Protocol of the Session on December 2, 2020

Auf diesem unsicheren Terrain gibt es keine Garantie, dass wir keine Fehler machen. Natürlich machen wir Fehler. Des wegen müssen Widersprüche und Fehler laufend, in einem ständigen Lernprozess erkannt und korrigiert werden. Wir müssen mit der breiten Bevölkerung und der Wissenschaft in einem ständigen Dialog bleiben und dürfen Widersprüche nicht als lästig abtun, sondern müssen sie als Ansporn dafür begreifen,

(Beifall)

dass wir unsere Maßnahmen besser erklären, und zugleich als Ansporn dafür, dass wir auf wissenschaftlicher Basis immer neue und bessere Lösungen suchen.

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, geschieht auch. Das Land hat auf Anregung von Winfried Kretschmann eine groß angelegte Kinderstudie in Auftrag gegeben. Diese ergab: Kin der unter zehn Jahren sind am Infektionsgeschehen kaum be teiligt. Auf dieser Grundlage können nun alle Bundesländer einen verantwortbaren Betrieb von Kitas und Grundschulen gewährleisten.

Wir sind im grün geführten Baden-Württemberg bisher rela tiv glimpflich durch die Krise gekommen. Baden-Württem berg war im Frühjahr immer unter den beiden meistbetroffe nen Bundesländern; inzwischen liegt Baden-Württemberg trotz seiner geografischen Lage nach den Zahlen des RKI auf Platz 6 – trotz der vielen Menschen, die täglich über die Gren ze kommen. Das Land hat unter Minister Manne Lucha, dem ich für seine Arbeit sehr herzlich danke, Schutzausrüstung be vorratet, zusätzlich zum Bundeskontingent fünf Millionen zu sätzliche Schnelltests organisiert und bereitet die Impfungen systematisch vor.

(Vereinzelt Beifall)

Die Bevölkerung hat in ihrer großen Mehrheit großes Ver ständnis für die Anti-Corona-Maßnahmen, auch für die jetzt notwendigen und verhältnismäßigen Einschränkungen. Aber auch tapfere Marathonläuferinnen und -läufer – ich komme

zurück zu meinem Bild – brauchen gelegentlich eine kleine Atempause. Dazu dienen die Lockerungen über Weihnachten, in verantwortbarer Kürze und mit dem Appell eines verant wortlichen Umgangs damit. Die weitere Perspektive muss ei nen Weg des Ermöglichens eröffnen.

Hart betroffene Berufs- und Wirtschaftsbereiche wie Kunst, Kultur und Gastronomie müssen besser unterstützt werden, als der Bund es bisher will, damit sie durchhalten.

(Vereinzelt Lachen – Abg. Sascha Binder SPD: Das ist ja lachhaft!)

Wir brauchen eine umfassende Schnellteststrategie, wie wir sie in den Pflegeheimen, im Gesundheitswesen, in Schulen und Kitas nun eingeleitet haben. Wir brauchen viel mehr schützende FFP2-Masken, wie sie vom Land nun millionen fach verteilt werden. Wir brauchen mehr technische Hilfsmit tel wie Luftreinigungsgeräte. Auch dafür gibt es nun ein Bud get.

Dennoch ist uns bewusst: Viele Heldinnen und Helden des Alltags sind inzwischen müde. Doch sie wissen auch: Durch halten lohnt sich. Voraussichtlich bis Mitte kommenden Jah res können sich die meisten Menschen, die dies wünschen, impfen lassen. Der Lohn der Anstrengung wird die schrittwei se Rückkehr in einen unbeschwerten Alltag sein. Für diese Wegstrecke schaffen wir heute eine wichtige Grundlage.

Vielen Dank.

(Beifall – Zurufe)

Als nächster Redner spricht Herr Kollege Haser für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin das fünfte von fünf Kindern, und am ersten Weihnachtsfeiertag versammeln sich normalerweise 28 Personen im Haus meiner Eltern. All diese 28 Personen sind entweder direkt miteinander verwandt oder verschwägert oder anderweitig miteinander liiert. Wer in ei ner Großfamilie aufgewachsen ist, weiß, wie es sich anfühlt, wenn man sich gerade nach einem solchen Jahr an Weihnach ten nicht in den Armen liegen kann.

Noch schlimmer ist aber, wenn man Menschen überhaupt nicht mehr umarmen kann, weil sie gar nicht mehr da sind.

(Beifall – Zuruf: Sehr richtig!)

Es mag vielleicht witzig sein, wenn man in Fernsehspots jun ge Menschen zeigt, die auf Sofas herumlungern und als „Hel den“ bezeichnet werden. Aber die wahren Helden sind eben nicht die auf den Sofas, sondern jene, die anderen im Überle benskampf helfen.

(Beifall)

Frau Abg. Lindlohr, bitte nehmen Sie Ihren Platz ein. Frau Abg. Lindlohr, bitte setzen Sie sich wieder hin. – Danke schön.

0,4 % Todesrate mag sich nach wenig anhören, aber es sind 400 bis 500 Opfer der Pandemie pro Tag allein in Deutschland. Das zeigt, wie viel Leid diese

Pandemie auch über unser Land gebracht hat. Allein in Ba den-Württemberg kämpfen nach aktuellen Zahlen 330 beat mete Patientinnen und Patienten auf Intensivstationen gegen Covid-19 um ihr Leben. Wir sind heute in Gedanken bei ih nen und ihren Angehörigen, bei ihren Pflegern und ihren Ärz ten.

(Beifall)

Deshalb, auch wenn sich vieles in mir sträubt, auch wenn die se Sehnsucht nach Nähe in mir immer wieder ausbricht und wenn ich mich sehr nach einem Familienfest an Weihnachten und an Silvester sehne, stehe ich doch – und das gilt genauso für meine Fraktion und für die allermeisten Menschen – hin ter dem, was die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin be sprochen haben und was nun in die neue Corona-Hauptver ordnung gegossen wurde.

Ob ich und jeder von uns nun zu 100, zu 90 oder zu 80 % per sönlich hinter all den Maßnahmen im Einzelnen stehen: Wen interessiert das angesichts der Dimension, um die es geht?

Ja, ich hadere – wie viele andere auch – mit der Regelung an Silvester, und vielleicht müssen wir darüber auch noch ein mal reden. Ich hadere als Wintersportler und als direkter Nach bar zu meinen österreichischen und Schweizer Freunden auch mit der rigiden Haltung gegenüber diesem wunderbaren Frei luftsport, der für unsere Nachbarländer eben mehr ist als nur Unterhaltung.

(Zurufe)

Ja, ein bestimmtes Maß an Unterhaltung und Kultur sowie an gemeinsamer Besinnlichkeit ist auch ohne große Begegnung und Ansteckungsgefahr meines Erachtens noch möglich.

Ja, die Regelungen müssen immer auch nachvollziehbar sein, wenn sie Akzeptanz erfahren wollen. Deswegen hätte ich mir anstatt des Kompromisses, den wir nun bezüglich der zwei Ferientage vor Weihnachten geschlossen haben, unsere Lö sung gewünscht, nämlich es der Schule vor Ort zu überlassen, sie in die Verantwortung zu nehmen und zu fragen, ob eine Lösung vielleicht auch über bewegliche Ferientage möglich ist. Das hätte ich besser gefunden als das, was wir jetzt getan haben.

(Vereinzelt Beifall – Zurufe)

Aber: Wenn wir eine Pandemie besiegen möchten, geht es nicht um das kleine Karo und nicht um die Einzelfrage, es geht nicht um unsere eigene Befindlichkeit. Wenn wir nach links und rechts schauen und sehen, wie Corona täglich in anderen Staaten wütet und nicht nur enttäuschte Tennisspieler und Ski fahrer zurücklässt, sondern Witwen und Witwer, dann, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, bleibt nur die Feststellung übrig, dass wir alle gemeinsam bis zum heutigen Tag durch die mutigen Entscheidungen, die die Politik getroffen hat, vie le Menschenleben gerettet haben und die Wirtschaft in unse rem Land trotzdem nicht in Grund und Boden versunken ist.

(Beifall – Zurufe, u. a.: Sehr gut!)

Was wir deswegen stattdessen tun sollten, ist, nach vorn zu schauen und den Menschen die Zuversicht zurückzugeben, auf die sie so sehnsüchtig warten. Ein Freund hat erst am Wo

chenende zu mir gesagt: Vor vier Wochen war Donald Trump noch Präsident, und wir hatten keinen Impfstoff. Stand heute wird Trump wieder Hotelier, Joe Biden der nächste Präsident, und der Impfstoff ist in wenigen Tagen verfügbar.

Mich treibt die Zuversicht, dass wir als Familie im Frühjahr den Geburtstag meiner Mutter feiern können, die dann 85 wird. Mich treibt die Zuversicht, dass wir uns mit Beginn der nächsten Legislaturperiode wieder über Zukunftsthemen un terhalten können. In der Zwischenzeit müssen wir uns gedul den, unterstützt und getragen von einer Solidargemeinschaft, die in dieser Welt beinahe einzigartig ist.

Was Weihnachten angeht: Wer weiß, vielleicht kommen wir alle am Ende sogar noch zu der Erkenntnis, dass dieses heili ge Fest ursprünglich mal so gemeint war. Denn schließlich wurde der Menschensohn in einem Stall geboren, und wenn man Ochs und Esel und Hirten abzieht, dann war die heilige Familie nur zu dritt.

Vielen Dank.

(Beifall – Vereinzelt Heiterkeit)

Herr Abg. Dr. Weirauch, Sie sprechen jetzt für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine neue Corona-Ver ordnung der grün-schwarzen Landesregierung hat das Licht der Welt erblickt. Es war wieder einmal eine schwere Geburt, was man so hört, sieht und liest. Für uns in Baden-Württem berg war es eigentlich wie immer, wenn die grün-schwarze Koalition an einer Corona-Verordnung bastelt:

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

erst Bund-Länder-Konferenz in Berlin mit Beschlussfassung, dann mehrere Tage grün-schwarzes Gezerre über die Umset zung der Beschlüsse, gepaart mit den üblichen Eifersüchtelei en und Missgunst im Kabinett. Währenddessen wartet das ganze Land auf eine rechtsverbindliche Verordnung, auf de ren Grundlage die Menschen im Land wissen, worauf sie sich in den nächsten Wochen einstellen müssen.

Die Landesregierung hat, wie immer, auf den letzten Drücker am Montag per Notverkündung die Verordnung erlassen. Die Menschen im Land hatten sage und schreibe knapp zwölf Stunden Zeit, die Maßnahmen entsprechend umzusetzen. Ich glaube, das ist kaum noch zu toppen. Irgendwann kommen wir an einen Punkt, an dem eine neue Verordnung mit sofor tiger Wirkung in Kraft tritt.

(Vereinzelt Heiterkeit – Zuruf: Genau!)

Unser Tipp: weniger Streit, vielleicht zur Abwechslung mal an einem Strang ziehen, wie man das von einer Regierung in so einer schweren Krise eigentlich erwarten können sollte.

(Beifall)

Um Ihnen das noch mal klar zu sagen: In einem demokrati schen Rechtsstaat können Sie das Land nicht per grün-schwar zem Fernduell, per Pressemitteilung oder Talkshowauftritt re gieren, sondern Sie müssen gemeinsam schneller, klarer und

verbindlicher kommunizieren. Wenn es etwas gibt, was die ses Land in dieser schweren Krise braucht, ist das politische Verlässlichkeit.

(Beifall)

Lassen Sie es mich kurz zusammenfassen: Die Maßnahmen, die hauptsächlich auf der Bund-Länder-Koordination beru hen, tragen wir, die SPD, im Wesentlichen mit. Angesichts der hohen Zahl von Neuinfektionen müssen wir unsere Kontakte so weit wie möglich beschränken. Wenn man Lockerungen vorsehen möchte, wie es jetzt die grün-schwarze Landesre gierung getan hat, sollte man natürlich aus unserer Sicht auch das Weihnachtsfest dem Silvesterfest vorziehen, auch wenn wir gern mit Familien und Freunden gemeinsam ins neue Jahr gefeiert hätten.