Herr Präsident, sehr verehrte Kol leginnen und Kollegen! Die qualitative Weiterentwicklung, die Sie, Herr Reinhart, fordern, liegt Ihnen mit dem Bericht der Landesregierung heute vor. Er ist voller guter Beispiele, wie die Landesregierung Europapolitik betreibt und Europa in ein positives Bild rückt. Baden-Württemberg ist also auf einem guten europapolitischen Weg.
Ich möchte aus dem Bericht nur zwei Themen herausgreifen, bei denen sehr eindeutig ist, wie gut hier die Weiterentwick lung funktioniert, die die Menschen vor Ort spüren müssen, damit sie im kommenden Jahr wirklich zur Wahl gehen und europäisch und nicht nationalstaatlich wählen.
Der Europaausschuss hat ein gutes Gespür bewiesen, indem er die Fachkräftemobilität auf die Tagesordnung setzte und für das nächste Jahr auch eine Anhörung dazu plant. Die Lan desregierung hat hier aus der Notwendigkeit heraus nachge zogen und hat auf der Ausbildungsebene Rahmenvereinba rungen mit Frankreich, mit dem Elsass, geschlossen. Ich war gestern in Offenburg, wo der Eurodistrikt Straßburg-Ortenau sehr aktiv ist, um die Ausbildungsmöglichkeiten und die Ar beitsmöglichkeiten auf beiden Seiten des Rheins zu verbes sern und dort ein Europa der Regionen zu leben und nicht ein fach nur darüber zu reden.
Die Ausbildungsinitiative, die die Landesregierung jetzt aus gerufen hat und bei der sie konkret vorgeht, ist ein Erfolgs modell. Hierbei geht es nicht nur um die Menschen, sondern auch um eine qualitativ gute Vorbereitung. Mit Blick auf die jungen Menschen, die als Fachkräfte zwischen Deutschland und Frankreich hin und her wechseln, wird oft gesagt: Die müssen jetzt ins Ausland. Das ist vielleicht schwierig für sie. Aber ich möchte nur darauf hinweisen, dass das für die jun gen Menschen im Hochschulbereich völlig normal ist. Dort wird von ihnen erwartet, dass sie auch ein Auslandssemester machen. Wieso soll ein Deutscher nicht in Straßburg oder in Lauterburg sein Praktikum machen oder dort einmal ein hal bes Jahr lang arbeiten bzw. ein Elsässer nicht in Offenburg in die Berufsschule gehen?
Hier sind wir also schon weit vorangekommen. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass diese Leute gut vorbereitet werden. Sie werden auch überzeugte Europäer sein, wenn sie dort ei ne positive Erfahrung machen. Sie müssen die sprachliche und die interkulturelle Kompetenz erwerben, die auf beiden Sei ten nötig ist. Wir müssen auch denen eine Willkommenskul tur bieten, die hier fremd sind, die sich mit unseren Gewohn heiten nicht so gut auskennen, und zwar nicht nur im Ausbil dungsbereich, sondern auch darüber hinaus.
Das sind konkrete Beispiele, wie auch in den Kommunen und in den Landkreisen Einbürgerungsrituale oder Willkommens rituale für neu zugezogene Migrantinnen und Migranten ge funden werden müssen. Hier ist die Arbeit vor Ort immens wichtig, und wir helfen damit vor Ort solidarisch den europä ischen Mitgliedsstaaten, die im Augenblick monetär und so zial aus dem Gleichgewicht geraten sind.
Aber diese Solidarität – damit komme ich zu einem Punkt, an dem wir uns europäisch, aber auch national weiterentwickeln müssen – muss bei der Flüchtlingspolitik auch für uns gelten.
Es gab vorhin einen breiten Konsens bei der Frage der Ent wicklungszusammenarbeit, und das ist gut so. Entwicklungs zusammenarbeit vermindert vor Ort die Fluchtursachen. Aber ich habe große Zweifel – wir sollten da wachsam sein –, was z. B. das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU für uns, aber auch für die Menschen in Afrika, die in großen Zahlen versuchen, in Booten zu uns zu kommen, bedeutet. Diese Fälle werden eher zunehmen, wenn Afrika zum Verlierer dieses Handelsabkommens wird.
Im Schatten der Ereignisse vor Lampedusa hat das Europäi sche Parlament im Oktober mit den Stimmen der Christdemo kraten der weiteren europäischen Abschottung durch das Grenz
überwachungssystem EUROSUR zugestimmt. Wir brauchen in Europa kein weiteres Flüchtlingsabwehrsystem, sondern wir brauchen ein Flüchtlingsrettungssystem.
Ihre Abgeordneten im Europäischen Parlament haben das von uns geforderte verbesserte Flüchtlingsrettungssystem abge lehnt. Ich frage mich schon, wie Sie bei diesem Abstimmungs verhalten das C in Ihrem Parteinamen heute noch begründen.
Es reicht auch nicht, das Zitat vorzubringen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, wenn wir uns nicht danach ver halten. Wenn deutsche Bischöfe heute nach Jordanien reisen, um dort 100 000 Flüchtlinge aus Syrien zu besuchen, dann ist das Aufnahmeangebot der Bundesregierung für 5 000 Flücht linge schon eher peinlich.
Wir dürfen unsere europäischen Freunde in Italien, auf Mal ta, in Spanien mit den unsäglichen Dublin-Bestimmungen der EU nicht alleinlassen, sondern müssen ihnen helfen.
Die grenzüberschreitende Solidarität mit Frankreich hat in den vergangenen 50 Jahren zu Frieden geführt und wird bis heu te gepflegt. Nehmen wir uns ein Beispiel an diesem deutschfranzösischen Exempel, an dieser Friedensarbeit, und lassen Sie uns zumindest vom Land Baden-Württemberg mehr So lidarität erleben, als zurzeit auf der Bundesebene gezeigt wird.
Die Landesregierung kann auf Bundesratsebene eine Initiati ve ergreifen, wie sie das im Bereich des Beteiligungsgesetzes sehr gut gemacht hat. Das gilt auch für den Antrag für Blei berechtsregelungen, für den sie allerdings keine Mehrheit fand.
Ich freue mich, im kommenden Europabericht der Landesre gierung dann auch etwas über die führende Rolle des Landes bei einer humanen Flüchtlingspolitik zu lesen.
Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Erlauben Sie mir noch ein Wort zu der Flüchtlingsproblematik: Ich kann nicht nachvollziehen, dass der Europäische Rat ausgerechnet in einer solchen Situation nach den Ereignissen vor Lampedusa die Flüchtlingsproble matik und die Frage der Verteilung der Flüchtlinge in Europa auf den nächsten Gipfel, der erst in einem halben Jahr statt findet, verschoben hat. Das finde ich angesichts dessen, dass die ganze Welt darauf schaut, was dort im Moment passiert, eigentlich unerhört.
Aber nun zum Europabericht: Auch wenn das Thema Finanz krise nicht der wesentliche Inhalt dieses Europaberichts war, ist es doch immer noch die Hauptüberschrift, wenn man an Europa denkt, und spielt natürlich auch bei den derzeitigen Koalitionsverhandlungen eine Rolle.
Alle schauen, was die drei Parteien machen. Sie liefern selbst verständlich ein Bekenntnis zu Europa ab und sagen auch, dass Deutschland eine größere Führungsrolle als bisher über nehmen müsse. Dieses Bekenntnis finde ich gut, aber es ist natürlich auch nichts anderes als eine heftige Kritik an dem, was bisher war.
Deshalb einige Punkte dazu. Ich fange einmal bei dem Punkt Bankenregulierung an. Eine einheitliche europäische Banken aufsicht wird kommen. Der Bankenabwicklungsfonds ist so gut wie beschlossen. Nur: Bis ein solcher Fonds angespart ist, bedarf es einer Zwischenlösung. Die SPD schlägt deshalb ei nen Schuldentilgungsfonds vor. Die Union lehnt das bisher noch ab, hat aber keine eigenen Vorschläge unterbreitet.
Aber das Problem ist noch ein ganz anderes: Was passiert mit den Sparkassen und Genossenschaftsbanken bei uns? Die sind zwar außen vor, wenn es um den Stresstest geht, aber sie müs sen vermutlich – das ist nicht geklärt – in diesen Bankenab wicklungsfonds einbezahlen, obwohl sie eigene Sicherungs systeme haben. Ich glaube, da müssen wir alle gemeinsam noch einmal aktiv werden.
Danke. – Ein weiteres Thema, das angesprochen worden ist: Subsidiarität, das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union. Wir wollen natürlich mehr Mitsprache haben, wenn es um die Fra ge geht: Was ist eigentlich subsidiär? Das soll nicht von oben bestimmt werden, sondern das wollen wir hier bestimmen. Aber dieses Gesetz ist noch nicht eingebracht worden, bzw. es wurde vom zuständigen Europaausschuss im Bund zwei mal wieder von der Tagesordnung abgesetzt. Das haben Sie leider nicht dazugesagt, Kollege Reinhart. Es ist selbstver ständlich, dass das Gesetz wieder eingebracht wird. Ich bin auch optimistisch, dass es in dieser Sache endlich einmal vo rangeht.
Ein zweites Problem ist das Sitzungsformat des „inner circle“, das eigentlich verhindert, dass wir bei Themen wie Bildung, Kultur, Medien mit am Verhandlungstisch sitzen. Auch da muss etwas passieren.
Dritter Punkt: Stichwort „Jugend in Europa“. Brandenburg hat jetzt den Vorsitz der Europaministerkonferenz übernom men. Baden-Württemberg ist Mitberichterstatter, und beide Länder sagen: „Jugend und berufliche Bildung“ ist das we sentliche Thema.
Wir in Baden-Württemberg tun in dieser Hinsicht auch eine ganze Menge. Ich will einen Punkt erwähnen: die Ausbildung von Multiplikatoren für die duale Bildung an der Landesaka demie in Esslingen. Das ist eine richtig gute Sache, und das muss man auch bekannt machen. Im Moment bewirken sie ganz viel für Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Aber auch an dere Länder haben eine solche Unterstützung dringend nötig.
Stichwort Jugendgarantie: Wir haben alle gehofft, dass jetzt bald die Ausführungsbestimmungen kommen. Sie sind immer noch nicht da. Ich habe jetzt gehört, zu dieser Frage soll im Dezember noch eine Konferenz in Paris stattfinden. Aber wo rauf die Länder warten und worauf auch wir letztlich warten, ist die Klärung der Frage: Können wir gemeinsame Projekte mit manchen Ländern durchführen, oder können wir das nicht? Da ist noch nichts passiert, obwohl man die Mittel bereits ab dem 1. Januar 2014 abrufen können müsste. Wie das funkti onieren soll, ist mir noch ein Rätsel.
Aber letztlich wird sich auch beim Thema Jugendarbeitslo sigkeit nur dann etwas ändern, wenn wir stärker als bisher auf Wachstum und Beschäftigung setzen. Die SPD will das. Das ist übrigens auch ein Grund, warum u. a. die Verhandlungen über den ESF noch andauern. Aber immerhin hat die Landes regierung erreicht, dass wir aus dem EFRE über 100 Millio nen € mehr bekommen, als das bisher der Fall war. Das war ein tolles Verhandlungsergebnis, und dafür bedanken wir uns ganz herzlich.
Zum Abschluss noch ein Satz zum Thema „Vertrauen für Eu ropa zurückgewinnen“. Ich finde es gut, dass die Landesre gierung im Moment eigene Veranstaltungen zum Thema Eu ropa macht, sich auch der Kritik dazu aussetzt. Das ist ganz wichtig. Dass das auch der Landtag tut, ist ebenfalls dringend notwendig. Nur indem wir uns der Kritik und der Diskussion stellen, können wir auch erreichen, dass wir Europa ablehnen de oder europaskeptische Parteien aus dem Europäischen Par lament heraushalten.
Noch eine Bemerkung, die mir auch ganz wichtig ist: Ein kri tisches Kapitel ist das Verhältnis zu den USA aufgrund der NSA-Affäre. Damit müssen wir uns auch beschäftigen. Ich denke, wir müssen dazu kommen, dass wir in Europa zum ei nen jetzt schnell eine Datenschutzverordnung verabschieden und zum anderen ein eigenes europäisches Sicherungssystem aufbauen. Wenn wir dies erreichen, hätte die Affäre nebenbei auch etwas Gutes, und darüber hinaus wäre auch unserer Te lekommunikationsindustrie geholfen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Europa wird uns im nächsten Jahr beschäftigen. Am 25. Mai 2014 findet in Deutschland die Europawahl statt – zusammen mit der Kommunalwahl. Wir wissen sehr wohl, dass die Europawahl und die Kommunal wahl nicht auf eine sehr große Beteiligung stoßen. Deshalb ist es umso wichtiger, dafür zu sorgen, dass Parteien, die nicht europafreundlich sind, in Deutschland, aber auch in anderen Ländern – ich schaue in diesem Zusammenhang mit großer Sorge nach Frankreich – bei einer geringen Wahlbeteiligung nicht extrem stark werden. Deshalb ist es für uns wichtig, dass wir nicht nur miteinander über Europa reden, sondern Euro pa kommunizieren.
Deshalb halte ich die Stabilisierung des Euro für eine der wichtigsten Aufgaben. Von zentraler Bedeutung ist für uns, die FDP, eine stabile Währung. Nur wenn die gemeinsame Währung stabil und auf den internationalen Märkten aner kannt ist, erhalten wir zukünftig in der Bevölkerung die not wendige Akzeptanz für das Projekt Europäische Union. Grund lage hierfür ist eine solide Haushaltspolitik in allen EU-Mit gliedsstaaten.
Finanzielle Hilfen darf es nach der festen Überzeugung der FDP zukünftig nur gegen strenge Auflagen geben.
Europäische Solidarität ist für uns keine Einbahnstraße. Da her lehnen wir die vonseiten der SPD, der Grünen und auch der Linken immer wieder erhobenen Forderungen nach Euro bonds, einem Altschuldentilgungsfonds, einer europaweiten Haftungsunion oder europäischen Steuern entschieden ab.
Ich denke, in der schwarz-gelben Bundesregierung haben wir, die FDP, dafür gesorgt, dass private Gläubiger an der Lösung der Schuldenkrise beteiligt werden. Der Bundestag hat als Ver treter der Interessen des deutschen Steuerzahlers das letzte Wort zu finanziellen Hilfeleistungen. Sein Haushaltsrecht muss auch in Zukunft unangetastet bleiben.
Von den aktuell im Bundestag vertretenen Parteien erwarten wir, dass unsere Verfassungsgrundsätze auch aktiv verteidigt werden.