Protocol of the Session on October 18, 2000

Letzte Woche fand hier im Hause eine Veranstaltung mit einem Vortrag der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Frau Marieluise Beck, statt. Dieser Vortrag war sehr gut besucht, auch einige Kollegen der CSU-Fraktion waren anwesend. Das habe ich zur Kenntnis genommen. Frau Beck hat deutlich gemacht, dass diese Gesellschaft es sich nicht länger wird leisten können, die Diskussion um Integration und Zuwanderung zu vernachlässigen bzw. keine Konzepte für diese Fragen zu entwickeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Integration kann nicht verordnet werden. Integration ist ein Prozess, und zwar ein Prozess des Gebens und des Nehmens sowohl der Mehrheitsgesellschaft an die Minderheiten in diesem Land als auch umgekehrt. In diesem Prozess muss es einen Dialog zwischen den staatlichen Stellen, die für diese Fragen zuständig sind, und denjenigen geben, die die Migranten in diesem Land vertreten. Genau dies sind nun einmal die Ausländerbeiräte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich war am vergangenen Wochenende in Tutzing bei einer Tagung der Akademie für Politische Bildung. Auch Frau Görlitz von der CSU war bei dieser Podiumsdiskussion. Frauen aus binationalen Ehen diskutierten dort über ihre Erfahrungen und ihre Partizipationsmöglichkeiten in ihrer Gesellschaft. Diese Frauen fragten uns, warum beispielsweise der Familiennachzug erschwert wird. Sie fragten, warum es in diesem Land kaum Daten oder Untersuchungen an Universitäten über Migrantenkinder gibt. Bei diesem Seminar haben die Frauen erstmals davon erfahren, dass es in Bayern einen Bericht des Sozialministeriums zur Ausländerintegration gibt. Die Frage, die uns die Frauen stellten, war: Warum wird so ein Bericht nicht mit den Migrantenorganisationen – es waren Frauen aus solchen Organisationen anwesend –, warum wird dieser wichtige Bericht, die Erkenntnisse und die Schlüsse, die daraus gezogen werden, nicht mit den einschlägigen Organisationen in Bayern diskutiert?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Frage stelle auch ich mir, und diese Frage stelle ich dem Staatssekretär im Sozialministerium. Ich weiß aber aus der Praxis hier im Hause, dass die symptomatisch für die Politik der CSU ist. Die Migranten werden von der Staatsregierung und von der CSU-Fraktion nicht als Gesprächspartner anerkannt.

Genauso wenig, meine Damen und Herren, wie man zum Beispiel Frauenpolitik über die Köpfe der Frauen hinweg machen kann, genauso wenig kann man Integrationspolitik über die Köpfe der Migrantinnen und Migranten in diesem Land hinweg machen.

Wir brauchen deshalb auf Landesebene eine Diskussion über folgende Fragen: Welche Integrationskonzepte sind sinnvoll? Welche integrationspolitischen Ansätze sind weiter zu entwickeln? Da gibt es sicherlich in so manchem Ministerium das eine oder andere, was ich in diesem Bereich unterstütze. Und es ist die Frage zu diskutieren: Wie sind die interkulturellen Kompetenzen zu fördern? Als Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Bayern brauchen wir ganz dringend so eine Diskussion.

(Beifall des Abgeordneten Sprinkart (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Für diese Debatte, meine Damen und Herren, brauchen wir einen starken Landesausländerbeirat. Dazu dient unser Gesetzentwurf und dazu bitte ich um Ihre Zustimmung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Vielen Dank, Frau Kollegin. Das Wort hat Herr Dr. Merkl. Bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Antrag hat sicherlich einen berechtigten Ansatzpunkt. Frau Köhler, es ist richtig, dass ich für die CSU-Fraktion im Ausschuss erklärt habe: Es ist gut, dass in den Kommunen eine Vertretung der Ausländer installiert wird, sei es als Ausländerbeauftragter, sei es als Ausländerbeirat. Wir haben diesbezüglich ja die verschiedensten Konstruktionen. Ich habe auch hinzugefügt, dass es aus der CSU München hierzu sehr kritische Stimmen gibt, die natürlich auch nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden können.

Ein zweiter berechtigter Ansatzpunkt ist, dass ein Zusammenschluss dieser kommunalen Ausländervertreter insofern sinnvoll ist, als ein Informationsaustausch erfolgt und gewisse Synergieeffekte erreicht werden können.

Aber aus diesen zwei Eingangssätzen folgern Sie nun mit Ihrem Antrag: Wir brauchen eine landesweite Vertretung, wir brauchen Geld für eine Geschäftsstelle, wir brauchen eine rechtzeitige Information durch die Staatsregierung, die Ministerien und den Landtag und wir brauchen als Organisation für all dieses die AGABY.

Dem halten wir Folgendes entgegen: Momentan – das ist aus Ihrem Antrag zu entnehmen – gibt es nur in 19 Städten und in vier Landkreisen solche Einrichtungen. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich diese Zahlen schon gelernt, als ich ins Sozialministerium gekommen bin. Das war 1994. Es gibt dazu offensichtlich seit dieser Zeit nichts Neues. Da müssen wir uns doch fragen: Warum gibt es denn nicht in weiteren Städten oder in weiteren Landkreisen solche Einrichtungen? 71 Landkreise haben wir und nur vier haben eine solche Einrichtung.

Zweitens. Selbst wenn wir in all diesen Kommunen solche Ausländerbeiräte oder Ausländerbeauftragte hätten, müssten wir uns fragen, ob die Konsequenz wäre, eine Einrichtung zu schaffen, wie Sie sie haben wollen, nämlich mit der vom Staat bezahlten Geschäftsstelle. In Ihrem Vorwort steht, wie viel man an Personal brauche, werde sich dann zeigen. Wir wissen aber von solchen Einrichtungen, dass sie sich dann von selbst entwickeln, immer größer werden und dass der Staat das alles zahlen soll.

Weiter heißt es, es müsse immer rechtzeitig informiert werden, wenn es um Ausländerfragen gehe. Da werden wir uns dann streiten, was „rechtzeitig“ bedeutet. Heißt das, bevor in einem Ministerium über irgendeine Frage des Ausländerrechts nachgedacht wird, muss diese Information erfolgen?

Sie haben gerade wieder gesagt, dass die CSU und die Staatsregierung kein Ohr für die Migranten hätten.

(Frau Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das stimmt!)

Ich habe Ihnen wiederholt entgegengehalten, dass die Behauptung, es hätten keine Gespräche mit der AGABY stattgefunden, nicht richtig ist. Der Staatssekretär Regensburger, Innenministerium, und der Staatssekretär Merkl, Sozialministerium, haben sich im Innenministerium mit der AGABY zusammengesetzt und haben dort beraten, was es für Unterstützungsmöglichkeiten gibt.

(Frau Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Nachher!)

Moment, es geht doch darum, dass Sie behaupten, es habe solche Kontakte nicht gegeben, und das ist eben falsch.

Zweitens. Ich habe im Staatsministerium auch eine Zusammenkunft mit den Ausländerbeauftragten und mit den Ausländerbeiräten durchgeführt, um mit ihnen zu beraten, wie man das Ganze forcieren kann.

Drittens. Es gibt eine Koordinierungsstelle im Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, wo diese Fragen jetzt zusammengefasst werden. Es gibt sehr wohl einen Ansprechpartner. Auch die Projektgruppe Zuwanderung in der CSU-Fraktion, die ich leite, hat ein Gespräch mit der AGABY geführt. Also müssen Sie endlich aufhören zu sagen, wir täten das nicht.

Weiter haben Sie gesagt, wir könnten doch nicht über die Köpfe der Migranten hinweg Integrationspolitik machen. Da ist mir Folgendes passiert: In meiner Geburtsstadt Regensburg habe ich einen Vortrag zu diesem Thema gehalten. Eine Ausländerin – ich habe sie an der Sprache so eingeschätzt – hat mich wegen der Ausländerpolitik, die wir betreiben, beschimpft. Ich habe sie gefragt, was sie gern möchte. Sie hat mir geantwortet: Wir sind schon so viele Ausländer hier, das reicht, lasst keine weiteren herein. – Sie hat mir also gesagt: Es langt, wenn wir hier sind, und wenn noch mehr kommen, geht es uns schlechter! – Jetzt sage ich: Also müssen wir über die Köpfe der Migranten hinweg Ausländerpolitik betreiben. Zumindest bei dieser Frau trifft das zu. Aber betrachten Sie das als eine mehr scherzhafte Bemerkung. Man kann also alles auch relativieren.

Aber jetzt sage ich Ihnen, welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen. Sie können nicht derartige Forderungen erheben, wie sie in Ihrem Gesetzantrag enthalten sind, solange nur ein ganz verschwindend geringer Teil in Bayern von dieser AGABY vertreten wird. Was wäre denn, wenn morgen zehn neue Ausländerbeiräte in Kommunen entstünden und sich eine neue Organisation entwickeln würde, die sich als Vertretung dieser zehn Kommunen gerieren und sagen würde, dass sie diesen Anspruch erhebe?

Also, all das, was Sie vorschlagen, ist unausgegoren. Es ist nicht möglich, für die wenigen Leute, die damit vertreten werden, eine landesweite Organisation zu unterstützen, Geld usw. zur Verfügung zu stellen. Also müssen Sie einen anderen Weg gehen.

Das habe ich auch für die CSU-Fraktion im Ausschuss erklärt, zum wiederholten Male übrigens schon. Sie müs

sen danach trachten, dass sich mehr Kommunen dazu entschließen, solche Vertretungen einzurichten. Wenn wir dann einigermaßen sehen, dass das landesweit geschehen ist, können wir uns über eine landesweite Vertretung unterhalten. Aber selbst wenn es soweit wäre, müssten wir uns darüber unterhalten, ob solche Voraussetzungen, wie Sie sie fordern, geschaffen werden müssen, also mit dieser Geschäftsstelle, mit diesem Geld usw.

Bis dahin ist es also noch ein weiter Weg, sodass wir sagen: In der jetzigen Situation können wir einem solchen Antrag nicht zustimmen.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Vielen Dank, Herr Dr. Merkl. Das Wort hat Herr Vogel. Bitte.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Dr. Merkl, wir haben schon genügend über diese Themen miteinander diskutiert. Niemand, der Sie in vielen Ausschusssitzungen oder auch hier im Plenum erlebt hat, wird Ihnen persönlich ernsthaft den Willen zur Integration absprechen wollen. Das sage ich vorweg als meine persönliche Überzeugung, auch wenn wir in der politischen Konsequenz oft nicht einer Meinung sind.

Leider Gottes erleben wir aber auch in diesem Hause von Seiten der Mehrheitsfraktion oft ganz andere Positionen. Da wird zwar auf der einen Seite lauthals „Integration“ gerufen, aber dann, wenn es um konkrete Taten geht, um die konkrete Umsetzung oder manchmal auch nur um die Ernsthaftigkeit in einer Diskussion, dann sieht es ganz anders aus. Wir haben hier, ob es beispielsweise vor einigen Monaten um die Schaffung der Funktion des Ausländerbeauftragten gegangen ist oder heute um die institutionelle Verankerung der AGABY, halt immer wieder gehört, dass das Einlenken, die Einsicht, das Verständnis der Mehrheitsfraktion nicht allzu groß sind, unter anderem auch mit der Begründung, die Sie jetzt gerade vorgebracht haben, dass in vielen Gemeinden, in vielen Regionen die entsprechende Basis dafür fehle.

In diesem Zusammenhang sage ich Ihnen: Ich habe vor zwei Wochen zusammen mit meinen mittelfränkischen Kolleginnen und Kollegen zu einer Fachtagung zum Thema Integration nach Erlangen eingeladen. Dort war eine ganze Reihe von Ausländerinnen und Ausländern und von Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die in diesem Bereich ehrenamtlich oder von Berufs wegen zu tun haben, anwesend. Sie haben davon berichtet, wie schwierig es ist, gerade in den ländlichen Bereichen ohne die Unterstützung der Gemeinden und Landkreise solche Einrichtungen überhaupt zu institutionalisieren. Sie würden das gern tun und es wäre für ihre Arbeit auch nötig, aber es fehlt die entsprechende Infrastruktur.

Und dann ist in diesem Zusammenhang in meinen Augen noch etwas deutlich geworden, was mich persönlich sehr stark berührt und auch ganz nachdenklich gemacht hat, nämlich eine sich zunehmend breit

machende Hoffnungslosigkeit, Mutlosigkeit, ja Lethargie bei vielen, die sich in dieser Frage engagierten und engagieren.

Dazu tragen zum einen die Diskussionen ohne Konsequenzen bei, die wir in diesem Hause führen, zum anderen aber auch die aktuellen Entwicklungen der letzten Wochen und Monate,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

die für mich schon in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit dem uns vorliegenden Gesetzentwurf stehen und mit der Art und Weise, wie wir damit umgehen oder auch nicht umgehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Jahr 2000 ist weiß Gott wieder einiges schief gelaufen, was sich in allererster Linie die Politik und vor allem die konservativen Kräfte anrechnen lassen müssen. Eine Reihe von Debatten, Schlagworten wie „Kinder statt Inder“ und ähnlicher Blödsinn, das hat doch systematisch verunsichert, und durch die zunehmende Gewalt von rechts gegen Minderheiten ist wieder einmal eine Atmosphäre der Angst entstanden.

Wir erleben zur Zeit, dass antisemitische Anschläge gegen Synagogen und Einrichtungen jüdischer Gemeinden in Deutschland zunehmen. Wir erleben, wie verstärkt rechtsradikale Gruppierungen und Einzelpersonen durch die Straßen ziehen und Menschen verfolgen, deren Hautfarbe, deren Nationalität oder Weltbild nicht in ein beschränktes nationalistisches, rassistisches Weltbild passen. Wir erleben, wie dieser Pöbel und seine Hintermänner in Politik und Öffentlichkeit versuchen, Menschen einzuschüchtern, die sich gegen dieses Unrecht wehren oder dies als gesellschaftlichen Missstand anprangern.

Meine Damen und Herren und liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, es ist nicht damit getan, sich in Sonntagsreden gegen den Rechtsradikalismus und gegen diesen Pöbel zu engagieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das nehmen wir Ihnen ja ab. Aber wir dürfen auch nicht vor der unbequemen Wahrheit die Augen verschließen, dass ein enger inhaltlicher Zusammenhang zwischen dem erstarkten Rechtsradikalismus, seiner Menschen verachtenden Ideologie und – damit spreche ich Sie von der CSU ganz ausdrücklich an – der von Ihnen systematisch verweigerten konsequenten Integrationspolitik besteht.

Da ist ein NPD-Verbot vielleicht eine richtige Maßnahme – ich halte es nicht unbedingt für die drängendste.

(Zuruf des Abgeordneten Breitschwert (CSU))

Ich denke, dass ein breites Bündnis von Bürgerinnen und Bürgern, die Gesicht zeigen, die sich offen gegen jede Form des Hasses und der Gewalt gegen Minderhei

ten stellen, der richtige Weg ist, um der braunen Gefahr zu begegnen. Es müsste ein Ruck durch diese Gesellschaft gehen, und unser Beitrag dazu in diesem Hause wäre eben auch ein Beitrag der Legislative, des Gesetzgebers, nicht wohl formulierte Proklamationen, sondern wirklich handfeste Taten.