Protocol of the Session on April 19, 2002

Das gilt für Krippen, das gilt für die Nachmittagsbetreuung, und das gilt insbesondere für die Ganztagsschulen, die wir aus pädagogischen und sozialen Gründen für zukunftsorientiert halten.

Nicht überall! Auch hier bauen Sie wieder einen Popanz auf, den Sie nachher abwatschen wollen. Wir haben nicht gesagt, dass alle Schulen Ganztagsschulen sein sollen. Wir haben nicht gesagt, dass es überall nur Ganztagsschulen geben soll. Aber wir haben gesagt, dass für die Kinder und für die Familien, die eine Ganztagsschule wollen und auch brauchen, endlich eine zur Verfügung gestellt werden soll. Das ist überfällig.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Langsam scheinen Sie es zu begreifen. Es war wunderbar, aus dem Munde des Ministerpräsidenten heute den Begriff „Ganztagsschulen“ zu hören. Früher war das doch für Sie Teufelszeug.

(Zuruf von der SPD)

Was haben Sie hier geschimpft! Darf es denn wirklich wahr sein, dass die Familien in Bayern erst jahre- und jahrzehntelang warten müssen, bis Sie endlich zu besserer Einsicht kommen? Was hat Sie denn Ihre Tochter gefragt, als sie einen Krippenplatz brauchte? Hat sie Sie einmal gefragt: Vater, warum gibt es in Bayern eigentlich keine Krippenplätze für mich?

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Jung (SPD))

Jetzt endlich spricht sich das offenbar auch in Ihren Familien herum, und das ist gut so.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, wir können es uns nicht leisten, auch nur eine einzige Begabung in unserem Land brachliegen zu lassen oder nicht zu berücksichtigen, weil die Eltern nicht über das notwendige Einkommen verfügen oder weil sie einer unterprivilegierten Schicht entstammen. Damit bin ich beim Kapitel Sozialpolitik, das Sie ebenfalls angesprochen haben. Ich erinnere mich an die Zeit, als ich Vorsitzender des sozialpolitischen Ausschusses war. Damals haben wir uns, haben Sie sich endlich durchgerungen, einen Sozialbericht für Bayern zu erstellen – auch dies nach jahrelangem Widerstand. Dieser Sozialbericht gibt fürwahr ein breites sozialpolitisches Betätigungsfeld. Ich hätte heute gerne von Ihnen gehört, was Sie tun wollen, um die Situation der Pflegebedürftigen in unserem Land endlich zu verbessern. Kein Wort dazu!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich hätte gerne gehört, was Sie tun wollen, um die soziale Lage der kinderreichen Familien endlich zu verbessern.

Auf einen einzigen Punkt sind Sie erfreulicherweise eingegangen, nämlich auf die Behindertenpolitik. Ihrem Lob für die bayerische Behindertenbeauftragte Frau Stein schließe ich mich ohne jede Einschränkung an.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ihr größtes Verdienst ist es, Sie ständig wachzurütteln. Damit hat sie allerdings alle Hände voll zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben jetzt zum wiederholten Male angekündigt, dass es doch ein Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung in Bayern geben soll. Ich freue mich darüber, dass es jetzt endlich gelingt, eine Gesetzesinitiative der SPD, die Kollegin Steiger schon vor drei oder vier Jahren eingebracht hat, auch auf Ihren Tisch zu befördern und endlich zum Erfolg zu verhelfen. Frau Sozialministerin Stamm hat über Jahre bestritten, dass es eines solchen Gleichstellungsgesetzes überhaupt bedarf. „Wir brauchen das nicht in Bayern“, war die Aussage Ihrer Regierung. Aber jetzt hat die Bundesregierung in Berlin ein solches Gleichstellungsgesetz verabschiedet und jetzt haben Sie Angst, vor den Behinderten in Bayern Ihr Gesicht zu verlieren.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist der Grund dafür, dass Sie jetzt auch auf diesem Gebiet nach Jahren der Ablehnung und nach Jahren der Verweigerung endlich zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. Ich hoffe zumindest, dass es nicht wieder bei der Ankündigung bleibt, sondern dass wir dieses Gesetz in dieser Legislaturperiode noch erleben dürfen.

Damit komme ich zum Schluss.

(Zuruf von der CSU: Das ist gut so!)

Bayern ist ein großartiges Land – trotz seiner Regierung.

(Zurufe von der CSU)

Vor wenigen Wochen haben wir – leider in Abwesenheit des bayerischen Ministerpräsidenten – den Bericht der Enquete-Kommission Föderalismus hier diskutiert. Dieser Bericht enthält eine Vielzahl konkreter Vorschläge und Empfehlungen für die Sicherung der Eigenstaatlichkeit der Länder in einem zunehmend integrierten Europa, für dringend notwendige Reformen in den Beziehungen zwischen Bund und Ländern und zwischen dem Freistaat und seinen Kommunen. Da haben Sie alle Hände voll zu tun. Nach außen hin immer den Föderalisten spielen, nach innen aber zentralistisch wie kein anderer – das kann auf Dauer so nicht bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben bei dieser Debatte leider gefehlt, obwohl diesen Themen vor Ihrer Zeit als Kanzlerkandidat Ihr besonderes Interesse gegolten hat. Auch in Ihrer Regierungserklärung ist kaum die Rede davon. Ihre Regie

rungserklärung ist ein schönes Beispiel dafür, dass man nicht erst Kanzler sein muss, um Länderinteressen nachrangig hinter Bundesinteressen anzusiedeln. Bei Ihnen reicht dafür schon der Kandidatenstatus aus.

Wenn die Bürgerinnen und Bürger aber auch künftig das Vertrauen haben sollen, dass Parlament und Regierung in der Lage sind, die für Bayern richtigen Zukunftsentscheidungen in eigener Verantwortung zu treffen, dann müssen die Reform des Föderalismus in Deutschland und die Neuordnung der Zuständigkeiten in Europa Schwerpunkte unserer Arbeit sein. Ich hoffe, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, dass wir Sie dafür und für die anderen Themen nach dem 22. September wieder als tatkräftigen Mitstreiter hier im Haus an unserer Seite haben werden.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Stahl. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Herren und Damen! Wie müssen trotz neuester Kabeltechnik in der Staatskanzlei die Telefondrähte geglüht, die Faxgeräte durchgedreht und die Handys auf den Nachtkästchen allzeit bereiter Staatsbeamter geklingelt haben! Denn es musste ein Heiligenschein wiedergefunden werden, der verloren gegangen war.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Hölzl (CSU): Falsch!)

Kaum war die Sondersitzung zum Kirch-Desaster, der größten deutschen Nachkriegspleite, letzten Dienstag um 20 Uhr vorbei,

(Hölzl (CSU): Wieder falsch!)

haben die Fraktionen die Nachricht bekommen, dass der Herr Ministerpräsident wieder eine Regierungserklärung abzugeben gedenkt. Uns hat das eigentlich nicht sonderlich erstaunt; denn nach diesem Dienstag war uns klar, dass er sie braucht. Denn an diesem Dienstag durfte über die Medien auch dem letzten Wähler und der letzten Wählerin klar geworden sein, dass hier ein Ministerpräsident mit erkennbaren politischen Defiziten spricht. Das muss aus PR-Sicht natürlich überblendet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Heute inszenieren Sie den x-ten Akt der Selbstbeweihräucherung, und ich sage Ihnen: Wenn Sie sich wie nichtstaatliche Theater, die ein anspruchsvolles Programm bieten, selbst finanzieren müssten, wäre dieses Haus auf jeden Fall schon geschlossen.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und bei Abgeordneten der SPD)

Nach dieser Regierungserklärung wird die Staatskanzlei feststellen müssen, dass man den Heiligenschein nicht wiederfinden kann. Er ist tatsächlich weg. Wir fragen uns natürlich: Wann hat er ihn überhaupt zuletzt getragen, der Herr Ministerpräsident? War das beim Dorfhelferinnenskandal und bei C.A.R.M.E.N, als die politische Kontrolle versagte? War es beim LWS-Skandal, als er die LWS trotz gegenteiliger Ratschläge von Fachleuten zu Verlustgeschäften im Osten drängte? Strahlte der Heiligenschein noch, als seine Brüder im Geiste beim Krisenmanagement zum Deutschen Orden bedient werden sollten? Sah man ihn auf dem Kopf des Ministerpräsidenten zu BSE-Zeiten oder nach dem 11. September, als es um die Wahrung der Bürgerrechte ging? – Sicher bin ich mir nur: Bei der Kirch-Pleite hatte er ihn nicht mehr auf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Der Schein trog, und zu behaupten – wie heute wieder –, man habe einen, genügt nicht.

Als Bilanzprüfer und Bilanzprüferinnen von Herrn Stoibers Politik haben wir schon immer genau hingesehen, ob das, was uns in Bayern als innovativ und sozial und erfolgreich verkauft werden soll – leider selten genug als sozial –, tatsächlich diesen Behauptungen entspricht oder ob es sich vielleicht doch um aufpolierte Scheinargumente handelt. Können Sie sich noch an die Rinderhälftenlieferung nach Russland erinnern? Was ist denn eigentlich aus denen geworden? Ich kann mich daran erinnern, dass man das damals ziemlich zelebriert hat, um die Fleischpreise zu halten. Oder können Sie sich noch an die Blue Card erinnern? Mein Gott, was für einen Zinnober hat man gemacht, um sie als Pendant zur Green Card einzuführen! Gibt es sie überhaupt noch? Oder erinnern Sie sich noch an die Asyl Card? Man hat uns weisgemacht, sie sei das Allheilmittel gegen angeblichen Sozialmissbrauch. Bis heute ist sie technisch nicht umsetzbar, und sie ist unbezahlbar.

Was wurde eigentlich aus dem 300-Millionen-Euro-Programm hinsichtlich BSE? Das Ergebnis sehen wir leider nicht da sitzen,

(Heiterkeit des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

aber wir kennen es in etwa. Es ist nicht sonderlich viel daraus geworden außer dem Versuch, ein bisschen mehr zu kontrollieren, und das ging auch noch schief.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das alles wurde als Erfolg verkauft, es ist vergessen und abgehakt. Aber es ist ja Wahlkampf.

Die heutige Regierungserklärung hat neben der Abgabe von Scheinerklärungen natürlich auch das erklärte Ziel, Menschen außerhalb Bayerns das Stoiber-Modell nahe zu bringen. Schließlich sind am Sonntag Wahlen in Sachsen-Anhalt. Diesem Umstand verdanken wir letztendlich den heutigen Auftritt.

(Hölzl (CSU): Wir sind hier in Bayern!)

Weiß man, was alles verbreitet wird in der Welt? Liebe Wählerinnen und liebe Wähler in Sachsen-Anhalt, trauen Sie dem Schein nicht. Es sind Nebelkerzen, die sehr schnell verglühen. Für eine Lösung Ihrer drückenden Probleme – der hohen Arbeitslosigkeit von ca. 20%, der schwierigen sozialen Situation, des Ausblutens des Landes durch den Weggang von Fachkräften, der insgesamt schwierigen Situation durch rechtsextremistische Gewalt, der Umweltprobleme – hat der Kanzlerkandidat keine Konzepte vorgelegt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)