Protocol of the Session on March 12, 2003

Reden Sie einmal mit Verantwortlichen in der Wirtschaft. Vielleicht kommen Sie dann zu Erkenntnissen. Wenn wir im März erleben sollten, dass die Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Februar noch einmal steigt, dann wissen Sie, dass es zappenduster ist. Vielleicht kommen dann auch die Letzten von der SPD-Fraktion im Bundestag – ich rede nicht von Ihnen – darauf, dass es höchste Zeit ist, eine Menge von Dingen zu korrigieren. Was will Herr Schröder denn am nächsten Freitag tun? – Er wird doch nicht ankündigen, dass alles so bleibt, wie es ist. Das hätte er gern gemacht; denn das hat er vor der letzten Wahl versprochen. Warum muss er denn jetzt den Kurs korrigieren? – Weil er weiß, dass wir mit unseren Standortkonditionen allmählich in ein Desaster hineinlaufen. Das sind doch alles nur Signale. Die eigentlichen Probleme liegen woanders.

Zusatzfrage: Frau Kollegin Peters.

Herr Staatsminister, warum halten Sie hier ein wirtschaftspolitisches Kolloquium und stellen fest, dass die Schließung der Firma Siemens in Passau definitiv ist, anstatt den Druck auszuüben,

(Lachen bei der CSU)

den Sie in anderen Fällen auch ausgeübt haben?

Im Übrigen haben Sie mir an anderer Stelle nicht die Frage beantwortet, welche europäischen Mittel geflossen sind bzw. fließen werden. Ich gehe davon aus, dass bei der Verlagerung in bestehende Filialen keine Mittel mehr fließen. Das heißt aber nicht, dass keine Mittel geflossen sind.

Mich würde außerdem interessieren, wieviel an Grenzlandmitteln seinerzeit bei der Gründung der Filiale geflossen sind.

Herr Staatsminister, bitte.

Ich halte das Kolloquium deswegen, weil ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben habe, dass Sie auch einmal kapieren, um was es geht. Wenn Sie aber sagen, das hilft nicht, lasse ich es bleiben.

(Heiterkeit bei der CSU)

Worüber wird denn auf Bundesebene geredet? Sieht man denn nicht, wie es bei uns bei 4,6 Millionen oder 4,7 Millionen Arbeitslosen bröckelt und bröselt? Schütteln Sie sich da immer noch ab, wie Sie es bisher und bei

der Bundestagswahl getan haben, wo Sie gesagt haben, dass das Problem hochgespielt wird? – Jetzt stehen wir doch vor dem Desaster, und es wird höchste Zeit, dass man einmal an die Themen herangeht.

Zu den Mitteln der Europäischen Union für Griechenland kann ich Ihnen nichts sagen. Ich habe davon keine Kenntnis. Wir werden dazu auch keine Informationen bekommen. Ich weiß nicht, ob Geld fließt, und wenn Geld fließt, wie viel. Genauso ist es mit den Grenzlandmitteln. Wenn Geld geflossen sein sollte, ist das längst abgeschlossen, und es ist keine Rückforderungsmöglichkeit mehr gegeben.

Druck können Sie ausüben, wenn Sie Druckmittel haben. Diese haben wir im vorliegenden Fall nicht, weil es nicht darum geht, Subventionen oder Förderungen zu gewähren oder zurückzufordern. Das ist der einfache Sachverhalt.

Zusatzfrage: Herr Kollege Brandl.

Herr Staatsminister, ich nehme es Ihnen persönlich durchaus ab, dass Sie sich bei Siemens eingesetzt haben, aber bislang ohne Erfolg.

Wir drei Passauer wollen natürlich, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Geld ist vorhanden; das wurde hier mehrmals bestätigt, auch von Ihnen. Herr Staatsminister, ich frage Sie deshalb: Wie bewerten Sie den Vorgang, dass Siemens ab März 2003 als Hauptsponsor der Ersten Chinesischen Fußballliga agiert, dafür wahrscheinlich viele Millionen bezahlen wird, aber für die Modernisierung des Werkes in Passau keinen Euro aufwenden will?

(Willi Müller (CSU): Das hat miteinander überhaupt nichts zu tun!)

Herr Kollege Brandl, wir müssen uns überlegen, ob wir uns über das Thema sachlich oder polemisch unterhalten wollen.

(Brandl (SPD): Sachlich!)

Nein, wir müssen schon bei der Sache bleiben. Erstens. Die drei Abgeordneten setzen sich für den Betrieb in Passau ein; das tue ich auch. Ich habe Ihnen die Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Entscheidungen fallen, genannt. Geld ist vorhanden. Selbst wenn heute der schönste Betrieb irgendwo hingestellt wird, ist die entscheidende Frage nicht die Investition, sondern wie sich die Produkte am Markt präsentieren und ob sie woanders wettbewerbsfähiger hergestellt werden. Ich kenne keinen Betrieb, der bereit wäre, auf Dauer unter Bedingungen zu produzieren, die dazu führen, dass er nur subventionierte Preise am Markt erzielen kann. Das tut keiner, und das können Sie keinem Betrieb abverlangen.

Deswegen will Siemens manuelle Tätigkeiten herausverlagern und stark maschinelle Tätigkeiten konzentrieren, und zwar an dem Standort, wo sich die meisten Tätigkeiten bereits befinden, nämlich in Regensburg. Das ist der betriebswirtschaftliche Entscheidungsprozess. Wer fordert, dass auch die manuellen Tätigkeiten hier bleiben sollen, muss gleichzeitig sagen, wer dem Betrieb auf Dauer die Subventionen gibt, damit er seine Waren zu konkurrenzfähigen Preisen auf dem Markt unterbringen kann. Das ist der Zusammenhang, und der leuchtet einigen von Ihnen nicht ein. Wir leben Gott sei Dank nicht in einer Planwirtschaft. Man muss deshalb auf die gesamten Rahmenbedingungen achten. Entscheidend ist nicht, ob Geld vorhanden ist oder ob wir die Neuanschaffung von Maschinen subventionieren würden. Das ist nicht das Thema. Ausschlaggebend ist, dass nicht mehr alle Güter in Deutschland konkurrenzfähig produziert werden können, sondern nur noch ein Teil davon.

Das haben wir auch schon bei vielen anderen Produktionen erlebt. Herr Scholz, ich denke dabei an die Automobilzulieferung und die Kabelbaumfertigung. Wo sind denn jetzt die Betriebe, die früher in Mittelfranken waren? – Sie sind in der Ukraine. Sie wissen, welcher Betrieb demnächst mit 4000 bis 5000 Arbeitsplätzen in der Ukraine eröffnen wird. Ich könnte Ihnen auch einen Betrieb aus Niederbayern nennen, der in Tunesien produziert; den habe ich dort besucht. Ich könnte Ihnen noch viele andere Betriebe nennen. An diesen Fakten kann niemand vorbei. Ich kann nur wiederholen: Arbeitsplätze werden durch Appelle weder geschaffen noch erhalten, sondern nur durch Wettbewerbsfähigkeit. An diesem Thema muss man von der staatlichen Seite her arbeiten.

Zweitens. Zur Aussage, dass Siemens in China als Sponsor auftritt – ich weiß nicht, mit welchen Mitteln die Firma das tut –, möchte ich nur darauf hinweisen, dass Siemens etwa 50 Betriebe in China hat und ein wesentlicher Teil des Absatzes dort läuft. Ich glaube, Siemens setzt mittlerweile in China etwa 8 bis 10 Milliarden e um. China ist für Siemens ein guter Absatzmarkt, aber legen Sie mich jetzt bitte nicht auf Zahlen fest. China ist ein wesentlicher Faktor für Siemens. Das kommt auch unseren Arbeitsplätzen zugute; denn Siemens hätte sonst nicht nach wie vor über 40% der Arbeitsplätze bei uns bei 21% Umsatzanteil. Unsere Arbeitsplätze hängen also auch davon ab, dass Siemens noch in andere Länder exportieren kann, natürlich dort auch produzieren muss. Ich kann nichts dagegen haben, wenn jemand zur Markterschließung in einem wachsenden Markt wie China, der in den letzten Jahren Gott sei Dank sehr stabil war, für die Imagewerbung etwas tut.

Zusatzfrage: Frau Kollegin Peters. Dann kommen noch die Kollegen Dr. Waschler und Brandl. Ich darf darum bitten, dieses Thema etwas zu straffen, damit auch noch andere Fragen behandelt werden können. – Bitte, Frau Kollegin Peters.

Herr Staatsminister, liegt Ihnen die konkrete Kostenrechnung vor oder könnten Sie die

gegebenenfalls einfordern? Es kann doch nicht sein, dass man vor Ort damit argumentiert, dass die Lohnkosten in Rumänien 1,50 e und in Passau 27 e betragen.

Die unterschiedlichen Lohnkosten sind bekannt. Eine Kostenrechnung muss mir kein Betrieb vorlegen.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Peters (SPD))

Sie haben immer noch eine falsche Vorstellung. Wir leben nicht in einer Planwirtschaft. Ich kann von einem Betrieb nicht einfach Daten fordern, die er mir nicht geben muss. Es gibt dafür keine gesetzliche Grundlage.

(Zuruf von der CSU: Das müssen die noch lernen!)

Das müssen Sie doch auch wissen. Wo leben wir denn?

Nächste Zusatzfrage: Herr Kollege Dr. Waschler, bitte.

Herr Staatsminister! Halten Sie es für möglich und sinnvoll, dass die Staatsregierung mit Blick auf die Entwicklung, die Sie dargestellt haben, verstärkt auf die Siemens AG einwirkt, um zu erreichen, dass künftig Projekte in der Forschung und Technologieentwicklung, die Arbeitsplätze schaffen, in den Passauer Raum verlagert werden, wo eine Universität besteht, die Verbindung mit der Wirtschaft und einschlägigen Institutionen hat?

Wir stehen mit verschiedenen Firmen im Gespräch über eine Ansiedlung in strukturschwächeren Räumen in Bayern. In Passau hatten wir hier eine ganze Reihe von Erfolgen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass es erfreulich wäre und wir darauf hinwirken, dass größere Betriebe in strukturschwächere Regionen investieren.

Ich habe aber vorhin anhand von Zahlen den derzeit herrschenden Trend dargestellt, speziell bei international tätigen Betrieben. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass unsere Hauptattraktivität derzeit Forschung und Entwicklung und qualifizierte, hochtechnologische Produkte sind. Das ist unser attraktivstes Standortelement. Ein Paradebeispiel dafür, dass wir damit Betriebe anwerben können, ist die Firma General Electric, die nur deswegen nach Bayern gegangen ist, weil sie hier die besten Voraussetzungen für die Entwicklung neuer Technologien vorfindet. Das war der Grund.

(Dr. Scholz (SPD): Weil Sie Siemens in die Suppe spucken wollen!)

Nein, nein. Die beiden Firmen stehen seit Jahren in Konkurrenz zueinander, auch in den USA. Das sind Wettbewerber, und es gibt Tausende von anderen Wettbewerbern. Es geht überhaupt nicht darum, dass sie Siemens in die Suppe spucken wollen. Sie sind mit einem Forschungszentrum in New York und in Bangalore in Indien tätig, auch in Shanghai. Wem spucken sie denn da in die Suppe? – Das ist bei international tätigen Kon

zernen nichts Neues. Sie konkurrieren in unterschiedlichsten Ländern mit unterschiedlichsten Einrichtungen. Das geschieht im Rahmen des Wettbewerbs.

Unsere Hauptattraktion ist die technologische Entwicklung und die Investition in Forschung und Entwicklung. Deshalb verstehe ich jene nicht, die sagen, wir wären mit unserer Politik falsch gelegen. Wo wären wir denn heute, wenn es die Offensive Zukunft Bayern I oder die Hightech-Offensive nicht gegeben hätte? – Dann wäre die Standortattraktivität in Bayern unter „ferner liefen“. Warum ist Bayern heute der Standort in Europa mit dem größten Netzwerk an amerikanischen Firmen? – Nur aus diesem Grund! Warum nimmt die japanische Community in Düsseldorf ab und in Bayern zu? – Nur aus diesem Grund. Das ist unser Ansatzpunkt, verdammt noch einmal. Wir müssen doch froh sein, wenn die Leute noch kommen. Diesen Zusammenhang muss man einmal sehen. Bei Ihnen gibt es ja schon einige, die maulen, dass man die Altindustrien vernachlässigt hätte. Auch das ist falsch.

(Dr. Scholz (SPD): Die Verkehrstechnologie!)

Auch das ist falsch. Die so genannten Altindustrien – ich mag diesen Begriff gar nicht; er ist Quatsch –, zu denen man auch einmal gewisse Transport- und Verkehrstechnologien gerechnet hat, haben ihre Wettbewerbsfähigkeit nur deswegen behalten, weil sie mit neuen Materialien, mit neuen Technologien, mit dem Chip, mit Informations- und Kommunikationstechniken gearbeitet haben, weil sie ihre Produktionsprozesse optimiert haben. Warum ist unsere Automobilindustrie gegenüber anderen Ländern wettbewerbsfähig? – Weil sie am stärksten die technologische Innovation vorangetrieben hat. Gleiches gilt für den Maschinenbau. Ich könnte Ihnen eine ganze Litanei dazu aufzählen.

(Zuruf von der SPD)

Dann wird aber wieder gesagt, ich würde ein Kolloquium halten, das einige nicht verstehen.

(Beifall bei der CSU)

Zusatzfrage: Herr Kollege Brandl.

Herr Staatsminister, ich will Ihre Bemühungen um den Erhalt der Arbeitsplätze bei Siemens in Passau ohne jeden Hintergedanken durchaus anerkennen. Leider muss ich Ihren Ausführungen aber auch entnehmen, dass für die Arbeitsplätze bei Siemens in Passau wenig Hoffnung besteht. Meine Frage an Sie: Halten Sie irgendwelche Ausgleichsmaßnahmen für möglich? Können Sie vielleicht sagen, ob wegen der hohen Arbeitslosigkeit in Passau eventuell Behörden und staatliche Arbeitsplätze dorthin verlagert werden können?

Herr Staatsminister.

Ihre Ansicht, dass wenig Aussicht besteht, die Arbeits

plätze bei Siemens in Passau zu erhalten, ist leider richtig. Ich kann es nicht anders darstellen. Sie wissen es auch. Zu Ihrer Frage nach Ausgleichsmaßnahmen kann ich nur sagen, dass wir doch auf die Vorschläge der Hartz-Kommission zurückgreifen sollten. Sie hat für solche Fälle angeblich Einiges erfunden. Man könnte hier verschiedene Gesellschaften einrichten, allerdings hört man davon jetzt nichts mehr. Vor der Wahl war das noch die große Lösung. Die Beschäftigungsgesellschaften und alles andere, was damals propagiert worden ist, haben sich aber in Luft aufgelöst.

Ausgleichsmaßnahmen könnten darin bestehen, dass die Möglichkeiten der Gemeinschaftsaufgabe genutzt werden, zu deren Gebiet Passau gehört. Man sollte versuchen, für Passau Investoren zu gewinnen, die man dort bei ihren Investitionen fördern kann. Der Markt bei den neuen Investoren ist allerdings sehr dünn gesät. Die deutschen Betriebe gehen derzeit viel lieber ins Ausland, und auch manche ausländische Betriebe, die sich in Europa ansiedeln, gehen lieber in andere Regionen. Das liegt an unseren miserablen Rahmenbedingungen wie etwa den zu hohen Lohnzusatzkosten und anderen Faktoren, über die wir herauf- und herunterdiskutiert haben. Allmählich setzt sich die Einsicht durch, dass an der Änderung dieser Faktoren nichts vorbeiführt. Solange Betriebe sowohl aus dem Inland als auch aus dem Ausland nicht bereit sind, in Deutschland verstärkt zu investieren, können wir auch keine Ausgleichsmaßnahmen durchführen.