Protocol of the Session on June 27, 2000

Es ist gesagt worden, es sei undemokratisch, bei diesem Konsens von „unumkehrbar“ zu sprechen. Das sehe ich auch so. Selbstverständlich kann jede Regierung das wieder anders sehen, das ist die demokratische Grundlage.

Aber unumkehrbar ist diese Regelung dann, wenn wir die Alternativen haben, wenn die Menschen merken: Es geht anders, es geht viel besser, es geht sogar billiger, es geht umweltfreundlicher, und es gibt eine inländische Wertschöpfung bei den erneuerbaren Energiequellen und der Kraft-Wärme-Kopplung. Das ist die Chance, die wir haben, und die müssen wir auch nutzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

Ich lasse jetzt über den mitberatenen Dringlichkeitsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 14/3851, abstimmen. Wer diesem Dringlichkeitsantrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie der Abgeordnete Hartenstein. Gegenstimmen? – Die CSU-Fraktion. Stimmenthaltungen? – Ich sehe keine. Der Dringlichkeitsantrag ist abgelehnt.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 2

Gesetzentwurf der Staatsregierung

zur Änderung des Landeswahlgesetzes (Drucksache 14/2453)

Zweite Lesung –

Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Die Redezeit beträgt 30 Minuten pro Fraktion. Nach meiner Vorlage ist die erste Wortmeldung von Herrn Güller.

(Güller (SPD): Kreuzer!)

Herr Kreuzer, bitte.

Frau Präsidentin, Hohes Haus! Der Gesetzentwurf der Staatsregierung hat die Änderung des Landeswahlgesetzes zum Gegenstand, die aufgrund der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 17. September 1999, der sogenannten Senatsentscheidung, notwendig geworden ist. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat in diesem Verfahren abweichend von seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass verfassungsändernde Volksentscheide eines Quorums bedürfen. Eine mögliche Lösung, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht, ist nach der Entscheidung des Gerichts ein Zustimmungsquorum von 25% der stimmberechtigten Bürger. Der Gesetzentwurf übernimmt diesen Vorschlag des Verfassungsgerichtshofs, den das Gericht als Übergangsregelung bis zu einer gesetzlichen Neuregelung festgelegt hat.

Die CSU-Fraktion hält sowohl die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs als auch die Lösung im Gesetzentwurf der Staatsregierung für richtig.

(Beifall des Abgeordneten Rotter (CSU))

Die Verfassung hat in den Regelwerken eines jeden Staates einen besonderen Rang. Sie regelt nicht nur die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger, sondern auch andere Grundsätze des staatlichen und menschlichen Zusammenlebens. In die Verfassung werden nur wichtige Dinge aufgenommen und Dinge, die längeren Bestand haben sollen, deshalb werden sie nicht in einfachen Gesetzen geregelt. Diesem Bestandsschutz werden die Verfassungen auch gerecht, das Grundgesetz beispielsweise dadurch, dass es für eine Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat fordert, und die Bayerische Verfassung dadurch, dass eine Zweidrittelmehrheit im Landtag und zusätzlich sogar noch eine Entscheidung des Volkes durch Volksentscheid herbeizuführen sind. Dies sind beachtliche Hürden. Es ist schwierig, eine solche Änderung zu erreichen.

Keine besonderen Hürden gibt es bisher für die Entscheidung durch Volksentscheid, wenn diese auf ein Volksbegehren zurückgeht, also vom Volksgesetzgeber her. Hier haben wir die gleiche Regelung wie bei der Änderung eines jeden einfachen Gesetzes, nämlich 10% Eintragung und dann einfache Mehrheit bei der Entscheidung. Hier handelt es sich zweifellos um eine

Lücke in der Verfassung, da der besondere Bestandsschutz der Verfassung gerade in diesem Punkt nicht garantiert ist, während der Verfassungsgeber auch bei der Änderung durch den Landtag von einem ganz erhöhten Bestandsschutz ausgegangen ist. Deshalb ist es richtig, hier eine Hürde einzuziehen, wie es das Verfassungsgericht gefordert hat.

Ich weiß, dass dies Teilen der Opposition nicht gefällt. Wir haben dies bereits mehrfach diskutiert, meine Damen und Herren. Aber vor allem an die Adresse der GRÜNEN und deren Versuche, die Dinge durch Volksbegehren, die allesamt gescheitert sind, zu ändern: Eine Mitwirkung des Volkes an der Gesetzgebung macht nur dann Sinn, wenn man eine gewisse Repräsentanz des Volkes bei der Abstimmung hat.

(Hofmann (CSU): So ist es!)

Volksgesetzgebung ist kein Mittel für diejenigen, die die Wahlen verloren haben, die Dinge ins Gegenteil zu verkehren.

(Hofmann (CSU): So ist es!)

Volksgesetzgebung ist auch kein Mittel, meine Damen und Herren, die Bestandskraft der Verfassung mit wenigen außer Kraft zu setzen. Bisher reichen theoretisch 10% abstimmende Bürger und 5,1% Zustimmung. Dies kann dem Rang der Verfassung nicht gerecht werden.

Wir glauben, dass die 25%, die im Gesetzentwurf enthalten sind, eine faire, gerechte und gute Lösung sind. Dieses Quorum ist verfassungsrechtlich sicher, weil es der Verfassungsgerichtshof selbst als Übergangsregelung gewählt hat. Ein Abweichen nach oben oder unten wäre verfassungsrechtlich problematisch. Jedes Einziehen einer anderen Hürde, wie zum Beispiel eine höhere Beteiligung bei der Eintragung, 15 oder 20%, würde die Volksgesetzgebung noch mehr und dann über Gebühr erschweren, weil dieser Anteil kaum aufzubringen ist.

Wir glauben daher, dass dieser Gesetzentwurf das Problem sachgerecht löst. Der Rechts- und Verfassungsausschuss hat mit den Stimmen der CSU diesem Gesetzentwurf zugestimmt. Ich bitte auch Sie um Zustimmung.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nächste Wortmeldung Herr Güller.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs respektieren wir selbstverständlich, auch wenn wir sie nicht in allen Punkten für richtig und zielführend halten.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat sich mit der zeitweisen Einführung eines Quorums von 25% bei Verfassungsänderungen durch Volksentscheid weit aus dem verfassungsrechtlichen Bereich in den verfassungspolitischen Bereich bewegt. Wenn man bedenkt,

dass in den letzten 54 Jahren von neun durch Volksbegehren und Volksentscheiden direkt erfolgten oder angeregten Änderungen der Bayerischen Verfassung so wichtige Dinge wie der kommunale Bürgerentscheid, die Rundfunkfreiheit oder – man höre und staune –, die Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre wegen des Quorums nicht zustande gekommen wären, obwohl es wichtige Themen waren, die heute in unserer Gesellschaft unumstritten sind, dann wird klar, dass der Verfassungsgerichtshof hier einen schwierigen und auch nur mit der problematischen Zusammensetzung durch Entscheidung mit einfacher Mehrheit im Landtag zu erklärenden Weg gegangen ist.

Nichtsdestotrotz gebietet es uns der Respekt vor dieser obersten Instanz der bayerischen Rechtsprechung, dass die Vorgaben umgesetzt werden. Was jedoch CSU und Staatsregierung vorlegen, ist eine Mogelpackung. Im Vorblatt unter „C Alternativen“ steht schlicht und einfach: „Keine“. Natürlich gibt es Alternativen, die teilweise in der Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs als Beispiele angeführt sind. Man hätte auch eine Lösung finden können, die da heißt, es sei nicht nötig, dass sich 25% an der Abstimmung beteiligen, sondern dass zwei Drittel oder drei Viertel bei der Abstimmung mit „Ja“ stimmen. Das wäre eine andere Schlagrichtung und Diskussion gewesen; denn die Regelung würde es denjenigen, die gegen den Inhalt eines bestimmten Volksbegehrens und Volksentscheids votieren, nicht ermöglichen, ein Volksbegehren zu verschweigen. Sie müssten sich offensiv damit auseinander setzen und den Bürgern vorschlagen, zur Abstimmung zu gehen, aber mit „Nein“ zu stimmen. Vom demokratischen Standpunkt aus wäre das die zu bevorzugende Lösung gewesen.

Es wäre auch eine Lösung möglich, dass für den ersten Entscheid ein 25%-Quorum gilt. Wenn dieses verfehlt wird, gibt es einige Wochen später einen zweiten Volksentscheid. Dann reicht die einfache Mehrheit. Auch diesen Weg hätte die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs offen gelassen.

Staatsregierung und CSU legen den Bürgerinnen und Bürgern jedoch alle Steine, die bei der Volksgesetzgebung nur möglich sind, in den Weg. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat mehrere Steine zur Auswahl gestellt. Die CSU nimmt selbstverständlich den aller-, allergrößten und schmeißt ihn den Bürgerinnen und Bürgern vor die Füße. Die SPD wird den Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Tausendfreund. Bitte schön.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich fange mit dem Positiven an. Hier kann ich mich kurz fassen. Es ist sehr positiv, dass der Stichentscheid eingeführt wird. Bei mehreren Volksentscheiden zum gleichen Thema gibt es ein eindeutiges Ergebnis, weil man sich für eines der bei

den entscheiden kann, wenn beide die Mehrheit erhalten. Der Vorschlag geht auf den Vorschlag der Initiative „Mehr Demokratie“ zurück und wurde dankenswerterweise aufgegriffen. Hier endet das Positive aber auch schon.

Die Einführung des 25prozentigen Zustimmungsquorums ist ein weiterer Sargnagel für die direkte Demokratie. Es wird noch schwieriger werden, verfassungsändernde Volksentscheide zum Erfolg zu führen, und es fördert die Verweigerungshaltung gegenüber derartigen Initiativen. Das alles findet in einem perfekten Doppelpass-Spiel zwischen dem Verfassungsgerichtshof auf der einen Seite und der Staatsregierung und CSU-Landtagsfraktion auf der anderen Seite statt. Schließlich – das kann man deutlich beobachten – können sich die Herren Minister entspannt zurücklehnen und sich auf die Verfassungsgerichtsentscheidung vom 17.09.1999, die so genannte Senatsentscheidung berufen. Sie müssten nicht genau so, wie es der Verfassungsgerichtshof vorgeschlagen hat, das 25%-Quorum einführen, sondern sie könnten auch anders. Die „Senatsentscheidung“ ist selbst in konservativen Juristenkreisen äußerst umstritten. Das ist der eine Punkt.

Zum Zweiten könnten Sie auch diesen Gesetzentwurf mit dem 25prozentigen Zustimmungsquorum anders fassen. Es wäre ein niedrigeres Zustimmungsquorum möglich. Es wäre bei höheren Eingangshürden der Verzicht auf jedwedes Zustimmungsquorum im Entscheid selbst möglich. Es gäbe auch die Möglichkeit, nicht ein Landtagsgesetz beschließen zu lassen, sondern darüber einen Volksentscheid durchzuführen.

Zunächst zur „Senatsentscheidung“ des Verfassungsgerichtshofs. Es lohnt sich, diese zu analysieren; denn sie ist äußerst bemerkenswert und wird auch in der Literatur zunehmend kritisiert. Der Verfassungsgerichtshof nimmt in seiner Entscheidung zu einer Frage Stellung, zu der er gar nicht angerufen gewesen ist, denn das Quorum war in der „Senatsentscheidung“ nicht entscheidungserheblich. Nach der eigenen Auffassung des Verfassungsgerichtshofs war mit einem Zustimmungsquorum von 27,3% der Volksentscheid über die Abschaffung des Senats wirksam. Das Gericht trifft sogar noch eine Regelung, obwohl es zu diesem Sachverhalt nicht gefragt gewesen ist und gar kein Handlungsbedarf bestanden hat. Das Gericht hatte eine übergangsweise 25prozentige Zustimmungsklausel eingeführt, obwohl zu dem Zeitpunkt kein Handlungsbedarf bestanden hat.

Der nächste Punkt: Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs weicht diametral vom Wortlaut der Verfassung und seiner eigenen Rechtsprechung seit 1949 zum Grundsatz „Mehrheit entscheidet“ ab. Des Weiteren verkennt die Entscheidung, dass sich aus der Entstehungsgeschichte der Bayerischen Verfassung eindeutig ergibt, dass es sich nicht um eine Lücke, sondern um ein bewusstes Unterlassen einer Quorumsregelung für alle Volksentscheide handelt. Die damalige Begründung lautete: „sonst würden Verfassungsänderungen nur wegen zu geringer Beteiligung der Bevölkerung unterbleiben“.

Diesen Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Stattdessen sieht der Verfassungsgerichtshof eine planwidrige Unvollständigkeit der Bayerischen Verfassung. Diese Interpretation unterstellt, dass 1946 bei der Streichung des ursprünglich vorgesehenen Quorums Nachlässigkeit im Spiel gewesen war. Das kann man dem damaligen Berichterstatter Dr. Ehard nicht vorwerfen. Der Verfassungsgerichtshof hat die vermeintliche Lücke mit einer lückenfüllenden Auslegung gefüllt. Er hat sich zum Verfassungsgeber aufgeschwungen und das 25prozentige Zustimmungsquorum festgelegt.

Die Entscheidung ist wiederum in sich inkonsequent, denn frühere Volksentscheide, die das Zustimmungsquorum nicht erreicht haben, wurden unberührt gelassen. Nach der Argumentation der Senatsentscheidung wäre der Volksentscheid zum Bürgerentscheid nicht wirksam zu Stande gekommen, obwohl 1997 der Volksentscheid zur Einführung des kommunalen Bürgerentscheids auf dem Prüfstand des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs gewesen ist. Damals hat man das Problem anscheinend nicht erkannt. Dort kamen nur 22,5% Zustimmung zu Stande. Dazwischen liegen nur zwei Jahre.

Der Verfassungsgerichtshof erlaubt eine einfache gesetzliche Regelung für die Einführung des Zustimmungsquorums, anstatt den Verfassungsgeber – das Volk – anzurufen. Es wäre Sache des Volkes als dem Verfassungsgesetzgeber, selbst zu entscheiden. Hier ist unser Ansatz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, Sie könnten, wenn Sie wollten, das Volk fragen, ob es eine derartige Einschränkung der Volksgesetzgebung haben will und in welcher Form. Das tun Sie nicht. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes kritisieren wir im hohen Maße. Trotzdem müssen wir mit ihr leben. Sie lässt großen Spielraum.

Das Quorum könnte niedriger sein, die Verfassungsänderung durch das Volk beschlossen werden. Das wurde von Ihnen aber nicht einmal angedacht. Wir brauchen eine verbindliche Regelung in der Verfassung und nicht im Landeswahlgesetz. Denn in der Verfassung steht weiterhin „Mehrheit entscheidet“, und zwar ohne Zusätze wie „Das Nähere regelt ein Gesetz“ oder „Dies gilt nicht für verfassungsändernde Volksentscheide, die auf einer Volksinitiative beruhen“. Wenn die Bevölkerung es wollte, sollte hier eine Klarstellung erfolgen.

Unseres Erachtens müsste es bei der bisherigen Regelung bleiben. Die Beispiele Schweiz und USA zeigen, dass die Demokratie durch niedrigere Quoren nicht gefährdet wird. In diesen Ländern wird mit dem Thema unverkrampfter umgegangen. Deshalb fordere ich Sie auf, andere Vorschläge zu unterbreiten und die Bevölkerung einzubeziehen, anstatt eine einfachgesetzliche Regelung durchzupauken und damit die Volksgesetzgebung einzuschränken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)