Wir alle werden diese Entwicklung jeweils anders erleben und in unterschiedlichen Formen damit umgehen müssen. Gerade deshalb gilt: Diese Querschnittsaufgabe kann nur gemeinsam gelöst und bewältigt werden.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Richtig! So ist es! – Abg. Anton Baron AfD: Was genau tun Sie?)
Dafür möchte ich mich insbesondere bei unserem Minister für Soziales und Integration, Manne Lucha, und dem Demogra fiebeauftragten Thaddäus Kunzmann bedanken.
Worum geht es jetzt konkret? Wie wir auch immer betroffen sind, im Kern geht es bei der Gestaltung des demografischen Wandels um die Frage nach einer generationengerechten Zu kunft. Was bedeutet das? Gerechtigkeitstheorien und Gerech tigkeitsforschung sind so vielschichtig und umfassend, dass uns die Komplexität dieser Frage nach Gerechtigkeit einer ge sellschaftlichen Ordnung nicht nur in der Wissenschaft, son dern auch in der praktischen Politik immer wieder herausfor dert.
Professor Dr. Dr. Jörg Tremmel, einer der führenden Wissen schaftler auf diesem Gebiet – übrigens ein Baden-Württem berger –, hat Generationengerechtigkeit folgendermaßen de finiert:
Generationengerechtigkeit ist erreicht, wenn die Chan cen nachrückender Generationen auf Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse mindestens so groß sind wie die der ihnen vorangegangenen Generationen.
Es geht also um die Frage, wie wir es erreichen können, dass es den Menschen von morgen mindestens genauso gut geht wie uns heute.
Generationengerechtigkeit ist ein Schlüsselwort unserer Ge sellschaft, da es zentral um die Lebensverhältnisse der Zu kunft geht, da wir damit explizit den Blick auf die zukünftigen Generationen richten. Dabei geht es nicht nur um die soziale Perspektive, sondern auch um die Grundlagen unserer Erde wie das Klima oder die Umwelt. Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen gehört mit Sicherheit zu dem, was kom mende Generationen von uns erwarten. Es gibt keine Gruppe, die sich so wenig bemerkbar machen kann wie die zukünf tigen Generationen. Wir können die zukünftigen Generationen nicht fragen, in welcher Welt sie leben wollen. Gerade darin besteht die große Herausforderung zukunftsgerichteter Poli tik. Sie erfordert Visionen.
Unser Ziel muss es sein, Verhältnisse zu vererben, in denen wir auch gern leben würden. Was ist nun die Rolle des Lan des dabei? Generationengerechtigkeit ist ein gesellschaftspo litisches Leitbild. Es weist uns die Richtung, wie unsere Ge sellschaft aufgestellt werden soll. Wir in Baden-Württemberg haben die besten Voraussetzungen dafür. Hier ist es schön, und zwar so schön und so voller beruflicher wie persönlicher Mög lichkeiten, dass im Bundesvergleich viele Menschen zuzie hen.
Trotzdem wird der demografische Wandel auch uns treffen. Herr Kunzmann zeigt es in seinem Bericht ganz deutlich auf: Der Bevölkerungszuwachs wird vor allem die Ballungszen tren wachsen lassen, nicht aber den ländlichen Raum. Daraus ergeben sich völlig unterschiedliche Fragestellungen. Einer seits: Wie gestalten wir den starken Zuzug in den Ballungs zentren? Wie gehen wir mit dem Siedlungsdruck um? Wie ge hen wir mit massiven Preissteigerungen für Wohnraum um? Welche Angebote machen wir, um die Zugezogenen – egal, woher – zu integrieren? Wie verhindern wir Anonymisierung und schaffen Gemeinschaft? Andererseits: Wie halten wir un sere ländlichen Räume lebendig? Wie schaffen und erhalten wir Infrastrukturen so, dass Menschen gern dort bleiben wol len?
Wir haben also völlig unterschiedliche Herausforderungen zu denselben Themen, Themen wie Gesundheitsversorgung und Carearbeit, Wohnen, Teilhabe, Wirtschaftsstrukturen und Fach kräftemangel, Nahverkehr und Mobilität, Barrierefreiheit, Zu gang zu Kultur und Bildung, städtebauliche und infrastruktu
relle Fragen und vieles mehr. Den Kommunen kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Sie gilt es zu unterstützen und fit für den demografischen Wandel zu machen.
Herr Teufel hat es schon angesprochen: Die Landesregierung unterstützt die Kommunen dabei und hilft ihnen, sich weiter zuentwickeln. So haben wir im Koalitionsvertrag einen De mografiebonus vereinbart. Dieser soll Kommunen mit stark rückläufiger Bevölkerungszahl bis zu zehn Jahre lang höhere Schlüsselzuweisungen aus den kommunalen Finanzausgleichs systemen garantieren. Zudem sollen – auch das hat Herr Teu fel schon gesagt – Kommunen, die vom demografischen Wan del besonders betroffen sind, mit einer Regionalstrategie „Da seinsvorsorge“ bei ihren Planungen finanziell und strukturell unterstützt werden.
Unsere Landesstrategie „Quartier 2020“ unterstützt Kommu nen bei der Quartiersentwicklung. Sie ermöglicht den Kom munen die passgenaue Weiterentwicklung an die Bedürfnisse und Gegebenheiten vor Ort. Ich meine, „Quartier 2020“ ver folgt genau den richtigen Ansatz. Denn die Kommunen und die Menschen vor Ort sind die Expertinnen und Experten, wenn es um ihre eigenen, individuellen Bedürfnisse geht.
So unterschiedlich, wie sich der demografische Wandel im Le ben eines jeden Einzelnen zeigt, so unterschiedlich er die ein zelnen Politikfelder und die verschiedenen Regionen unseres Landes betrifft, so differenziert müssen wir uns diesen He rausforderungen stellen.
Quartiersentwicklung lebt – ebenso wie alle anderen Maßnah men – ganz wesentlich vom bürgerschaftlichen Engagement und dem Engagement der Kommunen und ortsansässigen Un ternehmen.
Stellen wir uns einmal ein Beispiel vor: Eine Frau aus einem der geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer – wie z. B. auch ich –, eine Frau, die, sagen wir einmal, 1959 geboren wurde und jetzt 58 oder 59 Jahre alt ist, hat noch ein paar Jah re bis zur Rente. Diese wird vermutlich dürftig ausfallen, denn diese Frau hat wegen der Kinder viele Jahre nur halbtags oder im Minijob gearbeitet. Ihr Mann ist ebenso alt wie sie.
Beide sind noch fit und haben jetzt Lust, sich aktiv in die Ge sellschaft einzubringen. Die geburtenstarken Jahrgänge wer den Best Ager, die nicht untätig daheim sitzen wollen. Das birgt großes Potenzial. Diese Menschen müssen wir dafür ge winnen, sich aktiv einzubringen.
Zurück zu unserem Beispiel: Beide wohnen noch in einem großen Haus, in dem früher die Familie mit den Kindern Platz hatte. Als sich die ersten Altersbeschwerden bemerkbar ma chen, beschließen sie, ihr Haus an eine Familie zu vermieten, zentraler und altersgerecht zu wohnen. Sie ziehen in ein Mehr generationenquartier in die Innenstadt. Dort haben sie kurze Wege, gute ÖPNV-Anbindungen und können aktiv am kultu rellen Leben teilhaben.
Die Familie, die neu in das Haus einzieht, ist froh, dass sie in einer etwas ländlicheren Gegend bezahlbaren Wohnraum ge funden hat. Vor Ort findet die junge Familie alles, um sich wohlzufühlen: Kindergärten und Schulen, Freizeitangebote und Einkaufsmöglichkeiten. Obgleich wenig Zeit bleibt, le ben die Eltern den Kindern Engagement vor und musizieren beispielsweise gemeinsam im Verein.
Nach hoffentlich vielen schönen und engagierten Jahren macht sich bei dem älteren Paar 20 Jahre später das Alter bemerk bar. Die Babyboomer werden zu Hochbetagten, zu Pflegebe dürftigen.
Ein großer Teil von ihnen wird von ihren Familien gepflegt – eine hohe Belastung, zeitlich wie auch finanziell. Inzwischen wird sich aber durchgesetzt haben, dass nicht die gesamte Care arbeit weiterhin an den weiblichen Mitgliedern der Familie hängen bleibt und dass sie diese Tätigkeit nicht parallel zu ih rer Arbeit stemmen müssen. Carearbeit wird innerhalb der Fa milie aufgeteilt.
Die Digitalisierung wird nicht als Selbstzweck begriffen, son dern als Hilfsinstrument. Die medizinische und pflegerische Versorgung richtet sich nach den Bedürfnissen der Betagten. Dort, wo es nötig und sinnvoll ist, wird Telemedizin einge setzt.
Okay. – Zugegeben, ich habe ein sehr optimistisches Zukunftsbild gemalt. Sicher ist nur, dass sich die Altersstruktur in unserem Land ändert. Es liegt an uns, wie wir dies gestalten.
Herr Präsident, meine Da men und Herren! „Gemeinsam den demografischen Wandel gestalten“ – wie immer eine wohlklingende, aber hohle Phra se. Vor annähernd einem Jahr habe ich genau an dieser Stelle davor gewarnt, dass die Babyboomer-Jahrgänge in etwa 14 Jahren in Rente gehen werden, dass sich die Pflegesituation verschärfen wird und dass gerade die jüngeren Generationen diese Lasten werden tragen müssen. Passiert ist bis heute nichts.
Letzte Woche hat der Demografiebeauftragte des Landes mei ne Aussagen bestätigt und eher einen düsteren und resignie renden als einen optimistischen Blick in die Zukunft gewagt. Man las in seinem Bericht mehr Fragen als Antworten.
Was passierte daraufhin? Die Union beantragte eine Aktuelle Debatte – und das war es dann wohl. Der Demografiebeauf tragte hat mehr als deutlich dargelegt, wie dramatisch sich die Situation inzwischen darstellt. Jeder normal denkende Mensch sieht das seit vielen Jahren auf Deutschland zukommen – nur unsere Politiker nicht? Wenn dem so wäre, dann wären sie al lesamt unfähig und sollten nach Hause gehen; wenn sie es je doch erkannt haben und nicht dagegensteuern, wäre dieses Verhalten geradezu als sträflich anzusehen.
Oder ist es gar gewollt, um endlich Ihrer aller Lieblingspro jekt einer multikulturellen Gesellschaft umsetzen zu können?
Darüber hinaus wird Baden-Württemberg über die nächsten Jahrzehnte ein Zuzugsland bleiben. Allerdings wird die EU nur noch begrenzt ein Fachkräftepotenzial bieten können.
Der Markt an Pflegekräften in Osteuropa findet alsbald sein natürliches Ende. Was nur eine Übergangslösung hätte sein dürfen, wurde zum Dauerzustand. Inzwischen scheint es mir in diesem Land in fast allen Bereichen selbstverständlich zu sein, dass man einfach Menschen aus anderen Ländern ein kauft, um das eigene System am Leben zu erhalten. Finis Ger maniae? In jedem Fall ist es ein Armutszeugnis, dass Deutsch land darauf angewiesen ist, andere Länder auszubeuten und von dort Menschen zu importieren und damit die Herkunfts länder zu schwächen.