Protocol of the Session on November 10, 2016

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat folgende Rede zeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Für die Begründung erteile ich das Wort Herrn Abg. Profes sor Dr. Goll für die Fraktion der FDP/DVP.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Die bisherige Politik zum Glücksspiel ist weitgehend gescheitert.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das ist eine Feststellung, die – das ist bekannt – nicht nur ei ne liberale Oppositionsfraktion hier im Landtag trifft; viel mehr ist das pikanterweise eine Feststellung der schwarz-grü nen Regierung im Nachbarland Hessen. Die hat festgestellt: Die bisherige Politik zum Glücksspiel ist weitgehend geschei tert.

Das gibt Anlass, ganz kurz einmal ein Schlaglicht darauf zu werfen, wie diese bisherige Politik war und wie sie – man muss fast schon sagen: krachend – gescheitert ist. Die bishe rige Politik war geprägt durch folgende Punkte: Das ist ers tens die Erhaltung des staatlichen Lottomonopols um jeden Preis und mit jeder Begründung, obwohl man merkt, dass es immer schwerer ist, eine Begründung für das Monopol zu fin den.

Zweitens ist das die Bekämpfung der Sucht, wozu die Regie rungen auch durch Gerichtsurteile aufgefordert wurden. Be kämpfung der Sucht – ja, aber das findet dann beim gewerb lich angebotenen Glücksspiel statt. Ich drücke es einmal zu gespitzt aus: Die Sucht wird überall bekämpft, nur nicht dort, wo der Staat Geld damit verdient. Das ist tatsächlich so. Sie wird überall bekämpft, nur nicht dort, wo der Staat Geld ver dient, nämlich bei Lotterien, Spielkasinos und Ähnlichem. Das Geld nimmt man dann wieder gern.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Das ist der zweite Punkt.

Dritter Punkt: Bei dieser Politik sieht man zu, wie sich das Spiel generell einerseits in den unregulierten illegalen Bereich und andererseits ins Internet verlagert, und zwar in dramati schem Tempo. Laut einer glaubwürdigen Untersuchung er folgte das Marktwachstum in den letzten Jahren im unregu lierten Markt und vor allem beim Onlineglücksspiel. Der An teil des Onlinebereichs am Wachstum im unregulierten Be reich lag bei 90 %.

Man meint immer noch, das könnte man verbieten, beliebig beschränken oder Ähnliches. Jetzt hat die hessische Landes regierung für sich praktisch die Notbremse gezogen. Dazu gleich noch mehr.

In der Stellungnahme zu unserem Antrag antwortet die Lan desregierung fast immer noch etwas treuherzig – ich zitiere –, es sei

bemerkenswert, dass ein Land, das den Glücksspielstaats vertrag unterzeichnet und entscheidende länderübergrei fende Aufgaben wie beispielsweise das Sportwettenkon zessionsvergabeverfahren oder die Führung der zentra len Sperrdatei übernommen hat, die Aufhebung grundle gender Elemente der derzeitigen Regelung verlangt.

Ja, klar. Es sollte einem doch zu denken geben, dass gerade Hessen zentrale Aufgaben übernommen hat und jetzt die Reiß leine zieht. Wenn ich sage: „etwas treuherzig“, dann deswe gen, weil es in der Stellungnahme zum Antrag immer noch heißt: Ziel der Regulierung sei,

den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken sowie der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubtem Glücksspiel auf den Schwarzmärkten entgegenzuwirken.

Politik muss vielleicht nicht für alle und in jedem Moment auf die Realität Rücksicht nehmen. Ich habe aber selten einen Fall erlebt, bei dem die Formulierung in der Stellungnahme so we nig die wirkliche Realität wiedergibt. Diese ist dadurch ge kennzeichnet, dass im Moment fast alles in den unregulierten Bereich, in den Onlinebereich verschwindet und dass wir Stu dien zufolge derzeit in Deutschland allein 133 illegale Sport wettenseiten haben. So will man das in kontrollierte Bahnen lenken. Das wird denkbar schwierig.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Jetzt gibt es eine neue Sachlage. Insofern war es gar nicht un praktisch, dass die Beratung über unseren Antrag um eine Sit zung verschoben wurde. Denn zwischen der letzten Sitzung und dieser Sitzung gab es eine Ministerpräsidentenkonferenz, in der gewissermaßen eine neue Sachlage entstanden ist. Man möchte jetzt die quantitative Beschränkung der Sportwetten konzessionen, die nicht funktioniert hat – man wollte sie auf 20 beschränken –, aufheben und durch eine qualitative Verga be der Konzessionen im Sportwettenbereich ersetzen. Das ist richtig; darauf komme ich gleich noch zu sprechen. Außer dem sind noch drei Prüfaufträge beschlossen worden, mit de nen man – wenigstens – der Realität einmal ein bisschen ins Auge sehen möchte.

Pikant ist, dass die Hessen dieser Neuregelung so wenig trau en, dass sie sich ihrerseits ein Sonderkündigungsrecht bewahrt haben. Die haben faktisch gesagt: „Okay, jetzt machen wir halt noch einmal ein bisschen mit. Aber wenn das jetzt auch

nichts wird, gehen wir Ende 2019 endgültig aus dem System heraus.“ Das ist eigentlich logisch und schlüssig, denn man muss natürlich befürchten, dass auch auf diesen neuen Be schluss hin nicht wirklich gehandelt wird.

Wie könnte dieses Handeln aus der Sicht unserer Fraktion aus sehen? Wir haben einen Vorschlag. Es könnte das Modell ei ner qualitativen Regelung für die Vergabe von Konzessionen sein – keine quantitative Beschränkung, sondern qualitative Kriterien: Wer bekommt eine Konzession, um Sportwetten anbieten zu dürfen? Ein solches Modell verspricht nicht nur Einnahmen über Konzessionen und Steuern – das kann man sich ja durchaus honorieren lassen –, die zumindest einen Teil der jetzigen Zahlungen ausgleichen, die ja immer fragwürdi ger werden. Das sehen wir schon. Wir haben aus dem Lotto monopol natürlich einen Nutzen, aber es wird immer wackli ger und fragwürdiger. Der Punkt kommt immer näher, an dem man durch eine bestimmte Zahl von Konzessionen – – Ich ha be die Zahl von 133 illegalen Anbietern genannt, da kommt über ein Konzessionsmodell, über Steuern schon Geld zusam men.

Es geht dann also darum, dass man nicht nur Transparenz her stellt, sondern man würde daran sogar auch verdienen – auch auf ehrlichere Art, wenn ich das vielleicht einmal so sagen darf. Es würde das Glücksspiel natürlich ein Stück weit aus der Grauzone herausziehen. Und – jetzt kommt fast das Wich tigste – es wäre auch die Voraussetzung für einen effektiven Spielerschutz.

Denn was reden wir von einer Sperrdatei, wenn wir gar kei ne Möglichkeiten der Kontrolle und keine Möglichkeiten des Vollzugs haben? Wir haben in weiten Teilen überhaupt keine Kontrolle und deswegen auch keinen Spielerschutz und auch keine funktionierende Sperrdatei. Würde man auf ein Konzes sionssystem umsteigen, dann könnte man natürlich den Be werbern sagen: Ihr bekommt eine Konzession, wenn ihr ko operiert. Kooperieren bedeutet natürlich auch, dass man einen wirksamen Spielerschutz herstellt.

(Beifall bei der FDP/DVP – Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Dr. Goll, gestat ten Sie eine Zwischenfrage des Abg. Dr. Reinhart?

Ja, natürlich. Gern.

Bitte, Herr Abg. Dr. Rein hart.

Herr Kollege Dr. Goll, sehen Sie bislang Mehrheitsfähigkeiten unter den 16 Ländern? Und wie sehen Sie die Frage der Europarechtskonformität?

Um mit der letzten Frage anzufangen: Ich habe schon früh und nachweislich – wahr scheinlich in vielen Protokollen – die umgekehrte Frage ge stellt, nämlich ob die Politik, die wir bisher gemacht haben, eigentlich europarechtlich auf Dauer tragfähig ist. Sie ist ja nicht nur wenig überzeugend und wenig moralisch, sondern sie ist meines Erachtens auch wenig tragfähig. Denn ein sol ches Konzessionsmodell würde natürlich auf europäischer Ebene viel besser passen als unser staatliches Lottomonopol; da sind wir uns wahrscheinlich einig.

Jetzt verstehe ich, dass manche Länder aus finanziellen Grün den zögern. Aber man muss sehen, dass das jetzige System

immer wackliger wird. Schleswig-Holstein ist außen vor; das ist bekannt. Die gehen jetzt schon ihren eigenen Weg. Hessen hat gesagt: „Wenn es nicht so kommt, wie wir wollen, gehen wir auch einen eigenen Weg.“ Da muss ich fragen: Was ma chen wir eigentlich? Das wäre natürlich ein weiteres deutli ches Signal, wenn Baden-Württemberg es genauso machen würde, wie Hessen es vorhat und Schleswig-Holstein es schon macht. Das ist eigentlich genau das Modell, das auf dem Tisch liegt.

Ich darf das zusammenfassen: Wir halten es für ein Gebot der Stunde, auf eine Regulierung nach qualitativen Gesichtspunk ten hinzuarbeiten, dadurch den Schwarzmarkt in die Legali tät zu bringen, nebenbei die staatlichen Einnahmen zu verbes sern und vor allem einen effektiven Spielerschutz zu gewähr leisten.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort Herrn Kollegen Frey.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass die größer sind! – Vereinzelt Heiterkeit bei den Grünen und der SPD – Weitere Zu rufe)

Herr Präsident, meine sehr verehr ten Kollegen! Der Glücksspielstaatsvertrag hat sich zum Ziel gesetzt, das Entstehen von Glücksspielsucht zu verhindern, die Jugend und die Spieler wirksam zu schützen und die ord nungsgemäße Durchführung von Glücksspielen zu gewähr leisten. Die Verhandlungen – das wissen Sie auch, Herr Goll – waren nicht einfach. Letztlich ist es dann aber gelungen, die 16 Bundesländer 2012 zur Unterzeichnung des Glücksspiel änderungsstaatsvertrags zu bewegen.

Diese Unterschrift aller 16 Bundesländer war genauso frei willig wie auch die Unterschrift des Landes Hessens, dass es die Sonderaufgabe der Ausschreibung der Sportwettenkon zessionen übernimmt. Jetzt spüren wir wieder – ähnlich wie beim vorhergehenden Redner, beim vorhergehenden Tages ordnungspunkt – eine gewisse Geschichtsvergessenheit. Denn damals, bei der Unterzeichnung dieses Vertrags, hatte Hessen eine schwarz-gelbe Landesregierung. Das haben Ihre Partei kollegen unterschrieben – nicht die schwarz-grüne Regierung, die es jetzt in Hessen gibt. Insofern: Korrigieren Sie das bitte in Ihrem Geschichtsbuch, dass das hier ein schwarz-grünes Problem sein soll. Diesen Änderungsstaatsvertrag hat damals die schwarz-gelbe Koalition unterschrieben. Insofern zeich nen Sie da auch verantwortlich.

Als Reaktion auf die Vollzugsprobleme bei dieser Hausaufga be, die Hessen da nicht gut erledigt hat, nämlich die Aus schreibung der Sportwettenkonzessionen, legen Sie nun Leit linien vor. Diese beinhalten zum Teil ganz gute Punkte – da rauf komme ich später noch zu sprechen –, aber eben auch pauschale Punkte, die so nicht umzusetzen sind.

Der Glücksspieländerungsstaatsvertrag ist normativ eine gu te Sache. Dessen Erstellung wurde auch von der Kommissi on begleitet, und er wurde nach dem Urteil des EuGH soweit auch als gangbarer Weg bezeichnet.

Anstatt jetzt bei ersten Schwierigkeiten das Kind mit dem Ba de auszuschütten, sollten wir, denke ich, gemeinsam mit den Ländern nach Lösungen suchen. Deswegen ist es auch ein gu ter Ansatz, dass die Ministerpräsidentenkonferenz in der ver gangenen Woche erste Schritte gemacht hat, um in einen Di alog zu treten. Doch von einem Scheitern des ganzen Glücks spieländerungsstaatsvertrags zu sprechen ist genauso abwe gig, wie ganze Bereiche des Internetglücksspiels schranken los zu liberalisieren, wie es die FDP/DVP, die Liberalen hier fordern.

(Abg. Dr. Ulrich Goll FDP/DVP: Haben Sie eigent lich zugehört?)

Vielmehr sollten wir weitestgehend kohärente europaweite Regulierungen mit anderen EU-Mitgliedsstaaten anvisieren, die qualitative Standards setzen, die aber auch definiert wer den müssen und nachher auch verfolgt werden müssen, wenn sie überschritten werden. Denn nur mit einer europäischen Lö sung ist auch eine sinnvolle Lösung im Bereich des Internet glücksspiels möglich.

Hessens Leitlinien enthalten dennoch ein paar gute Elemen te. Die Einführung einer bundesweiten Sperrdatei für Spiel hallen ist im Hinblick auf den Spielerschutz nur zu befürwor ten. In einer Sperrdatei können sich die Spielsüchtigen selbst sperren lassen oder von Angehörigen gesperrt werden. So kön nen sie effektiv am Spielen gehindert werden.

Daher begrüße ich auch den jüngsten Bericht der Landesre gierung. Denn sie sieht die Einführung einer zentralen Sperr datei auf Bundesebene auch als eine wirksame Möglichkeit zum Spielerschutz. Dieses Ziel sollten wir mit Nachdruck wei terverfolgen.

Die Einführung von weiteren qualitativen Rahmenbedingun gen bei der Vergabe von Sportwettenkonzessionen könnte ebenfalls ein gangbarer Weg sein, zumal die rein mengenmä ßige Begrenzung auf 20 Konzessionen ja gerichtlich untersagt wurde. Die Hängepartie muss hier endlich beendet werden. Es muss aber auch sichergestellt sein, dass die Kriterien für die Vergabe ausreichend definiert sind und ihre Einhaltung re gelmäßig kontrolliert wird.

Der Glücksspieländerungsstaatsvertrag lässt in seiner vorlie genden Form bereits ausreichend Handlungsspielraum für weiter gehende Regelungen. Nur, wenn nach eingehender Prü fung eine Revision wirklich nötig ist, sollte diese eingeleitet werden. Dies gilt z. B. bei der Frage einer Gründung einer ge meinsamen Anstalt des öffentlichen Rechts. Diese ist im Staats vertrag schon vorgesehen. Die Länder wurden vom EuGH auf gefordert, kohärente Regelungen zu schaffen, um die Sucht prävention wirksam durchzusetzen. Das Land Baden-Würt temberg hat dies mit seinem Landesglücksspielgesetz ge macht. Bei der Prävention ist Baden-Württemberg Vorreiter und kann anderen Ländern ein Beispiel sein. Die Pflicht zur Erstellung eines Sozialkonzepts verzeichnet ebenso gute Er folge wie die Sperrzeitenregelung zu Feiertagsruhen für Spiel hallen.

Die Schnittstelle allerdings zwischen Landesglücksspielrecht und der bundesrechtlichen Gaststättenverordnung muss eben so betrachtet werden, weil das Landesglücksspielgesetz in Gaststätten nicht greift. Erst ab dem 10. November 2019 wird die Zahl der in Gaststätten erlaubten Automaten auf zwei re

duziert. Der Referentenentwurf von Herrn Gabriel sah ur sprünglich nur einen vor. Da hat die Lobbyarbeit der Automa tenverbände wirksam eingegriffen, und am Ende standen jetzt doch zwei; früher waren es drei. Das halbherzige Vorgehen des Bundeswirtschaftsministers ist bedauerlich, da jeder Au tomat weniger ein Mehr an Spielerschutz bedeutet hätte, denn Automaten haben nach wie vor das höchste Suchtpotenzial. Hier gilt es, sich auf Bundesebene für einen wirkungsvollen Jugend- und Spielerschutz einzusetzen.

Von einem weitgehenden Scheitern der Politik zum Glücks spiel, wie in Ihrem Antrag, Herr Goll, zu lesen ist, kann kei ne Rede sein. Baden-Württemberg ist auf einem guten Weg hin zu einer rechtssicheren Regulierung. Konstruktive Verbes serungsvorschläge halte ich dabei für hilfreicher als Ihre Skan dalisierung.

Vielen Dank.