Protocol of the Session on October 18, 2000

(Heiterkeit bei der CSU)

Unsere Kommunen werden sich vehement zur Wehr setzen. In der Mitteilung heißt es zwar,

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

dass die Frage, ob ein Dienst als Leistung der Daseinsvorsorge anzusehen ist und wie er organisiert werden soll, zu allererst auf nationaler Ebene entschieden wird. Die Kommission beansprucht aber eine Zuständigkeit für die inhaltliche Ausgestaltung und die Entwicklung von Leistungen der Daseinsvorsorge. Sie strebt mit ihrer Forderung nach einer Evaluierung und Koordinierung der Tätigkeit von Leistungsanbietern eine Kontrolle über demokratisch legitimierte nationale Entscheidungen zur Ausgestaltung von Leistungen der Daseinsvorsorge an.

Die bayerischen Kommunen fürchten bei einer Liberalisierung der Wasserversorgung das Entstehen privater Oligopole und die Aufgabe des Solidaritätsprinzips bei der Wasserpreisbildung für dünn besiedelte Gebiete. Sie verweisen darauf, dass sich bei der Trinkwasserversorgung, anders als bei Strom und Gas, die Qualitätsfrage bei der Vermischung von Wasser und bei langen Leitungswegen stelle. Sie betonen mit Recht die Bedeutung des Wassers als Lebensmittel Nummer eins, das besonderer Behandlung bedürfe und auf das alle Bürger lebensnotwendig angewiesen seien und dass die Entgeltbemessung dem Gebot der Sozialstaatlichkeit unterliege.

Wir haben über die Fraktionen hinweg im Bayerischen Landtag Beschlüsse gefasst. Wir sind uns darüber einig, dass den Tendenzen der Liberalisierung entgegengetreten werden muss. Die CSU hat dabei eine Vorreiterrolle gespielt. Die SPD hat zwar einen Berichtsantrag gestellt, ist dann aber auf unsere Anträge aufgesprungen.

(Zurufe von der SPD – Unruhe)

Sie haben einen Berichtsantrag gestellt und dann haben Sie sich erst dazu bekannt, einen Kampf gegen die Liberalisierung aufzunehmen. Die Grünen sind sehr spät aufgewacht und haben uns erst in den letzten Wochen ihre Zustimmung signalisiert.

Herr Kollege Dr. Kempfler, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Wir sind der Meinung, dass gegenüber den Mitgliedstaaten die Zuständigkeit über die inhaltliche Ausgestaltung der Daseinsvorsorge vertraglich ausdrücklich klargestellt werden soll. Das ist ein wichtiger Beitrag. Sie sollten sich bemühen, in dieser Richtung tätig zu werden.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Dr. Kempfler, erlauben Sie, dass wir Herrn Kollegen Mehrlich eine Zwischenintervention ermöglichen? Dann kön

nen Sie darauf antworten. Gut. Herr Kollege Mehrlich, geben Sie mir bitte ein Zeichen.

Herr Dr. Kempfler, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass die SPD-Landtagsfraktion lange bevor Sie Ihre Anträge in Sachen Wasser, Daseinsvorsorge und Liberalisierung vorgelegt haben, einen entsprechenden Antrag eingebracht hat? Sie wissen dies im Übrigen auch. Wenn Sie unsere Zustimmung zur Ihren Anträgen jetzt so interpretieren, als seien wir aufgesprungen, so kann ich dies nur als schäbig bezeichnen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, wenn Sie so vorgehen, wird ein gemeinsames Vorgehen in diesen Fragen in Zukunft unmöglich sein. Würden Sie bestätigen, dass unsere weiteren sechs Anträge mit den Ihren übereinstimmen, dass sie allerdings von uns selbst erarbeitet wurden, ohne Kenntnis Ihrer Anträge?

Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, unsere sechs Anträge liegen derzeit zur Begutachtung bei den kommunalen Spitzenverbänden. Ich bitte sie herzlich, eine solch unqualifizierte Äußerung, wir seien aufgesprungen, künftig zu unterlassen.

(Zuruf des Abgeordneten Beck (CSU): Das ist doch keine Zwischenfrage mehr!)

Ich wiederhole es: Sie machen sonst ein gemeinsames Vorgehen in solchen Fragen unmöglich.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Beck, wir haben die Geschäftsordnung geändert. Man darf eine Zwischenintervention machen und dabei bis zu zwei Minuten reden. Der Redner bekommt dann ohne Anrechnung auf seine Redezeit die Möglichkeit, zu antworten. Hierzu gebe ich das Wort jetzt wieder an Herrn Kollegen Dr. Kempfler.

Herr Kollege, ich muss Ihre Vorwürfe ganz entschieden zurückweisen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Wenn Sie mir Schäbigkeit vorwerfen, dann ist dies eine Ungeheuerlichkeit in Anbetracht der Zusammenhänge, die auch Sie ganz genau kennen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Es ist richtig – und das habe ich vorhin auch gesagt –, dass Sie zuerst einen Bericht gefordert haben, und zwar in der Frage, wie weit die Staatsregierung bei ihren Untersuchungen im Hinblick auf die Liberalisierung und die Privatisierung vorangekommen ist. Sie haben in diesem Antrag aber in keiner Weise zum Ausdruck gebracht, wie Sie zu dieser Frage stehen, ob Sie die Liberalisierung bejahen oder ob Sie dagegen sind.

Anschließend haben wir unsere Anträge vorgelegt, in denen wir ganz klar gefordert haben, dass die Liberalisierung zu unterbleiben hat. Diese Anträge richteten Forderungen in Richtung Berlin und Brüssel. Danach haben Sie, Herr Kollege, eine große Pressekonferenz abgehalten. In dieser Pressekonferenz, die also nach Einbringung unserer Anträge stattgefunden hat, haben Sie erstmals Stellung bezogen. Am Rande dieser Presseerklärung sind dann auch Ihre Anträge eingereicht worden. Ich erkenne es an, dass Sie sich auf der gleichen Linie bewegen, es muss aber erlaubt sein, auf die Entwicklung hinzuweisen. Es muss möglich sein, darauf hinzuweisen, dass wir die Ersten waren, die gegen eine Liberalisierung und in gewissem Umfang für eine Privatisierung klar Stellung bezogen haben.

(Zuruf des Abgeordneten Mehrlich (SPD))

Diese Pressekonferenz spielt nur insofern eine Rolle, als Sie in dieser Konferenz erstmals deutlich gemacht haben, dass Sie gegen die Liberalisierung sind. Herr Kollege, Sie provozieren hier eine völlig unnötige Aufregung.

(Beifall bei der CSU)

Die nächste Wortmeldung ist von Frau Kollegin Schmitt.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! „Dieser Text wird Geschichte machen,“, so sagte der französische Staatspräsident Jacques Chirac beim EU-Gipfel in Biarritz. Er meinte damit die EUGrundrechtecharta.

Der Weg Europas von der Montanunion hin zu einem Zusammenschluss von 15 Staaten, in Kürze wohl auf zirka 20 anwachsend, hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Nach den Schwerpunkten Wirtschaftsgemeinschaft, Währungsgemeinschaft steht nun mit der Grunderechte-Charta die Wertegemeinschaft im Vordergrund. Es wurde ein Dokument aus der gemeinsamen, aber auch sehr unterschiedlichen Verfassungstradition geschaffen, das deutlich macht, dass die europäischen Staaten eine Wertegemeinschaft bilden, und das auch deutlich macht, dass es eine europäische Identität gibt, derer wir uns auch bewusst sein sollten.

Gerade diese europäische Identität wird nun erstmals umfassend beschrieben. Grundlage dieser gesamten Charta bildet die Unverletzlichkeit der Menschenwürde, Grundlage bildet aber auch das Subsidiaritätsprinzip. Eine sinnvolle Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten ist eine wesentliche Leitlinie für die Charta, wie es auch in Artikel 50 eindeutig festgelegt ist.

In diesem Zusammenhang muss noch einmal deutlich gemacht werden, dass die Charta der Grundrechte keine neuen Kompetenzen der EU begründet. Ohne diesen ausdrücklichen Hinweis in Artikel 51 Absatz 2, der heute schon mehrmals zitiert wurde, wäre die Charta nicht zustande gekommen.

Trotz erheblich voneinander abweichender Vorstellungen im Konvent, die auch heute schon zum Ausdruck gekommen sind, was letztlich in die GrunderechteCharta aufgenommen wird und wie die eine oder andere Formulierung aussehen wird, ist nun ein Werk entstanden, das als das modernste weltweit und als Visitenkarte für Europa bezeichnet werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Das vorliegende Ergebnis ist in hohem Maße dem Vorsitzenden des Konvents, Altbundespräsident Roman Herzog, zu verdanken. Sein diplomatisches Geschick war es vor allem, das es möglich machte, gemeinsame Formulierungen zu finden. Aber auch die Idee, nicht allein hohe Regierungsbeamte einzusetzen, sondern mehrheitlich Abgeordnete aus dem Europäischen Parlament und aus nationalen Parlamenten, hat sich als sehr gut herausgestellt. Diese Vorgehensweise sollte bei der Erörterung weitreichender gesamteuropäischer Fragen fortgeführt werden.

Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CSU-Fraktion, hatten noch in jüngster Vergangenheit Probleme damit, unserem Antrag auf Aufnahme von sozialen Grundrechten, wie Recht auf Arbeit, Recht auf Wohnung, und der neuen oder modernen Grundrechte, wie Datenschutz, Umweltschutz, Bioethik, zuzustimmen.

(Güller (SPD): Sie haben es sogar ausdrücklich abgelehnt! – Gegenruf der Abgeordneten Frau Schweder (CSU): Sie sind ja auch nicht geschaffen worden!)

Ihre Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag, ausdrücklich auch die Kolleginnen und Kollegen der CSU, hatten diese Probleme nicht. Diese haben nämlich am vergangenen Donnerstag einmütig für die Annahme der Grundrechte-Charta in der vorliegenden Form plädiert und haben dabei von ihr als der Seele der Europäischen Union gesprochen, so wie es Romano Prodi auch schon getan hat.

(Güller (SPD): Da schau her!)

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Sie es nicht wissen wollen oder ob Sie wider besseres Wissen handeln, wenn Sie von Seiten der CSU-Fraktion eine gemeinsame europäische Wertegrundlage infrage stellen bzw. wenn Sie die Charta negativ darstellen. Das tun Sie, wenn Sie sagen, durch die Grundrechte-Charta würden die Kompetenzen der EU ausgeweitet, und wenn Sie sagen, Deutschland müsse daraus ableitbare Ansprüche, wie z. B. das Recht zu arbeiten, letztlich bezahlen. Das Recht zu arbeiten, wie es in Artikel 15 formuliert wurde, heißt eben nicht, dass es einen Anspruch auf einen individuell einklagbaren Arbeitsplatz gibt. Das gibt es in keinem Land der Welt, in dessen Verfassung das Recht auf Arbeit steht.

Diese Haltung sowie insbesondere die von Herrn Ministerpräsident Stoiber angeheizte Debatte über Kompetenzabgrenzung und das Herstellen eines unabdingbaren Zusammenhangs von Grundrechte-Charta und Kompetenzabgrenzung, wie es auch in Ihrem Dringlich

keitsantrag zum Ausdruck kommt, trägt zu einer positiven Einstellung der Bürger gegenüber Europa nicht gerade bei. Im Gegenteil, Sie entfremden die Menschen noch weiter von der EU, Sie verstärken Skepsis und Ablehnung.

(Beifall bei der SPD)

Sie wissen, Herr Kollege Kempfler, es wird eine Regierungskonferenz auf EU-Ebene geben, die sich mit der Kompetenzabgrenzung beschäftigt. Diese muss es auch geben. Darüber gibt es europaweit Einigkeit.

Aufgabe von verantwortungsvollen Politikerinnen und Politikern muss es aber gerade sein – damit komme ich zum Schluss –, unsere Bürger für Europa, für gemeinsame Werte, für Frieden, für Wohlstand und für soziale Sicherheit aller zu gewinnen. In diesem Sinne wünsche ich mir eine breite Zustimmung zu unserem Dringlichkeitsantrag.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schmitt. Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Schweder. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch ich möchte mit einem Zitat beginnen, und zwar mit einem Zitat des früheren Kommissionspräsidenten Jacques Delors. Er sagte: