Wer hat das Kindergeld erhöht? – Rot-Grün. Und wer hat im Rahmen der Rentenreform gerade die Familienfrauen und deren Teilzeitbiografien gewürdigt? – Rot-Grün.
Die Diskussion über Kinderarmut darf aber nicht nur beim Geld stehen bleiben. Strukturelle Veränderungen sind mehr als überfällig. Das heißt auch, dass ein konsequenter Ausbau der Kinderbetreuung für alle Altersstufen, also von null bis vierzehn, ebenso notwendig ist, wie die Einführung der Ganztagsschule. Gerade eine zuverlässige und qualitative Betreuung hat doch auch präventiven Charakter. Alleinerziehende und deren Kinder rutschen erst gar nicht in die Sozialhilfe ab, wenn Krippenplätze nicht mehr mit der Lupe zu suchen sind. Im Übrigen unterstützt der Ausbau gerade der Kleinstkinderbetreuung auch den Wunsch der Frauen nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Kinderbetreuungseinrichtungen bieten aber auch die Chance, überforderte Familien zu unterstützen. Die Pisa-Studie und der Armutsbericht lassen doch nur einen Schluss zu: Unterstützung der Kinder aus bildungsfernen Haushalten und Migrantenfamilien. Allein die Zahl, dass 25% der Migrantenkinder in unserem Bildungssystem keinen Abschluss machen und abgehängt werden, macht doch eine strukturelle Unterstützung nochwendig und darf nicht nur kurzfristig die Alarmglocken läuten lassen.
Ihre Integrationspolitik beschränkt sich in Wahlkampfzeiten aber lieber auf das Sammeln von Unterschriften gegen Ausländer.
Bildungsarmut fängt jedoch nicht erst in der Schule an. Deutschland braucht ein Bildungskonzept für die frühkindliche Phase. Bayern hat dies in Angriff genommen, und wir werden Sie darin auch unterstützen. Dennoch darf man beim Konzept für die frühkindliche Phase nicht stehen bleiben. Auch die Rahmenbedingungen im Kindergarten müssen geändert werden. Sie, Frau Stewens, hausieren zur Zeit mit dem ISKA-Modell zur Umstrukturierung der Kindergartenfinanzierung. Gerade die PisaStudie und die Erkenntnis, dass vor allem arme Kinder und Kinder aus Migrantenfamilien zu den Verlierern unserer Bildungseinrichtungen gehören, müssen doch auch bei Ihnen zu einem Umdenken beim Thema Kindergarten führen. Werfen Sie Ihre Philosophie der marktorientierten Steuerung des Kindergartens auf den Sperrmüll. Qualität ist gefragt.
Seien Sie nicht so beratungsresistent; nehmen Sie unsere Forderung nach Qualität auf, was auch Qualität durch kleinere Gruppen heißt. Unsere Forderung lautete immer: 20 Kinder pro Gruppe. Dies haben Sie stets abgetan. Jetzt darf ich lesen, dass Herr Prof. Fthenakis, der Leiter des Staatsinstituts für Frühpädagogik, also Ihr Berater, sogar von 16 Kindern pro Gruppe mit zwei Betreuern spricht. Ich frage: Wann setzen Sie diese Ratschläge endlich um?
Dies heißt auch, Elternrechte zu stärken, Eltern mehr in Institutionen einzubinden. Für uns heißt das nicht, zweimal im Jahr zum Basteln zu kommen, sondern auch: Mama lernt Deutsch im Kindergarten.
Wir wissen, dass so genannte Problemfamilien Hilfe und Entlastung brauchen; aufsuchende Hilfe, niedrigschwellige Angebote sind gefragt. In unseren Bildungseinrichtungen, vor allem in der Schule heißt es aber doch: Ohne Mama läuft nichts. Dieses Motto geht bei der deutschen Durchschnittsfamilie vielleicht halbwegs gut, wenn man von vielen Streitereien bei den Hausaufgaben einmal absieht, aber der Grundsatz, die siebte und achte Stunde gibt Mama zu Hause, läuft bei armen und Migrantenfamilien nicht.
Sie setzen meines Erachtens nach wie vor zu viele Ansatzpunkte im individuellen Bereich. Mein Vorwurf an Sie: Mit diesem Modell wird die Benachteiligung qua Geburt weitergepflegt. Sie bieten keine Perspektiven für genau jene Kinder, die die materielle Sonnenseite nur aus der Werbung kennen. Aufgabe der Politik ist es aber, genau diese Perspektiven, sprich Chancengerechtigkeit herzustellen. Neben den Zielen, Selbsthilfekräfte von Familien zu stärken, die Kinder aus der Sozialhilfe zu holen, Armut zu vermeiden, haben wir vor allen Dingen auch das Ziel, Bildungsarmut zu verhindern. Bildung ist unser einziger Rohstoff – das hören wir tagtäglich, wenn es um den Standort Deutschland geht. Wir verschwenden unsere Ressourcen aber oftmals jämmerlich. Wir alle kennen die Verpflichtung „Eltern haften für ihre Kinder“. Manche Eltern können dieser Verpflichtung nur
schwer und mit Hilfe nachkommen. Diese Probleme aber nicht anzugehen, bedeutet „Kinder haften für ihre Eltern“. Das darf auf keinen Fall geschehen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin den GRÜNEN eigentlich dankbar, dass sie heute diese Aktuelle Stunde beantragt haben, da wir damit den Inhalt unseres vor rund zweieinhalb Jahren veröffentlichen Sozialberichtes schön abgleichen können, der damals verschiedene interessante Dinge an die Öffentlichkeit brachte. Bayern hebt sich nämlich in verschiedener Hinsicht sehr wohltuend von den Leistungen anderer Bundesländer ab.
Frau Kollegin Schopper, Sie haben die Armutskonferenz in der letzten Woche angesprochen. Ich habe Sie dort vermisst. Sie hätten sich dort äußern können. Ich weiß nicht, ob die GRÜNEN eingeladen waren oder irgendwo im Raum versammelt gewesen sind. Auch dort ist der bayerische Sozialbericht auf sehr großes Echo gestoßen. Man hat ihn immer wieder zitiert.
Es gibt einen Landtagsbeschluss, nachdem dieser Sozialbericht auch in der nächsten Legislaturperiode fortgeschrieben wird.
Das einmal zur Sache. Mit Ihren Anschuldigungen und Vorwürfen an den ehemaligen Bundeskanzler Kohl haben Sie einen Zungenschlag gewählt, den diese Thematik nicht verdient. Das muss ich auch sagen;
Frau Kollegin Schopper, wenn Sie, was den Armutsbericht betrifft, von faulen Tricks sprechen, sage ich dazu, dass es Ausfluss der Diskussion im Landtag war, ein zusätzliches Kapitel aufzunehmen und Wissenschaftler noch zusätzlich Daten und Fakten verarbeiten zu lassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer aber Bayern Versagen oder Ähnliches anlasten möchte, liegt falsch. Bayern braucht keinen Nachhilfeunterricht, was Familienförderung betrifft. Viele Maßnahmen der rot-grünen Bundesregierung sind in familienpolitischer Hinsicht nicht nur nicht ausreichend, sondern kontraproduktiv. Ich erinnere zum Beispiel an die Steuerreform, die Familien mit Kindern nicht in höherem Maße als Kinderlose entlastet. Ich erinnere an die Ökosteuer, wodurch Mehr-Kinder-Familien mit Niedrigeinkommen wegen des höheren Energieverbrauchs sogar überproportional belastet werden. Arbeitslosigkeit führt in das soziale Abseits. Bayern, das haben Sie natürlich verschwiegen,
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Arbeitslosenquoten der Jugendlichen unter 20 Jahren, der Frauen und der Ausländer lagen in den letzten Jahren in Bayern deutlich unter den durchschnittlichen Quoten der alten Bundesländer – die neuen gar nicht eingerechnet; das wäre unfair.
(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Das stimmt hinsichtlich der arbeitslosen Jugendlichen nicht, Herr Kollege!)
Die rot-grüne Bundesregierung vernachlässigt die MehrKinder-Familien und die Familien mit Niedrigeinkommen und stellt Alleinerziehende schlechter. Ich erinnere nur an die Streichung des Haushaltsfreibetrages.
Verehrte Kollegin Schopper, Sie sprechen von der Kindergrundsicherung. Darüber kann man diskutieren. Solche Forderungen müssen Sie allerdings an die Bundesregierung, an Rot-Grün in Berlin richten. Dort ist längst eine grundlegende Neuordnung der Familienleistungen mit einem stufenweise einzuführenden Familiengeld, wie wir sagen, überfällig. Ausreichend Arbeitsplätze und Familiengeld mit wenigen Ausnahmen wären mit die wirksamsten Konzepte, um Kinder aus der Sozialhilfe zu holen und das Armutsrisiko gerade von Familien in der Familiengründungsphase zu senken.
Dies wollen wir mit unserem Dringlichkeitsantrag bekräftigen, um dem Abgleiten von Familien mit Kindern und insbesondere von Alleinerziehenden in die materielle Armut entgegenzuwirken. Frau Kollegin Schopper, in Ihren Darlegungen habe ich darüber kein einziges Wort gehört.
Frau Kollegin Stahl, ich habe sehr genau aufgepasst. Erforderlich ist ein umfassendes politisches Konzept, das die Verbesserung der Familienförderung, die stufenweise Einführung des Familiengeldes sowie die Weiterentwicklung der Bildung umfassen muss. Ich stimme
Ihnen zu, dass dafür mehr getan werden muss. Dies gilt insbesondere für die Bildung älterer Familienmitglieder. Wir wissen, dass Familien mit Kindern häufig nicht sehr viel Geld im Familienhaushalt zur Verfügung haben. Bayern steht jedoch in dieser Hinsicht im Bundesvergleich sehr gut da. Das hat der Sozialbericht gezeigt. Ich möchte darauf nicht weiter eingehen. Dieser Bericht hat fast 800 Seiten. Sie können ihn jederzeit durchforsten.
Der Bayerische Sozialbericht mit seinem umfangreichen Datenmaterial ist eine exzellente Grundlage für die Fortsetzung einer präventiv wirkenden Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Bayern steht hier besser als andere Bundesländer da. Der Anteil der Sozialhilfebezieher liegt in Bayern deutlich unter dem Durchschnitt der übrigen Länder. In Bayern kommen auf 100 Einwohner 1,7 Sozialhilfebezieher. Das bedeutet Ausgaben in Höhe von 368 DM je Einwohner. In Bremen kommen auf 100 Einwohner 9,4 Sozialhilfebezieher. Das bedeutet Ausgaben in Höhe von 1142 DM.
(Frau Steiger (SPD): Sie haben den Bericht nicht zu Ende gelesen! Sie haben nur den Anfang gelesen!)
Auch wenn Sie noch so viel dazwischenrufen, das sind die Fakten. In anderen Ländern gibt es wesentlich mehr Sozialhilfebezieher auf Einwohner bezogen, als in Bayern. Die Sozialhilfequote bei Kindern ist im Bundesdurchschnitt doppelt so hoch wie in Bayern. Diese Quote steigt leider weiterhin an. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ich nenne nur Scheidungen, die Arbeitslosigkeit, Defizite in der schulischen Ausbildung sowie fehlende berufliche Abschlüsse.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte die Diskussion über die absolute und die relative Armut nicht weiterführen. Wir können diese Diskussion im Laufe der heutigen Aussprache noch vertiefen. Wir sollten aber nicht so tun, als ob jede Person, die Sozialhilfe bezieht, von vornherein ein Armutsfall sei. Die Sozialhilfedichte von Kindern unter 15 Jahren ist in Bayern nur halb so hoch wie im Durchschnitt der Bundesländer. Ich möchte darauf hinweisen, dass gesetzliche Leistungsverbesserungen eine steigende Zahl von Sozialhilfeempfängern bewirken. Dies geht aus der Sozialhilfestatistik hervor. Eine Verbesserung der Leistungen und eine Erhöhung der Freigrenzen führt zwangsläufig zu einer Zunahme der Sozialhilfefälle. Deshalb bitte ich Sie, bei der Analyse dieser Statistiken vorsichtig zu sein.
Verehrte Frau Kollegin Schopper, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme damit zum Thema „Kinder als Armutsrisiko“. Mit der Zahl der Kinder steigt auch die Zahl der Familien, die von der Sozialhilfe betroffen sind. Deshalb müssen Mehr-Kinder-Familien stärker gefördert werden. Die Sozialhilfedichte bei Kindern unter 15 Jahren liegt auf Bundesebene pro 1000 Einwohner mit 39 Beziehern doppelt so hoch wie in Bayern, wo es 20 Bezieher sind. Das bedeutet, in Bayern ist die Häufigkeit des Sozialhilfebezugs bei Kindern halb so hoch wie auf Bundesebene. Deshalb können wir uns auf Bundesebene sehr gut sehen lassen. Mehr als die Hälfte der Kinder, die Sozialhilfe beziehen, lebt leider in Haushalten allein erziehender Frauen. Deshalb muss eine entscheidende Verbesserung durch den Familienleistungsaus
gleich erreicht werden. Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom November 1998 müssen nicht nur in der Steuerpolitik, sondern auch in der Familienpolitik umgesetzt werden. Dazu ist in Ihrem Dringlichkeitsantrag leider überhaupt nichts zu lesen.
Wie kann Abhilfe geschaffen werden? – Schritte aus der Armut sind eine qualifizierte Ausbildung, die Verbesserung der Beschäftigungssituation, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Aufnahme von Erwerbstätigkeit, flexible Arbeitszeiten, Teilzeit und eine Renaissance der Familienförderungspolitik. Außerdem brauchen wir flexible Kinderbetreuungsangebote. Frau Kollegin Schopper, darin stimmen wir überein. Wir haben die präventive Aufgabe, die Rahmenbedingungen für Arbeitsplätze zu verbessern und eine gesunde florierende Wirtschaft zu ermöglichen. Wir müssen uns stärker als bisher dafür einsetzen, dass Bildung und lebenslanges Lernen als Teil der Sozialpolitik begriffen werden. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich die Bildungsarmut vererbt. Wir sollten heute nicht über die Pisa-Studie diskutieren. Wenn jedoch der Ländervergleich zu dieser Studie vorliegt, wird es für viele rot-grün-regierte Länder ein böses Erwachen geben.