Protocol of the Session on June 25, 2002

Ich sage Ihnen nur: So kommen Sie nicht weiter, wenn Sie hier in einer Art Kreislaufwirtschaft immer die Beamten von einer Abteilung in die andere schieben nach dem Motto: Wo gerade das Loch am größten ist, wo die öffentliche Aufregung gerade am größten ist, da geben wir schnell Personal hin, sollen die anderen wieder in eine Leidensperiode eintreten!

(Heckel (CSU): Das stimmt ja gar nicht, was Sie da sagen!)

Natürlich stimmt es! Es tut mir Leid, Herr Kollege Heckel, Sie müssen sich einfach den Tatsachen stellen.

Dann ist man auf die Idee gekommen, man könnte das im Schnelldurchgang machen. Es gibt diesen berühmten Exler-Erlass, der vorhin schon angesprochen wurde: Man möge doch, wenn nicht mit Mehrergebnissen von 3000 DM – das waren damals noch Mark – zu rechnen ist, das vorherige Ergebnis übernehmen und nicht mehr so genau nachbohren. Also, Leute, so geht es nicht! Es muss immer gerecht sein, und jeder Steuerpflichtige, jede Steuerpflichtige muss sich darauf verlassen können, dass das ordentlich berechnet wird.

Ein Weiteres: Sie alle erinnern sich sicherlich noch an den Fall Belzner. Es gab einmal einen Finanzbeamten, der es wirklich so gemacht hat, wie es sich gehört; er wurde dann zur Räson gepfiffen. Da hieß es: Ja, man kann doch nicht so viel Zeit für eine Steuererklärung brauchen.

Dann kommt das nächste Demotivierende, Herr Staatsminister: Der Umgang mit großen Steuerzahlern. Immer wieder führen Fälle – wie der Fall Diehl in Nürnberg, aber auch schon vorherige, ältere Fälle – dazu, dass sich – – Ich meine, beim Zwick-Ausschuss haben wir es ja bewiesen, dass eben manche gleicher sind als andere. Es verfestigt sich in der Bevölkerung der Eindruck: Der Dumme zahlt, und die Großen lässt man laufen.

Ich möchte einmal wissen, Herr Staatsminister – aber wahrscheinlich führen Sie da gar keine Statistik –, wie viele Verfahren denn einer Verjährung anheim fallen, weil man nicht rechtzeitig die Fristen unterbricht oder die Fristen nicht einhält. Hier geht sicher sehr viel Geld, das wir dringend im Haushalt gebrauchen könnten, durch die Lappen, und es muss hier etwas passieren.

Darum kommen Sie nicht herum. So geht es nicht weiter. Man kann nicht darauf bauen, dass Beamtinnen und Beamte, die ihren Job gut tun, über Jahrzehnte immer über das Limit arbeiten, um ihren Fällen nachkommen zu können. So geht das nicht. Hier muss ein deutliches Zeichen gesetzt werden. Da hilft auch die EDV-Ausstattung kaum weiter, denn Sie wissen, dass wir große Schwierigkeiten haben, überhaupt EDV-Leute zu bekommen. Wenn in den Ämter EDV eingeführt wird, ist das zunächst eine Menge Mehrarbeit und bringt noch nicht sofort eine Entlastung.

Insgesamt ist dieser Antrag also genau richtig. Es muss gehandelt werden bei der Finanzverwaltung, sonst werden Sie im nächsten Bericht des Landesrechnungshofs wieder Beanstandungen finden und – das ist noch viel schlimmer – es geht dem Staat weiter Geld verloren, das ihm zusteht. Dieses Geld wird dringend gebraucht, allein schon wegen der Herausforderungen aus dem Bildungsbereich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Nächster Redner ist Herr Staatsminister der Finanzen.

(Dr. Hahnzog (SPD): Entschuldigt sich der jetzt?)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Kellner, sollte ich in meiner spontanen Erregung auf der Regierungsbank irgendeine missverständliche Handbewegung gemacht haben – –

(Frau Naaß (SPD): Die war nicht missverständlich! – Weitere Zurufe von der SPD)

Sie wissen, Frau Kellner, dass ich Ihnen zwar massiv widerspreche, aber Sie mit Sicherheit nicht in irgendeiner Weise herabwürdigen will. Das tue ich sicherlich nicht.

(Dr. Hahnzog (SPD): Am Fußballplatz wäre es mindestens die gelbe Karte gewesen! – Frau Radermacher (SPD): Zweimal zufällig eine missverständliche Handbewegung! – Weitere Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, man hat mich dringend hierher geholt, und jetzt habe ich den Eindruck, dass die Opposition mich gar nicht hören will.

(Beifall bei der CSU – Frau Radermacher (SPD): Das ist eine Selbstverständlichkeit, dass Sie hier zu sein haben! Dafür werden Sie bezahlt! Das ist doch unfassbar! – Weitere Zurufe von der SPD)

Sie wollen hauptsächlich sich und Ihre Zwischenrufe hören. Das ist mein Eindruck.

(Beifall bei der CSU – Anhaltende Zurufe von der SPD)

Aber wie dem auch sei: Den Stil dieses Hohen Hauses prägen Sie in dieser Hinsicht.

Meine Damen und Herren, der Freistaat Bayern hat in seinem Haushalt, ähnlich wie die übrigen Bundesländer, eine Personalausgabenquote von fast 42%. Wenn ich diese Quote ohne irgendwelche Mehrungen aufgrund politischer Akzentsetzungen bis zum Jahr 2020 hochrechne, wird sie aufgrund der feststehenden Altlasten im Jahr 2020 bei 50% liegen. Das bedeutet, dass wir im Jahre 2020 mit Sicherheit überhaupt keinen Spielraum für Investitionen mehr haben, wenn wir nicht deutliche Einsparakzente setzen.

(Frau Biedefeld (SPD): Doch, durch bessere Prüfungen und höhere Steuereinnahmen!)

Es gibt ein Gutachten des Landes Nordrhein-Westfalen, das bis fast auf die Mark identisch feststellt, dass im Jahre 2020 in diesem sozialdemokratisch regierten Land aufgrund der Altlasten ein Satz von 50% Personallasten vorhanden sein wird. Kein Parlament kann eine solche Entwicklung wünschen. Wenn ein Parlament künftig noch Gestaltungsmöglichkeiten durch Investitionsquoten haben will, müssen wir die Personalquote unbedingt im Auge behalten.

(Beifall bei der CSU)

Vor diesem Hintergrund verteidige ich ausdrücklich die Entscheidungen dieses Hohen Hauses in den vergangenen zehn Jahren, in denen zunächst Artikel 6 a beschlossen wurde, später dann Artikel 6 b und dann auch das so genannte 20-Punkte-Programm der Staatsregierung bestätigt wurde, wobei jeweils Personal abgebaut wurde. Insgesamt waren das bisher über 7200 Personen.

Wir hätten zum Beispiel keinerlei Chance gehabt, neue Akzente durch die Einstellung zusätzlicher Lehrer zu setzen, wie es aufgrund des Schülerberges notwendig ist.

(Frau Naaß (SPD): Aber doch! Bei mehr Steuereinnahmen sicherlich!)

Wir hätten keine Chance gehabt, zusätzliches Personal bei der Polizei einzustellen, was aufgrund der Sicherheitslage notwendig war. Und wir hätten auch keine Chance gehabt, zusätzliche Akzente in bestimmten Personalbereichen zu setzen, wenn wir nicht generell immer wieder versucht hätten, an anderer Stelle auch Personal einzusparen. Dies ist mit Sicherheit eine grundsätzliche Aussage, die auch für die Steuerverwaltung gilt. Ich will aber darauf hinweisen, dass die Steuerverwaltung eben nicht nach dem 20-Punkte-Programm verpflichtet wurde, 10% Stellen abzubauen, sondern es waren bei der Steuerverwaltung nur 5%. Ich sage heute als Finanzminister manchmal, dass es vielleicht sinnvoll gewesen wäre, die Finanzverwaltung völlig außen vor zu lassen, und dies vor allem vor dem Hintergrund der aktuellen Situation.

(Frau Naaß (SPD): Richtig! Machen Sie es halt, Sie haben es doch in der Hand!)

Die aktuelle Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass das Steuerrecht, das ohnehin durch die Schuld aller Regierungen zu kompliziert ist, in den letzten vier Jahren in massiver Weise zusätzlich verkompliziert wurde.

Ich lasse gerade bei uns im Service-Center eine Strichliste darüber machen, welche Dinge an die Finanzämter herangetragen werden. In mehr als einem Drittel aller Fälle, die von den Bürgern flächendeckend an die Finanzämter herangetragen werden, ist detailliert festzuhalten, dass es sich um das grandiose Riester‚sche 360-DM-Gesetz handelt. Das belastet unsere Finanzämter.

(Frau Naaß (SPD): Ach Gott!)

Was unsere Finanzämter auch belastet, ist der neue § 2 Absatz 3 EStG, von dem Prof. Kirchhof vor vier Tagen hier in München gesagt hat, dass er ihn für verfassungswidrig halte; denn diesen Paragrafen könne niemand verstehen, und deshalb könne man ihn auch nicht administrieren. Unsere Finanzamtsvorsteher beklagen dies. Das heißt, diese Bundesregierung hat durch ihre Steuerpolitik und den Erlass von immer komplizierteren Regelungen die eigentlichen Belastungen in den letzten vier Jahren noch verstärkt.

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Biedefeld?

Nein, jetzt nicht. –

Genau daran haben wir gegenwärtig zu knabbern, und deshalb stehen die Beamten in unseren Finanzämtern mit dem Rücken zur Wand. Schauen Sie sich doch die dramatische Situation an, die mit der Änderung der Körperschaftsteuer einhergeht. Es ist eine Systemänderung, die administrativ bewältigt werden muss. Leider wird sie heute so bewältigt, dass unsere Finanzämter zu Auszahlungsstellen geworden sind und keine Steuereintreibungsstellen mehr sind. Im letzen Jahr hatten die Finanzämter bundesweit 800 Millionen DM Körperschaftsteuer auszuzahlen, und in diesem Jahr – das sage ich Ihnen voraus – werden sie bundesweit noch mehr auszahlen müssen und können wiederum keinen einzigen Euro Körperschaftsteuer eintreiben. Das ist der eigentliche große Skandal, Frau Kollegin Kellner; es geht nicht um irgendwelche Einzelfälle.

(Beifall bei der CSU)

Die Leute draußen auf der Straße zahlen weiterhin sofort ohne zeitliche Verzögerung ihre Lohnsteuer. An der Zapfsäule wird ihnen von Jahr zu Jahr mehr Mineralölsteuer abgenommen.

(Frau Biedefeld (SPD): Die Kleinen schröpfen Sie, und die Großen lassen Sie laufen! – Weitere Zurufe von der SPD)

Die großen Konzerne haben sich von der Finanzierung unserer Gesellschaft verabschiedet dank Herrn Schröder und dank Herrn Eichel. Das ist der Skandal.

(Beifall bei der CSU – Zurufe von der CSU: Sehr gut! – Frau Biedefeld (SPD): Sie lassen die Großen laufen, und die Kleinen schröpfen Sie! – Anhaltende Zurufe von der SPD)

Sagen Sie doch einmal den Arbeitern von BMW oder von anderen Unternehmen, dass sie allein die Steuern zahlen sollen für die Schulen, die Straßen oder die Hochschulen, dass aber keine Körperschaft in Bayern mehr Körperschaftsteuer bezahlt. Das ist der Skandal. Können Sie das wollen?

(Beifall bei der CSU – Anhaltende Zurufe der Frau Abgeordneten Biedefeld (SPD) und der Frau Abgeordneten Naaß (SPD))

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Kellner? –

Nein, danke schön. Frau Kollegin Kellner, Sie haben genug Zeit gehabt, hier Ihre Auffassung darzulegen. Ich will jetzt meine eigene Auffassung darlegen.

(Zahlreiche Zurufe von der SPD)

Die fehlende Körperschaftsteuer ist das Problem, auch ein administratives Problem, auch ein administratives Problem. Wenn ich die Finanzämter besuche, werde ich gefragt, wie man mit dem neuen Steuersystem zurecht kommen kann. Diese Systemänderung ist das eine Problem.

Dann gibt es noch ein zweites Problem. Diese sensationelle Steuerreform von Herrn Eichel hat uns alle miteinander ebenso wie die sensationelle Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung dahin gebracht, dass alle Länder – ich betone: alle Länder – in der Bundesrepublik Deutschland sowohl im Investitionsbereich als auch im Personalbereich handlungsunfähig geworden sind.

(Anhaltende Zurufe von der SPD)

Das ist der Punkt. Diese Bundesregierung hat die Bundesrepublik Deutschland flächendeckend in Agonie gebracht, weil wir keine Steuern mehr einnehmen.