Protocol of the Session on February 26, 2014

(Abg. Georg Wacker CDU: Genau!)

ein Misstrauen dahin gehend, dass die Bürgerinnen und Bür ger die grünen bzw. grün-roten – wobei das Rot in diesem Zu sammenhang etwas verblasst – Duftmarken im Bildungsplan nicht ganz so großartig finden wie ihre Paten in der Landes regierung. Die biegen sich ihre Welt wiederum zurecht, indem sie sich in aufklärerischer Absicht wähnen – so, als wüssten die Menschen draußen im Land nur noch nicht, was in Wahr heit gut für sie ist.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Boser?

Am Ende sehr gern. – Aus druck dieser Überheblichkeit im ersten Konzeptionsentwurf für den Bildungsplan sind die Leitprinzipien. Principium kommt aus dem Lateinischen und heißt auf Deutsch Anfang, Ursprung, also das, was allem anderen voransteht wie ein übergeordnetes Gesetz.

Die fünf Leitprinzipien sind: berufliche Orientierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Medienbildung, Prävention und Gesundheitsförderung, Verbraucherbildung.

Ganz offensichtlich sind dies – mit einer Ausnahme – Quer schnittsanliegen der Bildung allgemein, die ganz selbstver ständlich auch jetzt schon im Unterricht an den baden-würt tembergischen Schulen verfolgt werden. Mit der nachhaltigen Entwicklung kommt noch eine grüne Duftmarke hinzu.

Man fragt sich nun, warum diese Querschnittsanliegen in ei nen so prominenten Rang gehoben werden, und warum gera de diese und nicht vielmehr andere wie beispielsweise Tole ranz, Respekt, Fairness im Umgang miteinander. Durch Ihren

missglückten Versuch, die sexuelle Vielfalt bei den Leitprin zipien mit zu verankern, wurde besonders augenfällig, dass das Herausgreifen und prominente Platzieren von einzelnen Themen sich als Vorgehen bei einem Bildungsplan verbietet, der den Anspruch hat, junge Menschen zu kritischem und ei genständigem Denken und Handeln in einer toleranten Ge sellschaft zu erziehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Die Bürgerinnen und Bürger haben ein sehr feines Gespür da für, wenn man ihnen einen „Gesinnungslehrplan“ vorsetzen will, wie es die FAZ-Redakteurin Heike Schmoll sehr treffend formuliert hat.

Deshalb fordert die FDP/DVP-Landtagsfraktion: Verzichten Sie auf die Leitprinzipien, und kehren Sie zu einem Bildungs plan der Mündigkeit und der Eigenverantwortung zurück. Trauen Sie den Lehrerinnen und Lehrern, den Eltern und den Schülerinnen und Schülern im Land etwas zu. Sie haben es verdient.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Kollegin Boser, bitte.

Danke, Herr Kollege Kern, dass Sie die Frage zulassen. Ich möchte Sie fragen: Kennen Sie den Beirat der Bildungsplankommission?

Sind Sie Mitglied des Beirats der Bildungsplankommission?

Ich bin eingeladen worden; jawohl.

Haben Sie jemals teilgenom men am Beirat der Bildungsplankommission?

Einmal gab es eine Termin schwierigkeit, weshalb ich nicht teilnehmen konnte. Insofern, nein, ich habe nicht teilgenommen. Aber selbstverständlich lasse ich mich über diese Ergebnisse informieren. Im Übrigen war die FDP durchaus bei diesen Sitzungen vertreten.

Aber Sie waren selbst nicht an wesend?

Ich war selbst nicht anwe send.

Danke.

(Vereinzelt Beifall – Abg. Georg Wacker CDU: Aber das Protokoll hat er gelesen!)

Danke schön. – Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Stoch das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es ist nicht immer ganz einfach, hier im Parlament Anträge und Stel lungnahmen zu behandeln, die aus dem letzten Jahr stammen. In diesem Fall war es der 8. April 2013; es geht um das The ma „Onlineportal zur Bürgerbeteiligung bei der Bildungsplan arbeit“.

Ich möchte ein paar grundsätzliche Anmerkungen vorweg schicken und dann konkret zur Frage der Beteiligung am Pro zess der Bildungsplanreform etwas sagen.

Die Beteiligung der Menschen in Baden-Württemberg – Herr Kollege Kern, ich glaube, da liegen Sie weit weg von der Re alität – ist aus Sicht der Landesregierung eine wichtige Res source für moderne Politik und für modernes Verwaltungs handeln. Die Betroffenen verfügen aus unserer Sicht über Wis sen, über Einsichten, die das politische System gerade nutzen sollte, um nachhaltige und auch akzeptierte Entscheidungen treffen zu können.

Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes erwarten zu Recht, sich aktiv in das gesellschaftliche und politische Leben auf al len Ebenen einbringen zu können. Diese Erwartung, vor al lem der politisch aktiven Menschen, nimmt immer mehr zu.

Die Landesregierung freut sich daher grundsätzlich über die se Entwicklung und arbeitet intensiv daran, die verschiedenen Beteiligungsformen und Möglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land weiter auszubauen, auch wenn dieses Vorhaben – das ist auch ein Teil der Wahrheit – mit viel Arbeit verbunden ist.

Nur wenn wir den Menschen die Möglichkeit geben, an poli tischen Entscheidungen mitzuwirken, kann es uns auch gelin gen, der in den vergangenen Jahren gewachsenen Politikver drossenheit – Verdrossenheit in Bezug auf Politiker und Par teien und vielleicht manchmal auch Staatsverdrossenheit – entgegenzuwirken. Davon sind wir überzeugt.

Gerade in der Bildungspolitik sind wir nicht nur auf das Wis sen und die Erfahrungen der Kommunalpolitik – dieser auch, doch nicht nur dieser – angewiesen. Wir wollen, dass auch die Eltern, die Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen und Lehrer und das gesamte örtliche Gemeinwesen an den Ent wicklungen gerade im Bereich der Schulen, im Bereich der Bildungssysteme beteiligt sind. Nur dann ist gewährleistet, dass die Schule tatsächlich den Bedürfnissen und Erwartun gen vor Ort entspricht.

Leistungsfähige Ganztagsschulen als Beispiel setzen voraus, dass die Eltern eine bessere Pädagogik ebenso wünschen wie eine längere Betreuung ihrer Kinder. Auch eine Gemein schaftsschule braucht den Rückhalt der Väter und Mütter, um eine neue Lernkultur einzuführen.

Eine regionale Schulentwicklung – als weiteres Beispiel – funktioniert nur dann, wenn alle diejenigen daran beteiligt werden, die die Schulen in einer Region vertreten, Kommu nalpolitiker ebenso wie Schulleiter und Lehrkräfte, Unterneh mer genauso wie Eltern.

Kurz gesagt: Schule ohne Beteiligung der Bürger geht genau so wenig wie Demokratie ohne Wähler.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Bild einer mo dernen Verwaltung und einer modernen Politik kommt im Be griff der Bürgerregierung zum Ausdruck und findet sich ex plizit im Koalitionsvertrag der beiden diese Regierung tragen den Parteien. Sie drückt sich auch aus in der Einrichtung der Stabsstelle für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung im Staatsministerium sowie in der Arbeit der Staatsrätin, Frau Gi sela Erler.

Es entspricht nicht unserem Verständnis von guter Politik, dass eine Verwaltung in Stuttgart zentral über die Köpfe der Men schen hinweg entscheidet und Dinge ohne Rückkopplung ge gen den Willen der Bürgerinnen und Bürger durchdrückt.

Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass die Zeit des Durchregierens von oben mit dem Regierungs wechsel ein für alle Mal vorbei ist. Wörtlich heißt es dort – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin –:

Gute Politik wächst von unten, echte Führungsstärke ent springt der Bereitschaft zuzuhören. Für uns ist die Ein mischung der Bürgerinnen und Bürger eine Bereicherung. Wir wollen mit ihnen im Dialog regieren und eine neue Politik des Gehörtwerdens praktizieren.

Dieser Grundsatz bestimmt unsere Politik in allen Bereichen und auf allen Ebenen. Die Stabsstelle für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung im Staatsministerium leistet in diesem Zu sammenhang wichtige Arbeit. Mit der Einrichtung der Betei ligungsplattform

(Zuruf des Abg. Georg Wacker CDU)

diese ist, Herr Kollege Wacker, eingerichtet; das Onlinepor tal ist in Betrieb – wurde eine zeitgemäße Grundlage geschaf fen, um die Zivilgesellschaft in unserem Land stärker einzu binden und unsere Demokratie attraktiver und lebendiger für die Menschen zu gestalten.

Der Grundsatz dabei ist, dass die Menschen in allen sie be treffenden Fragen beteiligt werden. Dies muss in Abhängig keit vom Alter, von der Lebenslage und unter Berücksichti gung zahlreicher weiterer individueller Aspekte der Menschen in unserem Land geschehen. Gelingende Beteiligung muss immer auch die Komplexität eines Themas berücksichtigen. Auch die Anschlussfähigkeit zu den gesetzlich definierten Pro zessen des Entscheidens und des Verwaltungshandelns muss sichergestellt sein.

Wir sind überzeugt, dass Beteiligung nicht nur bedeuten kann, möglichst vielen Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Meinung zu äußern. Vielmehr ist eine Beteiligung erst dann wirksam und nachhaltig, wenn die eingebrachten Anregungen von der Politik auch entsprechend gesichtet, bewertet und ge gebenenfalls aufgegriffen werden können.

Deshalb prüfen wir bei jedem Thema sehr genau, welche Möglichkeiten zur Beteiligung sinnvoll erscheinen, welche Zielgruppen betroffen sind und in welcher Tiefe und Breite Rückmeldungen aus der Bevölkerung im Rahmen dieser teil weise sehr komplexen Prozesse verarbeitet werden können.

Deswegen setzt diese Landesregierung auf eine Vielfalt un terschiedlicher Beteiligungsformen. Diese reichen von Bil dungs- und Informationsoffensiven über diskursive Formen

bis hin zu standardisierten elektronischen Formen der Parti zipation. Diese sind immer von der grundsätzlichen Haltung getragen, möglichst viele unterschiedliche Sichtweisen zu ei ner Frage zu erfassen und sie in den Prozess der Willensbil dung tatsächlich einbeziehen zu können.

Wir setzen uns dabei mit aller Kraft dafür ein, dass die Men schen ihre Rolle als aktive Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie auch verantwortungsbewusst wahrnehmen kön nen. Als Beispiel unterstützen wir die 16- und 17-jährigen Ju gendlichen, die auf unsere Initiative hin bei der Kommunal wahl 2014 zum ersten Mal wählen dürfen, mit verschiedenen Informationsangeboten und Projekten. Die Baden-Württem berg Stiftung bildet etwa gemeinsam mit dem Landesjugend ring, der Landeszentrale für politische Bildung und der Füh rungsakademie Baden-Württemberg junge Erwachsene im Rahmen des Projekts „Bürgerbeteiligung und Zivilgesell schaft“ zu sogenannten Partizipationsmentoren und Multipli katoren aus, die Schülerinnen und Schüler, etwa bei Projekt tagen, darauf vorbereiten, ihr neues Wahlrecht gut und sinn voll zu nutzen.

Für die Schulen streben wir an, die direkte Beteiligung der El tern und insbesondere der Schülerinnen und Schüler deutlich zu stärken. Diese Beteiligungsform ist hier angemessen, da junge Menschen oft sehr gut in der Lage sind, über Fragen, die sie unmittelbar betreffen, zu diskutieren und gute Prob lemlösungen zu finden.

Ein weiteres Beispiel ist der „Zukunftsplan Jugend“, in dem das Thema Partizipation ebenfalls einen Schwerpunkt bildet. Hier ist ein wichtiges Anliegen, durch geeignete Beteiligungs formen auch bei Jugendlichen aus bildungsferneren Schich ten Interesse für Politik zu wecken, bei Jugendlichen, die sich nicht unbedingt für die Arbeit in einem Jugendgemeinderat interessieren würden.