Protocol of the Session on January 31, 2001

Die Antwort der Bundesregierung auf die Frage nach dem Strukturausgleich heißt, dass die ICE-Strecke Augsburg – Stuttgart nicht ausgebaut wird. Trotzdem wird gesagt, dass die Reduzierung der Standorte ein Geschenk und ein Segen sei, man müsse nur den Verstand haben, zu erkennen, welchen Vorteil das bringe. Man müsse das mit den guten Regionen ausgleichen. In der Presse ist heute schon die Antwort zu lesen, dass nämlich die ICE-Strecke nicht ausgebaut wird. Das geben Sie uns mit.

Im letzten Jahr, Herr Kollege Strasser, hatten Kollege Guckert und ich den Eindruck, in Nordschwaben könne nichts mehr schief gehen, weil wir den direkten Draht zum Kanzleramt haben. Auf drei Farbseiten in der „Donauzeitung“, in der „Augsburger Zeitung“ hieß es, die Kanzlergattin sei in Nordschwaben, und der Kollege Strasser demonstrierte beste Verbindungen, eine Direktleitung ins Kanzleramt. Ein Anruf genüge, um ein Problem zu lösen. Dann der Spaziergang in Tagmersheim mit dem Bundeskanzler. Was erleben wir heute? – Kein Machtwort, keine Rede und keinen Brief an den Kanzler, keine Antwort, nichts.

(Beifall bei der CSU – Strasser (SPD): Das stimmt doch nicht!)

Danke für die Aufmerksamkeit.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Dr. Goppel.

Wer weiß, Herr Kollege Winter, Hohes Haus, ob nicht doch ein Anruf des Kollegen Strasser alles erledigt hat, und deswegen bei ihnen die Probleme entstehen. Das könnte durchaus sein.

(Heiterkeit bei der CSU)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Herren Bürgermeister – diese Anrede dort hinüber ist ungewöhnlich. Wir sollten uns vergegenwärtigen, warum wir streiten. Im Prinzip streiten wir nicht darüber, ob die Bundeswehr ein Stück zurückgehen soll. Über die Größenord

nung der Reduzierung streiten wir sehr wohl. Wir streiten aber auch über das Verfahren und den Umgang mit den Bürgern und den Gemeinden und darüber, wie die Sache insgesamt durchgeführt wurde.

(Prof. Dr. Gantzer (SPD): Ihr Antrag ist aber anders! – Frau Radermacher (SPD): Wir reden über den Dringlichkeitsantrag!)

Der Ausgangspunkt der Diskussion ist eine Aktion, die in Berlin stattfindet. Der Antrag ist die Folge. Es ist nicht mein Problem, dass Sie das nicht auf die Reihe bringen.

Die Ausgangsposition ist die Reduzierung der Bundeswehr. Es geht um Zahlen, Standorte und um viele Menschen sowohl im zivilen als auch im dienstlichen Bereich. Die Reduzierung im jetzigen Umfang wurde von Ihnen bis letzten Sonntag in Abrede gestellt. Sie haben in insgesamt über zwanzig bayerischen Standorten – die ausgeschlossen, bei denen Sie belobigt werden – die Leute im guten Glauben gewogen, es würde ihnen nichts passieren. Es hieß, es gehe um Kleinststandorte und um sonst nichts. Memmingen ist also ein Kleinststandort. Ich wünsche Herrn Oberbürgermeister Holzinger viel Vergnügen mit der Präsentation seines Kleinststandortes nach außen.

Wir könnten noch einige mehr aufzählen.

Noch viel interessanter ist etwas anderes. Sie haben sich immer darüber beschwert, dass die CSU, solange sie in der Bundesregierung war, Bayern benachteiligte. Ich kann mich an 20 Jahre Diskussion mit Theo Waigel an der Spitze und mit anderen erinnern. Sie haben heute Nachmittag ausdrücklich erklärt – Herr Kollege Müller, Sie besonders intensiv –, wie gut Bayern unter Theo Waigel gefahren ist und wie mies Sie als SPD es jetzt behandeln. Sie sagen nämlich nicht nur, dass jetzt ein gewisser Nachholbedarf besteht, sondern Sie sagen in der Öffentlichkeit auch, dass Bayern mit der Bundeswehr so gut da steht – das ist praktisch ein Kompliment an die CSU –, dass man es jetzt benachteiligen müsse, wie auch die Bauern. Der Kanzler hat bei seiner Veranstaltung in Vilshofen ja gesagt: Wer nicht meinen Rücken stärkt, bekommt mit mir Ärger. Jetzt geschieht das auch bei der Bundeswehr.

(Widerspruch bei der SPD)

Das passt sehr gut in Ihr Gesamtkonzept.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Sie haben uns vorgeworfen, dass aus unserem Antrag hervorgehe, wir wollen die Verantwortung für Bayern nicht mehr wahrnehmen. Wir von der CSU sind wirklich nicht mehr bereit, dabei mitzumachen, dass sich der Bund das, was er sich in den letzten beiden Jahren über Steuern in die Taschen geschoben hat, was er sich – wenn Ihnen diese Formulierung lieber ist – von unseren Bürgern geklaut hat, anschließend von Bayern nachfinanzieren lässt.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Was ist denn das für eine Philosophie?)

Wir werden zusammen über eine Menge verhandeln können, aber nicht darüber, dass Sie uns das Geld über die Bundeskasse nehmen, dass Sie es unseren Bürgern nehmen und anschließend den Freistaat in die Pflicht nehmen wollen.

Ich halte den Antrag der Fraktion deswegen für gerechtfertigt, weil florierende, bewährte und ausgezeichnete Standorte gestrichen werden und uns anschließend die Strukturaufgabe auferlegt werden soll. Quer durch die Regierungsbezirke, auf einer Fläche zwischen Niederbayern und München von 200 km Länge ist kein einziger Bundeswehrstandort mehr. Wie soll denn da noch eine Verwobenheit von Bundeswehr und Staat garantiert werden?

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, Frau Präsidentin. Sie wissen, dass die Redezeit begrenzt ist, und ich will das zu Ende bringen.

(Zuruf von der SPD: Feigling!)

Das hat mit Feigling nichts zu tun. Wer so denkt, verweist auf sein inneres Gefüge.

(Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bitte nicht. Ich höre nun einmal gut; das mag bei Ihnen nicht üblich sein.

Die Staatsregierung hat nicht die Aufgabe, den Ersatz für Ihre Streichorgien zu liefern. Auch bei der Feuerwehr ist es nicht üblich, die Mannschaften so festzusetzen. Die Versicherung zahlt nur in dem Umfang, wie man selbst für Sicherheit sorgt. Sie sind gerade dabei, uns im Rahmen der europäischen Sicherheit so weit unten anzusetzen, dass die europäische Versicherung nicht mehr zieht. Sie tun das speziell im Süden der Republik.

(Widerspruch des Abgeordneten Hufe (SPD))

Das geschah bis vor vier Monaten; dann hat vier Monate lang niemand mehr etwas gesagt.

(Zuruf des Abgeordneten Hufe (SPD))

Das Schreien ersetzt das Argument nicht, Herr Hufe. Es wäre gut, wenn Sie zuhören würden. – Bis vor vier Monaten galt der ungeschriebene Grundsatz: Die Wehrbereichsverwaltung für Süddeutschland kommt nach München; dafür hat die Bundeswehr die Gesamtanlage für 23 Millionen ausgebaut; das sind riesige Neuanlagen. Jetzt wird mit einem Federstrich entschieden, dass die Verwaltung nach Stuttgart kommt. Ein Schlimmer, der da Böses denkt; Kollege Winter hat Recht. Ich gönne den Baden-Württembergern den Zuwachs. Das ist aber eine andere Geschichte.

Wir reden hier über Ihre Art und Weise, Politik zu betreiben, und nicht darüber, ob am Ende insgesamt ein Standort mehr oder weniger übrig bleibt. Wir reden für die Bürgermeister, die aus dem Munde der SPD-Mandatsträger erfahren haben, dass ihr Standort geschlossen wird, und die nicht gefragt worden sind, welche Folgen sie dadurch befürchten. In den zwanzig Jahren, in denen ich nun schon hier bin, hat die SPD bei jeder Mittelvergabe lautstark beklagt, dass die gewählten Stimmkreisabgeordneten in diesem Hohen Hause Nachrichten etwas früher bekommen haben als die Listenabgeordneten. Jetzt praktizieren Sie das in Berlin in einer Perfektion, wie ich sie noch nie gekannt habe.

(Lachen bei der SPD – Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das tut uns leid!)

Sie lassen Bürgermeister der eigenen Partei nichts wissen und machen das nur über die eigene Schiene. Sie Heuchler!

(Beifall bei der CSU – Lachen bei der SPD)

Lassen Sie mich im Zusammenhang mit dem von uns selbst nie akzeptierten Papier eines Mitarbeiters auf Kollegen Huber zu sprechen kommen. Es war der damalige Chefideologe Scharping – –

(Zahlreiche Zurufe von der SPD)

Ich weiß, dass Sie ihn nicht als Ideologen bezeichnen. Es war der damals nicht im Verteidigungsministerium tätige, also der in dieser Rolle Rohrkrepierer Scharping – egal, wie Sie ihn bezeichnen wollen –, unter dem das Papier mit dem Inhalt entstanden ist: Macht die Rechtsradikalen stark, damit die Mitte bröckelt. Wir haben das damals nicht weiter diskutiert, weil wir Ihre Aussage hingenommen haben: Das war ein verhältnismäßig unbedeutender Mitarbeiter; nehmen Sie das nicht ernst. Das muss aber auch für die Äußerung eines neuen Mitarbeiters von Christian Schmidt gelten. Dieser hat das nämlich geschrieben. Er hat im Übrigen nicht geschrieben, das ist eine gute Aktion, sondern es ist in sich schlüssig, was die Herrschaften überlegt haben.

(Hufe (SPD): Da hat er auch Recht!)

Das ist in sich schlüssig. Wer die Bundeswehr insgesamt ausmerzen und in Bayern beseitigen will, hat ein schlüssiges Konzept geliefert.

(Lebhafter Widerspruch bei der SPD)

Das ist richtig.

(Prof. Dr. Gantzer (SPD): Er hat geschrieben: Sinnvoll!)

Das würden wir gar nicht behaupten. Soweit wir uns aufeinander berufen wollen, bin ich gerne bereit, die alte Aktion wieder aufleben zu lassen.

(Zuruf von der SPD)

Wer 60000 Soldaten abbauen will, hat ein in sich geschlossenes, ordentliches Konzept abgeliefert, keine Frage. Das ändert aber nichts daran, dass in Bayern eine massive Benachteiligung, insbesondere im Süden, insbesondere in Schwaben, stattfindet, dass wir unter der SPD-Führung in Berlin, begleitet von den GRÜNEN, mehr bluten als je zuvor. Das ändert nichts daran, dass Sie Bayern – Ihre eigene Heimat! – benachteiligen. Dazu habe ich an diesem Nachmittag von Ihnen keine einzige Erklärung gehört. Keiner von Ihnen hat gesagt: Wir, die bayerische SPD, pfeifen so wie die bayerische CSU in den letzten Jahren für die Bundeswehr. Das Gegenteil ist der Fall. Sie versuchen zu erklären, warum Sie die Vorhaben der Bundesregierung mittragen. Das gilt es weiterzuerzählen, und zwar quer durch die Republik.

(Beifall bei der CSU – Prof. Dr. Gantzer (SPD): So werden Sie nicht mehr Minister! – Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Auf Antrag der CSU-Fraktion soll diese Abstimmung in namentlicher Form erfolgen. Für die Stimmabgabe sind die entsprechend gekennzeichneten Urnen bereitgestellt. Die JaUrne befindet sich auf der Seite der CSU-Fraktion, die Nein-Urne auf der Oppositionsseite. Die EnthaltungUrne befindet sich auf dem Stenographentisch. Mit der Stimmabgabe kann begonnen werden.

(Namentliche Abstimmung von 16.28 bis 16.33 Uhr)