Protocol of the Session on May 14, 2014

Ziel sei,

so hatte sie eingangs gesagt –

dass 80 bis 90 % der... Sonderschüler wechseln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob in Oppositionszeiten oder in der Zeit, in der sie an der Regierung beteiligt sind, die Grünen haben sich in Wahrheit nie von ihrem eigentlichen Ziel verabschiedet, nämlich mittel- bis langfristig die Sonder schulen in Baden-Württemberg abzuschaffen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Glocke der Präsidentin)

Herr Abgeordneter, ge statten Sie eine Zwischenfrage des Abg. Poreski?

Wenn ich am Ende noch Zeit habe. Herr Poreski, Sie hatten bereits die Gelegenheit, zu verteidigen, was nicht zu verteidigen ist.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Das haben wir auch deutlich gesehen, als die Expertenkom mission zur Lehrerbildung unter der Grünen Sybille Volkholz nicht nur den Einheitslehrer auf Gymnasialniveau, sondern auch die Abschaffung des Lehramtsstudiengangs Sonderpäd agogik forderte.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Oje!)

Nur aufgrund des massiven Protests vonseiten der Lehrer und Eltern

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

sowie der Opposition hat die grüne Wissenschaftsministerin hier in Baden-Württemberg einen – wenn auch nur taktisch bedingten – Rückzieher gemacht.

Mit dem Inklusionspapier zur Kommunalwahl zeigen die Grü nen nun wieder einmal ihr wahres Gesicht. Deutlicher kann man es im Grunde kaum ausdrücken.

(Zuruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)

Die Kollegin Dr. Stolz hat es bereits vorgetragen. Ich zitiere es noch einmal:

Die sogenannten Schulkindergärten und Sonderschulen sind mit Artikel 24 und dem Diskriminierungsverbot des Artikels 5 UN-BRK nicht vereinbar. Sie sind eine päda gogische Fehlentwicklung.

Für das, was Sie eine pädagogische Fehlentwicklung nennen, nämlich die Sonderschulen, also die Förderschulen, Schulen für Erziehungshilfe, für Blinde, für Sehbehinderte, für Hörge schädigte, für Sprachbehinderte, für geistig Behinderte, für Körperbehinderte, mussten die betroffenen Menschen in frü heren Zeiten kämpfen! Die Sonderschulpflicht, die sich heu te in der Tat überlebt hat, war damals eine Errungenschaft für die Menschen mit Behinderungen, die überhaupt erst so et was wie eine eigene Bildung begründete. Eine Abschaffung des Sonderschulwesens oder die „Auflösung“ – wie die Grü nen es nennen – würde ein in einzigartiger Weise ausdifferen ziertes Schulangebot und damit unzählige Bildungschancen für Menschen mit Behinderungen zugunsten einer ausschließ lich ideologisch begründeten Einheitslösung zerstören.

Wir können die Menschen in Baden-Württemberg nur davor warnen: Verlassen Sie sich nicht darauf, dass auch in diesem Fall der Ministerpräsident seine grüne Mannschaft zurück pfeift, wenn wieder einmal die Gefahr für ihn besteht, dass die wahre grüne Politik die potenziellen Wähler aus dem bür gerlichen Spektrum abschreckt. Bei diesen durchsichtigen Manövern weiß man wirklich nicht, was man schlimmer fin den soll: den Kreuzzugseifer der Grünen gegen die Sonder schulen oder ihr Pharisäertum, wenn sich dieser Kreuzzugsei fer gerade nicht als opportun erweist.

Aus Sicht der FDP/DVP sind die Sonderschulen in BadenWürttemberg unverzichtbarer Bestandteil des differenzierten Bildungssystems. Das Expertentum auf dem Gebiet der Son derpädagogik ist für uns im Interesse der betroffenen Men schen unverzichtbar. Wer die Sonderschulen in Baden-Würt temberg abschaffen will, der schränkt die Wahlfreiheit ein. Das ist für uns Liberale nicht hinnehmbar. Wer so etwas um setzen will, der wird auf den engagierten Widerstand der FDP/ DVP-Landtagsfraktion stoßen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Stoch das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Heute Morgen haben wir Gelegenheit, über das für unsere Gesell schaft, aber gerade auch für das Bildungssystem in BadenWürttemberg sehr wichtige Thema Inklusion zu sprechen.

Gestatten Sie mir, dass ich zu Beginn dieser Ausführungen darauf hinweise, dass ich den Eindruck habe, dass alle Frak tionen in diesem Haus bereit und gewillt sind – das freut mich –, Inklusion in verantwortlicher Weise umzusetzen. Deshalb sollten wir am Anfang nicht das künstlich Trennende, sondern das uns Verbindende hervorheben. Ich glaube, dass wir es den Menschen mit Behinderungen und den Menschen ohne Be hinderungen schuldig sind, dass dieses Land endlich eine in klusive Grundverfassung, ein inklusives Grundverständnis und damit auch Inklusion in unseren Schulen bekommt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Frau Kollegin Dr. Stolz, man ist immer wieder verwundert darüber, dass auf der einen Seite dann, wenn Veränderungen angestoßen werden, die seit vielen Jahren überfällig sind, von „Chaos“, von „zu schnell“, von „zu viel auf einmal“ gesprochen wird und dass, wenn man auf der anderen Seite Dinge behutsam und mit Bedacht an geht, um die Strukturen auf die entscheidenden Veränderun gen, die mit der Inklusion einhergehen, vorzubereiten, von „Stillstand“ die Rede ist.

(Abg. Volker Schebesta CDU: Wenn man seine eige nen Zielsetzungen und Termine nicht einhält!)

Dabei wissen Sie genau, dass dies nicht richtig ist.

Seit mehreren Jahren und mit zunehmender Tendenz wird in Baden-Württemberg versucht, über die Schulämter, die Schul verwaltungen Inklusion in allen Schularten möglich zu ma chen. Dies ist bereits gängige Praxis in Baden-Württemberg. Kollege Dr. Fulst-Blei hat darauf hingewiesen, dass gerade auch durch die schulgesetzlichen Änderungen, die im Zusam menhang mit der Einführung der Gemeinschaftsschule stehen, deutlich wird, dass Inklusion und damit auch das zieldifferen te Lernen im Schulsystem von Baden-Württemberg Schritt für Schritt verankert werden sollen.

Deswegen kann es auch nicht verwundern, dass allein an den Gemeinschaftsschulen, an denen bereits knapp 8 000 Schüler lernen, über 600 Schüler mit sonderpädagogischem Förder bedarf inklusiv unterrichtet werden. Das sind vorzeigbare Zahlen. Diese werden in den nächsten Jahren selbstverständ lich noch deutlich steigen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU)

In diesem Zusammenhang werden wir natürlich auch die grundsätzliche Frage zu diskutieren haben, was für das Fort kommen eines Kindes mit Behinderung, mit einem konkreten sonderpädagogischen Förderbedarf die richtige Lernatmo sphäre, der richtige Lernzusammenhang ist.

Wie wir den Vorabveröffentlichungen der beiden Studien, die in dieser Woche vorgestellt werden – eine wurde von der Kul tusministerkonferenz in Auftrag gegeben, die andere vom Bundesbildungsministerium –, entnehmen können, gibt es

wohl ein deutliches Signal dafür, dass gerade Kinder mit dem Förderschwerpunkt Lernen, also lernbehinderte Kinder, von einem inklusiven Unterricht an einer Regelschule in besonde rem Maß profitieren.

Ich bitte uns alle, jenseits jeglichen parteipolitischen Denkens zu überlegen, wie wir diese Forschungsergebnisse aufnehmen und was sie für unsere politische Arbeit bedeuten, also wie wir in Zukunft mit Kindern mit sonderpädagogischem För derbedarf in den unterschiedlichen Bereichen verantwortlich umgehen wollen, wie wir gemeinsam mit den Eltern die Vor aussetzungen dafür schaffen wollen, dass diese Kinder – und zwar in der Sonderschule oder in der Regelschule – eine op timale Förderung bekommen. Das muss unser gemeinsames Ziel sein.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Deswegen darf ich für die Landesregierung und auch für die beiden Regierungsfraktionen ganz deutlich klarstellen, dass wir, wenn wir von einem Wahlrecht für Eltern sprechen, so wohl von einer leistungsfähigen Struktur im Bereich der be währten Sonderschulen ausgehen als auch von einer Struktur, die in zunehmendem Maß an unseren Regelschulen – und zwar in hoher Qualität mit entsprechender personeller, räum licher und sächlicher Ausstattung – auch sonderpädagogische Förderung ermöglichen muss. Wer dieses Wahlrecht ernst nimmt, ist geradezu dazu verurteilt, beides in hoher Qualität vorzuhalten. Diese Landesregierung hat diese Zusage gege ben und wird sie auch einhalten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dabei wird es Auf gabe aller Schularten sein, sich des Themas Inklusion anzu nehmen. Sie wissen, dass wir bereits heute, gerade in einer Si tuation des Übergangs – wir werden diese Situation noch ei nige Monate und Jahre haben –, immer wieder darauf hinwei sen müssen, dass Inklusion, und zwar bezogen auf die ver schiedenen Behinderungsarten und den damit einhergehenden Förderbedarf, für alle Schularten eine Verpflichtung darstellt.

Da kann es nicht sein, dass wir eine Schwarz-Weiß-Diskussi on zulassen, die sinngemäß besagt, dass ein geistig behinder tes Kind, weil es den Bildungsabschluss in einer bestimmten Schulart voraussichtlich nicht erreichen wird, an einer solchen Schule grundsätzlich nicht beschult werden kann. Da gilt eben auch das, was ich als „Politik der ruhigen Hand“ bezeichnen möchte: Wir müssen vor Ort personell, sächlich und räumlich die entsprechenden Strukturen schaffen, damit dieses Kind an einer solchen Schule tatsächlich eine optimale Förderung er halten kann. Das muss eine Leitlinie unserer Politik sein, und diese werden wir auch einhalten.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Auf dieser Strecke, in dieser Übergangsphase bis zur Ände rung des Schulgesetzes zum Schuljahr 2015/2016 sind wir ge halten, gute Voraussetzungen zu schaffen, um diesen schritt weisen Aufbau inklusiver Bildungsangebote zu verwirklichen.

Beispielsweise sind heute Nachmittag Vertreter aller Schul ämter zu einer Dienstbesprechung im Kultusministerium, um genau über dieses Thema zu sprechen, um zu erfahren, was der aktuelle Stand ist, was die Inklusionswünsche für das kommende Schuljahr und die Voraussetzungen an unseren

Schulen sind, welche Angebote wir schon heute den Eltern machen können und welche zusätzlichen – auch personellen – Ausstattungen notwendig sind, um bereits im nächsten Jahr einen deutlichen Schritt weiterzukommen.

In diesem Zusammenhang möchte ich ganz deutlich sagen: Aus Sicht der Regierungsfraktionen und der Landesregierung ist es richtig, mit 200 zusätzlich einzustellenden Sonderpäd agogen zum neuen Schuljahr einen deutlichen Schritt weiter zugehen. Die Schulverwaltung braucht diese Lehrer, damit wir Inklusion im Land auch zur Realität werden lassen kön nen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Dabei wird immer eine ganz wichtige Rolle spielen, dass wir im jeweiligen Einzelfall die richtige Lösung vor Ort finden. Denn die Voraussetzungen vor Ort sind ganz unterschiedlich. Wenn jemand behauptet, dass durch die Änderung des Schul gesetzes quasi ein Knopf gedrückt würde, wodurch sich dann alle Probleme von selbst lösten, irrt er sich gewaltig. Auch dann, wenn die Sonderschulpflicht aus dem Schulgesetz ent fernt wird, wird noch die Notwendigkeit bestehen – diese Not wendigkeit wird es immer geben –, das richtige Bildungsan gebot zu finden, und zwar in enger Abstimmung zwischen Schulen, Schulverwaltung und Eltern. Nur das ist verantwort liche Politik.

Da wird es auf absehbare Zeit kein absolutes Elternwahlrecht geben können. Denn wir werden immer auch die Frage stel len müssen: Ist an der jeweiligen Schule in einem entspre chenden pädagogischen Kontext die Förderung eines betrof fenen Kindes möglich? Da müssen wir, die Regierung, auch hinstehen – Frau Stolz hat das auch eingefordert –, um zu sa gen, was nicht gehen wird. Wir werden nicht – das zeigen auch die Erfahrungen in den anderen Bundesländern – flächenmä ßig Einzelinklusion darstellen können. Das ist aus Ressour cengründen nicht möglich; das ist vor allem aber auch aus pä dagogischen Gründen nicht sinnvoll, wie uns alle Studien zei gen.

Deswegen wird sowohl in der Übergangsphase als auch nach der Änderung des Schulgesetzes die Lösung darin liegen, dass wir gute pädagogische Konzepte in gruppenbezogenen Lö sungen an Schulen anbieten werden, die dafür personell, räumlich und sächlich ausgestattet sind. Das ist verantwortli che Inklusion, die diese Landesregierung umsetzen wird.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube, es dürf te auch klar sein: Niemand von uns weiß, wie sich die Eltern in zehn, in 15 oder in 20 Jahren angesichts dieser Wahlfrei heit entscheiden werden. Aber wir wissen ganz sicher, dass wir, solange eine Doppelstruktur besteht – ich gehe davon aus, dass dies noch lange der Fall sein wird –, auch erhebliche Mehraufwendungen haben werden.