Sehr geehrte Frau Präsi dentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ereignisse der Stuttgarter Krawallnacht liegen schon ein halbes Jahr zurück – die Zeit rast –, aber sie haben sich in unser Gedächtnis ein gebrannt. Erschüttert haben uns die Masse der Straftaten, die ser Ausbruch ungezügelter Aggression unter Hunderten von jungen Männern – so muss man ja sagen; es waren hauptsäch
lich junge Männer –, gewalttätige Übergriffe, Plünderungen und vor allem – darin stimme ich dem Kollegen Blenke un eingeschränkt zu – auch die Gewalt gegen die Polizei und ge gen Rettungskräfte als einem neuen, leider zunehmendem Phänomen in unserer Gesellschaft.
Wir haben diese Ausschreitungen verurteilt. Das ist auch rich tig und notwendig, weil es ein Angriff auf unsere Grundord nung gewesen ist – selbstverständlich; denn jeder Angriff auf einen Polizisten ist ein Angriff auf die Grundordnung. Es ist ein Angriff auf die Freiheit des Einzelnen, sich im öffentlichen Raum sicher bewegen zu können. Das ist gerade in einer Stadt wie Stuttgart, in der viele Kulturen zusammenleben, die seit vielen, vielen Jahren weltoffen ist – das ist ihr Markenzeichen –, ein besonders schlimmer Angriff gewesen; er hat auch vie le Menschen verunsichert, die sich nun Fragen stellen wie: Können wir noch so zusammenleben? Müssen wir Einschnit te bei unserer Sicherheit aufgrund dieser Vorkommnisse hin nehmen? Das sind wichtige Fragen.
Man kann nicht oft genug betonen, dass die Polizei in dieser Nacht vom 20. auf den 21. Juni klug und umsichtig agiert hat. Dieses kluge und umsichtige Agieren war ein wesentlicher Beitrag dazu, die Exzesse in den frühen Morgenstunden ir gendwann in den Griff zu bekommen – das muss man in aller Deutlichkeit sagen –, und das angesichts der ganzen Härte der Angriffe auf die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten und deren Unversehrtheit. Das ist noch einmal sehr bemerkens wert und – so finde ich – ein wichtiges Markenzeichen unse rer Polizei in Baden-Württemberg.
Wie gesagt, die Aufarbeitung ist wichtig. Teil 1 findet statt – Ermittlungen, Anzeigen, Gerichtsverfahren. D’accord; das wird noch weitergehen.
Zu Teil 1 gehört auch – auch da Zustimmung zu dem, was der Kollege Blenke gesagt hat – die klare Ächtung von Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte, auch jetzt in diesen Lock down-Tagen. Es gibt unter jungen Menschen viel Frust, dass man sich nicht treffen, versammeln kann. Das kann man ein bisschen nachvollziehen. Aber auch wir alle müssen uns an diese Regeln halten.
Eines muss aber klar sein in diesem Land: Das darf sich nicht gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte entladen. Da müssen wir überall zur Stelle sein, in allen Orten, insbeson dere in allen Großstädten, und das verurteilen und ächten. Es darf keinen Freiraum für Gewalt gegen Ordnungskräfte in die sem Land geben, meine Damen und Herren.
Ich komme zum zweiten Teil, der ebenfalls wichtig ist – auch das hat der Kollege angesprochen –: Wir brauchen erfolgrei che nachhaltige Präventionskonzepte. Allein die Ahndung der Straftaten wird es nicht richten, Herr Minister; das wissen wir. Die Ahndung ist wichtig, weil Strafen ja sozusagen zu einem Bewusstseinswandel beitragen sollen, aber auch den Täterin nen und Tätern – und gerade auch in solchen Fällen wie dem angesprochenen, weil es hier sehr junge Menschen gewesen
sind – den Weg zurück in die Gesellschaft ebnen sollen. So ist unser Selbstverständnis; so muss es, denke ich, auch hier sein. Deswegen brauchen wir überzeugende Präventionskon zepte.
Es ist gut, dass die Stadt Stuttgart wieder an das Konzept der mobilen Jugendarbeit früherer Jahre anknüpft, an Streetwor king, an Sozialarbeit. Das brauchen wir in solchen Milieus –
das ist überhaupt keine Frage –, in dem Milieu, wo diese Er eignisse stattgefunden haben, rund um den Eckensee, aber auch in vielen anderen Milieus, die wir in baden-württember gischen Städten und Gemeinden haben.
Wir brauchen eine Erkennung der gesellschaftlichen Lage der betreffenden jungen Männer. Es geht um junge Männer zwi schen 13 und 30 Jahren, die weitgehend alkoholisiert sind, und zwar Menschen aller möglicher Nationalitäten, darunter auch jede Menge Deutsche.
Was macht diese besondere Aggressivität junger Menschen aus, vor allem wenn sie alkoholisiert sind? Ich glaube, diese Frage muss eine besondere Rolle spielen.
Herr Minister, wir haben mit dem Konzept „Sichere öffentli che Räume“ einen guten Instrumentenkasten. Dessen Taug lichkeit müssen wir jetzt im Praxistest beweisen. Wenn wir das mit Augenmaß, nachhaltig und zukunftsgerichtet machen, können wir solche Probleme in den Griff bekommen. Dann wird sich diese „Stuttgarter Nacht“ nicht wiederholen.
Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Was sich in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni dieses Jahres sehr nah hier am Landtag ereignet hat, ist uns allen noch sehr gut in Erinnerung. Wer die Bilder von diesen Ereignissen gesehen hat – so wie Kollege Stoch und ich, als wir uns nach diesem Wochenende beim PP Stuttgart die Bilder dieses Einsatzes angeschaut haben –, hat feststel len müssen, mit welch großer Aggressivität, mit welch großer Gewaltbereitschaft gegen die Polizei, gegen die Einsatzkräf te agiert worden ist, dass sogar Einsatzkräfte daran gehindert wurden, Verletzten zu helfen.
All das, was wir da gesehen haben, was Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte hautnah erlebt haben, was Polizeibeamtin nen und Polizeibeamte, was Einsatzkräfte nicht nur an kör perlichen, sondern auch an seelischen Verletzungen von die ser Nacht davongetragen haben, wird uns lange in Erinnerung bleiben. All das, was da passiert ist, Aggressivität gegen Po lizei und Rettungskräfte, verurteilen wir nachhaltig, liebe Kol leginnen und Kollegen.
Ich möchte Dank sagen an die Polizei, an die Ermittlungs gruppe „Eckensee“, an all diejenigen, die sehr, sehr schnell die verdächtigen Personen ermittelt haben, an die Staatsan waltschaft bzw. die Justiz, die Anklage erhoben haben und auch schnell zu Verfahren gekommen sind, was wir ja immer fordern und auch für notwendig erachten. Zu solchen Verfah ren, bei denen das Urteil und die Strafe der Tat auf dem Fuße folgen, sollten wir nicht nur bei einem solchen Ereignis kom men. Vielmehr sollte dies bei all diesen Delikten gegen Poli zei und Einsatzkräfte ein Ziel der Justiz und der Ermittlungs behörden in diesem Land sein, liebe Kolleginnen und Kolle gen.
Wir haben erlebt, dass es sehr schnell ging. Dann haben wir uns natürlich alle Gedanken gemacht, wie wir das in Zukunft verhindern können. Das ist nicht so ganz einfach. Der Innen minister hat mehrmals darauf hingewiesen, dass das Täterpro fil nicht einheitlich ist. Die Frage, wie es dazu kam, ist eigent lich noch gar nicht nachhaltig beantwortet. Ich stelle sogar die Frage, ob man das am Ende überhaupt beantworten kann.
Deshalb ist Prävention wirklich wichtig. Deshalb hat der In nenminister mit der Stadt Stuttgart, groß angekündigt, eine Si cherheitspartnerschaft ins Leben gerufen. Da wird mit großen Worten gehandelt: das Haus der Prävention, einmalig in der Bundesrepublik Deutschland. Wie es gerade aussieht, werden wir die Eröffnung dieses Hauses der Prävention nicht so schnell erleben – vielleicht auch gar nicht.
So zieht man keine Schlüsse aus dieser Nacht vom 20./21. Ju ni 2020, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Videoüberwachung – auch das ist ein großes Thema, lange Zeit als einzige Antwort auf die Frage, wie man präventiv ge gen so etwas vorgehen kann. Auch da kommt nichts. Das Ein zige, wofür gebuddelt und aufgebaut worden ist, sind die Vi deokameras für das Finanzministerium, damit es gut geschützt ist.
Ich meine, man kann darüber streiten, ob Videoüberwachung überhaupt sinnvoll ist. Aber wenn man sie verspricht, voll mundig verspricht, sollte man das auch umsetzen. Wenn man eine Sicherheitspartnerschaft eingeht, gibt es unterschiedliche Verantwortlichkeiten, aber man sollte es umsetzen. Wie es scheint, muss man froh sein, wenn das innerhalb eines Jahres nach der Tat umgesetzt wird.
Insofern ist nicht viel passiert in dieser Sicherheitspartner schaft, Herr Innenminister. Viele große Worte, wenig Taten – wie wir es kennen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Herr Kollege Blenke ist auf Corona zu sprechen gekommen; dafür bin ich ihm dankbar. Denn es geht um Regeln, um die Akzeptanz von Regeln. Es geht um die Kontrolle von Regeln durch die Polizei und die Ordnungsbehörden. Man hilft der Akzeptanz von Regeln, man hilft den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die die Regeln in diesem Lockdown kontrol lieren müssen, nicht, wenn man 52 Minuten, bevor diese Re geln gelten sollen, eine neue Verordnung verschickt.
So schafft man keine Akzeptanz. Sie sollten aufhören, in die ser Weise vorzugehen. Sie müssen Regeln rechtzeitig veröf fentlichen, damit sich die Menschen darauf einstellen können und die Sicherheitsbehörden sie auch kontrollieren können. So wie jetzt schaffen Sie keine Akzeptanz, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Kollegen! Wenn wir über die Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2020 sprechen, dann denke ich persönlich zuallererst daran, dass an diesem Wochenende unser Kollege Klaus Dürr ver storben ist. Vielleicht ist es manchmal gut, sich die Frage der Endlichkeit unseres Lebens zu stellen, auch so kurz vor Weih nachten.
Wenn man in einigen Monaten oder Jahren über den heutigen Tag, den 16. Dezember 2020, sprechen wird, dann wird die ser Tag in die Geschichte eingegangen sein als der Tag, an dem die Landesregierung von Baden-Württemberg der Wirt schaft und dem Einzelhandel in Baden-Württemberg den To desstoß versetzt hat.
Wenn man überlegt, warum die CDU diese heutige Debatte anberaumt, finde ich das mehr als bemerkenswert. Das erklärt sich ganz einfach: Die Redezeit beträgt fünf Minuten je Frak tion. Der Minister hat nachher eine halbe Stunde oder so Zeit. Dieser Vorgang im Juni am Eckensee war der Tiefpunkt – der absolute Tiefpunkt! – der Sicherheit in Baden-Württemberg während dieser Wahlperiode und während der Amtszeit die ses Innenministers,
Wenn einer der Vorredner, Kollege Blenke, davon spricht, dass alte Menschen sich draußen auf der Straße wieder sicher füh len sollen, wenn Demonstranten, die sich Sorgen um unseren Rechtsstaat und den Erhalt von Grundrechten und Freiheit ma chen, das Demokratieverständnis abgesprochen wird und Herr Kollege Blenke Szenarien beschreibt, wie es sie vielleicht vor zehn, 20 Jahren noch gab, als man sich abends noch relativ si cher auf die Straßen trauen konnte, dann frage ich mich: In welcher Märchenwelt leben Sie eigentlich?