Protocol of the Session on October 30, 2020

Ich möchte, meine Damen und Herren, zu den Hilfen noch ei nen wichtigen Punkt ansprechen. Wichtig ist nämlich, die So loselbstständigen, die Kultur und die Veranstaltungswirtschaft in diese Hilfen aufzunehmen. Sie werden jetzt wesentlich stär ker berücksichtigt, als es bei den Überbrückungshilfen der Fall war. Das ist in meinen Augen sehr relevant; denn wenn der Kultur der Boden unter den Füßen weggezogen wird,

(Abg. Bernd Gögel AfD: Das ist doch schon der Fall!)

dann ist die Kultur weg, dann ist sie nicht mehr da.

Gerade Kulturschaffende in Baden-Württemberg haben hier in den letzten Jahren enorm viele Arbeitsplätze geschaffen. Sie bereichern das gesellschaftliche Leben. Sie sorgen für mehr gesellschaftliches Leben in den Städten. Sie sind Teil unserer Volkswirtschaft. Deswegen ist es wichtig, Kunst und Kultur stärker zu berücksichtigen.

Ich bin Staatssekretärin Olschowski dankbar, dass sie schon angekündigt hat, vonseiten des Landes über weitere Hilfen für diese Branche nachzudenken. Das ist sehr wichtig, meine Da men und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Andreas Kenner SPD)

Mir ist noch wichtig, Folgendes zu betonen: Die Gastrono mie, die Hotellerie, die Kulturbranche und auch die Sportstät ten haben in den letzten Wochen hervorragend mitgearbeitet. Viele haben vernünftige Hygienekonzepte umgesetzt. Das hat für viele auch dazu geführt, dass sie leider weniger Besucher hatten.

Aber es reicht eben nicht. Obwohl man ihnen größte Anerken nung und den größten Dank dafür überbringen kann, dass sie hervorragend mitgearbeitet haben, will ich an dieser Stelle sa gen: Die Maßnahmen sind dennoch notwendig. Der Minister präsident hat es dargelegt.

Während wir eine Zeit lang Infektionsketten noch gut auf be stimmte, auf einzelne Infektionsherde, auf einzelne Ereignis se zurückführen konnten, ist dies inzwischen oftmals nicht mehr möglich. Die Gesundheitsämter können die Infektions ketten nicht mehr in jedem Einzelfall vollständig nachvollzie hen. Es gibt einen sehr großen Anteil von Infektionen, bei de nen wir schlicht nicht wissen, wo sich die Menschen infiziert haben. 75 % der Ausbrüche können nicht mehr zugeordnet werden. Daher kann in meinen Augen das Motto nur lauten, Kontakte auf das absolute Minimum zu beschränken.

Damit trifft das Virus natürlich den Kern dessen, was Kunst und Kultur ausmachen. Wenn die Menschen in Restaurants gehen, ins Theater, ins Kino, nutzen sie dafür den öffentlichen

Nahverkehr, fahren sie zusammen mit dem Auto, treffen sie sich im Foyer, im Eingangsbereich vor der Kasse und nach der Veranstaltung vielleicht noch auf ein Glas Wein, oder sie treffen sich zu Hause; sie kommen ins Gespräch. Das sind ja alles höchst menschliche, ganz normale Dinge. Das ist im Grunde das Schöne, was unsere freiheitliche Gesellschaft aus macht: diese Begegnung, das Zusammenrücken, das Verabre den, das Miteinanderreden.

Aber all das – das ist die schreckliche, die nackte, die natur wissenschaftliche Wahrheit –, all diese Begegnungen begüns tigen die Ausbreitung des Virus.

(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Gedeon [fraktionslos])

Es greift genau bei dem an, woraus wir meist unsere größte Kraft schöpfen: in Geselligkeit, darin, uns nahe zu sein, im Zusammenkommen, sei es im Stadion, in der Sporthalle, im Theater, in den Restaurants oder Bars. Wenn man das so sa gen will: Das, was uns als Gesellschaft ausmacht – dass wir uns nahe sind –, das ist momentan das größte Risiko. Auch ein hervorragendes Hygienekonzept kann ein solches Risiko nur minimieren, aber nicht ausschließen.

Wir sind jetzt aber leider an dem Punkt angekommen, an dem wir versuchen müssen, das Risiko nicht nur zu minimieren, sondern auszuschließen. Dies gilt umso mehr, als wir be schlossen haben, Schulen und Kitas offen zu halten. Wenn wir das ernst meinen, dann müssen wir uns an anderer Stelle ein schränken. Das wird nur funktionieren, wenn wir jetzt alle miteinander diesen Weg gehen und solidarisch sind.

In anderen Ländern, Herr Kollege Rülke, in denen die FDP Regierungsverantwortung hat, geht sie diesen Weg mit. Ihr neuer Generalsekretär, der Wirtschaftsminister von RheinlandPfalz, Herr Wissing, geht diesen Weg mit, Herr Pinkwart, der Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, geht diesen Weg mit.

(Abg. Nicole Razavi CDU: Hört, hört!)

Da sieht man: Dort, wo die Menschen in Verantwortung sind, zeigen sie sich solidarisch. Deswegen fordere ich Sie auf, Ih ren zweiten Entschließungsantrag heute zurückzuziehen und mit uns diesen Weg des Miteinanders, der Solidarität zu ge hen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Ich habe davon gesprochen, wie wichtig es ist, dass Bildungs gerechtigkeit gegeben ist, dass das Bildungswesen funktio niert. Bildungsgerechtigkeit bedeutet für uns, sicherzustellen, dass Kinder und Jugendliche unabhängig davon, aus welchem Elternhaus sie kommen, unabhängig davon, welche finanzi ellen Ressourcen dort gegeben sind oder in welchem Umfang die Eltern im Homeoffice arbeiten können, gute Bildung er halten. Das steht für uns im Vordergrund. Die Situation darf auch weiterhin keinen Einfluss auf den Zugang zur Bildung haben.

Nur wenn wir jetzt gemeinsam handeln und uns alle ein schränken, können wir diese Bildungsgerechtigkeit weiterhin ermöglichen. Nur wenn wir jetzt gemeinsam handeln, können wir dafür sorgen, dass Menschen, die Risikogruppen angehö ren, bestmöglich geschützt werden.

Ich muss schon sagen: Wenn dann manche kommen und sa gen, man solle einfach auf das Alter abstellen, dann ist das, glaube ich, zu kurz gesprungen.

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Das Alter einer Person ist noch recht einfach als Kriterium auszumachen, aber das genügt eben nicht. Es gibt viele Men schen mit Vorerkrankungen, die jung sind, die möglicherwei se gar nichts von ihrer Vorerkrankung wissen. Wir können die se Menschen gar nicht bestimmen; das wissen wir ja gar nicht. Daher gilt es generell, vulnerable Gruppen, Risikogruppen zu schützen. Wir müssen aufpassen, dass diese Menschen nicht stärker vom Virus getroffen werden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Die Entscheidungen, die jetzt getroffen werden müssen, sind hart. Baden-Württemberg hat als erstes Bundesland beschlos sen, dass solche Maßnahmen nicht allein im Erlasswege ge troffen werden können, sondern dass sie in unserem Parlament debattiert werden müssen. Ich bin allen Kolleginnen und Kol legen, welche dieses Gesetz durch ihre Vorarbeit und ihre Stimme ermöglicht haben, sehr dankbar.

Wir haben hier ein leuchtendes Beispiel für funktionierenden Parlamentarismus. Wir werden daher in den nächsten Wochen in den Ausschüssen im Landtag und hier in diesem Plenum umfassend über die weiteren Maßnahmen beraten und debat tieren können. Hier ist der Ort, an dem wir die Öffentlichkeit informieren, an dem wir uns der Kritik stellen müssen und der Kritik stellen wollen.

Das, was sonst manchmal zäh und behäbig wirkt, die wochen langen Debatten, das Ringen um Kompromisse – sie sind ein hohes, ein elementares Gut. Sie sind das Wesen einer Demo kratie. Daher haben wir heute diese Sondersitzung des Parla ments. Herr Ministerpräsident, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie am Mittwochnachmittag die Fraktionsvorsitzenden darüber informiert und dieses Angebot ausgesprochen haben.

Wir werden in der kommenden Woche in einer weiteren Sit zung des Landtags und in einer öffentlichen Sitzung des Stän digen Ausschusses die Verordnungen beraten. Gerade im Stän digen Ausschuss werden alle Fachministerinnen und Fachmi nister die konkreten, auch kritischen Fragen und die Fragen, die, Herr Kollege Stoch und Herr Kollege Dr. Rülke, von den Abgeordneten Ihrer Fraktionen gekommen sind, beantworten.

Ich schlage vor, dass wir den kommenden Mittwoch, die nächste Plenarsitzung, nutzen, um über die Rechtsverordnung, die der Ministerpräsident vorhin in den Raum gestellt und an gekündigt hat, zu beraten. Ich glaube, das ist der richtige Ort, um die Meinung des Landtags zu dieser Rechtsverordnung aufzuzeigen. – Das ist also mein Vorschlag für den kommen den Mittwoch, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich bleibe dabei: Mit dem Pandemiegesetz sind wir in BadenWürttemberg Vorreiter. Ich habe gelesen, dass andere Bun desländer inzwischen in ähnlicher Weise ein Pandemiegesetz diskutieren, dass sie unser Gesetz vielleicht sogar gänzlich übernehmen wollen. Wir zeigen damit, dass der Landtag, das Parlament hier einbezogen ist. Dafür stehen wir heute hier ge

meinsam; denn nur in Gemeinsamkeit von Politik und Gesell schaft werden wir die Lage meistern können. Nur gemeinsam können wir die nationale Gesundheitsnotlage abwenden.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Fraktionsvorsitzenden Dr. Reinhart.

Frau Präsidentin, ver ehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Gefahr einer nationalen Gesundheitsnotlage besprechen wir heute. Wir haben eine Höchstzahl von Neuinfektionen. Deshalb geht es nun, wie der Regierungschef zu Recht gesagt hat, um Schnelligkeit, Ent schlossenheit und Konsequenz; es geht darum, Kontrollver luste zu vermeiden.

Daher danke ich jedem Kollegen und jeder Kollegin, die heu te so schnell zu dieser Sondersitzung gekommen sind. Der Landtag setzt damit ein starkes Zeichen, und wir machen deut lich: Das Parlament ist der Ort der öffentlichen, legitimieren den Debatte. Das haben wir bereits im März angeregt. Wir ha ben es übrigens auch mit beantragt; es war uns wichtig, dass wir hierüber debattieren können – auch wenn wir wissen, dass es hier um exekutives Handeln geht. Denn je länger die Pan demie anhält, desto stärker müssen wir auf das Gleichgewicht von Regierungshandeln und parlamentarischer Beteiligung achten. Dies haben wir immer vertreten, und darum geht es auch heute.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der SPD)

Denn damit füllen wir unser Pandemiegesetz mit Leben. Wir haben dieses Gesetz ja fraktionsübergreifend beschlossen; das ist ein Gesetz, mit dem wir die Parlamentarisierung der Co ronapolitik präzise, klug und, wie ich finde, auch verfassungs fest geregelt haben. Mit diesem Gesetz zeigt sich, dass wir hier in Baden-Württemberg die demokratiepolitischen Pionie re sind. Alle anderen versuchen uns derzeit zu kopieren, oder sie beginnen erst jetzt diese Diskussion. Wir haben bereits das, worüber andere jetzt erst allmählich zu diskutieren beginnen. Darauf, finde ich, können alle vier demokratischen Fraktio nen hier stolz sein – wir können stolz auf das sein, was wir damals verabschiedet haben.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der SPD)

Wir nehmen damit auch unsere Parlamentarierverantwortung in dieser ernsten Lage wahr. Eines will ich schon hinzufügen: Herr Kollege Gögel, Sie haben vorhin gesagt, wir würden hier nach Stuttgart beordert. Ich fühle mich nicht beordert.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Das ist unser Arbeits platz! – Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch: Selbstverständnis!)

Wir haben die Sitzung mit beantragt. Wir wollen, dass hier vor den Augen der Öffentlichkeit darüber offen diskutiert wird.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Bernd Gögel AfD: Über was denn?)

Sie sprachen vorhin auch von einem „Bild der Scheindemo kratie“. Ich will Ihnen sagen: Auch die 16 Regierungschefs, die Bundesregierung, die MPK sind demokratisch legitimiert. Das sind Regierungschefs, die durch die Wahl von Parlamen ten in ihr Amt gekommen sind. Das gibt es übrigens seit 1950. So zu tun, als sei das heute nur ein Schauspiel, halte ich der Ernsthaftigkeit dieser Situation gegenüber für überhaupt nicht angemessen.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP – Zuruf von der CDU: Sehr gut! – Abg. Thomas Blenke CDU: Abso lut richtig! – Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜ NE: Selbstverzwergung!)

Hier regiert auch kein RKI die Republik; im Gegenteil. Es wurde zu Recht gesagt: Die Beteiligung der Wissenschaft ist ein wichtiger Teil bei einer solchen Frage. Aber es geht auch darum, dass wir einen Rechtsstaat haben. Zu diesem Rechts staat gehören alle drei Gewalten:

(Zurufe von der AfD: Genau!)

die Exekutive, die Legislative und auch die Gerichte, die in dieser schwierigen Balance der Grundrechtseingriffe immer wieder beurteilen müssen, wo Ausgewogenheit, Verhältnis mäßigkeit gegeben ist oder auch nicht.

(Abg. Anton Baron AfD: Das wird alles kassiert, kann ich Ihnen jetzt schon garantieren!)