„Diese Charta begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Gemeinschaft und für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben.“ Ihrer eigenen Praxis im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten folgend muss ich Ihren heutigen Antrag daher als völlig überflüssig deklarieren. Es ist ein Antrag, für den es keinen Anlass gibt, und ich kann Ihnen nur empfehlen, ihn zurückzuziehen.
Der Ministerpräsident hält staatstragende Reden über Europa, und in vielen Punkten – ich betone: in vielen Punkten – kann ich seinen Ausführungen durchaus zustimmen. Es gehört dieser Tage zum guten Ton, darüber zu klagen, dass den Bürgerinnen und Bürgern die Nähe zu Europa fehle und dass Europapolitik nur eine Sache der politischen Eliten sei. Doch dies kommt nicht von ungefähr. Es ist eine Folge der unseligen Arbeitsteilung, die speziell in der CSU vorherrschend ist, eine Arbeitsteilung, die es dem Ministerpräsidenten ermöglicht, sich als großer Europäer zu präsentieren, während auf der anderen Seite viele kleine treue Gefolgsleute gegen die Europäische Union hetzen und oftmals wider besseres Wissen Unwahrheiten über angebliche Kompetenzanmaßungen der EU oder dadurch drohendes Unheil verbreiten. Beispiele: Hubschrauberlandeplätze, Wassermarktliberalisierung, Beihilfenkontrolle usw. Ich könnte noch viele nennen.
Da erfindet der Europaminister für die EU-Beitrittskandidaten fast täglich neue Beitrittsbedingungen. Der Umweltminister betätigt sich als Einwanderungsminister und fordert im Chor mit einem CSU-EuropaparlamentHinterbänkler die „East-Card“ für Tschechien als geeignetes Mittel, die EU-Freizügigkeit so lange wie möglich zu verhindern. War die Blue Card nicht schon Reinfall genug, frage ich Sie.
Doch dies alles geschieht nicht vor den politischen Eliten, das ist das Schlimme, sondern dies geschieht in den Regionen bei den Menschen, die so bewusst verunsichert werden sollen, und zwar aus Gründen des Machterhalts. Bei der Einweihung des neu gestalteten Dorfplatzes – oft mit Fördermitteln der EU finanziert –, im Bierzelt und beim Bauernverband verblasst das europapolitische Bewußtsein der CSU zum reinen Lippenbekenntnis.
Die SPD schickt sich mitunter an, die CSU noch zu übertreffen. Herr Kollege Maget, wenn Sie bei Ihrem Fachgespräch zur Grundrechtscharta hervorheben, dass sich die SPD im Landtag als erstes politisches Gremium in Deutschland mit der Charta befasst hat – so steht es in der „Bayerischen Staatszeitung“, so offenbart dies nur, dass der europapolitische Diskurs an Ihrer Person wohl eher vorbeigegangen ist.
Anders ist auch nicht zu erklären, wie man auf die Idee kommen kann, den Beitritt Tschechiens zur EU mit der Inbetriebnahme Temelins zu verknüpfen.
Das würde ich nicht machen. Ich denke, wir haben das gestern erklärt. Diese Diskussion haben wir im Ausschuss geführt. Wäre die Tschechische Republik in der EU, könnten wir sehr viel besser mit ihr verhandeln. Dann wären wir gleichberechtigte Partner.
Kommissar Verheugen, auch von der SPD, betreibt derweil europäische Westentaschenpolitik. Den Hofern verspricht er Millionen für ihren Flughafen, den Grenzregionen Millionen für die Osterweiterung, und alles ohne einen Bezug zum EU-Haushalt. Ganz nebenbei bricht er ohne Not eine Diskussion über einen Volksentscheid über die Osterweiterung vom Zaun. Dies alles ist wenig geeignet, das Vertrauen in die Europäische Union und deren Rechtsstaatlichkeit bei den Bürgerinnen und Bürgern zu stärken. In Sachen Volksentscheide findet derzeit in beiden großen Parteien und vor allem bei der CSU ein, wenn auch noch verhaltener, Umdenkungsprozess statt.
In diesem Zusammenhang interessant und gleichzeitig traurig mit anzusehen war, wie aufgrund der schon erwähnten unvorsichtigen Äußerung Verheugens gerade das Thema „Osterweiterung“ plötzlich zum Versuchsobjekt für den bundes- oder gar europaweiten Volksentscheid erkoren wurde, denn mit Blick auf das Taktieren insbesondere der C-Parteien in Sachen Osterweiterung sollte dieses basisdemokratische Instrument hier wohl eher zur Ausgrenzung missbraucht werden. Meine Damen und Herren von der CSU, ich frage Sie, war dies der Versuch, das Prinzip der Unterscheidung zwischen denen, die uns nützen, und denen, die uns ausnützen, gleich auf ganze Nationen anzuwenden?
Anders verhält es sich mit einem europaweiten Referendum über die Grundrechtscharta oder besser noch über ein europäisches Verfassungswerk. Wie sagte die Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin in diesem Zusammenhang so richtig: „Ich halte das bei Verfassungstexten nie für falsch.“ Zweimal schon haben wir die Chance vertan, jedem Bürger und jeder Bürgerin das direkte Ja zur Verfassung zu ermöglichen. 1946 hatten die Befreier und die Mitglieder des ersten Deutschen Bundestags Angst, dass nach Ende des Nationalsozialismus das deutsche Volk für eine Grundrechtsdiskussion und die Abstimmung über seine Verfassung noch nicht reif genug sei. 1989 hat man im politischen Schweinsgalopp die zweite Chance vertan, BRD und DDR gleichberechtigt zusammenwachsen zu lassen und eine gemeinsame Grundrechtsdebatte zu führen. Die dritte Chance zum Grundrechtsdiskurs sollte aus Gründen der Identifikation, der Integration und der Ermöglichung eines europäischen Bürgerbewusstseins unbedingt genutzt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, stimmen Sie unserem Dringlichkeitsantrag zu. Lassen Sie uns gemeinsam weitergehen auf dem Weg, den Europa mit dieser Charta der Grundrechte eingeschlagen hat.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Köhler hat gesagt, die Osterweiterung sei ein „säkulares Ereignis“. Ich stimme dem zu. Sie ist nicht nur ein „säkulares Ereignis“, sie ist auch eine Notwendigkeit im Interesse der Sicherung von Frieden und Freiheit für ganz Europa. Die Osterweiterung ist aber auch eine große Herausforderung. Die Zahl der Mitglieder der Europäischen Union wird sich verdoppeln, die Bevölkerung wird sich um ein Drittel erhöhen, und die Fläche wird sich um die Hälfte ausdehnen.
Allein aus diesen Zahlen wird deutlich, dass man die Osterweiterung nicht im Hauruckverfahren betreiben kann, sondern vorbereiten und gut organisieren muss. In diesem Zusammenhang stelle ich die Frage: Hat die Europäische Union denn bereits die Voraussetzungen für die Osterweiterung geschaffen? In einigen Punkten, wie etwa in der Frage der Kompetenzabgrenzung, wohl nicht. Ich halte es für unmöglich, dass 30 Staaten von Brüssel aus zentral regiert werden. Die Europäische Union hat die Voraussetzungen – auch im finanziellen Bereich – leider noch nicht geschaffen. Wenn sie in den nächsten sechs Jahren 632 Milliarden Euro für sich selber, aber nur 68 Milliarden Euro für die Osterweiterung einsetzen will, wird dies nicht funktionieren. Wir brauchen hier die Ko-Finanzierung für die Zukunft in der Europäischen Union, doch diese ist leider von Bundeskanzler Schröder in Berlin nicht durchgesetzt worden. Natürlich geht es auch um Veränderungen in der Legislative und in der Exekutive. Ich kann dies aber angesichts der kurzen Redezeit nicht länger ausführen.
Einige Bemerkungen zur Frage: Wie wirkt sich die Osterweiterung in den grenznahen Regionen Bayerns aus? Die grenznahen Regionen sind am meisten betroffen, weswegen ich einige konkrete Forderungen aufstellen will. Herr Kollege Dr. Köhler, ich halte es für richtig, dass für die Grenzregionen ein Sonderfinanzierungsprogramm geschaffen wird, um sie für die europäische Erweiterung fit zu machen.
Es ist richtig, dass dies Herr Verheugen beantragt hat, aber Sie haben sich vorhin gegenüber Staatsminister Dr. Schnappauf kritisch geäußert, der dies ebenfalls fordert. Ich freue mich und es ist umso besser, wenn wir dies gemeinsam fordern. Aber die Bundesregierung war bisher nicht bereit, mitzuziehen.
Herr Kollege Köhler, ich halte es zweitens für erforderlich, dass wir einen beihilferechtlichen Sonderstatus für die unmittelbar an der Ostgrenze liegenden Länder schaffen. Ich halte es ferner für notwendig, dass wir fle
xible Übergangslösungen im Bereich der Freizügigkeit von Arbeit und Dienstleistungen schaffen; dies werden Sie sicher auch unterstützen. Es ist zudem notwendig, dass wir – analog des Sonderprogramms „Deutsche Einheit“ – ein Sonderprogramm für den Ost-West-Verkehr schaffen. Ich halte es auch für notwendig, dass die agrarpolitischen Rahmenbedingungen der Europäischen Union, zumindest für die alten europäischen Länder, auch in Zukunft beibehalten werden, dass Strukturen für vernetzte Kriminalitätsbekämpfungen über die Grenze hinweg geschaffen werden und dass wir die Fragen der Umweltpolitik entsprechend einbeziehen. Ich habe hier mit großem Erstaunen zur Kenntnis genommen, dass Frau Kollegin Gote gesagt hat: Ob Temelin sicher ist oder nicht, interessiert uns für die Frage des Europabeitritts der Tschechischen Republik überhaupt nicht.
Richtig, dies muss man sich merken. – Ich sage noch einmal: Wir bejahen die europäische Osterweiterung, aber wir halten es für notwendig, dass die Kopenhagener Kriterien auch wirklich erfüllt werden. Wir sagen Ja zur Osterweiterung, aber Sorgfalt geht vor Geschwindigkeit. Nur so haben wir die Möglichkeit, dass wir die Chance der europäischen Osterweiterung auch für unser Land entsprechend nützen.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Herr Zeller hat neben vielen Verdrehungen zumindest mit einem richtigen Satz geschlossen: „Wir brauchen eine Fortsetzung des europäischen Integrationsprozesses.“ Ein zentraler Punkt des Integrationsprozesses ist und bleibt die europäische Grundrechtscharta. Darum auch der Antrag der SPD, der drei Ziele verfolgt: Erstens. Die EU-Grundrechtscharta der Bevölkerung bekannt zu machen und um Zustimmung zu werben. Inhaltlich ist es tatsächlich gerechtfertigt, sie voll und ganz unterstützen. Nicht nur, dass erstmals Grundrechte auf europäischer Ebene nicht gegen die Nationalstaaten, sondern explizit gegen die europäischen Gremien, gegen die Europäische Union, die Kommission, den Rat und das Parlament als Abwehrrechte formuliert werden. Daneben enthält diese Charta erstmals auch soziale Grundrechte für Europa. Dies ist insbesondere für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa im Hinblick auf die Osterweiterung wichtig. Festgeschrieben werden, um nur einige zu nennen, das Recht auf angemessene Arbeitsbedingungen, den Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung und das Recht auf Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst. Das sind eigentlich Forderungen, die auf europäischer Ebene schon längst Standard sein sollten und in den meisten Mitgliedsländern auch sind.
Wichtig sind sie aber insbesondere für die Beitrittsverhandlungen zur Osterweiterung. Diesen Ländern kann nun klar und deutlich gesagt werden, dass sie diese
Grundrechte einhalten müssen und erst dann ein Zugang zur Europäischen Union möglich ist. Dies dient dem Schutz unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor einem drohenden Sozialdumping in einem erweiterten Europa.
Zweitens. Wir wollen mit unserem Antrag ein klares Bekenntnis für ein Referendum auf EU-Ebene, für die Akzeptanz und die Transparenz der Europäischen Union ablegen. Für das Verständnis der Bürgerinnen und Bürger in die Funktionen der Europäischen Union ist es wichtig, dass die Bevölkerung in den Prozess der Erarbeitung und des Abschlusses einer EU-Grundrechtscharta einbezogen wird. Dazu schlagen wir ein europäisches Referendum, zum Beispiel mit den nächsten Europawahlen, vor.
Kolleginnen und Kollegen vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, anstatt zu versuchen, eine Anhörung der SPDLandtagsfraktion unter der Leitung von Franz Maget, Dr. Heinz Köhler und Dr. Klaus Hahnzog madig zu machen, in der hervorragend besprochen wurde, worum es in der Grundrechtscharta gehe, wäre es hilfreich, zunächst euer Verhältnis innerhalb der GRÜNEN mit Bundesaußenminister Fischer abzuklären, was er zum Referendum sagt; zuerst vor der eigenen Türe kehren, dann groß die Klappe schwingen.
Drittens. Der Antrag dient natürlich auch dazu, endlich Klarheit zu schaffen, was die CSU will. Auf der einen Seite meint Herr Zeller im Moment: Ja, wir sind mit Wenn und Aber schon irgendwo für eine europäische Grundrechtscharta. Andererseits sagte Kollegin Schweder im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten am 04.07.: „Die CSU will eine gesamteuropäische Verfassung und die Nachrangigkeit der nationalen Verfassungen nicht hinnehmen.“
Herr Zeller, liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, was gilt nun? Das halbherzige Jein von Herrn Zeller oder das klare Nein von Frau Schweder? Vielleicht ziehen Sie sich nochmals zu Beratungen zu diesem Thema zurück.
Es gilt, eine weitere Unsäglichkeit in der Diskussion – ebenfalls im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten – auszuräumen: Nämlich die in diesem Ausschuss von Frau Schweder gemachte Aussage: „Die sozialen Grundrechte sollen in einer Zeit ausgeweitet und den Leistungserweiterungen Vorschub geleistet werden, in der die Osterweiterung ansteht.“ Genau dies, nämlich die Festlegung sozialer Grundrechte, ist das Ziel der Angelegenheit, um Standards einzuziehen, damit es bei der Osterweiterung zu keinem Sozialdumping in Europa kommt. In diesem Sinn bitte ich nicht um Zustimmung zu unserem Dringlichkeitsantrag, sondern ich gehe davon aus, dass eine Zustimmung zwingend notwendig ist, um klarzumachen, dass wir zu den europäischen Grundrechten stehen und ihnen zuzustimmen.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Köhler hat zweifellos Recht, wenn er sagt, dass Entscheidungen in naher Zukunft auf europäischer Ebene zu erwarten seien, die tief greifende Auswirkungen auf die Bundesrepublik und insbesondere auf den Freistaat Bayern hätten. Er hat auch das Stichwort „Daseinsvorsorge“ genannt, und bei der Betrachtung der Zukunft Bayerns in Europa kommt der Frage der Daseinsvorsorge für unsere Bürgerinnen und Bürger eine besondere Bedeutung zu. Unser Bekenntnis für Europa enthebt uns nicht von der Verpflichtung, Fehlentwicklungen in der Europäischen Union zu sehen und ihnen entgegenzutreten.
Nach unserer Meinung ist der Versuch der Kommission, zunehmend ihre Kompetenzen zulasten der Mitgliedstaaten, der Länder und der Regionen auszuweiten eine Fehlentwicklung. Wir befinden uns hier in Übereinstimmung mit Präsident Chirac, der erklärte, klare Kompetenzverteilung sei nach Maßgabe des Subsidiaritätsprinzips notwendig und mit Tony Blair, der sagte: Integration wo nötig, Dezentralisierung wo möglich.
Die Europäische Kommission neigt bekanntlich dazu, die EU für alles zuständig zu erklären. Dabei greift sie auch in gewachsene und bewährte Strukturen der Mitgliedstaaten, der Regionen und selbst der Kommunen ein. Eine solche Tendenz gefährdet nicht nur die Leistungsfähigkeit der Europäischen Union, sondern sie gefährdet auch die Akzeptanz der Europäischen Union bei den Bürgerinnen und Bürgern. Ein klassisches Beispiel hierfür ist die von der Kommission angestrebte inhaltliche Ausgestaltung der Daseinsvorsorge, die bei uns überwiegend in der Verantwortung der Kommunen liegt. Ich möchte die Aktuelle Stunde zu einem Appell an die Opposition nutzen, ihren Einfluss, soweit er vorhanden ist, auf Bundesebene und auf europäischer Ebene dafür geltend zu machen, die Kommission von einer Definition der Daseinsvorsorge abzuhalten, die ein Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte kommunale Selbstverwaltung und in die in der Bayerischen Verfassung festgelegte Aufgabenübertragung wäre.
Ich nenne das Beispiel Wasserversorgung. Bestimmte Passagen in der Mitteilung der Kommission vom 20. September 2000, die Herr Kollege Dr. Köhler erwähnt hat, deuten darauf hin, dass die Kommission eine Liberalisierung der Wasserversorgung anstrebt. Gegen die sich unsere Kommunen – –