Protocol of the Session on June 22, 2017

Doch dieses Haus Europa, wie wir es heute haben, steht auf einem immer wackligeren Fundament.

(Abg. Winfried Mack CDU: Hätten Sie wohl gern!)

Dieses Fundament wackelt deshalb, weil seine Architekten sich bei der Konstruktion schwerwiegende Fehler geleistet ha ben, die sich früher oder später rächen mussten. Das Haus Eu ropa – oder besser: das Haus EU, Europäische Union –

(Vereinzelt Beifall bei der AfD)

ist derzeit in hohem Maß einsturzgefährdet,

(Abg. Winfried Mack CDU: Hätten Sie wohl gern!)

und daran trägt Kohl – das muss man leider so konstatieren – eine gehörige Mitschuld, die Ergebnis seiner Unbekümmert heit in wirtschaftlichen Fragen war –

(Beifall bei der AfD)

mit schlimmen Folgen. Der französische Ökonom Frédéric Bastiat schrieb, was zu seinen Lebzeiten einen guten von ei nem schlechten Ökonomen unterscheidet: Der schlechte Öko nom sieht nur die unmittelbaren Folgen einer Reform, der gu te Ökonom erkennt auch die darüber hinausgehenden Folge wirkungen.

Nun war Kohl leider nicht einmal ein schlechter Ökonom, sondern ein bekennender Nichtökonom, der die ökonomischen Dimensionen der Eurowährungsreform völlig falsch einschätz te und auch unterschätzte.

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Er sah im Euro bloß ein politisches Projekt mit einer enormen Symbolkraft, das die Völker Europas einen sollte. Die Absicht war eine edle; das ist unstrittig. Passiert ist aber genau das Ge genteil: Der Euro als Ausdruck politökonomischen Analpha betentums hat, wie alle vernünftigen Ökonomen vorher pro gnostiziert haben, die Völker nicht geeint, sondern gespalten.

(Beifall bei der AfD – Abg. Winfried Mack CDU: Ach, komm!)

Hierin äußert sich die persönliche Tragik von Helmut Kohl. Er hat politisch in dem Punkt am stärksten versagt, der ihm nach der Wiedervereinigung Deutschlands am meisten am Herzen lag. Er hat mit seinem vehementen Eintreten für die Währungsunion das Projekt der europäischen Integration, das ihm Lebensaufgabe war, vollkommen beratungsresistent an die Wand gefahren und damit unserem Vaterland leider eben auch geschadet:

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

wirtschaftliches Chaos statt ordnungspolitischer Vernunft, Di vergenz statt Konvergenz.

(Abg. Winfried Mack CDU: Massenarbeitslosigkeit im Moment! Sinkende Steuereinnahmen!)

Ja, Massenarbeitslosigkeit, z. B. im Süden Europas. Das ist Ergebnis der Währungsunion. Das ist genau der Punkt.

(Zurufe von der AfD)

Divergenz statt Konvergenz, Desintegration statt Integration, Zentralismus statt Subsidiarität und eine schleichende Enteig nung der Sparer – das erleben wir übrigens hier –, all das sind die schlimmen Folgen gravierender Fehlentscheidungen, die von Helmut Kohl massiv getroffen wurden,

(Beifall bei der AfD – Abg. Winfried Mack CDU: Das Beste an Ihrer Rede ist, dass sie bald zu Ende sein wird!)

Folgen, die die EU in eine Identitätskrise gestürzt haben und die die EU mehr und mehr zu einem durchbürokratisierten Eu rosupernationalstaat mit teils imperialen Zügen haben werden lassen.

Kohl hat seine offenkundigen Fehler nicht eingesehen und hinterlässt Deutschland und den anderen Staaten der EU da mit ein schweres Erbe, an dessen schmerzhafter Korrektur wir noch lange zu knabbern haben werden. Nur: Zu dieser Kor rektur muss man auch bereit sein. Das heißt, man muss bereit sein für eine Rückkehr zu nationalen Währungen bzw. zumin dest zu kleineren Währungsverbünden und einem Ende der Euroscharlatanerie. Man muss bereit sein für eine Rückkehr zur ureuropäischen Subsidiarität und für die Abkehr von der uneuropäischen Zentralisierung, bereit sein für die Freiheit des Individuums und ein Ende des arroganten EU-Paternalis mus.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Das ist echt schwer zu ertragen!)

Man muss bereit sein für eine positiv besetzte nationale Iden tität anstelle eines kontinentalen Werterelativismus, bereit sein für Wettbewerb als Entmachtungsinstrument anstelle festze mentierter EU-Bürokratie.

Ob die etablierte Politik dazu bereit ist, darf bezweifelt wer den. Ein Umdenken scheint nicht stattzufinden, wenn man den üblichen Büttenreden zur EU-Thematik so lauscht. Die EUtrunkenen Redner etablierter Parteien wirken ein wenig wie die Violinisten auf der Titanic, die den Zusammenstoß mit dem Eisberg mit ein wenig Musik genüsslicher gestalten woll ten.

(Beifall bei der AfD)

Aber das bringt am Ende niemandem etwas. Mit Violinen klängen hat man den Aufprall der Titanic mit dem Eisbär

(Zuruf: Eisbär?)

Eisberg, Entschuldigung; ein schöner Versprecher – nicht verhindern können. Mit Büttenreden, die nichts weiter sind als wirklichkeitsfremde EU-Lobeshymnen, wird man auch nicht die EU wieder auf Kurs bringen können.

Doch noch lässt sich der Aufprall verhindern, noch ist eine Kurskorrektur durchaus möglich. Notwendig dafür ist – da

bin ich dann wieder ganz bei Helmut Kohl – eine wirkliche geistig-moralische Wende, die ein politisches Umdenken in dem Sinn, wie ich es gerade zu schildern versucht habe, im pliziert. Das heißt: weniger EU, mehr freies Europa souverä ner, sinnvoll und friedlich miteinander kooperierender Natio nalstaaten.

(Beifall bei der AfD)

Ungeachtet der notwendigen kritischen Worte verneigt sich die AfD vor der Lebensleistung von Helmut Kohl als einem großen deutschen Konservativen und Patrioten, dem das Wohl seines Vaterlands aufrichtig am Herzen lag, dem er sein gan zes langes Berufsleben gewidmet hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Für die SPD-Fraktion er teile ich das Wort dem Kollegen Hofelich.

Vielen Dank. – Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Ge statten Sie mir zu Beginn dieser Ansprache zu dem giftigen Hinweis des Vorredners, dass die SPD und die Grünen die deutsche Einheit nicht gewollt hätten,

(Abg. Dr. Jörg Meuthen AfD: Lafontaine!)

den Hinweis, dass auf dem bedeutenden Bild zur Einheit ne ben Helmut Kohl, Richard von Weizsäcker und Hans-Dietrich Genscher auch Willy Brandt vor dem Brandenburger Tor zu sehen war.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Dr. Rainer Balzer AfD)

Wir betrauern den Tod eines deutschen Europäers und eines europäischen Deutschen, und wir würdigen ein Leben, das für das wiederaufgebaute Deutschland, das Wirtschaftswunder land und den guten Nachbarn in Europa sicherlich sinnbild lich steht und aus vielen Gründen auch als vorbildlich genannt werden kann. Wir würdigen Helmut Kohl. Auch wenn er in nenpolitisch – das ist bekannt – der Politikergeneration, die auf ihn gefolgt ist, den sogenannten Achtundsechzigern oder Zweiundsiebzigern, oft in gegenseitiger Abneigung als res taurativ gegenüberstand, war seine Integrität und Zielsetzung außenpolitisch eben keinem vergleichbaren Zwist ausgesetzt. – Das, lieber Wolfgang Reinhart, ist etwas, bei dem ich zu dir und zu euch keinen Unterschied machen kann.

Die deutsche Einheit war ein Geschenk, das er entschlossen aufgriff, die europäische Einigung war hingegen – anders als die Einheit – ein Projekt, das ihm nicht in den Schoß fiel, son dern das beharrlich verfolgt wurde. Das Erstere, das vereinte Deutschland, wäre ohne Letzteres, Europa, politisch nicht möglich gewesen. Diese Leistung ist herausragend, meine Da men und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

Natürlich trägt die heutige Debatte in der Titelwahl und der Absicht den Charakter einer größeren Prozession, und wir

schließen uns dieser gern an. Aber das ändert nichts daran, dass diese Würdigung, finde ich, sich gehört und richtig ist. Die SPD und Helmut Kohl sind in dessen europäischem Ver ständnis sicherlich eng beisammen. Das muss man an dieser Stelle sagen.

Aber, meine Damen und Herren, Kohl ist nicht Merkel, Bonn ist nicht Berlin, und die Pfalz ist nicht die Uckermark – das wissen wir alle.

(Abg. Nicole Razavi CDU: Aber beides schön! – Abg. Thomas Blenke CDU: Beides hat was!)

Die in den letzten Jahren in Eigeninteressen verfangene, über Flüchtlingskontingente und Verteilquoten streitende, zwischen großen und kleinen Ländern sich misstrauisch beäugende, um eine gemeinsame Vision der EU und vor allem Europas ver legene EU ist natürlich auch das Resultat der Politik der letz ten Jahre von Kohls Mädle. Frau Merkel und Herr Schäuble haben in der Eurozone mit ihrer Sparpolitik, die sie durchge setzt haben, einiges dafür getan, dass Europa heute tiefer ge spalten ist als vielleicht notwendig. Ich sage schon, lieber Wolfgang Reinhart: Helmut Kohl wäre wohl nicht derart mit anderen europäischen Staaten umgesprungen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Er respektierte eben auch die kleineren europäischen Länder. Er bezog sie ein, weil er wusste, dass Europa nicht nach Flä chen und Einwohnern, sondern nach Überzeugung und Hal tung funktioniert.