Dafür müssen Sie doch auch einen Zeitraum schaffen. Wir ha ben das Vertrauen, dass sie ihr Leben in der Freizeit, im Ver ein, zu Hause mit Freunden selbst gestalten können.
Ich frage mich, wann Sie den jungen Menschen beibringen und zutrauen wollen, über ein eigenes Zeitkontingent selbstständig zu bestimmen und ein eigenes Thema selbstgewählt zu bearbei ten, wenn Sie den ganzen Tag vorgeben – womöglich das ganze Leben lang.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Frau Ministerin Eisenmann, Sie ha ben auf meine Frage geantwortet: „Wir“ – damit meinen Sie die CDU – „haben einen weniger zentralistischen Ansatz als die FDP.“
Ich muss Ihnen durchaus zugestehen: Sie haben heute Mor gen einen ausgesprochenen Sinn für Humor, was das angeht.
Im Übrigen diskreditieren Sie das von der christlich-liberalen Koalition damals eingeführte Modell der offenen Ganztags schule.
Es sollte Ihnen schon zu denken geben, dass Sie ein Erfolgs modell von damals im Nachhinein schlechtreden. Denn erst die offene Ganztagsschule in Gesetzesform ermöglicht es den Schulen in unserem Land, den Ganztag inhaltlich entspre chend unterschiedlich zu füllen. Das hat nichts, aber auch gar nichts, Frau Ministerin, mit Zentralismus zu tun, sondern im Gegenteil: Wir Freien Demokraten stehen mit der offenen Ganztagsschule an der Seite der Schulen, der Kommunen, der Eltern, weil dezentral, je nach Ausgangslage vor Ort, indivi duelle Lösungen gefunden werden können. Für Wahlfreiheit und Flexibilität müssen Sie uns Freie Demokraten nicht über zeugen. Sie müssen sich vielmehr gegenüber Ihrem grünen Koalitionspartner durchsetzen. Das ist momentan das Prob lem in Baden-Württemberg.
Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Ak tuelle Debatte beendet und Punkt 1 unserer Tagesordnung er ledigt.
Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 für die Polizei in Baden-Württemberg und zur Änderung wei terer polizeirechtlicher Vorschriften – Drucksache 16/8484
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für In neres, Digitalisierung und Migration – Drucksache 16/8811
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Allge meine Aussprache eine Redezeit von zehn Minuten je Frakti on festgelegt.
Sehr geehrte Frau Präsi dentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Landesregie rung und die Koalitionsfraktionen legen heute zur abschlie ßenden Beratung ein Polizeigesetz vor, das sich in besonde rer Weise durch eine komplette Neustrukturierung und redak tionelle Überarbeitung und damit durch eine deutlich gestie gene Übersichtlichkeit, durch eine Anpassung an das europä ische Datenschutzrecht, an die Rechtsprechung des Bundes verfassungsgerichts und auch durch einige wenige neue Ein griffsbefugnisse für die Polizei auszeichnet.
Im Ergebnis haben wir deutliche Verbesserungen von daten schutzrechtlichen Standards für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, wir haben neue Grundrechtsstandards durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Ich kann sagen, dass das neue Polizeigesetz damit deutlich bürger freundlicher ist als alle seine Vorgänger, meine Damen und Herren.
Das steht für uns zentral im Kern. Ich sage das deshalb so deutlich, weil man in den letzten Wochen den Eindruck ge winnen musste, es handle sich hier um ein fieses Monster aus der Giftküche des Innenministers. Aber davon kann nun wirk lich keine Rede sein. Dort, wo man kritisch diskutieren muss, muss man es tun. Das haben wir getan.
Aber dass das gesamte Gesetz sozusagen ein Gesetz sei, das in einer Schieflage sei, kann nun wirklich nicht behauptet wer den. Wir haben uns das auch im bundesweiten Vergleich an geschaut. Was wir jetzt an Datenschutzstandards usw. festge schrieben haben, kann sich tatsächlich sehen lassen, meine Damen und Herren. Das ist für uns ein sehr wichtiges Ergeb nis.
In der Anhörung wurde der Vorwurf erhoben, der Gesetzent wurf sei möglicherweise verfassungswidrig. Die Opposition hat sogar behauptet, alle Sachverständigen hätten das Gesetz
(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Ja! Sehr richtig! – Abg. Thomas Blenke CDU: So ist es! Selektive Wahr nehmung!)
Es war so, wie es oft in einer Anhörung ist: Es gab unter schiedliche Experten- und Sachverständigenmeinungen. Na türlich gab es kritische Stimmen, natürlich sind die wichtig, und natürlich sind wir auch diesen Stimmen nachgegangen. Es gab aber mindestens ebenso viele Stimmen, die das Gesetz von Anfang an befürwortet haben, meine Damen und Herren.
Aufgabe des Gesetzgebers ist es, daraus jetzt – heute – in der finalen Beratung die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Wir, die Fraktion GRÜNE, verlassen uns selbstverständlich darauf, dass die Landesregierung einen verfassungsgemäßen Gesetzentwurf vorlegt. Das ist eine völlige Selbstverständ lichkeit, die wir gar nicht infrage stellen.
Wir haben aber dennoch die im Lichte der Anhörung vorge brachte Kritik noch einmal sehr gründlich diskutiert. Herr In nenminister, Sie wissen das. Wir haben uns große Mühe ge geben, den einzelnen Punkten nachzugehen, und haben ein Ergebnis, mit dem wir die vorgebrachten verfassungsrechtli chen Bedenken ausgeräumt haben. Wir folgen ihnen nicht. Man kann diese Auffassung haben, man muss sie aber nicht haben. Das ist nicht zwingend.
Auch das Justizministerium hat noch einmal ausdrücklich be stätigt – und dies als Verfassungsministerium –, dass das Ge setz keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Eben so hat der Landesbeauftragte für den Datenschutz, der sich ja sehr oft sehr kritisch zu Sicherheitsgesetzen äußert, zum wie derholten Mal auch nach der Anhörung bestätigt, dass er das Gesetz für verfassungsgemäß hält.
Ich könnte das jetzt noch erweitern. Es gibt eine ganze Reihe solcher Stellungnahmen. Das sind für eine Abwägung maß gebliche Fakten.
Ich will mich auf die strittigen Punkte konzentrieren. Zunächst zum Thema „Bodycam in Räumen oder auch in Wohnungen“: Es ist behauptet worden, das Land habe hier keine Gesetzge bungskompetenz, insbesondere nicht für Pre-Recording. Die ser Auffassung schließen wir uns nicht an, weil wir der Über zeugung sind, dass die Bodycam tatsächlich komplett in den Geltungsbereich der polizeilichen Gefahrenabwehr gehört und damit Ländersache ist.
Herr Kollege Binder, das sieht die SPD-geführte Landesregie rung in Mecklenburg-Vorpommern übrigens ebenso.
Dort wird nämlich die Bodycam mit Pre-Recording in Woh nungen eingesetzt, allerdings ohne Richtervorbehalt. Infor mieren Sie sich dort einmal. Dann werden Sie das feststellen.
Herr Kollege Dr. Goll, Nordrhein-Westfalen ist das erste Bun desland, wo – mit Zustimmung der FDP – die Bodycam in Wohnungen eingesetzt wird. In Mecklenburg-Vorpommern geschieht dies ohne Richtervorbehalt, in Nordrhein-Westfa len immerhin mit Richtervorbehalt. Uns also hier sozusagen die Verfassungswidrigkeit vorzuhalten, es aber dort, wo man selbst regiert, anders zu tun, ist auch nicht gerade sehr glaub würdig, meine Damen und Herren.
Wir haben, glaube ich, bei der Bodycam eine gute Lösung prä sentiert, bei der das dringende polizeiliche Erfordernis, in Clubs, in Geschäftsräumen oder auch in Wohnungen agieren zu können, mit dem sensiblen Grundrecht auf den Schutz der Wohnung in angemessener Weise verbunden wird. Selbstver ständlich genießt dieses Grundrecht einen hohen Schutz. Des wegen haben wir es auch an besonders hohe Voraussetzungen geknüpft. Es muss um eine dringende Gefahr gehen, und die Gefahr muss sich gegen Leib oder Leben richten. Es gibt auch einen Richtervorbehalt, wenn Einwände gegen die Verwer tung der Aufnahmen erhoben werden sollten. Ich glaube, das ist ein angemessener rechtsstaatlicher Ausgleich.
Wir haben zusätzlich vereinbart, dass diese Maßnahme zum 31. Dezember 2021 einer gründlichen und kritischen Evalua tion unterzogen wird. Ich glaube daher, dass wir das vorschla gen können.