Protocol of the Session on December 2, 2020

Mitteilung der Landesregierung vom 30. November 2020 – Beteiligung des Landtags nach § 3 des Gesetzes über den Erlass infektionsschützender Maßnahmen – Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnah men gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Coro na-Verordnung – CoronaVO) vom 23. Juni 2020 (in der ab 30. November 2020 gültigen Fassung) – Drucksache 16/9400

Meine Damen und Herren, auch hierzu gibt es eine Ausspra che von fünf Minuten je Fraktion.

Zuerst hat Herr Minister Lucha das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kolle gen! Mit den neuerlichen Änderungen in der Corona-Verord nung müssen wir das weiterhin viel zu hohe, dynamische In fektionsgeschehen im Land weiter eindämmen. Wir müssen und wollen damit hinsichtlich der Pandemie eine Trendwen de erreichen, und wir wollen, dass sich die Infektionskurve nicht nur seitwärts bewegt, wie derzeit, sondern sich umkehrt.

So können wir auch weiterhin die Aufrechterhaltung des Ge sundheitswesens gewährleisten; denn die Gesundheitsämter sind noch immer nicht komplett in der Lage, alle Infektions ketten nachzuvollziehen. Das ist aber die Grundvoraussetzung einer umfänglichen Nachverfolgung. Dann können wir wie der weniger einschränkende, lockernde Maßnahmen in Be tracht ziehen.

Der Wert von 50 Infektionen pro 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner binnen einer Woche, der eine komplette Kon taktnachverfolgung gewährleistet, ist in Baden-Württemberg noch nicht erreicht. Wir haben Stand gestern, 16 Uhr, eine Sie ben-Tage-Inzidenz von 131,8.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Vor diesem Hintergrund können die zum 1. November 2020 getroffenen Maßnahmen noch nicht aufgehoben werden. Sie werden in Teilen nachgesteuert und, wenn Sie so wollen, ver schärft.

Lassen Sie mich vorweg noch eines sagen, weil dies immer wieder die Kernfrage ist, auch in der Betrachtung einzelner Maßnahmen: Wir haben uns hier in diesem Haus, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland im Ganzen darauf verstän digt, dass wir die Eindämmung der Pandemie erbringen, in dem wir uns vorwiegend auf den privaten Radius beschrän ken und das Wirtschaftsleben sowie Bildungs- und Betreu ungsangebote als wesentliche Maßnahmen und Rückgrat der Gesellschaft aufrechterhalten.

(Zuruf: Zerstörung der Gastronomie!)

Wenn wir das tun, müssen wir natürlich auch sehen, dass wir immer wieder einmal private Belastungen ertragen müssen,

weil dies nicht ganz widerspruchsfrei geht. Ich zitiere Bun desminister Spahn, den ich in dieser Pandemie wirklich sehr schätzen gelernt habe. Er ist ein wichtiger, zuverlässiger Part ner,

(Beifall – Zuruf)

außer wenn es um die Zentralisierung der Krankenkassen geht – da ist er nicht mein Freund. Gestern sagte er im ZDF noch einmal ganz klar, es gehe um das Verhalten jedes Einzelnen von uns, andere Menschen zu schützen, damit sie von dieser mitunter sehr dramatisch verlaufenden Erkrankung möglichst nicht berührt werden.

(Vereinzelt Beifall)

Wir wollen die Menschen nicht vor sich selbst schützen, son dern Rahmenbedingungen schaffen, damit wir uns alle schüt zen und dann, wenn wir geimpft haben, ein Leben ohne die Pandemie führen können.

(Beifall – Abg. Anton Baron AfD: Dunkelziffer!)

Meine Damen und Herren, die Kanzlerin hat mit den Regie rungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 25. No vember die Verlängerung und die teilweise Verschärfung der seit Anfang November geltenden Maßnahmen beschlossen. Diese sehr einschneidenden und zeitlich befristeten Maßnah men dienen weiterhin der Reduktion des Infektionsgesche hens.

Wir wissen aus der ersten Welle der Pandemie: Insbesondere die zeitlich befristete erhebliche Einschränkung persönlicher Kontakte ist geeignet, um das Wachstum des Infektionsge schehens auszubremsen und umzukehren. Je konsequenter wir den Beschluss umsetzen, desto leichter ist es. Sie wissen, wir hatten auf der Basis infektiologischer, epidemiologischer Hoch rechnungen die Vorgabe, durch die Maßnahmen die Kontak te um 75 % zu reduzieren, um den R-Wert zu verringern. Er liegt, Stand heute, bei 0,99; das heißt, eine bzw. einer steckt eine bzw. einen an. Dieser Wert ist noch zu hoch, meine Da men und Herren; aber wir sind jetzt, in der Zwischenstation, bei den Kontaktreduktionen leider nur bei einem Wert von ca. 40 % angekommen; es fehlen die restlichen 35 Prozentpunk te.

Die Corona-Verordnung hat sich angesichts des aktuellen Pan demiegeschehens als grundsätzlich – meine ich – sehr prakti kabel bewährt. Zur Umsetzung der Beschlüsse der Konferenz und aufgrund einer Fortschreibung der Grundlage durch den neuen § 28 a des Infektionsschutzgesetzes wird nun die Co rona-Verordnung neu erlassen. Sie umfasst im Wesentlichen folgende Vorgaben: Der Aufenthalt in der Öffentlichkeit und privat ist nur mit maximal zwei Haushalten und höchstens fünf Personen gestattet; Kinder bis einschließlich 14 Jahren sind hiervon ausgenommen.

Über die Weihnachtstage sind Treffen bis maximal zehn Per sonen insgesamt erlaubt; auch hiervon sind Kinder ausgenom men.

Bestimmte Einrichtungen, die darauf ausgerichtet sind, dass Menschen dort zusammenkommen, sind für einen begrenzten Zeitraum weiterhin vorübergehend geschlossen.

Der Groß- und Einzelhandel bleibt zwar geöffnet, allerdings wird der Zugang, gestaffelt nach der Größe der Verkaufsflä che, beschränkt.

Insbesondere die Gastronomie bleibt weiterhin geschlossen, und Übernachtungsangebote im Inland werden weiterhin nur für notwendige und ausdrücklich nicht für touristische Zwe cke zur Verfügung gestellt. Übernachtungen zu privaten Zwe cken in der Weihnachtszeit werden als besondere Härtefälle gelten.

Die Maskenpflicht wird erweitert. Sie gilt künftig auch im Warte- und Zugangsbereich von Einkaufszentren und Laden geschäften, auf Märkten sowie auf diesen räumlich zugeord neten Parkflächen.

In Arbeits- und Betriebsstätten ist künftig eine Mund-NasenBedeckung zu tragen. Und in den auf der Grundschule auf bauenden Schulen ist künftig auch im Unterricht eine MundNasen-Bedeckung zu tragen; in Baden-Württemberg galt das schon.

Meine Damen und Herren, am 25. November haben die Mi nisterpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Kanz lerin u. a. weiter gehende Regelungen für sogenannte Hot spots beschlossen, die auf Landesebene umgesetzt werden sol len. Die Lenkungsgruppe der Landesregierung hat am Mon tagabend eine mögliche Hotspot-Strategie intensiv mit den kommunalen Landesverbänden diskutiert. Danach sollen zu nächst mit einem Erlass des Sozialministeriums die Gesund heitsämter aufgefordert werden, per Allgemeinverfügung wei ter gehende beschränkende Maßnahmen zu ergreifen. Voraus setzung hierfür ist eine Inzidenz von über 200 je 100 000 Ein wohner über ca. drei Tage hinweg und – Conclusio: und – ein diffuses, nicht klar eingrenzbares Infektionsgeschehen. Im Zweifel stimmen sich betroffene Gesundheitsämter im Ein zelfall mit dem Sozialministerium ab.

Wesentliche Inhalte des Erlasses werden voraussichtlich sein: Im öffentlichen und privaten Raum darf sich nur noch ein Haushalt mit einer weiteren Person treffen; Kinder bis ein schließlich 14 Jahren sind hiervon ausgenommen. Es gilt ein grundsätzliches Veranstaltungsverbot mit Ausnahme religiö ser Veranstaltungen, Gerichtsterminen etc. gemäß § 10 der Corona-Hauptverordnung. Es gelten dann Schließungen von Sonnenstudios und Friseursalons. Medizinische Behandlun gen blieben möglich, Besuche von Krankenhäusern und Pfle geeinrichtungen nur nach vorherigem negativen Antigentest oder mit FFP2-Maske. Ferner gelten dann Verbote von beson deren Verkaufsaktionen im Einzelhandel wie Schlussverkäufe und Black Fridays.

Damit kann dafür Sorge getragen werden, dass ein möglichst einheitliches Vorgehen in den Hotspots des Landes erfolgt. Die Kommunen sind ohnehin gezwungen, zu handeln, und die Landesregierung schafft dafür einen bestimmten, abgestimm ten und stimmigen Rahmen.

Über weitere Kontaktminimierungen, Kontaktreduktionen und Ansammlungsbeschränkungen berät eine Arbeitsgruppe un ter Federführung des Sozialministeriums und der betroffenen Ressorts mit den kommunalen Landesverbänden. Eventuelle Maßnahmen dieser Art, die wir gemeinsam herausarbeiten, sollen durch Verordnung des Landes festgesetzt werden. In diesem Zusammenhang wird dann auch geprüft, ob die Ver

ordnung das geeignete Mittel ist, den Rahmen für das Han deln in kommunalen Hotspots vorzugeben.

Meine Damen und Herren, mehr denn je gilt: Die Wirksam keit der getroffenen Maßnahmen wird durch die Landesregie rung laufend beobachtet. Auf der Basis der gewonnenen Er kenntnisse wird sie über die Notwendigkeit der Aufrechter haltung bzw. das Erfordernis weiterer Schutzmaßnahmen oder auch über die Aufhebung von Eingriffen in kurzen Zeitabstän den entscheiden. Aufgrund von § 28 a des Infektionsschutz gesetzes ist die Geltungsdauer der Verordnungen auf vier Wo chen zu befristen.

Der Landesregierung ist bewusst, dass die genannten Be schränkungen weiterhin eine große Belastung darstellen. Des halb danke ich sehr herzlich allen, die sich solidarisch und im Sinne der Gemeinschaft verhalten und handeln.

Meine Damen und Herren, das Licht am Ende des Tunnels ist sichtbar. Die Zulassung von Impfstoffen steht unmittelbar be vor. Mein Haus baut unter Hochdruck gemeinsam mit unse ren vielen Partnern die Infrastruktur in Baden-Württemberg auf. Das Landesimpfkonzept haben wir bereits in der letzten Woche beschlossen. Heute werden die Standorte der 50 kom munalen Kreisimpfzentren bekannt gegeben. Wir haben die drei bewährten Säulen: zentrale Impfzentren, Kreisimpfzent ren und mobile Impfteams.

Ich danke Ihnen, dem Landtag, für die guten Debatten und den Mitgliedern des Finanzausschusses ausdrücklich für die von ihnen bewilligte Bereitstellung der Finanzmittel.

Meine Damen und Herren, wenn wir uns jetzt beschränken, haben wir die ganz, ganz große Chance auf eine etwas ent spanntere Weiterentwicklung im neuen Jahr.

Herzlichen Dank.

(Beifall)

Herr Abg. Poreski, Sie ha ben für die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, welches Bild Sie von der Pandemiebekämpfung haben. Mir kommt sie vor wie ein Marathonlauf durch gefährliches Gelände. Wir wissen nur un gefähr, wie lang die Strecke ist. Jedoch können wir mittler weile einschätzen, wie wir die Distanz am besten bewältigen: nicht durch Aktionismus, sondern durch besonnenes und ziel gerichtetes Handeln, für das unser Ministerpräsident Winfried Kretschmann steht.

Genau diese Umsicht brauchen wir – keine Laut-Sprecher, keine kurzatmigen Effektheischer. Wir brauchen zudem Trans parenz, Mitbestimmung und offene Debatten.

Deshalb ist es gut, dass die Verordnung in Baden-Württem berg Gegenstand einer Parlamentsdebatte ist. Denn eines ist klar: Es gibt in dieser Pandemie kein Patentrezept, sondern immer nur eine verantwortungsbewusste Abwägung der mög lichen Pfade. Diese Abwägung gehört selbstverständlich ins Parlament.

(Beifall)

Die Entschließungsanträge der Oppositionsfraktionen beschrei ben zum Teil Selbstverständlichkeiten. Liebe SPD, das, was Sie fordern, ist längst in der Mache.

(Vereinzelt Lachen – Abg. Dr. Boris Weirauch SPD: Ja, ja! In der Mache!)

In unserem Entschließungsantrag vom Donnerstag sind zu dem alle Grundsätze sauber formuliert.

(Zuruf des Abg. Dr. Boris Weirauch SPD)

Der Entschließungsantrag der FDP/DVP ist zudem fachlich falsch; denn es muss immer nicht zentralistisch, sondern vor Ort festgelegt werden, ob aufgrund der konkreten Lage ein Hotspot vorliegt.

Wir wissen viel mehr über die Gefahren und die Möglichkei ten ihrer Bekämpfung als noch vor wenigen Monaten. Die grün-schwarze Landesregierung und die sie tragenden Frak tionen sind ein lernendes System.

(Lachen)

Auf diesem unsicheren Terrain gibt es keine Garantie, dass wir keine Fehler machen. Natürlich machen wir Fehler. Des wegen müssen Widersprüche und Fehler laufend, in einem ständigen Lernprozess erkannt und korrigiert werden. Wir müssen mit der breiten Bevölkerung und der Wissenschaft in einem ständigen Dialog bleiben und dürfen Widersprüche nicht als lästig abtun, sondern müssen sie als Ansporn dafür begreifen,