Protocol of the Session on April 29, 2020

(Heiterkeit)

Marquis Posa, der gesagt hat:

Des langen Schlummers Bande wird er brechen. Und wie derfordern sein geheiligt Recht.

Die Freiheitsrechte des Menschen. Und daran müssen wir uns orientieren.

Herr Ministerpräsident, Sie sagen, Sie orientierten sich an der Wissenschaft. An welcher? Sie haben in Ihrer heutigen Regie rungserklärung gesagt, herausragende Experten würden Sie beraten. Gut. Dann frage ich mich, wie das mit der Masken pflicht gelaufen ist – eine Maskenpflicht jetzt, nachdem sich die Zahl der Infizierten halbiert hat. Jetzt beschließt man eine Maskenpflicht, die man über Wochen hinweg nicht beschlos sen hat, weil es nicht genügend Masken gab. Jetzt will man aber handeln, beschließt die Maskenpflicht, hat aber noch im mer nicht genügend Masken. Und das Problem löst man dann mit dem Satz: „Ein Schal tut es auch.“

Herr Ministerpräsident, welcher „herausragende Experte“ hat Ihnen gesagt, dass auch ein Schal reiche? Es gibt ja ein paar Experten, die da so unterwegs sind und die auch von Ihnen zi tiert werden. Herr Drosten z. B. sagte am 30. Januar 2020: „Mit Gesichtsmasken kann man das Virus nicht aufhalten.“

Generaldirektor Adhanom von der Weltgesundheitsorganisa tion – die meisten schätzen sie; der US-Präsident weniger, aber die meisten anderen – sagte am 6. April 2020: „Masken können Covid-19-Ausbreitung nicht stoppen.“ Und Weltärz tepräsident Frank Ulrich Montgomery sagte sogar: „Was will man gegen den Überbietungswettbewerb föderaler Landespo

litiker tun? Rationale Argumente helfen da nicht.“ Diese Mas kenpflicht sei lächerlich.

Ich sage nicht: Ich bin nicht gegen die Maskenpflicht. Ich sa ge nur: Wer eine Maskenpflicht beschließt, muss sie begrün den und muss auch dafür sorgen, dass ausreichend Masken zur Verfügung stehen. Und wer dann, Herr Ministerpräsident, sagt: „Ein Schal tut es auch“ und in seiner Regierungserklä rung behauptet, er werde von herausragenden Experten bera ten, soll mal im Landtag von Baden-Württemberg erklären, welcher herausragende Experte ihm das mit dem Schal gesagt hat.

(Beifall)

Bei der Gesichtsmaske müssen wir aufpassen, dass sie nicht zum Gesslerhut dieser Krise wird und es nicht so kommt, wie Marx in Ergänzung von Hegel einst gesagt hat:

Weltgeschichtliche Ereignisse ereignen sich zweimal: erst als Tragödie und dann als Farce.

Die Zerstrittenheit in Ihrer eigenen Koalition, Herr Minister präsident, ist aber schon der zweite Teil von Marx, nämlich die Farce. Beispielsweise hören Sie von Ihrem Tourismusmi nister: „Es ist notwendig, dass wir etwas für den Tourismus tun.“ Ich teile diese Auffassung. Von Ihrer Kultusministerin hören Sie dann: „Dafür brauchen wir ein Programm.“ Sie sagt in ihrer Funktion als Spitzenkandidatin der CDU dann auch, wie dieses Programm ausgestaltet sein muss. Und die Grünen wiederum stehen auf der Bremse. Geschlossenheit in einer Regierung sieht anders aus.

Ich würde mir auch wünschen, dass man alle Branchen in den Blick nimmt, denen man diese Schließung nach wie vor zu mutet.

(Beifall)

Das sind neben den Gastronomen – wir lesen heute bei dpa, der Cannstatter Wasen im Herbst sei jetzt schon abgesagt – auch die Schausteller oder auch der Messebau. Das sind die eigentlichen Opfer dieser Krise.

Etwas eigenartig ist es – jetzt komme ich wieder auf Ihre Freundschaft zurück, den Klub der Umsichtigen mit Frau Merkel und Herrn Söder –, wenn der umsichtige Herr Söder, der sich in der Coronabekämpfung ja als härtester Hund von allen profiliert, Ihnen nur bei der Schulöffnung ausbüxt. Da war er schneller; da sind wir zusammen mit den Saarländern die Letzten. Also das Saarland ist jetzt offensichtlich noch die Benchmark für Baden-Württemberg.

Herr Söder erklärt nun, er könne sich vorstellen: Fußballbun desliga im Mai. Wie passt das zusammen? Einer, der der här teste Schließungshund der Republik ist, will im Mai wieder Fußballbundesliga zulassen. Ein Zweikampf im Fußball ist möglich. Nicht möglich aber ist, dass Amateursportler Leicht athletik betreiben, Tennis spielen, segeln, golfen. Sie müssen uns einmal erklären, inwieweit ein Spiel der Fußballbundes liga mit Zweikämpfen weniger gefährlich sein soll als ein Ten nismatch oder als Leichtathletik.

(Beifall)

Auf dieselbe Widersprüchlichkeit stößt man beim Thema Kir chen. In der vergangenen Woche haben Sie erklärt: „Kirchen, gefährlich – ältere Personen, vulnerable Gruppen. Außerdem wird gesungen, dabei werden Tröpfchen ausgestoßen, eine In fektion ist möglich.“ Ich dachte, die Schlussfolgerung ist: Die Kirchen bleiben bis zum Ende geschlossen. Aber Ihre Schluss folgerung ist: Die Kirchen werden in der nächsten Woche ge öffnet. Und Mundschutz ist freiwillig. Aber die Gastronomie bleibt geschlossen.

Sie müssen mir einmal erklären, Herr Ministerpräsident, in wieweit ein Kirchenbesuch weniger gefährlich sein soll als der Besuch der Außengastronomie in einem Biergarten. Da fehlt einfach die Abwägung, meine Damen und Herren.

(Beifall – Zurufe)

Man könnte weitermachen mit Kindern, sowohl in den Schu len als auch in den Kitas. Das wurde ja auch schon angespro chen. Auch da gibt es natürlich soziale Kosten dieser Politik. Sie haben ja die E-Mails, die Sie aus der Bevölkerung bekom men, selbst angesprochen – von den Leuten, die zu Hause sind und nicht wissen, wie sie ihren Arbeitsalltag organisieren sol len, wenn die Kinder nicht in der Schule und nicht in den Ki tas sind. Es gibt das Problem der häuslichen Gewalt.

Deshalb, glaube ich, reicht es nicht, zu sagen: „Das machen wir vielleicht irgendwann nach Pfingsten.“ Der Präsident des Kinderschutzbunds, Hilgers, sagt: „Kinder brauchen ganz dringend andere Kinder.“ Und Bundesfamilienministerin Gif fey sagt: „Kinder brauchen Bewegung.“ Das ist auch der Grund, warum in Berlin die Spielplätze öffnen. Und das ist der Grund, warum in den Niederlanden die Schulen wieder öffnen – weil man sich auf Forschungsergebnisse beruft, wo nach es geringere Infektionsraten bei Kindern gibt.

Nun kann man sagen: „Die Kinder können aber Viren über tragen und die Älteren anstecken.“ Aber, Herr Ministerpräsi dent, fragen Sie mal nach bei Professor Henneke, dem ein schlägigen Experten für diesen Bereich an unserem Univer sitätsklinikum in Freiburg. Er sagt: „Es gibt auch eine gerin gere Ansteckungsfähigkeit von Kindern.“

Nun gibt es eine Studie, die Sie in Auftrag gegeben haben. Er gebnisse haben Sie für Mai angekündigt. Ich hoffe, die kom men bald. Und ich hoffe, dass Sie dann auch die Überlegung überdenken, zu sagen: „Kitas geht nicht, weil sich die Kinder nahekommen.“ Ich habe die herzliche Bitte, dass Sie eine an dere Regelung treffen als bei den Schulen, nämlich dass Sie sich während der Laufzeit dieser Studie schon darauf einstel len, die Kitas zu öffnen, sodass wir nicht auch bei den Kitas mit den Saarländern wieder die Letzten sind und uns Söder die lange Nase macht, meine Damen und Herren.

(Beifall)

Es gibt vieles, worüber man an dieser Stelle noch diskutieren könnte, beispielsweise über die Notwendigkeit, dass das Par lament die Regierung kontrolliert. Ich hatte – ich kann das an dieser Stelle ausdrücklich sagen, Herr Ministerpräsident –, ähnlich wie der Kollege Stoch, immer den Eindruck, dass es Ihr Ziel in dieser Krise gewesen ist, die Opposition zu infor mieren und nach Möglichkeit auch mitzunehmen.

Ich unterstelle Ihnen als Regierungschef ausdrücklich nicht das Bestreben, die Krise zu nutzen, um am Parlament vorbei Fakten zu schaffen. Das gilt aber nicht für alle Mitglieder Ih rer Landesregierung. Wenn beispielsweise der Innenminister versucht, die Gemeindeordnung auf dem Verordnungsweg zu ändern, oder wenn der Sozialminister an einem Montagnach mittag etwas zur Separierung in Pflegeheimen beschließt, er fährt man das am selben Montagnachmittag schon aus der Presse, und am Dienstag beschließt es das Kabinett. So geht man mit gewählten Institutionen nicht um, meine Damen und Herren.

(Beifall)

Im Bereich des Wirtschaftsministeriums war eine gewisse Lernfähigkeit vorhanden. Man kann dem Ministerium auch zubilligen, dass die Umsetzung dieser ganzen Hilfen nicht ganz einfach gewesen ist. Aber es gibt schon eine Vielzahl von, sage ich jetzt mal, Maßnahmen, bei denen man ein biss chen die Stirn runzeln muss und wo dann nachgebessert wer den musste – Antragsberechtigung für landwirtschaftliche Ur produktion, Antragsberechtigung von Selbstständigen, erst ein Drittel des Haushaltseinkommens, dann ein Drittel des Net toeinkommens, am Schluss schließlich 50 % des Gesamtein kommens, Antragsberechtigung von Weingütern, die nach trägliche Berücksichtigung von Start-ups, Rückgriff auf Pri vatvermögen – ja oder nein? –, Antragsvoraussetzung am En de dann eben nur ein Liquiditätsengpass, und die 1 180-€-Re gelung, die am Anfang unklar war, während man sich jetzt am Bund orientiert. Ich verweise weiter auf die Frage „Öffnen wir an Osterfeiertagen die Supermärkte oder nicht?“ Ja, und das Meisterwerk war die Regelung mit den 800 m2, die Sie, Herr Ministerpräsident, bis zum heutigen Tag verteidigen.

Herr Abg. Dr. Rülke, las sen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Röhm zu?

Bitte schön. Ich freue mich immer, wenn ein Bildungsexperte zum Thema Wirtschaft redet.

Vielen Dank, Herr Kolle ge Rülke. – Ich habe Ihnen und vor allem Herrn Kollegen Stoch höchst aufmerksam zugehört. Und ich gestehe gern ein, dass ich Ihnen in 80, 85 % Ihrer Ausführungen ausdrücklich recht gebe.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Jetzt geht es um Folgen des. Was fehlt? Sie sagten: „Man hätte sollen“, „Man hätte müssen“, „Es reicht nicht.“ Können Sie bitte mal – und viel leicht auch Herr Stoch, wenn er noch Redezeit hat – konkret benennen, wann, in welcher Abfolge Sie die Schulen geöffnet hätten, wann Sie die Kindertageseinrichtungen geöffnet hät ten, wann Sie die Biergärten geöffnet hätten? Sie als Vertre ter der Opposition können einen Zustand beschreiben, aber wir und die Regierung müssen Entscheidungen treffen.

(Vereinzelt Beifall)

Deswegen ist es mir zu wenig, wenn Sie nur sagen: „Man könnte“, „Man hätte sollen“, „Es reicht nicht.“ Ich bitte um

konkrete Benennung, wann die Öffnung hätte geschehen müs sen. Ob wir die Ersten oder die Letzten sind, die die Schulen wieder öffnen, ist völlig irrelevant. Entscheidend ist, ob wir den richtigen Zeitpunkt getroffen haben.

Ich habe die Frage verstanden, Herr Kollege.

Davon gehe ich aus.

(Beifall)

Ich kann die 85 % zitieren, bei denen Sie mir recht geben.

(Abg. Nicole Razavi CDU: 80 % waren es!)

85 % waren es, Frau Kollegin Razavi. Nicht so naseweis! Das gehört sich gegenüber einem älteren Kollegen nicht.

Die Antwort ergibt sich aus der Logik dessen, was die Lan desregierung begründet. Die Begründung war immer: „Es muss sichergestellt sein, dass wir das Infektionsgeschehen in einer Art und Weise kontrollieren können, dass das Gesund heitssystem nicht über seine Grenzen hinauskommt.“ Und die Zahlen habe ich vorgetragen. Die Frage ist einfach zu beant worten. Die Antwort heißt: Jetzt, Herr Kollege Röhm, ohne Verzug. Es ist Zeit.

(Vereinzelt Beifall)

Kommen wir also zu Ihrem Meisterstück, der 800-m2-Rege lung. Marx würde sagen: Da gab es keine Tragödie, sondern nur eine Farce. Es kann wirklich keinem vernünftigen Men schen einleuchten, dass ein Einzelhändler mit einer Verkaufs fläche von 799 m2 öffnen darf, während derjenige mit 801 m2 das nicht darf. Und es wird dann zur Realsatire, wenn man in den Ausführungsbestimmungen liest, dass z. B. Windfänge, Bedienungstheken und Standflächen angerechnet werden, nicht aber Warenlagerungsflächen, Flächen für Einkaufswagen und Flächen vor Notausgängen. Da würde ich als Einzelhändler dann sagen: „Ich habe einen Riesennotausgang.“ Die Aufga be der Kommunalen ist es dann, die Einhaltung dieser Bestim mungen zu überprüfen.

Die Begründung lautet: Wir orientieren das Ganze an der Bau nutzungsverordnung. Also, es gibt sicher manche nachvoll ziehbare Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie. Maß nahmen nach der Baunutzungsverordnung zählen aber eher nicht dazu.

Stellen Sie sich mal die Frage, wie viele Einzelhändler eine Verkaufsfläche von über 800 m2 haben. Das sind etwa 10 %. Es passt nicht zu Ihrer Argumentation, zu sagen: „Wir wollen verhindern, dass die Innenstädte wieder volllaufen“, wenn Sie 10 % ausschließen. Im Gegenteil, es ist doch sehr viel nahe liegender, zu sagen: Wir orientieren das Ganze an der Quad ratmeterzahl eines Ladens, legen fest, dass die Abstandsrege lungen und die Hygienevorschriften einzuhalten sind, und rechnen das dann vielleicht auf die maximale Zahl der Kun den um. Das ist etwas, was die Bürger verstehen,