Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Seit den Demonstrationen der Schülerinnen und Schüler gegen den Irak-Krieg mag ich eigentlich gar nicht mehr so recht an die These glauben, dass unsere Schülerinnen und Schüler so unpolitisch wären;
denn sie haben mit ihrem Protest ein hohes politisches Bewusstsein, ein großes Verantwortungsbewusstsein und auch Zivilcourage gezeigt.
Man könnte allerdings auch sagen, dass die Demonstrationen ein Beweis für eine erfolgreiche Erziehung, für eine erfolgreiche politische Bildung in unseren Schulen sind; denn im Prinzip haben die Schülerinnen und Schüler genau das gemacht, wozu wir sie erzogen haben. Wir wollen eigentlich mündige Bürger und mündige Bürgerinnen, die ihren Kopf zum Denken nutzen und nicht irgendwelchen Parolen hinterherlaufen. Wir wollen, dass die Kinder und Jugendlichen Konflikte gewaltfrei lösen. Die Staatsregierung hat sogar ein eigenes Projekt gestartet: „Faustlos“. Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche Unrecht gegenüber nicht gleichgültig sind, dass sie hinschauen und handeln und dass sie den Mut haben, Zivilcourage zu zeigen.
Genau das haben die Schülerinnen und Schüler getan. Eine Schülerin hat das sehr schön auf den Punkt gebracht, das konnte man in den „Nürnberger Nachrichten“ lesen. Sie sagte: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Für die 19-jährige Mira gehört es zu einem vernünftigen Leben, ihren Standpunkt zu verteidigen, auch wenn das Probleme mit sich bringen kann. Allen Unkenrufen zum Trotz, unsere Jugendlichen seien unpolitisch, die Gewalt nehme immer zu, und sie seien eigentlich nur an Markenkleidern interessiert, müssen wir nun zur Kenntnis nehmen, dass es genau diese Generation ist, die nicht unpolitisch ist, die das Bild der Demonstrationen gegen den Krieg prägt. Eigentlich könnten wir wirklich stolz auf diese Jugendlichen sein,
und wir könnten auch stolz auf die Arbeit der Lehrkräfte und der Eltern sein, denen es in jahrelanger Arbeit offensichtlich gelungen ist, die Jugendlichen so zu erziehen, wie wir das für eine humane Gesellschaft für richtig halten.
Das Problem an der ganzen Sache ist – und da können wir so viel Sozialkundeunterricht fordern und so viele Projekte machen, wie wir wollen –: Wie geht die Staatsregierung mit diesen Jugendlichen um? – Die Jugendlichen wissen genau, dass wir immer darüber jammern: Ihr wisst zu wenig, ihr interessiert euch nicht. Jetzt interessieren sie sich, sie informieren sich – Herr Freller sitzt da irgendwo, er hört mir nicht zu, aber körperlich ist er da – –
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Pfaffmann?
Frau Kollegin Münzel, würden Sie Herrn Staatssekretär Freller einmal fragen, wie er das sieht, dass beim Schulstreik in Nürnberg, den Sie angesprochen haben, 80 Schulverweise ausgesprochen wurden, alle 80 in staatlichen Schulen, kein einziger Verweis in städtischen Schulen, und würden Sie ihn fragen, wie er es sieht, dass staatliche Schulen teilweise die Polizei gerufen haben, um Schüler an der Teilnahme an den Demonstrationen zu hindern, und dass teilweise Schulen abgesperrt wurden?
Herr Kollege Pfaffmann, ich würde das Herrn Freller sehr gerne fragen. Ich denke, er hat die Frage mitgekriegt, und ich möchte ihn bitten, dass er dann dazu Stellung nimmt.
Das Kultusministerium sagt also – und das haben Sie auch gestern getan, Herr Staatssekretär –, die Schülerinnen und Schüler hätten ja nachmittags demonstrieren
Ja sicher, das hätten sie. Aber ich finde, unsere Schülerinnen und Schüler haben sich auch da als sehr lebenstüchtig erwiesen, indem sie nämlich ganz genau nachgedacht haben und strategisch vorgegangen sind. Sie haben sich überlegt: Wie können wir unseren Protest am effektivsten darstellen? Sie haben eine Form des Protestes gewählt, den nur sie, die Schülerinnen und Schüler, wählen können. Sie haben eine Möglichkeit in der breiten Palette der Protestmöglichkeiten genutzt, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen, die sonst keine andere Bevölkerungsgruppe hat, nämlich den Schulstreik.
Mit keiner anderen Strategie – das muss man wirklich anerkennen, Herr Staatssekretär – wäre es den Schülerinnen und Schüler gelungen, so viel Aufmerksamkeit auf sich selber und auf ihr Anliegen zu lenken. Das haben sie wirklich sehr, sehr gut gemacht – finde ich jedenfalls.
Zur Legitimität: Sicherlich, der Schulstreik ist nicht in der Schulordnung vorgesehen. Der Streik ist normalerweise ein Mittel, mit dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer versuchen, bessere Arbeitsbedingungen, bessere Löhne zu erkämpfen. Wenn das ein legitimes Mittel ist, um bessere Arbeitsbedingungen und bessere Löhne zu erkämpfen, dann ist es doch auch ein legitimes Mittel, wenn es um die elementare Frage von Krieg oder Frieden geht, selbst wenn es nicht in der Schulordnung steht.
Ich habe am Anfang gesagt, Herr Dr. Waschler, Zivilcourage ist es doch, was auch wir wollen, dass die jungen Leute mutig sind, wenn sie Unrecht erkennen, dass sie aufstehen und sagen: Es ist mir egal, ob Sanktionen kommen oder nicht, ich muss etwas dagegen tun, ich muss etwas dagegen sagen, ich muss dagegen protestieren. Ich habe höchsten Respekt vor denen.
Die Schülerinnen und Schüler wissen, dass sie von der politischen Seite diesen Preis wahrscheinlich nicht bekommen können, und sie betrachten zum Teil diese Verweise selbst als Preise für Zivilcourage,
indem sie sie stolz vorzeigen und zu den anderen sagen: „Was, Du hast keinen Verweis? Dann bist du wohl ein Feigling.“
Obwohl wir eine junge Generation haben, die von hohem politischen Bewusstsein geprägt ist, ändert das natürlich nichts an der Tatsache, dass die politische Bildung an unseren Schulen ein Schattendasein führt. Kollege Odenbach hat es für die verschiedenen Schularten und Schulstufen dargelegt. Der Unterricht ist mit Sozialkunde so mager ausgestattet, dass eine Gruppe, die normalerweise nicht nach mehr Unterricht schreit, nämlich die Schülerinnen und Schüler, uns vor geraumer Zeit eine Petition überreicht hat, in der sie mehr Stunden Sozialkundeunterricht gefordert hat. Das muss man sich einmal vorstellen! Das zeigt doch mehr als deutlich, wie die Betroffenen, die gerne mehr erfahren würden, gerne mehr wissen würden, gerne mehr handeln würden, das selber empfinden. Schülerinnen und Schüler setzen sich für mehr Unterricht ein.
Noch ein viel größeres Manko als die mangelnde Anzahl von Unterrichtsstunden ist die mangelnde politische Beteiligung an einem demokratischen Verfahren von Schülerinnen und Schülern, allerdings auch von Lehrkräften und den Eltern. Über Demokratie Bescheid wissen, die Institutionen kennen, die Abläufe kennen –, das ist wichtig, aber das ist viel zu wenig. Schülerinnen und Schüler müssen an ihrer Schule demokratisch beteiligt werden.
Sie müssen bei den Entscheidungen einbezogen werden. Wir müssen uns von dem Bild von Bildung und Erziehung verabschieden, das Schülerinnen und Schüler als Objekte der Bildung und Erziehung darstellt. Sie sind Subjekte, und sie müssen am Prozess aktiv beteiligt werden.
Inzwischen ist zwar das Schulforum paritätisch besetzt. Das ist ein erster Schritt und besser als nichts. Sie haben die Befugnisse des Schulforums aber nicht erweitert, sondern es bleibt alles beim Alten. Richtige und wesentliche Entscheidungen können weder die Lehrkräfte noch die Eltern noch die Schülerinnen und Schüler im demokratischen Verfahren treffen.
Ich finde es auch bedauerlich, dass es der Landtag versäumt hat, ein Projekt zu beschließen, das die GRÜNEN vorgeschlagen haben.
Ich finde es schön, dass Sie dazu etwas sagen wollen. Die Junior-Wahl wäre ein hervorragendes Instrumenta
rium gewesen, die Schülerinnen und Schüler mit demokratischen Prozessen und einer demokratischen Wahl vertraut zu machen.
Ich will für diejenigen, die sich unter dem Begriff nichts vorstellen können, die Junior-Wahl erklären. Es handelt sich um eine simulierte Wahl. Die Schülerinnen und Schüler sollen am 21. September 2003, an dem Datum, an dem der Landtag gewählt wird, online abstimmen können. Es handelt sich aber nicht nur um den Abstimmungsprozess, sondern die Wahl wird in der Schule vorbereitet. Es wird über das Wahlsystem geredet und Wissen vermittelt. Außerdem beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit den Programmen der unterschiedlichen Parteien und lernen die Kandidaten kennen. Sie nehmen an dem Wahlkampf insoweit teil, als sie beobachten, was welche Partei zu welchem Thema aussagt, wie sie sich selbst positionieren und am Wahltag abstimmen würden. Für die Jugendlichen wäre es interessant zu erfahren, wie Gleichaltrige im Vergleich zur erwachsenen Bevölkerung abstimmen.
Auf diesem Gebiet muss sich in den nächsten Jahren in Bayern noch sehr sehr viel bewegen. Ich will das gar nicht an der Zahl der Unterrichtsstunden festmachen. Das ist auch wichtig, ist aber gar nicht so sehr mein vorrangiges Interesse, sondern das ist die demokratische Beteiligung von Schülerinnen und Schülern. Wenn es schon nicht mehr Unterrichtsstunden gibt, sollen wenigstens attraktive Projekte angeboten werden, mit denen die Schülerinnen und Schüler zu Beteiligten gemacht werden.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Ich komme zunächst zum Antrag zurück, der zur Abstimmung vorliegt. Wir sind uns alle darin einig, dass die politische Bildung in der Schule stattzufinden hat.
Gerade in den letzten Jahren und Monaten haben wir in Bayern schon eine Menge auf den Weg gebracht. Exemplarisch darf ich den Sozialkundeunterricht in der 11. Klasse des Gymnasiums nennen. Die Unterrichtszeit wurde auf zwei Stunden ausgeweitet mit dem Ziel, dem Grundkurs Sozialkunde eine bessere Perspektive zu geben. Ich weise darauf hin, dass die Diskussion im Bayerischen Landtag über die Stundentafeln gezeigt hat, dass die zweistündige Unterrichtsdauer der ein- und eineinhalbstündigen vorzuziehen ist. Dieser Schritt wurde bereits vollzogen. Bei der Forderung, an den Gymnasien die Sozialkunde früher anzubieten, übersieht man, dass an den Berufschulen Sozialkunde ein Pflichtfach ist. Kein Schüler kann also ohne Sozialkunde ins Berufsleben starten.
Nun komme ich auf die Forderungen unter den verschiedenen Spiegelstrichen des Antrags zu sprechen: Die Erhöhung des Anteils der politischen Bildung an den Lehrplänen wurde bereits durchgeführt, ebenso die stärkere Verankerung in den Stundentafeln. Die Überprüfung der bestehenden Lehrpläne findet zur Zeit statt. Jede Erhöhung des Anteils des Sozialkundeunterrichts, von der Kollege Odenbach gesprochen hat, setzt die Streichung in anderen Fächern voraus. Bisher wurde nur von der Fülle der Lehrpläne gesprochen, niemand hat sich generell über den Mangel an Inhalten beschwert. Wer Ausweitungen auf der einen Seite fordert, müsste auch sagen, wo er auf der anderen Seite einsparen möchte.