Protocol of the Session on September 28, 2000

Wir werden jedenfalls an dem Thema dranbleiben und haben bereits im Sommer zwei schriftliche Anfragen eingereicht. Herr Innenminister Dr. Beckstein: Wir stellen diese Fragen und müssen uns dann von Herrn Regensburger der Frechheit bezichtigen lassen. Dürfen wir nun fragen oder nicht. Wenn wir aber nicht fragen und es nicht wissen, werden wir als doof beschimpft; doof und frech – suchen Sie sich etwas aus.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Günther Beckstein?

(Zurufe vom (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Dr. Beckstein, Sie haben hier eine Dreiviertelstunde Ihren Sermon ablassen können, während ich fünfzehn Minuten zur Verfügung habe, auf diesen Käse einzugehen.

(Zurufe von allen Seiten)

Ziehen Sie auch noch aus. Dann rede ich eben nur für das Protokoll. Es werden von unserer Seite Anträge im Rahmen der Haushaltsdebatte folgen für den Schulbereich und zur Verbesserung des sozialen und kulturellen Klimas im Zusammenleben, etwa durch die Einführung von Stadtteilvermittlern. Die in Ihrem Entschließungsantrag genannten Beispiele für eine gelungene Integration können Sie sich nicht auf die Fahnen schreiben; denn es

waren gerade in den Städten München und Nürnberg in den Zeiten rot-grüner Koalition die Parteien von SPD und GRÜNEN, die auf Integration sehr viel Wert gelegt und eingesehen haben, dass man dafür etwas ausgeben müsse.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die CSU in Nürnberg führt alle diese Maßnahmen zurück.

Eine jüngere Analyse des anwachsenden Rechtsextremismus und Radikalismus mit Ausnahme von Untersuchungen im Jugendbereich, vergleichbar mit der SinusStudie von 1981, fehlt. Die damaligen Ergebnisse waren erschütternd, wie Kollege Maget bereits angesprochen hat. Dementsprechend groß war damals der Aufschrei der Betroffenen, wie ich mich gut erinnere; denn es gab zum Beispiel das Ergebnis, dass Befragte mit einem rechtsextremen Einstellungspotenzial zu 54,5% CDU/ CSU wählen. Da kommt Freude auf. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie schnell die Studie angezweifelt, Zahlen jongliert und eindeutige Ergebnisse uminterpretiert wurden. Um einer sauberen Diskussion willen müssen wir jedoch fragen: Stimmen diese Zahlen noch? Stimmt unser Bild von Rechtsextremen noch und wie sieht der alltägliche Rassismus fünfzig Jahre nach Kriegsende in unseren Köpfen aus, wovon ich mich explizit nicht ausnehme?

Eine Studie allein kann allenfalls Anfang, aber keine Basis sein, da sie nicht genügt. Eine politische Einschätzung der Lage, die wir für weit weniger harmlos halten als einige CSU-Mitglieder es – nicht alle CSU-Mitglieder –, glauben machen wollen, nimmt uns niemand ab. Für diese Diskussion wünschen wir uns aber, dass es keine Ja-Aber-Beiträge gibt, wie wir sie im Vorfeld erleben mussten. Auch da komme ich wieder auf meinen geschätzten Kollegen Dr. Beckstein zurück. Beispielsweise gab es im Bundestag eine Anfrage zu antisemitischen Straftaten im zweiten Quartal 2000. Wie meine Kollegin Frau Paulig bereits gesagt hat, stellte sich heraus, dass es damals in Bayern 26, in Baden-Württemberg 25 und jeweils ein bis fünf antisemitische Straftaten in Brandenburg, Berlin und Bremen gegeben hat. Daraufhin ertönte aus München das Ja-Aber: Man müsse doch auf die Pro-Kopf-Einwohnerzahl abstellen, dann relativiere sich diese Zahl.

Herr Dr. Beckstein, ich kann Ihnen ein weiteres Relativierungsargument liefern, worüber Sie sich vielleicht sogar freuen. Im Osten gibt es – wenn überhaupt – viel weniger jüdische Friedhöfe. Insofern war es natürlich sehr schwierig, solche Grabschändungen vorzunehmen. Aber darum geht es nicht, sondern darum, dass es in Bayern 26 antisemitische Straftaten gegeben hat, und dies sind 26 Straftaten zuviel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abgeordneten Kaul (CSU))

Ich möchte jedoch nicht die gesamte Verantwortung bei den Politiker und Politikerinnen abladen, wie man es manchmal gern bei Lehrern und Lehrerinnen tut. Wir haben, und noch mehr die Regierungspartei, auf Lan

des- und Bundesebene Vorbildfunktion. Insofern müssen Sie, meine Damen und Herren von der CSU, sich schon fragen lassen, welches Bild Sie vom gesellschaftlichen Zusammenleben bisher entworfen haben. Nicht zuletzt wegen der Relativierungsbemühungen in Ihrem Antrag finden wir diesen Antrag fatal. Wir meinen damit nicht den Vorschlag, eine in ihren Grundzügen gut gemeinte und notwendige Wertediskussion zu führen. Hierbei müssen Sie sich aber fragen lassen, welche Werte Sie in den vergangenen Jahren zur Diskussion gestellt haben und ob Sie diese nicht überprüfen müssen. Nicht wir, sondern Sie sprechen von einer bayerischen Leitkultur, die zwangsläufig Nebenkulturen produziert und damit natürlich auch impliziert, dass es weniger wertvolle Kulturen gibt. Sie sprechen von dieser Leitkultur. Beispielsweise kümmern Sie sich nicht um ärztliche Gutachten, die Gefahr für Leib und Leben von Abschiebehäftlingen attestieren. Sie sprechen von Sozialhilfeempfängern als potenziellen Betrügern und von Ausländern als Schmarotzern, auch wenn Sie mittlerweile zu differenzieren beginnen. Sie schieben diejenigen ab, die Arbeitgeber dringend benötigen.

Der Vorschlag, eine Wertediskussion zu führen, hinterlässt in diesem Zusammenhang einen schalen Nachgeschmack. Jedoch ist uns vor der Debatte nicht bange. Wir halten den Entschließungsantrag aber nicht wegen der Wertediskussion, wo wir Ihnen einiges nicht abnehmen, für fatal, sondern wegen der zögerlichen Haltung, mit der Sie den Rechtsextremismus benennen und bekämpfen wollen. Sie schaffen es, in diesem ganzen Entschließungsantrag nicht einmal das Wort „ausländerfeindlich“ zu nennen. Insofern muss ich Sie zu dieser „großen Leistung“ beglückwünschen.

Wir reden beileibe nicht dem unüberlegten Aktionismus das Wort. Dies überlassen wir gerne dem bayerischen Innenminister, der mit Pawlowschen Beißreflex immer in sein Labor rennt, den altgedienten Repressionshammer herausholt und versucht, das diffizile und empfindliche Geflecht des bürgerlichen Rechtsstaats zu zertrümmern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich frage mich nur, warum Sie dann in vielen Ihrer Anträge den Innenminister immer wieder zu konsequentem Handeln auffordern müssen; irgendwie widerspricht sich dies.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich an die Gesetzesverschärfung seit den RAFZeiten denke, dürfte es nach der damaligen Begründungslogik die heutigen Probleme mit Extremisten eigentlich gar nicht geben. Zur NPD wurde bereits einiges gesagt. Herr Dr. Beckstein, ich hoffe, Sie behalten mit Ihrer Einschätzung recht, dass diese Partei verfassungswidrig ist. Sie wissen, dass das Verfassungsgericht 1952 und 1956 beim Verbot der SRP und der KPD eine ganze Reihe schwerwiegender Gründe aufgeführt hat, die erfüllt werden müssen. Deswegen halte ich eine Begründung und eine Prüfung, ob dies wirklich ein wasserfester Antrag ist, für unerlässlich. Und ob es so sinnvoll und klug ist, im Vorfeld schon zu sagen, dass man

beabsichtigt, jemanden zu verbieten, der sich dann darauf einstellen kann, ist eine andere Frage.

Wir finden es fatal, dass Sie das Problem „Rechtsextremismus“ kleinreden. Darin hat Ihr Kollege Spranger in Mittelfranken schon einige Berühmtheit erlangt. Ich will begründen, warum Sie dies kleinreden, da Sie doch behaupten, es sei nicht so. Weil Sie immer nur von Gewalt reden, und nicht zwischen links- und rechtsextremer Gewalt unterscheiden, können Sie sagen: Diese Gewalt hat keine Auswirkungen mehr auf unseren Rechtsstaat und gefährdet ihn nicht.

Unseres Erachtens ist es aber so einfach nicht, Gefahren für den Rechtsstaat allein dadurch zu leugnen, dass man diese Gefahr als allgemeine und diffuse Bedrohung darstellt. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie an eine Untersuchung am Deutschen Jugendinstitut in München hinweisen, einer sehr spannenden Untersuchung zur Ursachenkette für Fremdenfeindlichkeit.

Der Denkfehler in Ihrer Argumentation ist, dass genau das, was Sie in Ihrem Antrag als unpolitische Gewalt bezeichnen, Ausdruck eines beginnenden rechtsextremen Denkens ist und sogar nach wissenschaftlich festgelegter Definition ein zentrales Indiz für Rechtsextremismus sein kann. Es wird nämlich die ethische Gleichheit von Menschen verneint und Gewalt als grundsätzliches Mittel zur gesellschaftlichen Konfliktregelung bejaht. Dies ist die Definition von beginnendem Rechtsextremismus.

Sie schreiben in Ihrem Entschließungsantrag: Der weit überwiegende Teil der Gewalt ist die Konsequenz eines Verlustes an Werten, deren zentrales Element Achtung vor der psychischen und physischen Integrität eines jeden Einzelnen ist. Und doch bezweifeln Sie, dass es sich hier um rechtsextremes Denken handelt. Da spielt es überhaupt keine Rolle, ob Jugendliche Mitglied in einer neonazistisch geprägten Partei oder Gruppe sind.

Denn tatsächlich sind das nur 10 bis 15%. Es ist die Gesinnung, die bei den restlichen 85 bis 90% eine Rolle spielt.

An dieser Stelle könnten wir ausführlich über Einzeltätertheorien sprechen und was es alles in diesem Rahmen gibt. Ich lege Ihnen eine Studie der Universität Trier ans Herz und das Buch zu „Rechtextremismus und Demokratie in Mittelfranken“ mit dem sehr traurigen Ergebnis einer Befragung von Schülerinnen und Schülern.

Meine Redezeit geht leider zu Ende. Wir haben in unserem Entschließungsantrag, der nicht ein abschließender Katalog sein soll, den Versuch unternommen, einzelne Beispiele für alle gesellschaftlichen Bereiche anzuführen. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten – wir dürfen uns durch einzelne Tätergruppen, an die man nicht herankommt, auch nicht entmutigen lassen –, wie man bildungs-, sozial- und kulturpolitisch tätig werden kann. Aber nach der Logik in Ihrem Entschließungsantrag, Herr Kollege Glück, ist es doch eigentlich so, dass man in der Weimarer Republik erst die Gewalt und dann die nationalsozialistische Gewalt hätte bekämpfen müssen. Ich erwarte von Ihnen heute ein ganz klares

Bekenntnis zur Bekämpfung rechtsextremistischer Gewalt, weil das heute das Thema ist.

(Glück (CSU): Also, das ist gegen jede Logik!)

Alles andere wäre Themaverfehlung.

(Glück (CSU): Die Themen bestimmen schon noch wir selbst!)

Rechte Gewalt darf nach unserer Ansicht auf keinen Fall entpolitisiert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einer kurzen Erklärung hat Herr Staatssekretär Freller.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe sehr sorgfältig zusammengestellt, was im Schul- und Jugendbereich gegen extremistische Gewalt geschieht. Aus bekannten Gründen kann ich das jetzt nicht mehr ausführen, möchte es aber ausdrücklich zu Protokoll geben (siehe Anlage 2).

(Beifall bei der CSU)

Die SPD-Fraktion hat die Einberufung des Ältestenrats beantragt. Ich unterbreche die Sitzung und berufe den Ältestenrat unverzüglich in das Konferenzzimmer ein.

(Unterbrechung von 17.22 Uhr bis 18.14 Uhr)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme die Sitzung wieder auf. Die Aussprache war bereits geschlossen, wir kommen deshalb jetzt zur Abstimmung. Dazu müssen die Anträge wieder getrennt werden.

Zunächst lasse ich über den Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 14/4248 abstimmen. Das ist der Antrag der SPD-Fraktion. Wer diesem Dringlichkeitsantrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abgeordnete Hartenstein (fraktionslos). Gibt es Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Gibt es Stimmenthaltungen? – Keine. Der Antrag ist damit abgelehnt.

Der nächste Antrag ist der Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 14/4249. Wer diesem Dringlichkeitsantrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind wiederum die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordnete Hartenstein (fraktionslos). Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Gibt es Stimmenthaltungen? – Keine. Dann ist auch dieser Antrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag der CSU-Fraktion auf Drucksache 14/4251 zustimmen will, den bitte ich um

das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CSU und der Abgeordnete Hartenstein (fraktionslos). Gegenstimmen bitte ich auf die gleiche Weise anzuzeigen. – Das ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist die Fraktion der SPD. Damit ist dieser Antrag angenommen.

Zur Abgabe einer persönlichen Erklärung nach § 110 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzenden Maget das Wort.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich bitte um Ruhe.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte begründen, warum die SPD-Fraktion und auch die Mitglieder der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zu einer Sondersitzung des Ältestenrates gebeten haben. Sie wissen, dass sich die SPDFraktion in diesem Hause stets eine sachliche Auseinandersetzung wünscht.

(Unruhe bei der CSU)

Wir sind auch für Schärfe in der Diskussion zu haben. Es kann diesem Hause nicht schaden, wenn man sich politisch klar auseinandersetzt. Das ist auch immer wieder in diesem Haus geschehen. Heute ist aber aus unserer Sicht ein Tabu gebrochen worden, welches die Mitglieder meiner Fraktion aufs äußerste verletzt. Ich will Ihnen dies nahe bringen.