Protocol of the Session on June 22, 2017

Und noch wichtiger: Die Zustimmung – damit will ich zum Schluss kommen – zur Europäischen Union ist im letzten Jahr nach ganz aktuellen Daten, auch amerikanischer Meinungs forscher, massiv gestiegen: in Spanien um 13, in den Nieder landen um 15, in Frankreich und Deutschland sogar um 18 Punkte. Das sollte uns ermutigen. Die Menschen haben wie der Lust auf Europa. Das ist auch eine gute Nachricht in die ser Stunde, über die sich Helmut Kohl freuen würde. Das Haus Europa – es wird wahrscheinlich immer unfertig bleiben, aber es lohnt sich unbedingt, weiter daran zu bauen und zu arbei ten.

(Beifall bei der CDU, den Grünen und der SPD so wie Abgeordneten der FDP/DVP)

Das ist sein Vermächtnis, und diesen Geist werden wir bewah ren und weitertragen. Wir sehen deshalb sein Erbe als Auf trag.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort Herrn Fraktionsvorsitzenden Schwarz.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Die europäische Integration gehört in Baden-Württemberg zur Staatsräson. Unsere Landesverfas sung verdeutlicht dies in der Präambel ganz klar. Baden-Würt temberg hat seinen Platz in einem vereinten Europa. Unsere Landesverfassung geht noch weiter. Sie fordert uns alle auf – ich zitiere aus der Präambel –,

... an der Schaffung eines Europas der Regionen sowie der Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenar beit mitzuwirken,...

Unsere Verfassung gibt uns den Europaauftrag für BadenWürttemberg also mit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Europa ist nicht nur unser Schicksal und unsere Zukunft, Europa ist un sere Verantwortung, und Europa muss gelingen. Ich würde den Titel der Aktuellen Debatte um diese zwei Sätze ergän zen.

(Abg. Winfried Mack CDU: Dann wird es zu lang!)

Denn es ist ein unschätzbar wertvolles Erbe, das uns Helmut Kohl hinterlässt: die deutsche Wiedervereinigung in einem geeinten Europa.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der FDP/DVP)

Herr Präsident Klenk und Herr Kollege Wolfgang Reinhart haben die Verdienste des Altbundeskanzlers um die deutsche Einheit, um die europäische Integration, ausdrücklich gewür digt. Ich schließe mich dieser Auffassung an. Ich schließe mich der Dankbarkeit für die Leistungen des Altbundeskanz lers an.

Beeindruckend finde ich nach wie vor die Bilder, die ich als kleiner Junge 1984 im Fernsehen gesehen habe: Helmut Kohl und François Mitterrand minutenlang Hand in Hand vor den Gräbern in Verdun stehend. Das ist bis heute beeindruckend. Das ist genauso ins kollektive Gedächtnis der Geschichte ein gegangen wie Willy Brandts Kniefall in Warschau 1970.

Es war daher immer klar: Deutschland hat früh Verantwor tung übernommen, um gemeinsam mit seinen Nachbarn die Zukunft Europas besser zu gestalten. Willy Brandts Ostpoli tik, Helmut Kohls Versöhnung mit Frankreich, die Bausteine, die Grundsteine für die deutsch-französische Freundschaft, und Joschka Fischers Bemühungen, neben der wirtschaftli chen Integration auch die politische Integration voranzubrin gen – für uns muss das Ansporn sein, weiter an der Zukunft Europas zu arbeiten.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP)

Die Europäische Union ist die Grundlage für Frieden, Stabi lität, Wohlstand und Demokratie. Die europäische Integrati on ist gleichwohl ein Prozess, den wir, die Mitgliedsstaaten, gemeinsam immer wieder neu gestalten müssen, den wir fort während begleiten und immer wieder mit Leben füllen müs sen.

Den Ausgang der Parlamentswahlen in den Niederlanden, der Präsidentschaftswahlen in Österreich und in Frankreich soll ten wir jetzt als Aufbruch nutzen, als Aufbruch in die Zukunft, um mit Emmanuel Macron, mit dem wir einen starken Part ner haben, die Reformprozesse in der Europäischen Union verantwortungsbewusst zu gestalten und hier gemeinsam mit Frankreich weitere Impulse zu geben. Gehen wir, das Land Baden-Württemberg, hier voran. Stellen wir uns gemeinsam mit Frankreich den Herausforderungen, vor denen die Euro päische Union steht.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie des Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte hier noch etwas konkreter werden. Ich möchte den französischen Präsidenten zitieren. Ich will das am Beispiel des Klimaschutzes festma chen. Der französische Präsident hat nach dem verantwor tungslosen Ausstieg Donald Trumps aus dem Pariser Klima schutzabkommen die Kampagne „Make our planet great again“ ins Leben gerufen. Das gemeinsame Ziel ist es, daran zu ar beiten, den Ausstoß von Schadstoffen zu verringern, Ideen für die Gewinnung erneuerbarer Energien weiterzuentwickeln.

Baden-Württemberg ist hervorragend geeignet, gerade bei die sem Thema mitzuwirken. Der Ministerpräsident hat gemein sam mit dem Gouverneur von Kalifornien das regionale Kli maschutzbündnis „Under 2 MOU“ gegründet. 170 Partner aus 33 Ländern der Erde haben sich diesem angeschlossen: viele Regionen aus Frankreich, den Niederlanden, Spanien, Italien, Portugal, Österreich.

(Abg. Anton Baron AfD: Das wurde aber nie ratifi ziert!)

Wir Baden-Württemberger haben in diese aktuelle Initiative von Macron einiges einzubringen. Denn für mich ist klar: Den Kampf gegen den Klimawandel werden wir nur gemeinsam gewinnen. Und Macron liefert uns jetzt hier einen Anlass, wei ter aktiv zu werden.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP – Abg. Anton Baron AfD: Sie haben doch Ihre eigenen Klimaschutz ziele verfehlt!)

Lassen Sie uns unsere guten Ansätze der grenzüberschreiten den Zusammenarbeit – sei es im Oberrheinrat, in anderen In stitutionen, die wir zwischen Baden-Württemberg und Frank reich haben, auch mit der Region Grand Est im Rahmen der „Vier Motoren für Europa“ – weiterentwickeln. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass Baden-Württemberg, Deutschland und Frankreich wieder zum Integrationsmotor und zum Innovationsmotor der gesamten Europäischen Uni on werden. Das ist Europapolitik, meine Damen und Herren. Das ist das gemeinsame Ziel. Daran müssen wir arbeiten.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD)

Dabei dürfen wir das Grundprinzip der Subsidiarität nicht aus den Augen verlieren: mehr Europa da, wo die einzelnen Mit gliedsstaaten nicht allein unterwegs sein können, wo sie in der globalisierten Welt nicht bestehen können – beim Klima

schutz, bei der Bekämpfung von Fluchtursachen, in der Um weltpolitik, in der Sicherheitspolitik –, aber weniger europä ische Mitgestaltung dort, wo die Mitgliedsstaaten ihre Ange legenheiten im Sinne des Gemeinwohls vor Ort besser und ef fizienter lösen können.

Wir haben starke Kommunen in Baden-Württemberg. Wir be wahren die kommunale Selbstverwaltung. Die Daseinsvorsor ge ist seit jeher eine Aufgabe der Kommunen. Sie erledigen diese mit Bravour. Wir sind stolz darauf, dass wir diesen Sub sidiaritätsansatz in Deutschland haben. Damit sind wir Vor bilder für Partnerländer in der Europäischen Union. Bei Ge sprächen in Frankreich und in Spanien wird deutlich, wie nei disch unsere Nachbarn auf das Prinzip der kommunalen Selbst verwaltung nach Deutschland schauen. Das heißt, wir müs sen jetzt in die Reform der Europäischen Union die Entwick lung von unten nach oben einarbeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der FDP/DVP – Zuruf: Sehr richtig!)

Ich bin mir sicher, dass die Voraussetzungen nach den Wah len in unseren Nachbarländern so gut wie noch nie sind. Eu ropa muss gelingen, und mit einem gelungenen Europa wer den wir auch dem Erbe des Altbundeskanzlers am besten ge recht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP)

Für die AfD-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Fraktionsvorsitzenden Dr. Meuthen.

Sehr geehrter Herr Präsident, geschätzte Kollegen Abgeordnete! 16 Jahre lang leitete Hel mut Kohl als deutscher Bundeskanzler die Geschicke unseres Landes. Letzte Woche ist er im Alter von 87 Jahren verstor ben. 16 Jahre sind eine lange Zeit, die bisher längste Amtszeit eines deutschen Bundeskanzlers – ein Rekord, von dem wir hoffen, dass er nicht allzu bald gebrochen wird.

Zu Beginn seiner Amtszeit war Deutschland ein zweigeteil tes Land – geteilt in Ost und West, in Arm und Reich, in so zialistisch und freiheitlich, in dirigistisch und demokratisch. Als sich Helmut Kohls Amtszeit 1998 dem Ende zuneigte, war dies bereits anders: Deutschland einig Vaterland. Kohl war ei ner der Architekten der Wiedervereinigung, die zusammen brachten, was zusammengehört, nämlich Deutschland mit Deutschland. Dass Deutschland geteilt war, war eine völlig absurde Situation.

Meine Damen und Herren, stellen Sie sich nur einmal vor, Frankreich wäre durch Mauer, Stacheldraht und Minenfelder in zwei Hälften geteilt, und diese martialische Grenze verlie fe auch noch mitten durch Paris. Das ist – Gott sei Dank – schlichtweg unvorstellbar.

Ebenso unvorstellbar war für die Deutschen der überfallarti ge Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961. Plötzlich war die Teilung Deutschlands zementierte Realität – eine finstere, ei ne traurige, eine deprimierende Realität. Ich habe sie, wie Mil

lionen andere Deutsche, selbst erlebt. Finster dreinblickende, schwer bewaffnete DDR-Wachposten, deren schierer Anblick einem jeden in Freiheit aufgewachsenen Menschen eine dunk le Ahnung davon vermittelte, was wohl mit den Menschen im unterdrückten Teil Deutschlands gemacht wurde, wo Grenz soldaten auf Geheiß des DDR-Unrechtsregimes auf eigene Landsleute schossen, wo Regimekritiker eingesperrt wurden, wo der Sozialismus die Menschen verarmen ließ – all dies sind die Ergebnisse des menschenverachtenden Programms sozialistischer Gesellschaftsklempnerei, der die Bürger in der DDR zum Opfer fielen.

Wir dürfen nicht müde werden, dies immer wieder zu beto nen; denn all jenes Unrecht ist noch gar nicht so lange her. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir das überwunden haben. Wir müssen sehr wachsam sein, damit solches Unrecht auf deutschem Boden nicht erneut um sich greift.

Die Teilung Deutschlands schien in ihrer Monstrosität unüber windlich zu sein, zumal sie nicht für sich allein stand, sondern letztlich die Konsequenz der Konfrontation zwischen NATO und Warschauer Pakt war oder – weniger formal betrachtet – die Folge der Unvereinbarkeit eines freiheitlich-marktwirt schaftlichen Gesellschaftsentwurfs und eines diktatorisch-so zialistischen Regimes.

Die deutsche Linke fand sich mit dieser Teilung recht frühzei tig ab. Für die SPD, später auch für ihren ultralinken Ableger von der grünen Partei, stand die Wiedervereinigung Deutsch lands kaum zur Debatte. Man hatte sich damit arrangiert und hegte hier und da sogar Sympathien für den dortigen Gesell schaftsentwurf. Man sollte hoffen, dass diese Sympathien in der Zwischenzeit verflogen sind. Aber die Feinde der auch von Helmut Kohl stets verteidigten freiheitlichen Gesellschaft sind zäh, und sie sind auch heute noch hoch aktiv.

Die große Leistung Helmut Kohls bestand darin, dass er stets an die Überwindung dieser widernatürlichen Teilung unseres deutschen Vaterlands glaubte und politisch alles daransetzte, sie zu erreichen.

(Beifall bei der AfD – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Dabei erkannte er instinktiv den richtigen Moment, die Wie dervereinigung Deutschlands auf die Agenda der Weltpolitik zu setzen. Trotz immenser Widerstände verfolgte er konse quent das Ziel der deutschen Wiedervereinigung, das er – dies ist maßgeblich seinem Wirken zu verdanken – am 3. Oktober 1990 erreichte. Dafür gilt Helmut Kohl, wie übrigens auch den Abertausenden von Menschen, die friedlich für Einigkeit und Recht und Freiheit und Wiedervereinigung auf die Stra ße gingen, unser aller Dank.

(Beifall bei der AfD und Abgeordneten der CDU)

Ja, ganz klar: Helmut Kohl hat sicherlich sehr große Verdiens te für unser Land; ich habe sie gerade zu würdigen versucht. Er hat aber auch Fehlentwicklungen den Weg geebnet, unter denen wir heute zu leiden haben. Das nicht unerwähnt zu las sen gebietet die ehrliche Würdigung seines politischen Le bens.

(Abg. Winfried Mack CDU: Jetzt bin ich gespannt!)

Kohl war der Kanzler der deutschen Wiedervereinigung. Er erwies sich auch als einer der führenden Architekten des Hau ses Europa.

(Abg. Winfried Mack CDU: Gott sei Dank!)

Doch dieses Haus Europa, wie wir es heute haben, steht auf einem immer wackligeren Fundament.