Protocol of the Session on January 31, 2001

(Namentliche Abstimmung von 16.28 bis 16.33 Uhr)

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Fünf Minuten sind abgelaufen, die Stimmabgabe ist damit abgeschlossen. Das Abstimmungsergebnis wird außerhalb des Plenarsaals ermittelt und von mir später bekannt gegeben. Wir fahren inzwischen mit der Beratung der Dringlichkeitsanträge fort. Ich weise noch darauf hin, dass vorhin bei der Aussprache die Wortmeldungen der Kollegen Nadler und Mirbeth nicht mehr zum Zuge gekommen sind, weil die Redezeit ihrer Fraktion bereits erschöpft war.

Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Dr. Dürr, Christine Stahl, Elisabeth Köhler und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bericht über die Rolle des Landesamtes für Verfassungsschutz im Vorfeld des Skinhead-Treffens in der Gaststätte „Burg Trausnitz“ in München am 13./14.01.2001 (Drucksache 14/5620)

Ich eröffne die Aussprache. Wortmeldung: Frau Kollegin Tausendfreund.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich bin in der einzigartigen Situation, dass Sie meinen Beitrag unwidersprochen entgegen nehmen müssen.

(Willi Müller (CSU): Sie haben Narrenfreiheit!)

Der Minister kann noch darauf reagieren. Wenn ich die Redezeit ausschöpfte, dürften auch Sie, Herr Beckstein, nicht mehr reden. Weil ich aber will, dass der Dringlichkeitsantrag angenommen wird, werde ich die Redezeit nicht voll ausschöpfen. Es geht in dem Dringlichkeitsantrag um einen Bericht über die Rolle des Landesamtes für Verfassungsschutz im Vorfeld des Skinhead-Treffens in der Gaststätte „Burg Trausnitz“ in München am 13./14. Januar 2001. Die Skinhead- und Neonaziszene ist erschreckend aktiv. Polizeipräsident Koller schätzt die aktuelle Zahl der Skinheads in München auf rund 500 – Tendenz leider steigend. Von einer hohen Dunkelziffer ist auszugehen. Amtsbekannte Neonazis reisen quer durch die Republik. Die verschiedenen Kameradschaften und Aktionsbüros für nationalen Widerstand scharen ihre Gefolgschaft um sich. Bayern bleibt hiervon nicht verschont.

Der mutmaßliche Haupttäter des Überfalls am 13./14.01. 2001, Christoph Schulte, ein Angehöriger der militanten Skinhead-Szene und Gefolgsmann des Neonazis Christian Worch wurde zunehmend in Bayern aktiv. Der einschlägig vorbestrafte Schulte und andere polizeibekannte Vertreter der rechtsradikalen Szene konnten sich hier munter treffen. Der Verfassungsschutz schaute mehr oder weniger intensiv zu. Das Landesamt hielt es anscheinend nicht für nötig, seine Erkenntnisse an die Polizei weiterzugeben. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich erwähnen, dass es der Polizei dennoch in vorbildlicher Weise gelungen ist, auf den Überfall zu reagieren, auch wenn sie vielleicht durch eine Vorabinformation schneller hätte da sein können.

In der Presse wurde der sehr weit gehende Vorwurf erhoben, das Landesamt für Verfassungsschutz hätte den rechtsradikalen Überfall auf den jungen Griechen Artemios T. vor zwei Wochen verhindern können. So weit gehe ich nicht. Denn egal, was der Verfassungsschutz genau über die Gaststätte „Burg Trausnitz“ und den „Freizeitverein Isar 96“ sowie über die Geburtstagsfeier der Skinheadgruppe wusste: Der konkrete Überfall war sicher nicht im Einzelnen vorhersehbar. Vorhersehbar waren allerdings die hohe Gewaltbereitschaft sowie die menschenverachtende und ausländerfeindliche Gesinnung, von der damit verbundenen latenten Gefahr von Übergriffen auf Unbeteiligte ganz zu schweigen. Schließlich war der brutale Überfall in der Zenettistraße nicht der erste Angriff auf einen Menschen in München. Erst im letzten Jahr wurde ein 25-jähriger Italiener von Rechtsradikalen schwer misshandelt; er erlitt eine Schädelfraktur.

Mit unserem Dringlichkeitsantrag fordern wir einen Bericht der Staatsregierung, damit die Rolle des Verfassungsschutzes geklärt wird. Das Dementi des Landesamts reicht uns nicht. Wir wollen wissen, welche Erkenntnisse der Verfassungsschutz tatsächlich hatte und ob mit der Situation nicht anders umzugehen gewesen wäre. Das Verhalten des Verfassungsschutzes steht für mich im krassen Widerspruch zu den Erklärungen der Staatsregierung, hart gegen den Extremismus durchzugreifen. Im Ausschuss wurde immer wieder erläutert, wie sehr man sich bemühe, die rechtsradikale Szene zu ver

unsichern, zum Beispiel durch Hausbesuche bei amtsbekannten Rechtsradikalen etc.

Wenn der Verfassungsschutz hier aber nicht eingreift und nicht einmal Erkenntnisse an die Polizei weitergibt, dann ist das nicht der richtige Weg. Entweder wurde die Situation vom Verfassungsschutz falsch eingeschätzt oder der Verfassungsschutz selber war ahnungslos, was eigentlich in der rechten Szene abläuft. Jedenfalls ist er seinem Auftrag zur Bekämpfung der rechtsradikalen Gewalt nicht nachgekommen.

Mit der Aussage des Sprechers des Verfassungsschutzes, Franz Gruber, es sei realitätsfremd zu verlangen, dass man über die einzelnen Aktivitäten in der dezentralen Skinhead-Szene Bescheid wisse, kann ich nichts anfangen. Was glauben sie denn, was ihre Aufgabe ist? Natürlich müssen sie sich genau anschauen, was in dieser Szene im Einzelnen los ist. Eine gewisse Blindheit auf dem rechten Auge scheint hier immer noch vorzuherrschen. Bei einer noch so kleinen Versammlung einer Antifa-Gruppe hätte es jedenfalls eine sehr intensive Observation innerhalb und außerhalb dieser Versammlung gegeben.

Der Polizeipräsident Koller bezeichnet es als gewisses Restrisiko, wenn der Verfassungsschutz selbst bewerte, welche Informationen an die Polizei weitergegeben werden und welche nicht. Dieses Restrisiko dürfen wir nicht akzeptieren; dieses Restrisiko kann lebensgefährlich werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Staatsminister Dr. Beckstein. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie einverstanden sind, will ich bereits heute in wenigen knappen Sätzen einiges sagen. Ich wehre mich aber überhaupt nicht dagegen, dass wir auch einen Bericht im Kommunalausschuss und darüber hinaus zu bestimmten Bereichen auch über den Bericht in der Sitzung am 23. Januar hinaus einen weiteren Bericht in der PKG geben. Einzelne operative Maßnahmen werden selbstverständlich nicht öffentlich darstellbar sein.

Zunächst einmal handelt es sich – und deswegen hätten Sie, Frau Kollegin Tausendfreund, Ihre Mitarbeiter etwas rüffeln sollen, damit sie wenigstens das Datum richtig aufnehmen – nicht um die Nacht vom 13. auf den 14., sondern wohl um die Nacht vom 12. auf den 13.

(Frau Tausendfreund (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich war nicht dabei!)

Entschuldigung, aber man kann Zeitungen lesen.

(Frau Radermacher (SPD): Ändert das an der Sache selbst etwas?)

Nein, aber ich meine, das zeigt, mit welcher Sorglosigkeit und mit welcher Leichtfertigkeit hier insgesamt vorgegangen worden ist.

(Widerspruch bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Der Vorfall war nämlich am 13. Januar um 1.10 Uhr, also in der Nacht vom 12. auf den 13. Das hat auch insoweit Bedeutung, als bereits öffentlich dargelegt worden ist, dass die ersten Mitteilungen darüber, dass am 12. Januar abends eine Veranstaltung in dieser Gaststätte stattfinden würde, am 12. Januar, also an demselben Tag, dem Landesamt für Verfassungsschutz zugegangen sind.

Es ist von Bedeutung, dass es sich hierbei um den „Freizeitverein Isar 96 e.V.“ – FZV – handelt, der im Verfassungsschutzbericht 1999 und übrigens auch wieder im Verfassungsschutzbericht 2000 aufgeführt ist. Ich darf, weil es kurz ist, das vorlesen, was in der Ausgabe 1999 steht:

Der 1996 gegründete FZV zählt wie im Vorjahr rund 15 Mitglieder, die sich in der Tradition des verstorbenen Neonazis Michael Kühnen sehen. Die Aktivitäten des FZV beschränkten sich auf kleinere Veranstaltungen, interne Stammtische und Grillpartys.

An einer anderen Stelle heißt es:

An einer vom FZV organisierten Saalveranstaltung mit Horst Mahler beteiligten sich am 3. Juli 1999 in München rund 70 Personen aus dem gesamten rechtsextremistischen Spektrum. Der ehemalige RAF-Mitbegründer trug seine aus anderen bundesweiten Auftritten bekannten Thesen eines nationalen Sozialismus vor.

Informationen, dass sich dieser FZV, wie häufig vorher auch, treffen würde, lagen damit an dem betreffenden Tag dem Landesamt vor. Sie sind in der Tat nicht weitergegeben worden, und zwar deswegen, weil es keinerlei Anzeichen dafür gegeben hat – so die Mitteilung des Landesamtes mir bzw. meinem Haus gegenüber –, dass irgendwelche andere Vorkommnisse als bei vielen anderen regelmäßigen Treffen des FZV in derselben Gaststätte stattfinden würden.

Das heißt also, das Landesamt wusste davon, dass der FZV, dieser Verein mit einer Mitgliederstärke von etwa 15 Leuten, ein Treffen haben würde. Es wird weiter ausdrücklich dargelegt, dass keinerlei Hinweise dafür vorgelegen hätten, welche eine Schlussfolgerung auf eine Teilnehmerzahl von zirka 60 Personen zugelassen hätten. Des Weiteren war ebenfalls nicht zu erwarten, dass mehrere Skinheads an der Veranstaltung teilnehmen würden, da sie als eine interne Feier deklariert war.

Das bedeutet, dass ich auch im Nachhinein keine Kritik daran zu üben habe, dass diese Erkenntnisse nicht an die Polizei weitergegeben worden sind, sondern dass ich es für eine vertretbare Bewertung halte. Es handelte sich um eine reguläre Veranstaltung einer derartigen Vereinigung, deren Mitglieder eindeutig Neonazis sind, wo aber

über mehrere Jahre hinweg keinerlei Besonderheiten in der Hinsicht vorgekommen sind, dass Gewaltbereitschaft erkennbar gewesen wäre.

Deswegen ist es auch gegenstandslos, wenn hier gefragt wird, was gewesen wäre, wenn der Verfassungsschutz der Polizei Mitteilung gemacht hätte. Das hätte natürlich nur dann Sinn, wenn man ganz konkrete Erkenntnisse gehabt hätte; denn die Polizei stellt sich natürlich auf Lageerkenntnisse entsprechend ein.

Es war also nicht bekannt, dass Skinheads in dieser Zahl teilnehmen würden. Es lag auch keine Mitteilung des Landesamtes für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen vor, dass der später als Haupttäter in Erscheinung getretene Skinhead, der auch einen gewalttätigen Vorlauf hatte, nach Bayern kommen würde. Also wenn, dann würde ich darum bitten, auch bei den Kollegen in Nordrhein-Westfalen dafür zu sorgen, dass der Verfassungsschutz entsprechend gestärkt wird, damit wir entsprechende Hinweise bekommen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Wilhelm (CSU))

Bei aller Kritik, die natürlich Aufgabe einer Opposition ist, freue ich mich, dass von Ihnen jetzt ausdrücklich – jedenfalls wenn man die Tendenz darstellt – eine Verstärkung des Verfassungsschutzes gefordert wird.

(Frau Tausendfreund (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Na, na, na!)

Entschuldigung, es kann doch wohl nicht ernsthaft sein, dass Sie hier die Meinung vertreten, der Verfassungsschutz müsse nicht gestärkt werden; denn ohne eine entsprechende Stärkung werden wir doch keine Chance haben, stets entsprechende Erkenntnisse zu bekommen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Wilhelm (CSU))

Jetzt muss ich Ihnen schon Folgendes sagen: Diejenigen, die über Jahre sogar die Auflösung des Verfassungsschutzes gefordert haben, –

(Zuruf der Frau Abgeordneten Radermacher (SPD))

nein, nicht Sie, sondern das sind die GRÜNEN – sollten jetzt nicht sagen, der Verfassungsschutz hätte das erkennen müssen.

In der Sitzung der PKG am 23. Januar 2001 ist die Erkenntnislage dem Grundsatz nach dargestellt worden. Wir sind gern bereit, das dort in allen Einzelheiten darzustellen. Ich kann das öffentlich nicht tun; denn wenn es darum geht, dass eine Gruppe von 15 Leuten observiert wird, könnte sehr schnell herauskommen, wer derjenige ist, der vielleicht irgendwelche Mitteilungen weitergibt und in welchem Zusammenhang das geschieht. Das kann nicht öffentlich dargestellt werden. Dafür wird jedermann, der halbwegs gutwillig ist, Verständnis haben.

Wir hatten – so wurde das vom Landesamt öffentlich dargestellt und auch mir gegenüber noch einmal bestä

tigt – Hinweise auf Treffen dieser 15 Mann, wie sie regulär durchgeführt werden. Aber darüber hinausgehend hat es weder von Nordrhein-Westfalen noch von uns selber entsprechende Hinweise gegeben.

Ich halte die Bewertung des Landesamtes für akzeptabel, zumal man Folgendes sagen muss: Selbst wenn eine Mitteilung gekommen wäre, dass sich hier auch etliche Skins treffen, wäre die Frage zu beantworten, ob es überhaupt rechtlich möglich gewesen wäre, die ganze Zeit bei einer internen Veranstaltung Polizei anwesend zu haben. Es bleibt die Frage, ob man eine Außenobservation gemacht hätte. Aber diese Fragen sind aus meiner Sicht auch deswegen gegenstandslos, weil auch ohne die Mitteilung des Verfassungsschutzes die polizeilichen Einsatzkräfte 2,5 Minuten nach Alarmierung am Tatort gewesen sind. Ich möchte also hier auch ausdrücklich sagen, dass die Polizei wirklich in einer Geschwindigkeit gearbeitet hat, die aus meiner Sicht vorbildlich ist. Daher will ich das hier auch ausdrücklich sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Ich will – Sie sehen mir das nach – auch klar hervorheben, dass mir das Landesamt mitgeteilt hat, dass es, hätte es Erkenntnisse gehabt, dass sich zirka 60 Skinheads treffen, selbstverständlich diese Information an die Polizei weitergegeben hätte. Zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit wird darauf hingewiesen, dass es in der Vergangenheit viele entsprechende Informationen an die Polizei weitergegeben hat, zum Beispiel am 25.11.2000, als eine Skinheadparty in Bruckmühl, Landkreis Rosenheim, stattfand, wozu umfangreiche Kontrollmaßnahmen der Polizei veranlasst wurden. Von daher, glaube ich, ist das Vorverfahren nicht zu kritisieren.

Ich will ausdrücklich hervorheben, dass die Polizei und das Landesamt die vorhandenen Möglichkeiten zur Bekämpfung rechtsextremistischer Gewalttaten wirklich in vollständigem Umfang wahrnehmen. Wir bemühen uns durch jede nur mögliche Tätigkeit, rechtsextremistische Gewalttaten zu bekämpfen. Ich begrüße deshalb auch ausdrücklich, dass heute vom Bundesinnenminister im Namen der Bundesregierung der Antrag eingereicht worden ist, die NPD zu verbieten. Ich selber habe diesen Antrag mit auf den Weg gebracht – entgegen den ersten kritischen Ausführungen der beiden Oppositionsparteien in diesem Hause. Ich freue mich, dass GRÜNE und SPD ihre Meinung dazu geändert und sich der Beurteilung der Bayerischen Staatsregierung und meiner Beurteilung angeschlossen haben.