Protocol of the Session on May 3, 2017

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Neutralität bei Gerichten und Staatsanwalt schaften des Landes – Drucksache 16/1954

Das Wort zur Begründung erteile ich Herrn Minister Wolf.

Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gesetz zur Neutralität bei Gerichten und Staatsanwaltschaften des Lan des, das die Landesregierung heute einbringt, gilt der Wah rung und Stärkung der tragenden Säulen unseres Rechtsstaats. Es geht um das Vertrauen der Menschen in die Unabhängig keit und die Neutralität der Justiz, um ihr Vertrauen in die Ob jektivität und Unparteilichkeit unserer Gerichte und Staatsan waltschaften. Es geht darum, die strikte Neutralität der Recht sprechung nach außen deutlich sichtbar zu machen und über haupt jeden Anschein von Voreingenommenheit auszuschlie ßen.

Wie Sie alle wissen, ist das Gesetz insbesondere eine Reakti on auf das sogenannte Kopftuch-Urteil des Verwaltungsge richts Augsburg aus dem Sommer des vergangenen Jahres. Seither ist eben nicht mehr ohne Weiteres gewährleistet, was für Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staats anwälte, Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare in den vergangenen Jahren selbstverständlich war, dass religiöse und politische Symbole bei Berufsrichtern und Staatsanwälten in öffentlichen Verhandlungen keinen Platz haben.

Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 30. Juni 2016 bedarf es für ein Verbot, in Ausübung der Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft ein Kleidungsstück zu tragen, das religiösen Hintergrund vermittelt – etwa ein

Kopftuch –, einer gesetzlichen Grundlage. Das entspricht der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts, die besagt, dass es bei einem solchen Eingriff in die Grundrech te zwingend erforderlich ist, dass dieser Eingriff auf der Ba sis eines Gesetzes erfolgt.

Bereits wenige Stunden nach Erlass des genannten Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg hat sich auch in Baden-Würt temberg eine Rechtsreferendarin an das für die Ausbildung zuständige Oberlandesgericht gewandt und mitgeteilt, künf tig in Ausübung der Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft ein Kopftuch tragen zu wollen. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch für uns in Baden-Württemberg Handlungs bedarf entstanden.

Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf soll durch Ergänzung der Amtstrachtregelungen jeden Anschein fehlender Neutralität und Unabhängigkeit bei der Ausübung berufsrichterlicher und staatsanwaltlicher Aufgaben vermeiden. Er betrifft Berufs richterinnen und -richter ebenso wie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Er erfasst zudem auch Rechtsreferendare und Rechtspfleger, wenn und soweit diese entsprechende Amts handlungen vornehmen. Konkret sieht der Entwurf bei Amts handlungen mit unmittelbarem Außenkontakt ein Verbot sicht barer religiös, weltanschaulich oder politisch geprägter Sym bole und Kleidungsstücke vor.

Dies gilt natürlich unabhängig von der jeweiligen Religion, Weltanschauung oder politischen Auffassung. Für richterliche und staatsanwaltliche Amtshandlungen ohne unmittelbaren Außenkontakt gilt das Verbot hingegen nicht. Das heißt, wir sind getreu des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Sa che sehr genau auf den Grund gegangen und haben den Ein griff auf die Dauer einer förmlichen Gerichtsverhandlung be grenzt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben ein breites An hörungsverfahren durchgeführt und zahlreiche Rückmeldun gen bekommen. Der Gesetzentwurf hat viel Zuspruch erfah ren, aber auch an einigen Stellen Kritik hervorgerufen. Bei des – Zustimmung wie Kritik – will ich Ihnen ausdrücklich nicht vorenthalten. Wir haben uns daher entschlossen, die im Anhörungsverfahren eingegangenen Stellungnahmen dem Ge setzentwurf anzufügen.

Die wichtigsten Ergebnisse will ich gern kurz zusammenfas sen. Die angehörten Vertreter aus dem Justizbereich haben dem Gesetzentwurf und seinem Ziel im Grundsatz ausdrück lich zugestimmt. Der DGB und die Vertreter des religiösen Bereichs, vor allem die islamischen Vertreter, haben den Ge setzentwurf demgegenüber als zu weitgehend kritisiert oder abgelehnt.

Ganz anders sehen es die Vertretung der ehrenamtlichen Rich terinnen und Richter und – wie dieser Tage auch den Medien zu entnehmen – der Verein der Richter und Staatsanwälte; ih nen geht der Gesetzentwurf nicht weit genug. Sie begrüßen das Ziel unseres Gesetzentwurfs ausdrücklich, hätten sich aber gewünscht, dass die Neuregelung auch die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter mit umfasst.

Im Ergebnis hat das Anhörungsverfahren den Gesetzentwurf aber bestätigt. Sowohl die Stellungnahmen als auch die Kom mentare im Beteiligungsportal Baden-Württemberg haben kei ne neuen Aspekte zutage gebracht. Es wurde nichts einge

wandt, was nicht bereits im Rahmen unserer intensiven Prü fungen im Vorfeld berücksichtigt worden wäre.

Auch nach nochmaliger Prüfung und Abwägung bestand des halb kein Anlass für eine abweichende Gesamtbewertung oder nachträgliche größere Korrekturen.

So liegt entgegen dem Vorbringen von islamischer Seite eben keine unverhältnismäßige Verletzung der Religions- oder der Berufsfreiheit vor. Das Verbot ist auf einen engen Personen kreis und auch bei diesem auf Amtshandlungen mit unmittel barem Außenkontakt beschränkt. Mit diesen Einschränkun gen ist das Verbot im Hinblick auf die besonderen rechtsstaat lichen Erfordernisse im Bereich der Rechtsprechung ange messen und zumutbar.

Entgegen der Auffassung der islamischen Verbände bestehen zwischen den Bereichen der Schule und der Justiz ganz er hebliche Unterschiede. Während die Rechtsprechung strikte Neutralität erfordert, mag im Bildungsbereich Raum für un terschiedliche Positionen gegeben und die Debatte darüber möglich sein. Genau dieser Unterschied rechtfertigt, eben auch unter Berücksichtigung der für den Schulbereich ergan genen Kopftuch-Entscheidungen des Bundesverfassungsge richts, für richterliche und staatsanwaltliche Amtshandlungen strengere Regelungen.

Die Landesregierung hält bei allen unterschiedlichen Meinun gen zudem an der seitens der Justiz kritisierten Differenzie rung zwischen Berufsrichtern und ehrenamtlichen Richtern fest.

Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, kennen die Vorge schichte: Es gab einen intensiven Diskurs auch innerhalb der Koalitionsfraktionen. Der Ministerpräsident hat den jetzt vor gelegten Gesetzentwurf letztlich als einen guten Kompromiss bezeichnet.

Aufgrund ihrer Amtstracht, die nur die Berufsrichter tragen, haben diese schon jetzt eine auch optisch hervorgehobene Stellung inne. Man könnte auch sagen, die Amtstracht tragen den Richter oder Richterinnen werden durch die Amtstracht entpersonifiziert. Die ehrenamtlichen Richter hingegen sollen eine gewisse Vielfalt aus der Bevölkerung und eine spezielle Erfahrung in die Spruchkörper einbringen. Dies rechtfertigt es – nach gründlicher Überprüfung auch im Justizministeri um –, auch bei ihrem äußeren Auftreten in begrenztem Um fang eine Lockerung des strikten Verbots vorzunehmen. Hier durch ergibt sich keine Relativierung der großen Bedeutung oder der Rechte der Ehrenamtlichen; sie erfüllen eine wichti ge, verantwortungsvolle Aufgabe in der Rechtsprechung und sind gleichrangiger, gleichberechtigter Teil des Spruchkör pers.

(Abg. Sascha Binder SPD: Ja, also!)

Wir tragen damit dem Toleranzgebot und dem Verhältnismä ßigkeitsgrundsatz Rechnung.

Eine Anregung aus dem Anhörungsverfahren in Sachen eh renamtliche Richter hat der Gesetzentwurf aber aufgegriffen: Ergänzt wurde die Klarstellung, dass für Schöffen und ehren amtliche Richter selbstverständlich das allgemeine Gebot zu Mäßigung und Zurückhaltung gilt. Da kann, darf und wird es keine Unterschiede geben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf beruht auf einer sorgfältigen Abwägung der relevanten Verfassungs güter. Ich bin überzeugt, dass durch die Beschränkungen des Verbots auf bestimmte Personen und Amtshandlungen ein sachgerechter und schonender Ausgleich zwischen den Grund rechten der Betroffenen einerseits und der rechtsstaatlich ge botenen strikten Neutralität der Justiz andererseits erfolgt ist.

Das Gesetz zur Neutralität bei Gerichten und Staatsanwalt schaften ist damit ein wichtiger Beitrag zum Rechtsfrieden in unserem Land. Baden-Württemberg ist das erste Bundesland, in dessen Landesparlament ein solches Gesetz zur Abstim mung vorgelegt wird.

Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Meine Damen und Herren, für die Aussprache hat das Präsidium eine Redezeit von fünf Mi nuten je Fraktion festgelegt.

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort Herrn Abg. Fi lius.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Her ren! Wir beraten heute den Gesetzentwurf der Landesregie rung zur Neutralität bei Gerichten und Staatsanwaltschaften des Landes. Durch dieses Gesetz wird für sämtliche Gerichts arten das Tragen von Symbolen oder Kleidungsstücken unter sagt, die eine religiöse, weltanschauliche oder politische Auf fassung zum Ausdruck bringen.

Das Verbot gilt für sämtliche Personen, die richterliche oder staatsanwaltschaftliche Aufgaben ausüben. Neben den Rich terinnen und Richtern sowie den Staatsanwälten sind davon auch Rechtsreferendare betroffen, die im Rahmen ihrer Aus bildung Gerichtsverhandlungen leiten können oder die Staats anwaltschaft in Strafverfahren vertreten.

Es handelt sich um einen komplexen Prozess der Abwägung von verfassungsrechtlich geschützten Gütern, die wir hier vor genommen haben. Auf der einen Seite stehen die Religions freiheit und die Berufsfreiheit der betroffenen Personen. Auf der anderen Seite soll jeder äußere Anschein einer Voreinge nommenheit von Richterinnen und Richtern sowie Staatsan wältinnen und Staatsanwälten vermieden werden. Der An spruch auf eine unabhängige, unparteiliche Richterstellung ist als Grundrecht verfassungsrechtlich verankert. Das Gesetz stellt diesen Grundsatz der strikten Neutralität der dritten Ge walt sicher und ist auch verhältnismäßig.

Vertrauen in den Staat ist für die Bürgerinnen und Bürger nur gesichert, wenn nicht der leiseste Verdacht einer weltanschau lichen Prägung der zentralen Entscheider entsteht. Denn hauptamtliche Richter und Staatsanwälte haben jeden An schein mangelnder Objektivität zu vermeiden. Dies kommt bereits durch das Tragen der Amtstracht zum Ausdruck. Wir wollen ergänzend regeln, dass damit auch das Tragen von re ligiösen, weltanschaulichen und politischen Symbolen aller Art ausgeschlossen ist.

Aus dieser Intention sind in baden-württembergischen Gerich ten auch keine Kreuze angebracht. Selbstverständlich behan

deln wir dabei alle Religionen gleich. Damit präzisieren wir das Prinzip der Neutralität von Richtern und von Anklägern der Staatsanwaltschaft. Wir regeln die Frage damit im Vor griff, bevor uns möglicherweise gerichtlich ausgefochtene Einzelfallentscheidungen treiben, und ersparen damit der Jus tiz unnötige Verfahren und Bürokratie.

Wir stehen für eine schlanke, praktikable Lösung. Für ehren amtlich tätige Schöffen belassen wir die geltenden Spielre geln. Sie repräsentieren in einem Verfahren die Bevölkerung in ihrer Gesamtheit und in ihren Facetten. Sie sollen sich ja gerade mit ihrem Erfahrungshorizont als Mitbürgerinnen und Mitbürger in eine rechtliche Auseinandersetzung einbringen. Die Beteiligung aller Gruppen der Bevölkerung ist hier aus drücklich erwünscht und muss nicht entsprechend verdeckt werden. Die Einführung einer Amtstracht, um diese gesell schaftliche Vielfalt nach außen hin zu verbergen, würde dem Schöffenprinzip widersprechen.

Berufsrichterinnen und -richter sowie ehrenamtliche Richte rinnen und Richter haben eine unterschiedliche Funktion in den Verfahren. Somit ist eine unterschiedliche Behandlung auch geboten. Falls doch bei einem Schöffen die Besorgnis der Befangenheit besteht, kann dieser natürlich abgelehnt wer den. Darüber hinaus gilt das allgemeine Mäßigungsgebot; da rauf hat auch der Justizminister hingewiesen. Es ist also er kenntlich, dass auch bei den ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern die Neutralität der Gerichte entsprechend gewahrt bleibt.

Mit dem Gesetzentwurf wurde eine pragmatische Lösung ge funden, die den Betroffenen jetzt in einer sich möglicherwei se konkret abzeichnenden Situation hilft. Gerade sie haben ein großes Interesse daran, dass es zu keiner ideologisch aufge heizten Debatte über religiöse Symbole, Weltanschauungen und Politik in Gerichtssälen kommt.

Bei Protokollanten oder Urkundsbeamten wird deren Tätig keit nicht durch religiöse Kleidungsstücke und Symbole be einträchtigt. Sie treten den Menschen, die vor Gericht erschei nen, nicht als direkte Repräsentanten des Staates entgegen. Sie erfüllen Verwaltungsaufgaben und sprechen nicht Recht. Hier ist zugunsten und unter Berücksichtigung der Verfas sungsrechtsprechung die Religionsfreiheit entsprechend zu si chern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Ge setzentwurf ist eine gute und, wie ich denke, auch durchdach te Lösung gefunden worden, um die Neutralität der Gerichte zu gewährleisten. Die Neutralität des Staates wird weiterhin gewahrt, ohne die Religionsfreiheit unverhältnismäßig einzu schränken. Meine Fraktion wird den Gesetzentwurf im wei teren Verfahren zustimmend begleiten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Das Wort für die CDU-Frak tion erteile ich Herrn Abg. Dr. Lasotta.

Liebe Frau Präsidentin, werte Kollegen, verehrte Kolleginnen! Mit dem Neutralitäts gesetz, das uns der Justizminister heute vorgelegt hat, werden wichtige Regelungen für unsere Gerichte, die dritte Gewalt

im Staat, getroffen. Deswegen hat es auch eine starke Diskus sion in der Öffentlichkeit über die Ziele und Inhalte der Re gelung gegeben.

Die Koalition der Mitte aus CDU und Grünen beweist mit die sem Gesetzentwurf, dass wir immer wieder gute Kompromis se finden können und dass wir auf einem guten Weg sind, die Dinge, die gesellschaftlich relevant sind, zu regeln und vor anzutreiben.

Der vorliegende Gesetzentwurf verbietet hauptamtlichen Richtern und Staatsanwälten das Tragen von politischen und religiösen Symbolen in der Verhandlung. Für die CDU-Land tagsfraktion ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die Neut ralität, die unparteiische Wahrheitssuche und die Unabhängig keit auch nach außen dokumentiert werden müssen, damit deutlich wird: Der Staat handelt strikt neutral, und unsere Rechtsprechung ist nicht von irgendwelchen persönlichen Überzeugungen beeinflusst, sondern basiert auf unserem Recht.

Anlass war die Klage einer Muslima in Bayern, die für den Sitzungsdienst eingeteilt werden sollte. Das Verwaltungsge richt Augsburg hat eine Rechtsprechung getroffen, wonach hier eine gesetzliche Regelung erfolgen muss. Insofern sind wir auch in Zugzwang, wenn wir sagen: Das islamische Kopf tuch ist nicht nur ein religiöses Symbol, sondern wird von vie len auch als politisches Symbol wahrgenommen. Wenn wir das verbieten wollen, müssen wir dafür eine gesetzliche Grundlage schaffen.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir, glaube ich, indem wir konsequent alle politischen, weltanschaulichen und religiösen Symbole verbieten, dieser Intention gerecht. Alle Fachverbände der Juristen haben sich hinsichtlich des gesetz lichen Verbots positiv geäußert.