Protocol of the Session on October 10, 2001

Ich betone nochmals: Die Verantwortung, dass unsere Kinder zu eigenverantwortlichen selbstständigen jungen Leuten heranwachsen können, liegt zuallererst bei der Familie, dann beim Staat, mit ergänzenden nach dem Bedarf ausgerichtete Einrichtungen aber auch bei der Wirtschaft, die sich in diesen Prozess einbringen muss.

(Beifall bei der CSU)

Das Wort hat Frau Werner-Muggendorfer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Eigentlich hätten wir es schon immer wissen müssen: Nur die CSU weiß, was Frauen wünschen – oder Familien. Hört man sich Ihre Reden an, könnte man das meinen. Zugleich wissen sie, was die SPD will – auch das ist interessant. Was die Pferde anbelangt: Herr Schneider, mit den Rössern kennen Sie sich anscheinend nicht aus. Wir sitzen schon sehr lange auf dem richtigen Pferd. Sie haben gerade noch den Rossschweif erwischt und versuchen mitzukommen.

(Beifall bei der SPD)

Im Vorhinein will ich ganz klar feststellen: Die SPD will niemandem die Kinder wegnehmen, sie nirgendwo hineinzwingen, will nirgendwo verpflichtend irgendetwas für alle Kinder festlegen. Dies ganz groß als Überschrift für diejenigen, die das bisher noch nicht mitbekommen haben. Wir wollen niemanden zu irgendetwas zwingen, sondern wir wollen Wahlfreiheit. Zur Wahlfreiheit gehört zuerst das Angebot, aus dem man auswählen kann. Diese Voraussetzung gibt es in Bayern nicht. Wir haben ganz bewusst unsere Aktuelle Stunde „Ganztagsangebot“ genannt. Die Voraussetzungen, die für die Wahlfreiheit nötig sind, sind in Bayern nicht gegeben.

Ich will auf einen Zusammenhang hinweisen, der noch nicht angesprochen wurde. Wir alle wissen seit der „Shell-Studie“ alle, dass sich junge Leute Kinder wünschen, dass aber sehr viele den Kinderwunsch nicht umsetzen, weil sie keine Arbeits- und Lebensmöglichkeiten mit Kindern sehen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht gegeben ist und nicht genügend Betreuungsangebote angeboten werden.

Wir könnten von den skandinavischen Ländern lernen. Dort gibt es wesentlich mehr berufstätige Frauen, wesentlich mehr Betreuungsangebote und zugleich wesentlich mehr Geburten. Die Frauen können sich trauen Kinder zu bekommen, weil sie wissen, dass ihre Kinder gut untergebracht sind, sodass sie beruhigt zur Arbeit gehen können.

Nun zum Angebot in Bayern. Wo ist es denn? Wo ist denn das Ganztagsangebot? – Die stundenweise Betreuung bekommen wir noch ein bisschen hin. Für Kinder unter drei Jahren reicht das nicht. Es ist festzustellen, dass die Ideologie noch in vielen Knochen der CSU steckt, sodass die Krippenbetreuung alle zusammenzucken lässt und an Sozialismus gedacht wird. Das ist nicht mehr der Fall. Junge Frauen wollen – gerade wenn sie einen sehr guten Beruf haben – die Berufstätigkeit nicht aufgeben, wollen aber ihre Kinder gut untergebracht wissen. Wie sieht es denn aus? – Versorgungsgrad bei Krippenplätzen 1,4%, für Kinder unter drei Jahren 2,9%. Ganztagsangebote sind also Fehlanzeige. Für Kindergartenkinder gibt es eine relativ gute Versorgung mit Halbtags- und Teilzeitplätzen – das will ich nicht

abtun, aber Ganztagsplätze sind ebenfalls Fehlanzeige. Ganztagsplätze sind acht Stunden und mehr, weil ein Arbeitstag auch acht Stunden und mehr hat und zusätzlich das Kind hingebracht und abgeholt werden muss. Hier haben wir noch sehr viel Nachholbedarf.

Nun zu den Angeboten für Schulkinder. Zur Ganztagsschule wurde schon einiges gesagt. Dazu müsste noch viel gesagt werden. In fünf Minuten ist das leider nicht möglich. Bei Hortangeboten und anderen Einrichtungen gibt es einen Versorgungsgrad von 4,9%. Von fast 5500 Schulen in Bayern gibt es gerade mal 29 Ganztagsschulen. Diese Zahl muss man wieder einmal gesagt haben. Das ist marginal. Davon drei öffentliche, das ist lächerlich.

Bei den Ganztagsangeboten ist Fehlanzeige zu vermelden. Wir wissen alle, dass „ganztags“ momentan Konjunktur hat. Alle unterstützen uns bei diesem Anliegen. Die SPD ist nicht allein. Wir haben sehr viele Verbündete.

Ich gebe Frau Dodell Recht: Die Arbeitgeber sind natürlich auch in der Pflicht; die will ich daraus nicht entlassen. Sie müssen die Arbeitsbedingungen und die Voraussetzungen schaffen. Aber nicht nur die Arbeitgeber und die Wirtschaft sind gefordert, sondern auch der Staat. Die Familien und der Staat tragen die Verantwortung für das Heranwachsen der Kinder. Das ist ganz entscheidend. Die CSU hat mittlerweile das Modell der Ganztagsschule entdeckt, Respekt. Nach 20 Jahren haben Sie endlich die Zeichen der Zeit erkannt, Herr Knauer. Gott sei Dank ist Bewegung in die Sache gekommen. Das freut uns. Wir hoffen, dass wir ein Stück des Weges vielleicht auch gemeinsam gehen können.

Die Offensive, die Sie ankündigen, kann ich nicht entdecken. Sie strecken Ihr Programm über fünf Jahre hinweg und hoffen, dass dann weniger Plätze für Kinder zur Verfügung gestellt werden müssen. Darin sehe ich keine Offensive. Sie müssen sich fragen lassen: Wenn Kinder unser höchstes Gut sind, wie viel sind sie uns dann wert?

(Beifall bei der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Frau Staatsministerin Stewens.

Frau Präsidentin, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Frau Werner-Muggendorfer, Sie fragen immer, was uns unsere Kinder wert sind. Sie wollen dann Zahlen genannt bekommen. Sie machen den Wert der Kinder in unserer Gesellschaft an Zahlen fest. Das ist viel zu kurz gegriffen. Eine kinderfreundliche Gesellschaft aufzubauen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das ist etwas, woran wir uns alle beteiligen müssen, jeder Einzelne, der Verantwortung in dieser Demokratie trägt. Das möchte ich meinen Ausführungen voranstellen.

Ich möchte noch dazu sagen: Wir geben in Bayern 1,1 Milliarden DM – ich habe das die Kindermilliarde genannt – für unsere Kinder im Bereich Kinderbetreuung

für die Ganztagsbetreuung aus. Sie hätten die Aktuelle Stunde nicht unter das Thema Ganztagsbetreuung, sondern unter das Thema Ganztagsschule stellen sollen. Ihre Argumentation hat sich hauptsächlich auf die Ganztagsschule bezogen.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Kein Wort habe ich von der Ganztagsschule gesagt!)

Der Freistaat Bayern nimmt zusätzlich zu den 1,1 Milliarden DM, die wir dafür ausgeben, weitere 500 Millionen DM für die Ganztagsbetreuung unserer Kinder in die Hand. Die Ganztagsbetreuung ist flächendeckend für die Kinder unter drei Jahren, für die Kinder im Kindergartenbereich und für die Kinder in der Nachmittagsbetreuung im Schulbereich. Ich meine damit die Hort- und Nachmittagsbetreuung. Da können wir uns ganz gewiss im Vergleich mit den anderen Ländern messen. Es gibt kein Land, das gegenwärtig so viel Geld in die Nachmittagsbetreuung und in die Ganztagsbetreuung der Kinder investiert.

(Widerspruch der Frau Abgeordneten Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Lassen Sie mich noch das Gesamtkonzept der Bayerischen Staatsregierung, das in seinen Eckpunkten vorliegt, darstellen: Wichtig ist – und das ist das Signal an unsere Familien –, dass der Weg für eine verlässliche Struktur der Kinderbetreuung vor Ort auf kommunaler Ebene frei gemacht wird. Wichtig ist – das spielt in Ihrer Argumentation leider Gottes kaum eine Rolle –, dass wir in Bayern eine einheitliche Fördergrundlage für die gesamte Kinderbetreuung bekommen.

Die Staatsregierung strebt gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden eine einheitliche Förderung für alle Formen der Kinderbetreuung in Bayern an.

(Frau Radermacher (SPD): Das ist vernünftig!)

Staat und Kommunen beteiligen sich zu gleichen Teilen an den Personalkosten.

(Frau Radermacher (SPD): Da sind wir einer Meinung!)

Für die Übergangszeit bis 2002 werden wir die Förderung in Richtlinien regeln. Ab 2005 wird es ein Fördergesetz geben. Bis Ende des Jahres 2003 laufen die beiden Modellversuche in Bayreuth und in Landsberg am Lech.

Frau Kollegin Münzel, wir sprechen mittlerweile von einer kindbezogenen Förderung. Eine reine marktbezogene Förderung war das eigentlich noch nie. Es war immer eine Förderung, die auf die Qualität, Bildung, Erziehung und Betreuung abzielte. Das sind die Maximen, die unseren Kinderbetreuungseinrichtungen zugrunde gelegt sind.

(Frau Radermacher (SPD): Das stimmt so nicht!)

Deswegen sind die Kindergärten in Bayern Bildungseinrichtungen. Sie sind und sie bleiben Bildungseinrichtungen. Das ist die Maxime unseres Handelns.

Es gibt im Bereich der Schulen eine sehr gute Nachmittagsbetreuung. Ich denke hier an die kirchlichen Angebote von hervorragender Qualität. Die sollten sie nicht nur mit Schulspeisung und Kinderbewahranstalten gering schätzen. Damit werden Sie all den Einrichtungen, der Nachmittagsbetreuung in den Schulen, in keiner Weise gerecht.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist eine Unterstellung! – Weitere Zurufe der Frau Abgeordneten Münzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und des Abgeordneten Irlinger (SPD))

Das sind die Dinge, die Sie heute in die Diskussion eingebracht haben.

Ich möchte Ihnen auch sagen: Wir haben die Nachmittagsbetreuung an zirka 30% der bayerischen Realschulen, an 23% der Gymnasien und zusammengenommen mit den Horten für Kinder bis zum 14. Lebensjahr an 12% der Grundschulen und Hauptschulen.

Lassen Sie mich Ihnen noch einmal klar sagen: Ab 2005 wird es eine gesetzliche Grundlage mit einer einheitlichen Förderung für alle Kinderbetreuungseinrichtungen geben. Ich habe zurzeit zehn unterschiedliche Fördermodelle; in vielen Einrichtungen gibt es gar keine Förderung. Das ist ausgesprochen ungerecht.

Sie haben die Tagesbetreuung angemahnt. Da muss sich etwas tun. Im Moment wird gefördert, unabhängig davon, ob ein Kindergarten vier oder sechs Stunden geöffnet hat. Diese Einrichtungen bekommen immer die gleiche Personalkostenförderung.

(Frau Radermacher (SPD): Das ist nicht gerecht!)

Danke, Frau Kollegin Radermacher. Da sind wir einer Meinung. Das ist nicht gerecht.

(Frau Radermacher (SPD): Das sagen wir schon lange!)

Deswegen ist es wichtig, dass wir gemeinsam die kindbezogene Förderung, die sich natürlich an dem Auftrag Bildung, Erziehung und Betreuung orientiert, in Bayern einführen.

In den Jahren 2002 bis 2006 werden für Kinder unter drei Jahren 1000 neue Plätze geschaffen. Darüber hinaus ist beabsichtigt, an den Grundschulen 1850 neue Hortplätze zu schaffen. Für die Nachmittagsbetreuung sollen 3150 neue Plätze gemeinsam mit den Kommunen finanziert werden.

Bereits bestehende Krippen und kommunale Horte, Alteinrichtungen, die Nachmittagsbetreuung an den Schulen – ich habe hier schon auf die hervorragenden kirchlichen Angebote hingewiesen –, die bisher keine staatliche Förderung bekommen haben, werden schrittweise mit Beginn des Jahres 2002 in die staatliche Förderung aufgenommen.

Frau Kollegin Radermacher, dieses schrittweise Aufnehmen in Schritten von 25%, 50%, 75% und 100% in vier

Jahren ist in Übereinstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden vereinbart worden.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Radermacher (SPD))

Wir haben hier das eindeutige und klare Ja der kommunalen Spitzenverbände. 2005 haben wir die angestrebte staatliche Förderung bei den so genannten Alteinrichtungen. Künftig erhalten dann alle Tageseinrichtungen für Kinder im Rahmen des kommunalen Finanzausgleiches Bau- und Mietkostenzuschüsse.

Es ist beabsichtigt, den Etat von jährlich 60 Millionen DM, der bisher nur zur Investitionskostenförderung bei den Kindergärten gedient hat, durch die Privatisierungserlöse in fünf Jahren um fünf mal 10 Millionen Euro aufzustocken.

Meine Damen und Herren, die Förderung der Krippen soll ab dem Jahr 2002 nach der kindbezogenen Förderung erfolgen. Auch dies geschieht in Übereinstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden. Ich möchte ganz klar sagen, ich habe nicht vor, eine Förderung – egal, wie sie letztlich aussieht – ohne die kommunalen Spitzenverbände und die Träger der freien Wohlfahrtspflege zu verabschieden. Keine Frage, sie haben hier mitzureden. Das Gesetz verabschieden wir hier gemeinsam im Landtag, aber im Vorfeld werde ich die kommunalen Spitzenverbände und die Träger der freien Wohlfahrtspflege intensiv einbeziehen.

Ich werde die Krippen in die Modellversuche in Landsberg am Lech und Bayreuth einbeziehen. Wir wollen 2002 mit der kindbezogenen Förderung beginnen und gleichzeitig die Krippen in die Modellversuche aufnehmen. Die Ergebnisse, die uns nach Ablauf der Modellversuche vorliegen, müssen im Rahmen des Finanzierungsgesetzes für die Tagesbetreuung umgesetzt werden. Um es klar zu sagen, eine Experimentierklausel muss aufgenommen werden.

Die Träger von Horten, die nach dem 01.01.2002 errichtet werden, erhalten wie bisher die Horte in frei gemeinnütziger Trägerschaft Zuschüsse zu den Personalkosten analog dem Bayerischen Kindergartengesetz. 40% der Personalkosten zahlt der Freistaat, 40% zahlen die Kommunen und 20% die Träger, wobei darin die Elternbeiträge enthalten sind. Dazu kommt die modellhafte Förderung von 150 Tagespflegeprojekten, bei der es uns auch um die soziale Absicherung der Tagespflegepersonen geht. So können wir ab 2002 auch Tagespflegeangebote fördern. Dabei ist an keine Verlagerung der Zuständigkeit an kreisangehörige Gemeinden gedacht. Zuständig sind weiter die Jugendämter bei den Landkreisen.