Protocol of the Session on June 24, 2003

Wir müssen schon darauf verweisen, dass in diesem Verfassungsentwurf Formulierungen enthalten sind, beispielsweise die Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union, denen zuzustimmen außerordentlich gefährlich ist.

(Zuruf von der SPD: Warum?)

Warum sage ich dies? Weil damit eine so genannte Generalklausel den Europäern übertragen wird. Hier muss ich mit aller Deutlichkeit sagen: Sind wir doch froh, dass wir auch unter dem Gesichtspunkt des Europas der Regionen einen föderativen Wettbewerb haben. Wenn wir den nicht mehr haben, dann haben wir Gleichmacherei in Europa, –

(Zuruf der Frau Abgeordneten Gote (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

haben wir einen Zentralismus und Dirigismus. Den haben wir bis 1990 – wie wir vorhin gehört haben – im anderen Teil Deutschlands gehabt. Wozu er geführt hat, hat Dr. Schröder hervorragend dargestellt. Mit dieser Generalklausel wäre es möglich, dass Europa in den Arbeitsmarkt eingreift, dass in der Sozialpolitik ganz klare Änderungen vorgegeben werden. Wenn Rot-Grün in Berlin noch länger an der Regierung sind, sind sie vielleicht froh, dass wir das Durchschnittsniveau Europas erreichen. Heute liegen wir Gott sei Dank noch darüber. Wenn Sie noch lange an der Regierung sind, dann werden wir sicherlich froh sein, wenn wir ein europäisches Durchschnittsniveau bekommen.

Ich sage eines sehr deutlich: Die gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik Europas wird heute bestimmt durch den Europäischen Zentralbankrat und die Europäische Zentralbank, die ähnlich wie früher die Deutsche Bundesbank klar vorgibt, was für die Rahmenbedingungen einer Wirtschafts- und Finanzentwicklung eines Staates – in dem Fall der Europäischen Union – gut ist.

Entscheidend sind auch – Sie haben sie als positiv dargestellt – die Mehrheitsbeschlüsse. Natürlich wird man in einigen Bereichen zu Mehrheitsbeschlüssen kommen müssen; das ist gar keine Frage. In einem größeren Europa ist eine Grundlage der demokratischen Ordnung, dass die Mehrheit entscheidet. Faktum ist aber auch, dass wir nicht ohne weiteres zulassen können, dass in vielen Bereichen, die unsere Nation gewaltig betreffen können, automatisch ein Übergang zu Mehrheitsbeschlüssen erfolgt.

Kollege Ettengruber wird später noch auf die Frage der Asyl- und der Zuwanderungspolitik eingehen. Es kann nicht sein, dass Europa per Zuwanderung über die Sozialsysteme in Deutschland entscheidet. Hier müssen wir mit aller Deutlichkeit sagen: Das kann mit uns so nicht gemacht werden. Ich bin überzeugt, dass wir in der Diskussion in den nächsten Monaten, bis wir zu den Abstimmungen in den nationalen Parlamenten kommen, noch einiges erreichen werden.

Wir brauchen – das ist auch die Anregung des Bayerischen Ministerpräsidenten – eine öffentliche Diskussion über einen Verfassungsvertrag Europas, dessen Inhalt gewaltig das Leben des einzelnen Bürgers in Bayern, in Deutschland und in Europa mitbestimmt. Deswegen brauchen wir diese öffentliche Diskussion; was glauben Sie, was los wäre, wenn wir heute in Deutschland das Grundgesetz verändern wollten, welche öffentliche Debatte hier vom Zaun gebrochen würde? In Europa soll alles stillschweigend gehen. Faktum ist, dass auch im Konvent keine Beschlüsse gefasst worden sind. Wir wis

sen auch, dass man sich in kleinen Zirkeln letztendlich auf bestimmte gemeinsame Nenner geeinigt hat. Ob das immer die richtige Richtung für Europa und unsere Zukunft ist, möchte ich hier infrage stellen.

Hier von Kleingeist zu sprechen, Frau Kollegin Gote, ist vollkommen verfehlt. Sie sind keine Beamtin des Europäischen Parlaments, die hier den Zentralismus und den Dirigismus Europas zu vertreten hat.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat sie nie gesagt!)

Sie sind eine frei gewählte Abgeordnete des Bayerischen Landtages und haben in erster Linie die Ängste und Bedenken und die eigentlichen Empfindungen der bayerischen Bürgerinnen und Bürger zu vertreten, und nichts anderes. Dafür sind Sie als Volksvertreterin gewählt worden.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sollten Ihre Aufgaben auch manchmal tun! Man braucht halt Mut dazu!)

Wir brauchen Perspektiven, Frau Kollegin Stahl. Aber Sie wissen auch, an Perspektiven für Europa hat es die CSU nie fehlen lassen.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh doch!)

Wir waren immer die Speerspitze der Entwicklung Europas, wenn es darum gegangen ist, für die Bürgerinnen und Bürger Europas und der Nationalstaaten etwas Positives auf den Weg zu bringen.

In den letzten Wochen und Monaten haben wir im Europaausschuss und im Arbeitskreis auch im Ausland gespürt, dass die Frage des Europas der Regionen, die Frage der Subsidiarität, die Frage der Kompetenzabgrenzung in Griechenland genauso wie auf Zypern oder in anderen Ländern eine der wichtigsten Rollen in den Debatten gewesen ist. Ich kann nur sagen: Wer hier von Kleingeist spricht, der nimmt die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande nicht ernst. Wir nehmen die Bürgerinnen und Bürger ernst und werden die Diskussion in den nächsten Monaten für ein gutes Europa und eine gute Zukunft weiterführen.

(Beifall bei der CSU – Frau Christine Stahl (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist boshaft!)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Maget.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Präsident! Die Verwirklichung der Europäischen Union auf dem Europäischen Kontinent ist zweifellos das größte und wichtigste Projekt unserer Generation. Mein Vater war, wie Millionen anderer Deutscher auch, noch Kriegsteilnehmer beim Überfall auf Frankreich, auf Polen und auf Russland. Heute können wir auf eine mittlerweile fast sechzigjährige Periode des Friedens hier in Europa zurückblicken. Wer dies bedenkt,

der kann ermessen, welche herausragende Bedeutung die Europäische Union für die Menschen auf unserem Kontinent hat.

(Beifall bei der SPD)

Für mich und für uns gibt es deshalb keinen Zweifel: Bayern sagt Ja zu Europa.

Dank der Erweiterung der Europäischen Union und der Aufnahme der mittelosteuropäischen Länder leben wir Bayern endlich nicht mehr am Rande, sondern dort, wo wir hingehören, nämlich im Kern und in der Mitte der Europäischen Union.

Dies geschah mit großem wirtschaftlichen, strukturellen und politischen Erfolg, wie wir alle wissen.

Ich unterstelle niemandem, auch der CSU nicht, dass er das nicht genauso sehen würde. Die CSU sieht es genauso. Sie sagt es nur nicht so. Das Problem ist nicht so sehr, wie es der Titel dieser Aktuellen Stunde suggeriert, der europäische Kleingeist der CSU und ihrer Staatsregierung, sondern die Doppelbödigkeit ihrer Politik. Die Europapolitik der CSU unter ihrem Vorsitzenden Stoiber ist weniger kleingeistig als vielmehr großspurig.

(Beifall bei der SPD)

Das, was Herr Stoiber alles auf der ganzen Welt angeblich gerichtet hat, ist schon starker Tobak – der Weltenlenker ist hier zugange.

Die Europapolitik der CSU ist auch nicht ehrlich, sondern doppelzüngig. So ist auch die spontane Ablehnung des Entwurfs für eine europäische Verfassung zu verstehen. In Wahlkampfzeiten verspricht eben eine Drohung, zur europäischen Verfassung Nein zu sagen, öffentliche Aufmerksamkeit – und nur darum geht es. So war es auch bei der Einführung des Euro. Was war da nicht alles aus der Staatskanzlei zu hören, und was ist geblieben? – Nur Schall und Rauch. Woher kommt dieses eigentümliche Verhalten? – Theo Waigel hat im gestrigen „Focus“ eine schöne Erklärung für dieses Verhalten gegeben. Theo Waigel führt diese Zwangshandlung seines Nachfolgers im Parteivorsitz auf das, wie er es nennt, Rumpel-Theorem zurück. Rumpeln in der CSU geht so: zuhause kräftig rumpeln, draußen leise humpeln.

(Heiterkeit bei der SPD)

Zuhause das Euro-skeptische Publikum mit seinen Ängsten und Vorurteilen in Bierzelten bedienen,

(Willi Müller (CSU): Aber es ist erfolgreich!)

durchaus auch mit Ressentiments gegen die da droben in Brüssel, draußen auf internationaler Bühne aber brav den europäischen Musterknaben spielen; zuhause in den Bierzelten Theater fürs Volk, draußen Staatsmann für die internationale Gemeinschaft. Zuhause darf Herr Glos rumpeln. Was sagt Herr Glos im „Kölner Stadtanzeiger“ am 13. Juni 2003? – Er sagt: Wir wollen als CSU im Grunde keine Verfassung Europas. Hört, hört! Wir

wollen als CSU im Grunde keine Verfassung Europas, sagt der Landesgruppenvorsitzende im Deutschen Bundestag. In Brüssel arbeitet der CSU-Abgeordnete Wuermeling brav und still an dieser Verfassung vor sich hin, und Herr Teufel lobt auch das Beratungsergebnis. Für die einen rumpelt Herr Stoiber und spricht in Zeitungsinterviews davon, dass Brüssel uns, wie er sich ausdrückt, völlig an die Kandare nehme und Bayern und Deutschland zu Verwaltungsprovinzen herabstufen würde; für die anderen einigt man sich dann in einem gemeinsamen Positionspapier darauf, dass der vorliegende Vorschlag ein wichtiger Fortschritt und ein Vorankommen in der europäischen Integration ist.

Wenn das Rumpeln und Poltern ernst gemeint und nicht nur schlagzeilenkräftiges Theater für das Volk wäre, dann müsste man im Grunde diejenigen, die im Konvent mitarbeiten, des Landesverrates bezichtigen; dann hätte man auch nicht Herrn Teufel in den Konvent schicken dürfen, sondern vielleicht Herrn Bocklet – das Zeug dazu hätte er auch gehabt. Weil das Rumpeln aber ausschließlich parteitaktisch motiviert ist, sage ich auch voraus: Sie werden am Ende natürlich der europäischen Verfassung zustimmen; alles andere wäre auch nicht gerechtfertigt.

Ich meine, deswegen sollten wir diesen Verfassungsentwurf auch gemeinsam als das würdigen, was er tatsächlich ist: ein ausgewogener Kompromiss unter mehr als zwei Dutzend Staaten, nicht perfekt, aber weit mehr als das bisher Erreichte. Deshalb sage ich auch: Die bislang erzielten Ergebnisse sind ein historischer Fortschritt, ja sogar ein Meilenstein in der europäischen Integration.

(Beifall bei der SPD)

Er zeigt wegweisende Fortschritte auf. Ich will einige ganz kurz nennen: Erstens, die rechtsverbindliche Verankerung der Grundrechtecharta und damit die Definition Europas als Wertegemeinschaft, zweitens, eine klare Kompetenzordnung über die Zuständigkeit der EU mit der Einteilung und Auflistung von Kompetenzkategorien. Das hat es noch nicht gegeben. Drittens. Die EU muss das Prinzip der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit beachten. Früher konnte man das in Brüssel nicht einmal buchstabieren; jetzt steht es in diesem Verfassungsentwurf. Viertens. Die Stärkung der Mitspracherechte – –

(Ettengruber (CSU): Das kommt aber von uns!)

Ach, das haben auch Sie gemacht! Ja wunderbar! Das europäische Wesen soll an der CSU genesen. Überschätzen Sie einmal nicht Ihren Einfluss, Herr Ettengruber. Überschätzen Sie nicht Ihren Einfluss auf die Nationalstaaten ganz Europas. So wichtig sind Sie auch wieder nicht, Herr Ettengruber.

(Beifall bei der SPD)

Man muss seinen Einfluss und seine Stärke schon richtig einschätzen und darf sich nicht überheben, Herr Kollege Ettengruber.

(Ettengruber (CSU): Das müssen Sie sagen!)

Viertens. Die Stärkung der Mitspracherechte des Europäischen Parlaments macht die EU demokratischer. Fünftens. Erstmals wird rechtsverbindlich – auch wichtig – das Prinzip der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung verankert. Sechstens. Mehrheitsentscheidungen im Rat machen die EU handlungsfähiger. Siebtens. Die Festlegung doppelter Mehrheiten berücksichtigt große Länder stärker. Achtens. Die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens kann dazu beitragen, dass Europa bürgernäher und demokratischer wird.

Natürlich gibt es auch Defizite. Nicht alles Wünschenswerte wurde aufgenommen. Das eine oder andere wird noch hinzukommen. Zum Thema Asyl und Zuwanderung ist auch das schon erklärt, und zwar ohne Ihr Zutun, meine Kolleginnen und Kollegen; denn die deutschen Europaminister haben Ihre Erwartungen unisono formuliert, und zwar übereinstimmend über die Parteigrenzen hinweg, dass der Bereich Asyl und Einwanderung, weil er für die Länder von besonderer Bedeutung ist, auch mitgliedsstaatliche Angelegenheit bleiben muss. Das ist doch die übereinstimmende Position aller deutschen Europaminister. Tun Sie doch nicht so, als hätten Sie das erfunden! Das ist die gemeinsame Beschlusslage in Deutschland.

Weil das so ist, wiederhole ich zum Abschluss meinen Appell, mit dem Ergebnis der Konventsverhandlungen sorgfältiger umzugehen. Nicht gut ist es, sie sofort als etwas zu diskreditieren, was die Mitgliedsländer zu Verwaltungsprovinzen herabstufen würde. Das ist Unsinn. Das schürt Ängste und Vorurteile. Das macht keinen Sinn, wenn man in der Europapolitik vorankommen will. Das tut jemand nur dann, wenn er das europäische Konzept und den europäischen Fortschritt behindern oder verlangsamen will.

Ich glaube – dieses zum Abschluss –, dass wir uns durchaus darüber Gedanken machen sollten, ob wir diesen Verfassungsentwurf dem Volk, den Völkern zur Abstimmung vorlegen sollen. Man muss aber auch die Risiken bedenken. Was wäre zum Beispiel, wenn ein Mitgliedsland – nehmen wir ein kleines wie Malta – den Entwurf ablehnen würde? Was wäre dann? Käme dann keine gemeinsame europäische Verfassung zustande? – Ich meine aber: Wenn wir uns in Deutschland dem Konzept der Volksabstimmung über die europäische Verfassung nähern sollten, dann bitte sehr nicht nur zu dieser einen Frage. Dann brauchen wir ein Konzept zur Einführung volksdemokratischer Möglichkeiten in Deutschland generell, auch zu anderen Fragen;

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

das ist ein Vorschlag, den Sie übrigens im Deutschen Bundestag in der letzten Legislaturperiode und auch hier im Landtag abgelehnt haben. Wenn Sie dazu neue Gedanken beizutragen haben, hören wir gerne aufmerksam zu, Herr Minister Bocklet.

(Beifall bei der SPD)