritisiert und ist auch wenig sachgerecht. Zusammenfassend wäre dazu zu sagen: Sie ist schlichtweg unnötig.
Umso verwunderlicher ist es, festzustellen, dass wir heute eine Gesetzesänderung beraten, die zum Beispiel in Schwaben seit einiger Zeit bereits vollzogen ist.
Ich führe einen dritten Aspekt an, bei dem es sich in meinen Augen um einen Schnellschuss handelt und der den Umgang mit jungen Menschen deutlich macht. Angesichts der schrecklichen Ereignisse von Erfurt hält man die unzureichende Informationspflicht den Eltern volljähriger Schülerinnen und Schüler gegenüber für das schulorganisatorische Grundübel, als hätte eine frühzeitige Information der Eltern in diesem Falle irgendetwas bewirkt? Selbst wenn man auf diese Prämisse eingehen wollte, bleibt doch fraglich, ob aufgrund dieses ohnehin unvergleichlichen Einzelfalls, dem eine Kette von Niederlagen zugrunde liegt, alle volljährigen Schülerinnen und Schüler in Unmündigkeit zurückversetzt werden sollen. Machen wir uns doch bitte nichts vor: Es ist nicht geklärt, ob in einer vergleichbaren Situation die Eltern auch bei Kenntnis der schulischen Situation einen ausreichenden Einfluss auf den jungen Mann hätten ausüben können, um eine solche Gewalttat zu verhindern. Gewalt – um den Erziehungswissenschaftler Peter Struck zu zitieren – lässt sich nur durch Erziehung verhindern, nicht durch äußere Maßnahmen. Daher halte ich die Neuerung einfach für zu kurz gedacht.
Unabhängig davon werden damit die Persönlichkeit und die Eigenverantwortlichkeit des volljährigen Schülers oder der volljährigen Schülerin nicht in ausreichendem Maße ernst genommen, wovor ich grundsätzlich warnen möchte. Erfolgreichere Bilanzen erreiche ich nicht mit einer Rückübertragung der Verantwortung auf die Eltern, sondern allein durch die Übertragung der Verantwortung auf die jeweils Betroffenen. Dass die geänderte Ferienregelung zumindest bei den Schülerinnen und Schülern auf einhellige Freude trifft, ist bei der derzeitigen Gestaltung der bayerischen Schulen eigentlich kein Wunder. Vor kurzem erst hat ein Münchner Abiturient, offensichtlich humanistisch gebildet, in seiner Abiturrede die neun Jahre an einem bayerischen Gymnasium mit den neun Kreisen der Hölle in Dantes „Göttlicher Komödie“ verglichen. Daraus schließe ich: Von einer Schule als Lebensraum sind wir in Bayern wahrhaft noch meilenweit entfernt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, wenn wir nicht jetzt ein grundsätzliches Umdenken in Richtung Eigenverantwortung der Schulen leisten, werden wir kaum eine Schule für das 21. Jahrhundert entwickeln können. Aufgrund der soeben aufgezählten Ungereimtheiten und Zögerlichkeiten im Gesetzentwurf der CSU werden wir uns insgesamt der Stimme enthalten.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Der uns vorliegende Gesetzentwurf der CSU enthält Regelungen, die wir begrüßen – so die Regelung zu den so genannten Faschingsferien –, Regelungen, mit denen wir zunächst einmal zufrieden sind – so die Regelung, dass auch an privaten Volksschulen M-Kurse eingerichtet werden kön
nen –, und auch Regelungen, die uns nicht weit genug gehen wie etwa die Bestimmungen zum Schulforum. Der Gesetzentwurf enthält eine Regelung, die wir vehement ablehnen. Die Regelung, die wir ablehnen, heißt: Erziehungsberechtigte volljähriger Schüler, welche das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sollen über Ordnungsmaßnahmen nach Artikel 86 Absatz 2 Nummern 2 bis 10 unterrichtet werden. Dies ist eine Regelung, die die Rechte Erwachsener einschränkt, wenn diese Schüler oder Schülerinnen sind, wobei der Erfolg der Maßnahme in unseren Augen sehr zweifelhaft ist.
Auf die rechtliche Problematik hat uns der Datenschutzbeauftragte sowohl schriftlich als auch mündlich in zwei Ausschusssitzungen hingewiesen. Er war bei uns im Bildungspolitischen Ausschuss und er war auch im Verfassungsausschuss. Er führte schriftlich und mündlich aus, dass – ich zitiere ihn hier – die geplanten Vorschriften in das Recht volljähriger Schüler auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Artikel 2 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes eingreifen. Nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 gewährleiste das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Dies gelte jedenfalls mit Erreichen der Volljährigkeit grundsätzlich auch gegenüber den Eltern. Herr Vetter machte im Bildungsausschuss deutlich, dass er sich eventuell eine Kann-Regelung vorstellen könne, allenfalls eine Soll-Regelung, aber beides immer gekoppelt mit einem Widerspruchsrecht der jungen Erwachsenen. Es war also Herrn Vetter, dem Datenschutzbeauftragten, sehr wichtig, dass das Recht der erwachsenen Schülerinnen und Schüler gewahrt bleibt, Widerspruch einlegen zu können. Der Anregung, eine Soll-Bestimmung aufzunehmen, statt eine diktatorische Regelung vorzusehen, dass die Schule etwas tun muss, hat die Mehrheit des Verfassungsausschusses Rechnung getragen. Das Anliegen des Datenschutzbeauftragten, ein Widerspruchsrecht zu formulieren, wurde allerdings nicht aufgenommen. Dies ist für uns nicht akzeptabel,
da dem Recht erwachsener Schülerinnen und Schüler in keiner Weise Rechnung getragen wird. Man guckt sozusagen auf die Schule, man guckt auf die Eltern, aber man guckt nicht auf die erwachsenen Schülerinnen und Schüler.
Überlegen wir doch auch einmal, wen diese Regelung eigentlich betrifft. Sie betrifft junge Erwachsene, die das aktive und passive Wahlrecht haben. Sie können Bundestagsabgeordnete werden. Sie können Landtagsabgeordnete werden. Sie können Kreisrat und Kreisrätin, aber auch Stadtrat und Stadträtin werden. Das heißt, einerseits können sie in gesetzgebenden Organen tätig sein und die Geschicke von Kommunen lenken, andererseits sollen sie, wenn sie noch die Schule besuchen, aufgrund dieser Regelung wie Kinder behandelt werden. Das ist ein Witz. Ich habe mir aufgeschrieben: Das ist doch schizophren.
Lassen sie mich noch eines zu bedenken geben. Bei den Zwanzigjährigen, die in die Schule gehen, schränkt die CSU die Volljährigkeit ein, bei den Zwanzigjährigen an der Universität aber nicht. Wenn ein Student keine Vorlesungen besucht, Seminare ausfallen lässt, in seinem Leistungsverhalten abfällt, ein merkwürdiges Sozialverhalten an den Tag legt, kommt auch niemand auf die Idee zu sagen: Da müssen wir jetzt aber einmal die Eltern informieren. – Ich habe mich, weil ich der CSU den guten Willen nicht absprechen möchte – es mag ein Kern an gutem Willem dahinter stehen –, gefragt: Hat diese Regelung wenigstens einen Sinn? Ist diese Regelung ein geeignetes Mittel, um auffällig gewordenen Schülerinnen und Schülern unterstützend zu helfen und diese vor allem erst einmal zu erkennen? Kollege Schneider hat gesagt: Die Eltern begrüßen diese Regelung. – Ich frage Sie angesichts dessen aber: Geben sich die Eltern damit nicht einer Illusion hin? Wenn es Eltern nicht gelingt, ein so gutes Verhältnis zu ihren Kindern aufzubauen, dass diese auch von sich aus mit ihren Problemen zu ihnen kommen, auch wenn sie erwachsen sind, kann man denn dann glauben, dass diese Eltern ihre Kinder erreichen, wenn sie als Eltern von der Schule informiert werden? Dann ist doch im Verhältnis schon vorher etwas kaputt. Wenn ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Eltern und Schülerinnen und Schülern besteht, würden Letztere doch von sich aus auf die Eltern zukommen. Wenn die Eltern aber von der Schule informiert werden, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass erwachsene Schülerinnen und Schüler dann erst recht dicht machen, zumachen und blockieren und von den Eltern dann auch nicht mehr erreicht werden.
Unsere Unterstützungssysteme müssen früher einsetzen. Dies ist auch das Kernanliegen, das ich in dieser Zweiten Lesung gerne an Sie herantragen möchte. Diesbezüglich können wir sehr viel von den skandinavischen Ländern lernen, die wir besucht haben. Dort werden die Lehrkräfte unterstützt von Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen, von Psychologen und Psychologinnen, von Speziallehrern und -lehrerinnen, die für die Förderung der schwachen Schüler und Schülerinnen zuständig sind. Fällt ein Kind in irgendeiner Weise auf, wird dies in einer so genannten Spezialkonferenz auf die Tagesordnung gebracht; dann wird überlegt: Warum fällt das Kind in den Leistungen ab, warum legt dieses Kind jetzt ein verändertes Sozialverhalten an den Tag? Dort wird dann besprochen, welche Maßnahmen greifen müssen. Nach vier Wochen wird geprüft: Haben unsere Maßnahmen gegriffen, wenn ja, führen wir sie weiter oder können wir sie aussetzen, wenn nein, was tun wir denn dann mit diesem Kind? Kinder in den skandinavischen Systemen erfahren wirklich eine kontinuierliche Unterstützung, und zwar sehr, sehr zeitnah, wenn solche Konferenzen alle vier Wochen tagen.
Der Fall Robert Steinhäuser, der Anlass für die Gesetzesänderung der CSU ist, wäre in Finnland nicht denkbar. Lange vor Eintritt der Katastrophe wäre ein solcher Schüler in das Blickfeld der Spezialkonferenz geraten.
Dies ist keine Schlussfolgerung, die ich ziehe – diese Schlussfolgerung zieht Frau von Freymann, eine Pädagogin aus Finnland, die in Deutschland in der Lehrerausbildung war und die über das finnische System in der Zeitschrift „Freiheit der Wissenschaft“, die Ihnen, denke ich, allen auf den Tisch gekommen ist, geschrieben hat. Sie hat diese Schlussfolgerung gezogen.
Wenn wir unsere Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen wirklich unterstützen wollen, müssen wir auch in Bayern diesen Weg gehen. Hier gibt es noch einen massiven Nachholbedarf, zum Beispiel beim Trauerspiel um die Schulsozialarbeit. Ich appelliere noch einmal eindringlich an die CSU und an die Staatsregierung, ihr Konzept, das sie Jugendsozialarbeit an Schulen nennt, zu überdenken und in ein Konzept zur Schulsozialarbeit umzuwandeln. Dies ist nicht nur eine Frage unterschiedlicher Begriffe, die wir verwenden, sondern eine Frage der unterschiedlichen Konzeption und der unterschiedlichen Geisteshaltung.
Ich sage Ihnen, warum die Staatsregierung „Jugendsozialarbeit“ möchte und welchen Hintergrund dies hat. Wir haben jetzt einen Bericht über die Jugendsozialarbeit bekommen – ganz brandneu, 9. Juli 2002. Ich zitiere daraus:
Das Förderprogramm Jugendsozialarbeit an den Schulen steht im Kontext der „Initiative Bayern Sicherheit“ und setzt daher gravierende soziale und erzieherische Probleme an den einzelnen Schulen voraus. Mit den Beschlüssen der Bayerischen Staatsregierung vom 17.09.2001 und 19.03.2002 wurde verbindlich entschieden, dass es keine Schulsozialarbeit in staatlicher Verantwortung, sondern die Jugendsozialarbeit an Schulen in der Verantwortung der Jugendhilfe gibt.
Ich wiederhole: Gravierende soziale und erzieherische Probleme müssen an den einzelnen Schulen auftauchen. An einer Schule müssen also schon ganz, ganz viele Kinder in den Brunnen gefallen sein, bevor überhaupt an ein Unterstützungssystem gedacht wird.
Die nächste Frage ist, ob diese Jugendsozialarbeit an den Schulen überhaupt gewährleistet ist. Sie ist nämlich nicht gewährleistet, wenn die Kommunen ihren Beitrag zur Finanzierung nicht aufbringen können. Sie ist auch nicht gewährleistet, weil die Staatsregierung nur Millimeterweise bereit ist, Stellen für diese Jugendsozialarbeit bereitzustellen. 35 Stellen pro Jahr sind nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein.
Das ist zahlenmäßig falsch. Das ist das falsche Konzept. Wir brauchen an jeder Schule Menschen mit sozialpädagogischer Kompetenz, weil diese einen ganz anderen Zugang zu den Schülerinnen und Schülern haben als die Lehrkräfte und weil ihnen auch ganz andere Methoden zur Verfügung stehen, die die Lehrkräfte eben nicht zur Verfügung haben. Nur mit Schulsozialarbeit, mit Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern können die Schulen rechtzeitig erkennen, wenn bei einer Schülerin oder einem Schüler etwas schief läuft. Nur wenn an der
Schule solche Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter vorhanden sind, kann auch erkannt werden, wenn stille, in sich gekehrte Schülerinnen und Schüler vielleicht Probleme haben. Dies war auch bei Robert Steinhäuser der Fall. Er war kein auffälliger Schüler. Mit Ihrem Konzept erreichen Sie nur, ich sage einmal, die Renitenten, die Auffälligen, die Gewaltbereiten. Die stillen Schülerinnen und Schüler, von denen auch schon vonseiten des Staatsministeriums gesprochen worden ist – ich kann mich erinnern, dass Frau Hohlmeier gesagt hat, wir müssen uns auch um die Stillen kümmern, die sich nicht zu Wort melden, die dasitzen und brav sind –, können Sie mit Ihrer Jugendsozialarbeit an den Schulen überhaupt nicht erfassen.
Ich bin deshalb der festen Überzeugung, dass eine Einschränkung der Rechte Erwachsener, wie Sie sie jetzt in Ihrem Gesetz vorsehen, lediglich ein Ausdruck hilflosen Aktionismus ist. Wie gesagt: Ich unterstelle Ihnen den guten Willen, aber Sie müssen erkennen, dass dies nichts nützt. Ich finde, der Preis für einen solchen Aktionismus ist letztendlich zu hoch. Es darf nicht sein, dass man beginnt, an den Rechten Erwachsener herumzukratzen, vor allen Dingen dann, wenn nicht einmal ein Nutzen erkennbar ist. Verfolgen wir doch lieber mit Nachdruck eine Reform an unseren Schulen, die den Schüler und die Schülerin in den Mittelpunkt stellt, und lassen Sie uns Unterstützungssysteme aufbauen, die gewährleisten, dass Schülerinnen und Schüler nicht durch das Raster fallen, dass sie nicht persönlich scheitern und verzweifeln.
Als nächster hätte Herr Kollege Nöth das Wort. – Dann nehmen wir jetzt Herrn Dr. Hahnzog, weil er um 12 Uhr Ausschusssitzung hat. Herr Kollege Dr. Hahnzog.
Besten Dank für das Verständnis. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte etwas zu dem Erfurt-Artikel, Artikel 88a sagen. Der Erziehungsausschuss hat gesagt, ihn solle primär der Verfassungsausschuss behandeln. Dort liegt auch der Schwerpunkt der Materie. Die pädagogische Situation ist angeführt worden: Auch unter pädagogischen Gesichtspunkten ist es wenig sinnvoll, alle möglichen Ordnungsmaßnahmen an die früheren Erziehungsberechtigten, wie es so schön heißt, über Achtzehnjähriger bis Einundzwanzigjähriger mitzuteilen. Hier geht es – Frau Münzel hat die Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten zitiert – um das so genannte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung – ich würde lieber sagen: um das Grundrecht auf Privatheit, das aus Artikel 1, Achtung der Menschenwürde, und Artikel 2, Persönlichkeitsentfaltung, hergeleitet wird. Dies ist nicht irgendetwas, sondern ein Grundrecht. In dieses Grundrecht kann nur aufgrund überwiegender Interessen der Allgemeinheit eingegriffen werden.
Nach Erfurt hätte man unter Umständen erwarten können, dass ein solches überwiegendes Interesse der Allgemeinheit vielleicht aus Sicherheitsgründen hergeleitet
wird. Der Datenschutzbeauftragte hat uns aber klar mitgeteilt, dass er ein Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern hat, in dem steht: Aus Sicherheitsinteressen ist eine solche Mitteilungspflicht nicht erforderlich. Diese Ebene sollten wir aus unseren Köpfen herausbekommen.
Wir haben die Situation, dass für viele Menschen das InArbeit-sein, das In-Ausbildung-sein oder das Am-Studium-teilnehmen für ihr Selbstwertgefühl, für ihre Einschätzung in ihrer näheren Bekanntschaft, in der Verwandtschaft eine große Rolle spielt. Wir alle wissen, dass es Arbeitslose gibt, die sich nicht trauen, zu Hause zu sagen, dass sie arbeitslos sind; sie gehen weiterhin um 7 Uhr aus dem Haus, kommen um 6 Uhr abends nach Hause und erzählen, was in dem Betrieb so alles geschehen ist. Für mich ist das menschlich sehr bedrückend.
Als ich Mitarbeiter beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe war, fiel mir ein älterer Mann in der Bibliothek auf, der einfache Dienste wie das Einsortieren der LoseBlatt-Sammlung machte. Ich habe gefragt: Wer ist denn dies?
Das war ein früherer Verfassungsrichter, der bei der Verkleinerung des Gerichts von 24 auf 16 Richter nicht mehr zum Zuge gekommen ist. Er wohnte bei seiner Mutter in Karlsruhe und traute sich nicht ihr zu sagen: Liebe Mama, ich bin nicht mehr Verfassungsrichter. Auch der ist jeden Morgen weggegangen und abends wieder zurückgekommen. Darüber kann man lachen, aber es zeigt, was es für die einzelnen Menschen bedeutet, keinen Arbeitsplatz mehr zu haben und was es für sie vor allem bedeutet, wenn das von anderen Instanzen ohne ihr Einverständnis weitergegeben werden kann. Genau darum geht es hier im Kern.
Auch der Datenschutzbeauftragte sagt, es sei in Ordnung, wenn diese Tatsache nach vorheriger Belehrung des Schülers oder nach Rücksprache mit ihm weitergegeben wird und wenn er dem dann nicht widerspricht. Ein Widerspruch aber müsste respektiert werden, denn er sagt auch etwas über die Erfolgsaussichten dieser Maßnahme aus. Wenn die Kommunikation zwischen dem Schüler und den früheren Erziehungsberechtigten schon so schlecht ist, nützt eine Mitteilung auch nichts mehr.
Des Weiteren habe ich das Kultusministerium gefragt, worin denn die überwiegenden Interessen an einer Weitergabe bestehen würden. Dazu wurde mir nur der Erziehungsauftrag genannt. Herr Schneider hat es schon erwähnt. Der Erziehungsauftrag bei Volljährigen bedeute, dass auch diese von ihren Eltern noch ein bisschen gestützt werden. Wenn ich an den Erziehungsauftrag denke, muss ich aber auch die Bayerische Verfassung lesen. Was steht dort als oberstes Erziehungs- und Bildungsziel? Oberstes Bildungsziel ist unter anderem die Achtung vor der Würde des Menschen. Um die Menschenwürde geht es hier aber. Das Recht der Privatheit ist auch ein Ausfluss aus dem Grundrecht auf Achtung der Würde des Menschen. Wenn die Schule ohne Not und ohne Rechtfertigung in dieses Grundrecht eingreift, zerstört sie letztlich selbst ihren obersten Bildungsauf
trag. Weiter heißt es in Artikel 131 der Bayerischen Verfassung, dass die Schüler im Geiste der Demokratie zu erziehen sind. Auch das passt nicht mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zusammen.
Des Weiteren habe ich danach gefragt, wie auf diesem Gebiet in anderen Bundesländern verfahren wird. Laut Protokoll konnte der Vertreter des Kultusministeriums in unserem Ausschuss nur sagen, dass sich die Kultusministerkonferenz mit dem Thema befasst hat. Inwieweit in anderen Bundesländern über das hinaus, was bereits vorliegt, schon Überlegungen angestellt worden seien, konnte er aber nicht sagen. Das ist schon eine ganz tolle Aufklärung bei einem Gesetzentwurf, der zunächst von der Staatsregierung eingereicht wurde. Weiter hat der Vertreter des Kultusministeriums gesagt, dass die Kultusministerkonferenz zur Frage, inwieweit ein Eingriff in das Recht der informationellen Selbstbestimmung möglich sei, beschlossen habe, ein Gutachten in Auftrag zu geben. Das Gutachten liegt noch nicht vor. Dennoch will Bayern ganz vorne sein und einen Schnellschuss machen.