Protocol of the Session on January 31, 2001

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Kollege Hartenstein.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich oute mich gleich vorab, um im Sinne der Differenzierung, die Prof. Dr. Gantzer ins Spiel gebracht hat, zu argumentieren: Ich habe nicht gedient.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist keine Frage, dass die Schließung von Bundeswehrstandorten Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben wird, und zwar insbesondere in den strukturschwachen Regionen. Ich bin mir aber auch sicher, dass die Resonanz darauf nicht so negativ ausgefallen wäre, wenn vonseiten des Bundesverteidigungsministeriums die notwendige Transparenz an den Tag gelegt worden wäre, anstatt Desinformationspolitik zu betreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Viel wichtiger jedoch ist es, auf die positive Seite der Entwicklung hinzuweisen. Es geht um einen Abbau der Streitkräfte, und zumindest bei allen Friedensbewegten sollte da das Herz ein klein wenig höher schlagen. Die Freude wird allerdings dadurch getrübt, dass die Argumente, die hier vorgetragen worden sind, nicht mehr sind als Halbwahrheiten. Es ist nicht die Entspannung des Ost-West-Verhältnisses, die das bewirkt hat; sie hat es höchstenfalls ermöglicht. Es ist aber auch nicht ausschließlich das Geld, das letztlich diese Entwicklung einleiten ließ. Aus meiner Sicht ist es die Umstrukturierung der Bundeswehr im Sinne einer Streitmacht, die in die Lage versetzt werden soll, künftig an internationalen Schlägen gegen Dritte teilzunehmen, die ich grundsätzlich ablehne. Eine negative Erfahrung haben wir damit erst im letzten Jahr im Zusammenhang mit den Angriffen auf Serbien und das Kosovo gemacht.

Die Frage, die meines Erachtens von Ihnen viel stärker in den Vordergrund hätte gerückt werden müssen, ist: Was soll mit den Geldern geschehen, die durch die Schließung von Standorten eingespart werden können?

Als erstes fällt mir ein, ein Teil des Geldes könnte dazu verwendet werden, Maßnahmen zur Konfliktprävention zu unterstützen, etwas, was in den letzten Jahren viel zu kurz gekommen ist. Ich könnte mir darüber hinaus vorstellen, dass ein weiterer Teil der Gelder sinnvoll für Maßnahmen der direkten Rüstungskonversion eingesetzt werden könnte. Es ist so viel über Konversion geredet worden; geschehen ist nichts. Die Bundesrepublik ist heute wieder einer der größten Rüstungsexporteure, und das leider unter einer rot-grünen Regierung.

Den Kommunen ist aus meiner Sicht zu empfehlen, dass sie nicht länger lamentieren sollten über eine Entwicklung, die wahrscheinlich unaufhaltbar ist, sondern sich stattdessen Gedanken machen sollten, wie Arbeitsplätze sinnvoll geschaffen werden können. Beispiele dafür gibt es genug.

(Willi Müller (CSU): Leicht gesagt, schwer getan!)

Herr Müller, ich glaube, es gibt genügend Beispiele, die aufzeigen, dass mit ein bisschen Kreativität tatsächliche Entwicklungen eingeleitet werden können, die zu einer positiven Wende führen. Ich würde mir wünschen, dass das Engagement hier ansetzt, anstatt stundenlang darüber zu diskutieren, ob der eine oder andere Standort aufgegeben werden muss oder nicht. Die Entwicklung geht in diese Richtung. Daran lässt sich nichts ändern. Jetzt sollte alle Kreativität aufgewendet werden, um nach Wegen zu suchen, mit denen die Probleme der betroffenen Menschen abgeschwächt werden können.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Kollege Zeller.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Prof. Dr. Gantzer, heute haben Sie die Reißleine nicht richtig erwischt. Auch wenn Sie sich noch einmal gemeldet haben und Ihren Beitrag mit Punkt, Komma, und Doppelpunkt versehen haben, hatte Ihr Satz einen anderen Sinn. So, wie Sie es hier formuliert haben, habe ich Ihre Aussage nicht verstanden. Sie haben gesagt, es sei ein Geschenk für die Kommunen vor Ort, dass die Bundeswehr die entsprechenden Orte verlässt.

Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, wir sind sicher alle miteinander glücklich über die Entwicklung der letzten 10 Jahre. Ich glaube aber auch, dass man angesichts der Auflösung der schlimmen Grenze zwischen Ost und West daran denken muss, dass dies unter der politischen Führung von Helmut Kohl geschehen ist.

(Zuruf von der SPD)

Herr Prof. Dr. Gantzer, Sie sollten einmal zu Ihren Genossinnen und Genossen vor Ort gehen. Sie brauchen sich nur das Theater anzusehen, das in Sonthofen und in anderen Orten und Städten in Schwaben stattfindet, wo in der Zwischenzeit die Unterbezirksvorsitzenden der SPD zu Demonstrationen und Kundgebungen aufrufen und sagen, wir müssen mit aller Gewalt die Standorte erhalten. Wenn vom Standort Sonthofen, der

ganz peripher in der südlichsten Ecke der Bundesrepublik Deutschland gelegen ist, unter anderem die Feldjägerschule und der Stabsdienst ohne eine Strukturänderung nach Hannover transferiert werden sollen, dann hat das mit einer strukturpolitischen Maßnahme überhaupt nichts zu tun, sondern das ist schädlich für dieses Land.

(Beifall bei der CSU)

Die Frage ist, warum die Einrichtungen gerade nach Hannover, zwei Kilometer neben die größte Messeanlage Deutschlands und Europas, kommen sollen. Ist das nicht ganz klar ein parteipolitisches Spielchen?

Ich möchte eine weitere Anmerkung machen. Die Oberbürgermeister sind vom Herrn Staatsminister heute schon der Reihe nach genannt worden. Ob Herr Dr. Holzinger von Memmingen, Herr Weigl von Dillingen oder Herr Dr. Köppler von Günzburg – alle wehren sich dagegen. Ich habe dafür auch Verständnis, keine Frage. Man kann aber nicht so tun, als ob dies um 180 Grad anders beurteilt werden muss, weil Prof. Dr. Gantzer das so darstellt. Ich kann nur sagen, Sie müssen sich zunächst mit Ihren Genossen einigen. In der Zeitung kann man lesen, dass hier andere Stimmungen bestehen, als Sie uns weismachen wollen.

Am vergangenen Freitag – das sind wenige Stunden her – gab es ein Streitgespräch in einem Lokalradio im Allgäu. Bei diesem Streitgespräch hat selbst Ihre Kollegin Frau Lück noch erklärt, das, was unser Bundestagsabgeordneter Dr. Gerd Müller sagt, sei Panikmache. Das war am vergangenen Freitag. Man muss sich vorstellen, dass im letzten Jahr – das liegt wenige Monate zurück – ein Staatssekretär Kolbow durch Schwaben gezogen ist und gesagt hat, man braucht nicht zu befürchten, dass ein Standort aufgelöst wird. Sie sehen, wie er uns an der Nase herumgeführt hat, und zwar vor allem die Genossinnen und Genossen Ihrer Partei. Ich glaube, das muss man mit aller Deutlichkeit ansprechen dürfen.

Lassen Sie mich noch einen Punkt erwähnen. Sie haben es etwas heruntergespielt, aber wir haben durch die Strukturreform der Bundeswehr in Schwaben Einbußen von etwa 6000 Dienstposten. Das macht mehr als ein Drittel der Einbußen in Bayern aus. Wir sind auf eine Zeitspanne von 10 Jahren gerechnet mit mehr als 10% bundesweit beteiligt. Da reden Sie von Ausgewogenheit. Dies ist überhaupt nicht zu erklären. Gehen Sie einmal zu Ihren Kollegen nach Berlin und auf die Hardthöhe in Bonn und sagen Sie, dass dies mit Ausgewogenheit überhaupt nichts zu tun hat.

Ich möchte noch eine letzte Anmerkung machen. Es ist heute gesagt worden, Schwaben hat daran partizipiert, dass in den letzten 10 Jahren wenig aufgelöst worden ist. Sicher ist das so; dafür sind wir auch dankbar. Daran sieht man auch, dass die Politiker der CSU in Schwaben und Bayern etwas zu sagen hatten. Was haben Sie dagegen zu sagen? Herr Strasser, Sie klopfen große Sprüche, wenn es um bestimmte Dinge geht, aber jetzt werden Sie kleinlaut und hocken hinten drin. Das dürfen wir Ihnen nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der CSU)

Und, Herr Kollege Müller, man kann es auch einmal sagen – bei aller Freundschaft über die Parteigrenzen, in Anführungsstrichen, hinweg –: Aber so geht es einfach nicht, dass Sie uns hier geißeln, den Herrn Gantzer hier reden lassen, doch draußen vor Ort im Grunde genommen sagen: Das, was der Herr Scharping macht, ist überhaupt nicht mehr vertretbar. Und Ähnliches mehr. Dann sagen Sie es ihm doch mit aller Deutlichkeit und schauen Sie, dass die bayerische SPD in Berlin Gewicht bekommt.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Kollege Müller.

(Zuruf von der CSU: Jetzt geht es um Memmingen!)

Eben nicht nur.

Frau Präsidentin, meine Kolleginnen und Kollegen! Anschließend an das, was Kollege Zeller gesagt hat, habe ich mich ganz bewusst zu Wort gemeldet – Sie haben das gerade moniert –, weil ich meine, es ist wichtig, dass man hier das Wort ergreift und zu dem Thema etwas sagt aus Sicht einer Region, die in der Tat betroffen ist. Ich werde darauf noch näher zurückkommen.

Ich muss Ihnen zunächst sagen, dass ich diese Debatte sehr aufmerksam verfolge und auch verfolge, wo man die Probleme sieht, wo man auch eigene Verantwortung spürt und wo man sie auch wahrnehmen kann.

Lassen Sie mich als Vorbemerkung in aller Deutlichkeit sagen, dass ich der Meinung bin, dass es sehr viel schöner ist, im Parlament darüber zu reden, dass wir in einer Situation sind, in der man darüber nachdenken und auch handeln kann, bei der Bundeswehr einzusparen, weil sich die Rahmenbedingungen in Europa und insgesamt verbessert haben. Das ist etwas, worüber ich – ich formuliere es einmal so – glücklich bin.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dass es Schwierigkeiten gibt, ist doch gar keine Frage, da brauchen wir uns doch nicht in die Tasche zu lügen. Aber es ist angenehmer, im Parlament darüber zu diskutieren, dass wir insgesamt in eine weniger bedrohlichen Lage sind als vor zehn Jahren. Das ist doch etwas Positives für alle, und da sollten wir nicht dem einen oder anderen etwas in die Schuhe schieben, was da nicht hingehört.

(Beifall bei der SPD)

Also, ich sage ein klares Ja auch dazu, dass wir die Chance haben, aufgrund der Sicherheitslage darüber nachzudenken und zu verhandeln, dass reduziert wird. Und ich sage auch: Das muss alle Bundesländer treffen!

(Zurufe von der CSU)

Und es muss dabei auch in Bayern fair und gerecht zugehen. Das ist es, worauf ich abheben möchte.

Ihren Antrag habe ich mir – das dürfen Sie mir glauben – sehr genau angesehen, weil Sie und andere auch wissen, wie ich mich in der Öffentlichkeit geäußert habe und auch weiter äußern werde – um das auch deutlich zu sagen.

Ich habe ihn mir sehr genau angesehen. Eines hat mir bei diesem Antrag überhaupt nicht gefallen: So, wie Sie ihn eingebracht haben, ist er für Sie die Erklärung dafür, Ihre Verantwortung in Bayern nicht mehr anzunehmen und nicht mehr wahrzunehmen.

(Proteste bei der CSU – Beifall bei der SPD)

Das ist es nämlich, was dahintersteht.

Ich möchte Ihnen das an Hand einiger Fakten erklären.

Vorab aber noch etwas, was wohl der Herr Huber nicht gehört hat und auch andere nicht gehört haben; ich habe es gehört und bin darüber froh: Der Redner der SPDFraktion, Prof. Gantzer, hat ausdrücklich gesagt, dass es bei der Situation, die Schwaben betrifft, Nachverhandlungen gibt und dass wir Informationen darüber haben, dass es einen „Schwaben-Tisch“ gibt. Ich werde das Problem jetzt näher erläutern, warum ich zu diesem Schluss komme, ohne einem Sankt-Florians-Prinzip Vorschub leisten zu wollen. Aber da möchte ich Ihnen die Fakten nennen, die Kollege Zeller zum Teil bereits angesprochen hat. Es wurde uns zugesagt, dass es den Schwaben-Tisch gibt.

(Zuruf von der CSU: Von wem?)

Ich sage natürlich auch dazu, dass ich nicht nur an einen Tisch möchte, sondern ich möchte auch etwas zu essen bekommen. Das sage ich auch.

(Zurufe von der CSU: Wer hat es denn zugesagt?)

Diesen Schwaben-Tisch hat uns die Bundesregierung zugesagt, und ich glaube, dass die Argumente, die wir vorgebracht haben, Argumente sind, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sie hier im Parlament nicht einfach auf die Seite schieben sollten.

(Zuruf von der CSU: Welche denn?)

Und jetzt komme ich zu den Fakten. Es wird allgemein gesagt, dass Bayern am meisten betroffen ist. Da bitte ich um etwas Differenzierung. Doch, da bitte ich um Differenzierung!

Herr Huber, gehen Sie mit mir einmal folgende Rechnung durch: Wenn wir den Regierungsbezirk Schwaben ausnehmen, dann liegt der Rest Bayerns dramatisch unter dem Bundesdurchschnitt.

(Widerspruch bei der CSU. – Zuruf von der CSU: Na, den lassen wir schon bei Bayern!)