Protocol of the Session on November 9, 2016

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Keine Ahnung von der bundesrepublikanischen Verfassung! Null Ahnung!)

Meine Damen und Herren, es gibt auf dieser Welt viele Ge genden, wo man verschleiert herumlaufen kann. Wenn jemand wirklich einen Schleier tragen will, werden wir ihn nicht auf halten, mit seinem Schleier woanders hin zu reisen,

(Zuruf der Abg. Andrea Schwarz GRÜNE)

in den islamischen Kulturkreis, wo man diesen überall und je derzeit zur Schau tragen kann.

(Zuruf: Wer sind eigentlich „wir“?)

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Lucha das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Innenausschuss und im Ausschuss für Soziales und Integration des Landtags wurde der Entwurf eines Gesetzes über das Verbot der Ge sichtsverschleierung im öffentlichen Raum Baden-Württem berg mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.

Lassen Sie mich kurz auf die Ergebnisse des Anhörungsver fahrens zu dieser Gesetzesinitiative eingehen; es sind drei Stellungnahmen. Die Stellungnahmen stammen von der Ahmadiyya Muslim Jamaat, von Terre des Femmes und vom Zentralrat der Ex-Muslime. 16 weitere Institutionen, denen wir ebenfalls die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnah me zum Gesetzentwurf eingeräumt haben, haben sich nicht geäußert.

Die erste Stellungnahme, die Stellungnahme der Ahmadiyya Muslim Jamaat, liegt ganz auf der Linie der Landesregierung und der Mehrheit in beiden Ausschüssen. Die Ahmadiyya Muslim Jamaat kommt nämlich zu dem Ergebnis, dass ein ge nerelles Verbot der Vollverschleierung im Sinne des Gesetz entwurfs verfassungsrechtlich keinen Bestand habe und auf diesem Weg nicht zu rechtfertigen sei.

Es geht ja gerade darum, dass wir alle Grundrechte miteinan der in einen Ausgleich bringen. Das tut der Gesetzentwurf, den wir heute zum zweiten Mal im Plenum behandeln, ein deutig nicht – ebenso wenig wie der dazu vorliegende Ände rungsantrag.

In einer weiteren Stellungnahme hat sich die Frauenrechtsor ganisation Terre des Femmes zum Gesetzentwurf geäußert. Sie würde ein Verbot der Gesichtsverschleierung grundsätz lich begrüßen. Zur Begrüßung eines Verbots sagt Terre des Femmes, dass Mädchen und Frauen nicht diskriminiert wer den dürften. Die ausschließliche Bezugnahme auf die Grund gesetzartikel 1, 2 und 3 in der Stellungnahme von Terre des Femmes wird aber dem geforderten Ausgleich aller berührten Grundrechte nicht gerecht. Insoweit greift diese Stellungnah me genauso zu kurz wie der Gesetzentwurf, auf den sie sich bezieht.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, keine Zwischenfragen. – Unser Grundgesetz gibt es nämlich ausschließlich in der Vollversion. Wer nur die Arti kel heranzieht, die zu den eigenen Vorlieben passen, der steht bestenfalls mit einem Bein auf dem Boden unseres Grundge setzes. Das aber reicht nicht.

Auch die dritte und ausführlichste Stellungnahme zum Ge setzentwurf bringt uns deshalb nicht wirklich weiter; denn auch der Zentralrat der Ex-Muslime wägt die einzelnen Grundrechte nicht ausreichend gegeneinander ab. Zwar schützt, wie in der Stellungnahme zu Recht angemerkt wird, Artikel 3 des Grundgesetzes Frauen vor Benachteiligung und Diskriminierung. Das bedeutet aber nicht, dass wir eine Frau per Gesetz daran hindern dürfen, aus eigenen Stücken eine Burka zu tragen.

Auch die in der Stellungnahme dargelegten theologischen Ar gumente kann der Staat aufgrund seiner Neutralitätspflicht nicht als Grundlage für seine Gesetzgebung heranziehen.

Ich möchte trotzdem betonen, dass der Zentralrat der Ex-Mus lime in seiner Stellungnahme einige Aspekte anführt, die mit Blick auf das Tragen einer Burka nicht übersehen werden dür fen, z. B. wenn es um das Unfallrisiko beim Tragen einer Bur ka im Straßenverkehr geht. Ein Unfallrisiko – so das Gutach ten auf den Seiten 1 und 2 – sei nicht nur beim Tragen der Bur ka am Steuer eines Fahrzeugs gegeben – da ist es bereits ver boten, eine Burka zu tragen –, sondern wegen der Sichtbehin derungen auch für Fußgängerinnen. Wir werden dieses und weitere Argumente berücksichtigen müssen, wenn wir künf tig über anlassbezogene Burkaverbote diskutieren.

Um es noch einmal klar auszudrücken: Die Landesregierung verfolgt eine klare Linie. Die Burkaverbote sollten anlassbe zogen erlassen werden.

Wie ich bereits in der Ersten Beratung des Gesetzentwurfs im Plenum betont habe, unterstützen wir alle Initiativen, mit de nen noch fehlende erforderliche Regelungen ergänzt werden.

Deshalb haben wir die Bundesratsinitiative unterstützt, in der die Bundesregierung dazu aufgefordert wird, ein Verbot der

Vollverschleierung vor Gericht zu prüfen. Ich betone aber: Verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind keine generellen, son dern nur anlassbezogene Verbote einer Vollverschleierung.

Wie der Presse zu entnehmen ist, arbeitet der Bund bereits an einer Gesetzesvorlage zum Thema Gesichtsverschleierung. Sobald dieser Gesetzentwurf vorliegt, können wir über die notwendigen Regelungen im Detail debattieren.

Unser Land braucht richtig verstandene Heimatliebe, Wert schätzung und Offenheit. Es steht die Aussage einer Redne rin im Raum, dass wir die Burka aus Liebe zu unserer Heimat verbieten sollten. Als Minister für Soziales und Integration möchte ich mich dazu wie folgt äußern: Wirkliche Heimatlie be besteht nicht darin, die Menschen in Schwarz und Weiß oder in Gut und Schlecht einzusortieren.

(Beifall bei den Grünen)

Richtig verstandene Heimatliebe besteht auch nicht darin, Trennlinien in der Gesellschaft aufzurichten, sondern darin, diese zu überwinden.

(Zuruf des Abg. Stefan Räpple AfD)

Echte Heimatliebe äußert sich allein dort, wo jemand unser Land darin unterstützt, mit den gesellschaftlichen Verände rungsprozessen klarzukommen, die in unserer globalisierten Welt geschehen.

Um es noch einmal eindeutig zu bekräftigen: Die Landesre gierung lehnt die Vollverschleierung gesellschafts- und inte grationspolitisch ab, weil sie im Gegensatz zur Verfasstheit unserer offenen Gesellschaft steht. Wir lehnen die Vollver schleierung ab, weil sie unserem Verständnis der Menschen rechte und der Stellung von Frauen in unserer Gesellschaft zuwiderläuft.

(Abg. Dr. Christina Baum AfD: Warum?)

Bevor wir aber unser Grundgesetz aufweichen, verteidigen wir es doch besser, und zwar gegen diejenigen, denen in Wahr heit nicht nur die Burka, sondern unsere offene Gesellschaft selbst ein Dorn im Auge ist,

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Dr. Hein rich Fiechtner AfD: Dichten Sie nicht irgendwelche Sachen hinein!)

gegen diejenigen, die die Burka lediglich zum Anlass dafür nehmen, die Vielfalt in unserer Gesellschaft schlechtzureden.

(Abg. Stefan Räpple AfD: Herr Minister, lesen Sie lauter vor und schneller, bitte! – Gegenruf des Abg. Reinhold Gall SPD: Dann kommen Sie ja gar nicht mehr mit!)

Fakt ist: Unser Land ist deshalb stark, weil es vielfältig und weltoffen ist, und das schon seit über 200 Jahren. Sein Minis terpräsident hat ostpreußische Vorfahren, seine Landtagsprä sidentin ist in der Türkei geboren. Abgeordnete können eben so von der Schwäbischen Alb oder vom Kaiserstuhl kommen.

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Aus Bayern kommt auch jemand!)

Und es gibt Minister wie mich, in Bayern geboren, mein Va ter noch in der österreichisch-ungarischen Monarchie in Böh men. Eine Abgeordnete kommt aus Thüringen

(Abg. Anton Baron AfD: Hier! Aus Kasachstan!)

einer aus Kasachstan, sehr gut. – Entscheidend ist nicht, wo her jemand stammt, wo er oder sie geboren oder aufgewach sen ist. Entscheidend ist und bleibt, dass wir uns konstruktiv und mit Augenmaß für unser Gemeinwesen und für den ge sellschaftlichen Zusammenhalt hier in Baden-Württemberg einsetzen und dass wir die Vielfalt in unserer Gesellschaft auf das Bestmögliche zur Geltung kommen lassen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP – Zuruf der Abg. Dr. Christina Baum AfD)

Meine Damen und Her ren, in der Allgemeinen Aussprache liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen daher in der Zweiten Beratung zur A b s t i m m u n g über den Gesetzentwurf Drucksache 16/478. Der Ausschuss für Soziales und Integration empfiehlt Ihnen in der Beschlussempfehlung Drucksache 16/830, den Gesetzentwurf abzulehnen.

Zu dem Gesetzentwurf liegt der Änderungsantrag der Frakti on der AfD, Drucksache 16/929, vor, über den ich zuerst ab stimmen lasse.

Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der AfD, Drucksache 16/929, zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen.

(Abgeordnete der AfD unterhalten sich. – Zuruf von der SPD zur AfD: Dann stimmt dem mal selber zu!)

Zuhören! – Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der AfD, Drucksache 16/929, zustimmt, den bitte ich um das Handzei chen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Der Änderungsantrag der Fraktion der AfD ist damit mehrheitlich abgelehnt.

Meine Damen und Herren, es ist eine namentliche Abstim mung beantragt. Hat der Antrag die in § 99 der Geschäftsord nung vorgeschriebene Unterstützung durch fünf Abgeordne te? – Davon gehe ich aus.

(Mehrere Abgeordnete der AfD heben ihre Hand.)

Das ist der Fall.