Rita Haller-Haid
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Last Statements
Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Für mich ist dies heute die letzte Rede im Landtag.
An so einem Tag würde man natürlich, Europa betreffend, richtig viel Optimismus verbreiten wollen. Aber weder die letzten Tage vor diesem Gipfel noch die gestrige Presseerklä rung der Kanzlerin haben dazu wirklich Anlass gegeben. So, wie es aussieht, werden höchstens kleine Schritte vollzogen; für die großen scheint es keine Mehrheit zu geben.
Wie sieht Europa vor diesem Gipfel aus? Europa hat nämlich nicht nur eine Krise, sondern gleich mehrere. Es findet eine
weitgehende Entsolidarisierung in Europa statt. Es kommt zu Gruppenbildungen.
Kollege Reinhart, Sie haben natürlich recht, dass man alles tun muss, Großbritannien in der EU zu halten. Aber ich sage: nicht um jeden Preis. Denn der Preis kann unter Umständen so hoch sein, dass Europa daran zerbricht.
Klar ist: Die Flüchtlingskrise ist ein Stresstest nicht nur für Europa, sondern auch für die Kanzlerin. Gestern hatte sie zum Thema „Gerechte Verteilung von Flüchtlingen“ gesagt, man würde sich lächerlich machen, jetzt neue Kontingente zu be schließen, wenn schon der erste Verteilungsbeschluss nicht durchgesetzt wurde. Stimmt, es ist nicht weit her mit der eu ropäischen Solidarität. Aber daran sind wir zum Teil – der Kollege hat es gerade gesagt – selbst schuld. Wir haben uns in dieser Hinsicht auch nicht mit Ruhm bekleckert.
Allen voran sehen vor allem die osteuropäischen Staaten die Flüchtlingskrise sowieso als ein deutsches Problem an. Sie wollen weder Flüchtlinge aufnehmen noch für diese zahlen. Wenn man ehrlich ist, sind sie auch nicht an einer starken EU interessiert. Sie wollen die Vorteile des Binnenmarkts und die Fördermittel, und das war’s dann.
Sich in einer solch dramatischen Situation gemeinsamen Lö sungen zu verweigern muss nach meiner Meinung klare Kon sequenzen haben. Die EU darf nämlich nicht eine reine Geld verteilungsmaschine sein. Solidarität ist doch keine Einbahn straße. Deshalb müssen diejenigen mehr Geld bekommen, die mehr Flüchtlinge aufnehmen. Dafür muss an anderer Stelle gekürzt werden.
Warum das mit der Solidarität nicht hinhaut, hat seinen kon kreten Grund in einem Konstruktionsfehler, den auch die EU aufweist.
Carlo Schmid hat einmal gesagt – ich zitiere –:
Wir alle irren, wenn wir glauben, wir könnten Europa schaffen, indem wir es halb schaffen.
Das Problem liegt darin: Der Rat hat ein starkes Gewicht, das Parlament nicht. Auf diese Art kommt es zu einer Renationa lisierung. Vor diesem Problem stehen wir. Es gilt, daran etwas zu ändern.
Heute Morgen haben wir das Flüchtlingsproblem ausführlich besprochen. Ich nenne nur noch einmal die Stichworte:
Natürlich braucht es Transitzonen. Es braucht auch die ein heitlichen Standards. Es braucht die Hotspots.
Es bedarf vor allem nicht einer Grenzschließung, weil Schen gen dadurch gefährdet würde. Was wäre Europa ohne den Schengen-Raum? Wir würden zu ökonomischen Zwergen. Das können wir uns, glaube ich, alle nicht leisten. Übrigens führte auch eine Schließung der Grenzen in Mazedonien oder das Schließen der gesamten Balkanroute zu völlig chaotischen Staus und einer Destabilisierung der Länder. Auch das sollte man sich auf gar keinen Fall erlauben. Solche Vorschläge kommen zum einen von den Visegrad-Ländern, aber auf der anderen Seite auch aus Kreisen der CDU, manchmal von der CSU.
Gestern hat die „Stuttgarter Zeitung“ geschrieben, man habe den Eindruck, am Kabinettstisch sitze die Speerspitze der au ßerparlamentarischen Opposition. Aber ich sage Ihnen auch: So viel Chaos und so viel Hilflosigkeit in der Flüchtlingsfra ge kommen bei den Bürgern als totales Politikversagen an. Auch das ist ein Grund für die Zunahme des Rechtspopulis mus.
Was ist in dieser Situation in Europa also zu tun? Im Wesent lichen gibt es zwei Aufgaben. Die wichtigste Aufgabe ist na türlich ein Friedensplan für Syrien – das kann ich hier nicht weiter ausführen –, daneben steht die Bekämpfung von Fluchtursachen. Ich denke aber, wenn wir die Menschen im Nahen Osten auf Dauer dort halten wollen, dann wird so etwas wie ein Marshallplan für den Nahen Osten erforderlich sein. Wenn man so etwas in Europa durchsetzen will, braucht man in der Tat einen Paradigmenwechsel in der gesamten europäischen Politik. Das kostet natürlich Geld und ist nicht einfach durch setzbar.
Man kann jetzt natürlich auch sagen: Eigentlich müssten dies die Amerikaner allein bezahlen, denn es war George Bush, der seinerzeit mit dem Irakkrieg die Situation im Nahen Osten grundlegend destabilisiert hat. Das war der eigentliche Kern, und mit den Folgen müssen wir alle heute leben. Deshalb darf man die USA bei einer solchen Frage auch nicht außen vor lassen.
Insgesamt aber muss Europa die soziale Dimension wieder viel stärker betonen; das ist ganz wichtig. Wie sonst sollen Länder denn Flüchtlinge anständig aufnehmen können?
Dies alles sind keine leichten Aufgaben. Ich will ausnahms weise einmal den ehemaligen Stuttgarter Regierungspräsiden ten Dr. Andriof zitieren, der gestern in einem Leserbrief – üb rigens als Replik auf den Tübinger Oberbürgermeister – ge schrieben hat:
Wir sollten über Parteigrenzen hinweg in der Bevölke rung für Verständnis für eine europäische Lösung werben und um Geduld bitten, bis sie greift.
In diesem Sinn wünsche ich uns allen, dass uns das im Inter esse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gelingen wird. Ich wünsche dem Landtag von Baden-Württemberg, dass er im Sinne eines Europas der Regionen seinen Beitrag dazu leisten wird. Ich wünsche diesem Parlament vor allem, dass es von antieuropäischen Kräften verschont bleiben wird.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen hier im Landtag und im Europaausschuss für die parteiübergreifend gute Zusammenarbeit. Ich denke, wir ha ben da wirklich an einem Strang gezogen. Ich bedanke mich bei unserem Vorsitzenden Thomas Funk und unserem frühe ren Vorsitzenden Peter Hofelich sowie bei allen Mitarbeite rinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung, namentlich bei Frau Petsani und bei Herrn Böhm.
Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft und für die Zu kunft unseres Landes.
Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Wenn mir jemand vor einem Jahr ge sagt hätte und beschrieben hätte, wie die EU am Ende dieses Jahres aussehen würde, ich hätte ihm nicht geglaubt. Wir ha ben zwar im Rahmen der Europaberichterstattung auf man ches Problem hingewiesen, nur haben sich die Probleme in der Zwischenzeit derart zugespitzt, dass wir in ganz anderen Dimensionen denken müssen. Das Projekt Europa scheint tat sächlich an einem seidenen Faden zu hängen.
Wir sehen heute die Folgen der bisherigen Politik, der Auste ritätspolitik, mit der man versucht hat, die Finanzkrise zu überwinden. Diese Politik hat bekanntlich in vielen Ländern eine hohe Arbeitslosigkeit und auch eine verlorene Generati on produziert und so in manchem europäischen Land zu ei nem Erstarken des Rechtspopulismus und auch des Rechtsex tremismus beigetragen. Jüngstes Beispiel ist das Stimmergeb nis des Front National in Frankreich. Im zweiten Wahlgang konnte man einen Wahlsieg dieser Partei noch knapp verhin dern – es sind in der Tat die Sozialisten, denen das zu verdan ken ist –,
doch der Rechtsruck ist damit noch lange nicht beendet. Bei den Jungwählern haben 35 % rechts gewählt.
Das ist hoffentlich kein finsterer Ausblick auf zukünftige Wahlergebnisse.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es zeichnet sich schon seit Längerem ab, dass es zu einer Destabilisierung Europas kom men kann. Auch unser eigenes Verhalten, als Griechenland und Italien wegen der Flüchtlinge um Hilfe gerufen haben, hat nicht dazu beigetragen, dass sich andere Länder jetzt in dieser Situation solidarisch zeigen. Oder: die 26 Millionen Ar beitslosen in Europa. Haben sie in der Europapolitik wirklich eine Rolle gespielt? Man hat schon vor vielem die Augen ver schlossen.
Auch wir müssen uns, wenn wir ehrlich sind, eingestehen, dass wir noch vor Kurzem die Probleme weit weg geglaubt haben,
zumindest nicht in Europa, sondern vor seinen Toren. Doch nun sind die Probleme der Welt bei uns angekommen. Zu den bisherigen Krisen – Finanzkrise, Griechenlandkrise, Ukraine krise –, zu Separatismus, EU-Abspaltungstendenzen in Groß britannien und zur alles bestimmenden Flüchtlingsthematik kommen nun Terror und Angst vor dem Terror hinzu.
Und nun Kampfeinsätze, Krieg aus der Luft. Ob uns das wei terhilft? Davon sind die Bürgerinnen und Bürger nicht allzu überzeugt. Sie sind eher verunsichert wie nie zuvor.
Diese Verunsicherung, die überall um sich greift, macht Eu ropa gleich doppelt verwundbar und die Menschen anfällig für antieuropäische Ideen – auch hier in Baden-Württemberg. Vor Kurzem wurde uns im NSU-Untersuchungsausschuss ei ne Studie vorgestellt, nach der die Menschen in Baden-Würt temberg sogar doppelt so anfällig für rechtspopulistische Ten denzen sind wie in anderen Bundesländern. Jeweils ein Vier tel der Anhänger von CDU und SPD sind geneigt, in ein sol ches Lager zu wechseln. Übrigens: Selbst bei der Linken sind es noch 17 %.
Das Projekt Europa steht demnach gleich in mehrfacher Hin sicht vor einer großen Bewährungsprobe. Es gilt, sowohl den um sich greifenden Nationalismus zu bekämpfen als auch In toleranz und Rassismus im eigenen Land. Und damit nicht der Verdacht aufkommt, auf einem Auge blind zu sein: Das gilt genauso für den aggressiven Islamismus, denn beide haben eine Ideologie der Ungleichheit, und diese steht unserem de mokratischen Verständnis entgegen.
Was können wir nun in Baden-Württemberg tun, und was ha ben wir auch schon getan, um einen Beitrag zur Konsolidie rung Europas zu leisten? Wir beteiligen uns, denke ich, mehr als andere an den europäischen Strategien: Donauraumstrate gie, Alpenraumstrategie. Baden-Württemberg hat übrigens ein weiteres Antiterrorpaket beschlossen. Auch das spielt in der Europapolitik eine Rolle, was die Flüchtlinge anbelangt. Wir stehen zu dem Aktionsplan für eine Rückkehr von Flüchtlin gen. Aber
die Menschen können nur dahin zurückkehren, wo sie tatsäch lich sicher sind. Aus diesem Grund spielt für die Landesregie rung die Bekämpfung von Fluchtursachen auch eine Rolle, und aus diesem Grund wurde gestern die Unterschrift unter eine Kooperation mit der Provinz Dohuk geleistet. Diese Zu sammenarbeit ist auch bei den Vertretern der Wirtschaft, vor allem auch bei den Vertretern der Kirchen und der Zivilgesell schaft auf sehr viel Resonanz gestoßen. Wir versuchen gera de, gemeinsam viele Unterstützer für Dohuk zu gewinnen, weil wir dort tatsächlich etwas tun können, um die Flücht lingsproblematik zu bekämpfen.
Letzter Punkt: Wir müssen alles tun, um das Vertrauen in die EU wieder zu stärken. Dazu gehört auch, zu realisieren, dass die Menschen wegen TTIP nicht sehr vertrauensvoll nach Eu ropa blicken. Die Landesregierung hat deshalb einen Beirat eingerichtet, der um Vertrauen wirbt.
Ja. – Im nächsten Monat ist die nächste Sitzung. Da geht es dann um Investitionsschutz und um die privaten Schiedsgerichte, die wir im Landtag alle ge meinsam abgelehnt haben. Ich denke, das ist ein richtiger Schritt, um Vertrauen in Europa zurückzugewinnen.
Ich möchte zum Schluss noch ganz kurz Sigmar Gabriel zi tieren, der auf dem SPD-Parteitag gesagt hat:
„Nichts ist auf immer gesichert, und alles muss neu errungen werden.“ Das gilt für Europa.
Ich danke fürs Zuhören.
Herr Minister, Sie sagen, die kleinere Anstalt in Rottweil werde dann geschlossen. Das ist ja ein schönes denkmalgeschütztes Gebäude. Können Sie schon absehen, was dann mit diesem Gebäude passiert? Wird das dann der Stadt Rottweil überlassen?
Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Der Titel unserer Debatte lautet „Unsere Zukunft liegt in einem gestärkten Europa“. Was wir in den letzten Wochen erlebt haben, sah jedoch ganz anders aus – das haben wir so auch nicht für möglich gehalten –: verzweifelte Rentner vor leeren Geldautomaten, Unternehmer, die ihren Bankrott anmelden mussten, einfach deshalb, weil sie nicht mehr an Kredite herangekommen sind.
Dann, letzte Woche, nach einer langen Verhandlungsnacht, schien der „Grexit“ erst einmal gebannt. Überall Erleichte rung, vor allem natürlich bei der griechischen Bevölkerung, die in ihrer übergroßen Mehrheit – das muss man betonen – im Euroraum bleiben will, trotzdem aber mit „Oxi“ gestimmt hat, weil sie zeigen wollte: Die Grenzen der Belastbarkeit sind erreicht. – Dem ist auch so.
Schließlich ist in den letzten fünf Jahren nichts besser, aber ganz vieles schlechter geworden. 2010 wurde Griechenland schon einmal vor der Zahlungsunfähigkeit bewahrt. Doch heu te, zwei Kreditprogramme später, ist die Verschuldung von 120 % auf 180 % gestiegen, ist die Wirtschaft ruiniert, die Be völkerung verarmt und die Jugendarbeitslosenquote auf über 60 % gestiegen. Ich kann nur sagen: Brüning und die Weima rer Republik lassen grüßen. Deshalb hat das Wort „Reform“ in Griechenland jegliche positive Assoziation verloren.
Eigentlich wäre zu erwarten, dass wir alle aus der Geschich te gelernt hätten, aber das ist offensichtlich nicht der Fall. Vor allem werden immer diese hartnäckigen Forderungen gestellt: Die Griechen müssen mehr sparen,
mehr arbeiten, ihr öffentliches Eigentum verscherbeln und an deres mehr. Ich glaube, wir sollten mit solchen Dingen etwas vorsichtiger umgehen, vor allem der deutsche Finanzminis ter, der diese Forderungen ständig wiederholt und den Popu lismus in der Bevölkerung zusätzlich befördert hat. Der Vor wurf trifft natürlich nicht ihn allein, sondern in großem Aus maß auch unsere deutschen Medien.
Den Vogel hat er eigentlich abgeschossen mit der Forderung „Grexit auf Zeit“, jetzt auch mit dem Treuhandfonds. Damit hat er seinen guten Ruf als guter Europäer gründlich verspielt
und hat dem Ansehen unseres Landes in Europa einen großen Schaden zugefügt. Wären nicht Italien und Frankreich mit ih ren sozialdemokratischen Premiers gewesen – Renzi hat ge sagt: Genug ist genug! –,
dann wäre es in dieser Montagnacht wahrscheinlich zu gar keinem Ergebnis gekommen.
Inzwischen mehren sich aber auch die Stimmen, die diese Ver einbarung kritisieren. In manchen Ländern ist gar von einem „Diktatfrieden“ die Rede, und der Nobelpreisträger Paul Krugman hat gesagt, die Vereinbarung sei ein Verrat an all dem, wofür das Projekt Europa stehe. So weit will ich nicht gehen, aber auch ich halte das Papier für nicht besonders aus gewogen. Ich möchte das an ein paar Punkten erklären.
Beispiel Mehrwertsteuererhöhung: Aus meiner Sicht schwächt sie im Moment die Kaufkraft und ist in einer Situation wie der jetzigen in Griechenland schädlich für den Tourismus.
Der Zwang zur Privatisierung öffentlicher Infrastruktur ist kontraproduktiv;
denn langfristig brechen dort die Einnahmen weg. So kann man keine Konsolidierung vorantreiben.
Sie erinnern sich vielleicht. Wir waren doch mit dem Europa ausschuss in Thessaloniki
und haben gesehen, dass die Griechen dort auf einem guten Weg sind, besonders mit ihrem Hafen, in eine ganz andere Richtung zu gehen.
Sie sind Partnerschaften eingegangen, auch mit Hamburg we gen des Hafens. Jetzt ist genau dieser Weg unterbrochen, und sie werden gezwungen zu privatisieren.
Dann die Reform des Rentensystems: Der griechische Ge richtshof hat entschieden, dass die Rentenreform von 2012 rechtswidrig ist. Auch da steht in der Entscheidung kein Wort, wie man dieses Problem löst. Das schien in Brüssel überhaupt niemanden zu interessieren.
Dann gibt es noch eine ganze Reihe von absurden Forderun gen: Gesetzentwürfe müssen, bevor sie im Parlament vorge legt werden, der Troika vorgelegt werden. Wundert es Sie, dass man da von Unterwerfung redet?
Eine andere absurde Geschichte: Bis zum 22. Juli dieses Jah res – nächste Woche – muss die Zivilprozessordnung verän dert werden mit dem Ziel, Kosten zu senken und Verfahren zu beschleunigen.
Innerhalb einer Woche. Das ist einfach absurd.
Aber kein einziges Wort, keine Empfehlung zu dem, was drin gend notwendig wäre, etwa eine Ertüchtigung der Steuerver waltung. Warum wurde bezüglich einer Ertüchtigung der Steu erverwaltung nichts gesagt? Warum sind dort keine Vorschlä ge drin?
Am Schluss.
Die griechische Regierung hat dem trotzdem zugestimmt, weil sie gar keine andere Wahl hat te.
Sie hatte die Wahl zwischen Ruin und Unterwerfung.
Das ist auch der Grund, warum es jetzt Probleme und Unru he gibt. Man hat mit solch einem Druck letzten Endes natür lich auch die Regierung treffen wollen.
Ich bestreite überhaupt nicht, dass Griechenland einen enor men Reformbedarf hat, und im Unterschied zur Vorgängerre gierung ist in den letzten Monaten auch schon einiges in Gang gekommen.
Die Vorgängerregierung hat es nämlich so gemacht: Sie hat die Troika kommen lassen und hat alles abgenickt. Als sie dann wieder weg war, ist alles so weitergegangen wie bisher.
Aber, meine Damen und Herren, es geht schon lange nicht mehr allein um Griechenland. Es geht auch um Europa und um eine Unumkehrbarkeit des europäischen Einigungsprozes ses.
Es lohnt sich tatsächlich, den Blick zurückzuwerfen, was ei gentlich die Krise in Griechenland ausgelöst hat. Es waren nicht allein die griechischen Fehler, sondern es war die Fi nanzkrise,
die Rettung der zypriotischen Banken, die Griechenland mit hineingezogen hat, und natürlich ganz zu Beginn in der Tat der Geburtsfehler des Euro.
Wir sind zwar eine Währungsunion, aber wir sind eben keine Wirtschaftsunion und noch lange keine politische Union, und auf dem Weltmarkt – das wissen wir – sind die einzelnen Län der Konkurrenten.
Deshalb kommt es jetzt darauf an, eine Diskussion darüber zu führen, wie es in Europa weitergeht. Auch die Europäische Union braucht nämlich Reformen. Die wirtschafts- und fis kalpolitische Abstimmung muss enger und vor allem auch de mokratischer werden. Wir brauchen eine Art Wirtschaftsre gierung mit demokratisch kontrollierten Verfahren, auch für Finanztransfers. Wir müssen auch den Mut zur Ehrlichkeit ha ben, dass es für Deutschland eine Europäische Währungsuni on nicht zum Nulltarif gibt.
Präsident Hollande hat dazu Vorschläge angekündigt, und die Debatte ist mit dem Bericht der fünf Präsidenten über die Fort entwicklung der Währungsunion bereits eröffnet.
Martin Schulz hat gestern gesagt:
Vielleicht war das Referendum in Griechenland ein Ap pell zur rechten Zeit.
Die Menschen wollten, so Schulz, mehrheitlich in der Euro zone bleiben.
Aber sie wollen eine andere EU.
An dieser Diskussion sollten wir uns in Baden-Württemberg beteiligen, und wir sollten auch darüber nachdenken, was wir von Baden-Württemberg aus konkret tun können. Dazu möch te ich in der zweiten Runde einige Vorschläge machen.
Bevor ich meine Reden hier schreibe, rufe ich nicht meinen Parteivorsitzenden an. – Viel leicht genügt Ihnen das als Antwort.
Liebe Kolleginnen und Kolle gen! In der Analyse sind wir vielleicht unterschiedlicher Mei nung. Aber wir sind sicher einer Meinung, wenn es darum geht, konkrete Kooperationsangebote an Griechenland zu ma chen. Deshalb möchte ich mich bei Herrn Minister Friedrich auch ausdrücklich für diese Möglichkeit bedanken.
Ich wollte hier, da es ja schon sehr viele Kooperationen zwi schen dem Gemeindetag, dem Städtetag und Griechenland gibt, den konkreten Vorschlag einbringen, dass das Land Ba den-Württemberg eine Partnerschaft mit einer Region Grie chenlands anstrebt, wobei es vor allem unter Einbeziehung unserer Verwaltungsakademien um den Verwaltungsaufbau, um den Aufbau einer Steuerverwaltung geht und auch einbe zogen wird, dass man auf Bundesebene schon dabei ist, ein deutsch-griechisches Jugendwerk aufzubauen. Auch da gibt es viele Ansätze. Es wäre schön, wenn es diesbezüglich zu ei nem Austausch kommen würde.
Vielen Dank.
Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Übermorgen jährt sich der Tag, an dem Deutschland kapitulierte, zum 70. Mal. Überall in der Welt wird dieser Tag, der 8. Mai, als das Ende des Zweiten Welt kriegs und vor allem als Tag der Befreiung gefeiert. Der 8. Mai ist deshalb Gedenktag, weil er wie kein anderes Da tum das Ende des menschenverachtenden und völkermorden den Naziregimes markiert.
Wie kein anderes Regime brachten die Nazis Unheil über die Welt und offenbarten eine Seite des Menschen, die zuvor nie mand für möglich hielt: eine systematische Vernichtung gan zer Bevölkerungsgruppen wie die der Juden oder die der Sin ti und Roma. Insgesamt 60 Millionen Menschen wurden Op fer dieses Regimes – gefallen, im KZ ermordet, auf der Flucht gestorben oder im Lager verhungert.
In diesen Tagen gedenken wir dieser Toten, und in diesem Haus sei es erlaubt, auch ganz besonders an diejenigen zu er innern, die wegen ihrer politischen Überzeugung und ihres Einsatzes für Freiheit und Demokratie inhaftiert und ermor det wurden oder an den Spätfolgen der Haft verstarben, dar unter auch Abgeordnete des Badischen und des Württember gischen Landtags: Hermann Böning, Fritz Elsas, Johannes Fi scher, Karl Großhans, Josef Heid, Julius Helmstädter, Leo Kullmann, Guido Leser, Paul Rehbach, Karl Ruggaber, Karl Schneck, Laura Schradin, Kurt Schumacher, Jakob Weimer und Eugen Bolz.
Diesen Menschen, die sich trotz des Naziterrors nicht gleich schalten ließen, die sich dem Regime verweigert haben und unter Gefahr für das eigene Leben widerstanden, fühlen wir uns heute verpflichtet.
Unter diesen Menschen waren Abgeordnete, es waren darun ter Menschen aller Schichten der Bevölkerung, Menschen al ler politischen Richtungen, darunter besonders viele Sozial demokraten und Kommunisten, Menschen wie Georg Elser, die eine unglaubliche Zivilcourage aufbrachten und unter Ein satz ihres Lebens für eine humane Gesellschaft eingetreten sind.
Diese humane Gesinnung, die ihr Handeln bestimmt hat, war die Grundlage dafür, dass der 8. Mai, der Tag der Kapitulati on, die Chance eines Neubeginns und eines demokratischen Aufbruchs in sich trug.
Doch am 8. Mai 1945 konnten das viele Menschen noch nicht so sehen. Nach Kriegsende herrschte erst recht Not und Ver zweiflung, und dieser Tag brachte vor allem eines ans Licht: die Wahrheit – die Wahrheit über ein Regime, das die Zustim mung vieler Deutscher gefunden hat und an dessen Verbre chen nicht wenige mitgewirkt haben.
Deshalb setzte am 8. Mai vor allem eines ein: die große Ver drängung. Deshalb hat es auch lange gedauert, bis der 8. Mai auch bei uns als der Tag der Befreiung bezeichnet werden konnte.
Dass dies heute möglich ist, ist ohne Zweifel das Verdienst von Richard von Weizsäcker, der in seiner aufrüttelnden Re de zu 40 Jahren Kriegsende den 8. Mai als einen Tag der Er innerung an das bezeichnete, was Menschen erleiden muss ten. Er markiere das Ende eines Irrwegs deutscher Geschich te, und man dürfe den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 30. Januar 1933 gab es nur wenig Widerstand. Nur in einer einzigen Kommune wur de zum Generalstreik gegen die Machtergreifung Hitlers auf gerufen. Diese Gemeinde liegt in Baden-Württemberg, in mei nem Wahlkreis: das damalige Arbeiterdorf Mössingen am Fuß der Schwäbischen Alb.
Die sogenannten Rädelsführer des Mössinger Generalstreiks haben dafür bitter bezahlt. Auch nach dem Krieg wurden sie ausgegrenzt, und über den Generalstreik wurde geschwiegen. Bis heute gibt es in Mössingen und in meinem Wahlkreis Aus einandersetzungen darüber, wie dieser Streik und seine Teil nehmer einzuschätzen sind. „Vaterlandslose Gesellen“ – sol che Begriffe waren lange Zeit zu hören und zeugen von allem anderen als von Stolz auf jene, die bereit waren, Widerstand zu leisten.
Solche Konflikte sind für das Nachkriegsdeutschland symp tomatisch und zeigen, wozu die Verdrängung der Vergangen heit führt. Was verdrängt wird, führt zu neuen Konflikten im Hier und Jetzt. Um es mit Richard von Weizsäcker auszudrü cken:
Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmensch lichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.
Diese Ansteckungsgefahren sind gegenwärtig überall in Eu ropa zu beobachten und können tatsächlich zu einer Bedro hung für das geeinte Europa werden. Darauf komme ich im zweiten Teil zu sprechen.
Jetzt nur so viel: Der 8. Mai wird heute als Europatag gefei ert, auch hier im Landtag. Am Freitag werden hier viele Schul klassen anwesend sein. Der 8. Mai war die Geburtsstunde für ein neues Europa, nicht aber die Stunde null. Ein Neuanfang wurde möglich, weil die Friedenssehnsucht der Menschen da mals unendlich groß war und gerade deshalb der in Europa vorherrschende Nationalismus überwunden werden konnte.
Der Neuanfang war aber vor allem deshalb möglich, weil die Sieger bereit waren zur Aussöhnung mit dem besiegten Deutschland. Das hat unseren Nachbarn Polen und Frankreich besonders viel abverlangt – auch daran sei erinnert –, genau so wie vielen anderen Ländern, in die Deutschland einmar schiert ist.
Auch daran sei erinnert: Die Amerikaner haben uns damals mit Carepaketen, vor allem aber mit einem Marshallplan zum Wiederaufbau der kaputten Infrastruktur unter die Arme ge griffen. Für diese Bereitschaft zur Versöhnung müssen wir
dankbar sein. Ich denke, es kann nicht schaden, wenn wir uns bei der aktuellen Europapolitik auch einmal daran erinnern. Darauf möchte ich im zweiten Teil zurückkommen.
Vielen Dank.
Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Ich finde es ganz erstaunlich, dass es eine Schülerin ist, die auf die Bedrohung hinweist, in der sich Eu
ropa eben auch befindet. Europa ist im Moment auch gespal ten: in Nord und Süd und in Arm und Reich. Aufgrund dieser Problematik wachsen auch der Unmut und der Zuspruch, den rechtspopulistische und nicht selten auch rechtsextreme Par teien erfahren. Wenn man sich einmal die Ergebnisse der Eu ropawahlen ansieht, kommt doch große Sorge auf. Mit Sorge blicken wir auch auf Ungarn, wo die Regierung immer häufi ger Forderungen provoziert, die mit den Wertevorstellungen der EU nicht vereinbar sind.
Doch dürfen wir nicht nur auf andere schauen, sondern wir müssen auch vor der eigenen Haustür kehren. Denn in Sachen Rechtsextremismus schaut die Welt bei uns genauer hin. Da ist eben nicht alles gut. Antisemitismus und Rassismus waren in dieser Gesellschaft nie ganz verschwunden. Das hat auch mit dem Verdrängen von Vergangenheit zu tun. Aber diese Er scheinungen werden nicht weniger, sondern – das macht mir Sorge – das Gegenteil ist der Fall. In den letzten Monaten hat das Bild unserer weltoffenen und toleranten Gesellschaft ei nen Riss bekommen – nicht allein durch „Pegida“, sondern auch durch die AfD.
Die Rechtsextremen selbst werden eindeutig gewaltbereiter. Ich will ein Beispiel zitieren. Die NPD Rhein-Neckar hat im Internet veröffentlicht:
Es ist zu hoffen, dass die ersten Opfer der Islamisten in Mannheim keine Bürger sind, sondern Politiker der Mul tikulti-Parteien wie SPD, Grüne und Linke. Sie können ruhig in ihrem Blut ersaufen.
Da kann man nur Brecht zitieren: „Der Schoß ist fruchtbar noch.“ Deshalb, finde ich, ist es gut, dass es hier im Landtag einen NSU-Untersuchungsausschuss gibt. Es ist auch gut, wenn wir uns des Themas Rechtsextremismus genau anneh men und wenn hier im Land mit der Bagatellisierung von rechtsextremen Tendenzen Schluss gemacht wird.
Einen zweiten Punkt würde ich gern noch ansprechen. Die Wunden des Zweiten Weltkriegs – der Kollege hat es vorhin angesprochen – kommen durch die Finanzkrise natürlich er neut hoch, beispielsweise in vielen südlichen Ländern oder in Griechenland. Wir Deutschen, wir Besiegten, haben nach dem Krieg bald wieder gut gelebt. Anderswo gab es keinen Mar shallplan, und die Kriegsfolgen waren länger zu spüren. In Griechenland z. B. gab es erst eine große Hungersnot, dann einen Bürgerkrieg, das Land war destabilisiert, und schließ lich kam die Junta an die Macht.
Griechenland oder andere Länder, in die Deutschland einmar schiert ist, wären heute ziemlich sicher besser dran, hätte es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben – unseren Weltkrieg. Trotzdem sind wir jetzt die Reichen, die Gläubiger und die Gönner. Die anderen sind die Schuldner und die Bittsteller. Dass jetzt über Reparationen oder Forderungen nach Rück zahlung von Kriegskrediten diskutiert wird, ist doch verständ lich und nachvollziehbar.
Als Standardantwort kommt häufig: „Das ist lange her, lassen wir es gut sein.“ Aber genau das dürfen wir nicht tun – es gut sein lassen und unsere Vergangenheit ruhen lassen –, weil
sonst die Gefahr besteht, dass uns die Vergangenheit wieder einholt.
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Ich will nur einen Satz zu Burundi loswerden. Im April fand im Rahmen der Messe FAIR HANDELN die Entwick lungspolitische Landeskonferenz statt. In diesem Rahmen fin det ja auch immer eine Veranstaltung zu Burundi statt. Das Burundi-Netzwerk hat getagt. Auf dieser Veranstaltung wur den wir Abgeordneten von den burundischen Oppositionspo litikern, die auch dort waren, und von einem katholischen Pa ter, dessen afrikanischen Namen ich nicht aussprechen kann,
angesprochen, dass wir uns unbedingt äußern müssten, was Burundi anbelangt.
Ich selbst war sehr skeptisch, weil ich gedacht habe, eine Re solution im Landtag von Baden-Württemberg wird die Welt in Afrika nicht sehr verändern. Ich wurde aber danach von al len noch einmal inständig darum gebeten. Dabei wurde ge sagt, in Burundi schaut man nicht nur allgemein auf Deutsch land, sondern für Burundi spielt Baden-Württemberg die ganz wesentliche Rolle. Deshalb sei es für sie als Oppositionspoli tiker ganz wichtig, dass wir uns hier äußern. Denn dass wir auf Burundi schauen, sei auch ein Schutz für die Opposition dort in Burundi.
Danke.
Herr Präsident, liebe Kollegen und Kolleginnen! Es musste sehr viel passieren – viele Unfäl le, viele Tote, das Drama von Lampedusa und jetzt die ganz große Katastrophe –, bevor Europa bereit war, das Thema Flüchtlingspolitik ins Visier zu nehmen und zu überdenken. Vorher wurde in Europa nur über Abschottungspolitik und da rüber, wie diese zu organisieren ist, diskutiert. Daher teile ich die Meinung des Vorredners: Europa hat in dieser Hinsicht ab solut versagt.
Natürlich gab es nach jedem Unfall Betroffenheitsbekundun gen, aber es gab gleichzeitig die Diskussion, dass eine Aus weitung der Seenotrettung nur neue Anreize für Schlepper schaffe. Das haben wir gerade auch vom Kollegen gehört. Ich denke, so können wir nicht mit diesem Thema umgehen, in dem wir immer nur überlegen, was auf der einen Seite pas siert, und die andere Seite, die Seite der Flüchtlinge, nicht be trachten.
„Mare Nostrum“ hat nach Schätzungen immerhin 150 000 Menschen das Leben gerettet. Es wurde im Oktober letzten Jahres eingestellt, weil Europa nicht bereit war, das Pro gramm, das bisher von Italien finanziert worden ist, weiter zu finanzieren. Seit dieser Einstellung sind wieder Tausende von Menschen ertrunken, die noch leben könnten, wenn es statt „Triton“, des Programms zum Schutz der EU-Außengrenzen – das reicht nur über 30 Seemeilen –, ein echtes Seenotret tungsprogramm gegeben hätte.
Weil das so ist, gibt es in unserer Bevölkerung eine ganz gro ße Empörung, eine Wut. Die Menschen bei uns trauern um die vielen Flüchtlinge, die ums Leben gekommen sind. Sie zeigen mehr Empathie als viele Politikerinnen und Politiker in Brüssel, die bloß überlegen, wie man eine Abschottungs politik organisieren kann.
Sie haben am Wochenende zuhauf demonstriert unter dem Motto „Europas Grenzen töten“. Sie sind bereit, den Flücht lingen zu helfen. Ich finde, wir können auf diese Menschen in Baden-Württemberg stolz sein, die so viel Empathie für die Flüchtlinge aufbringen. Ich möchte mich auch ausdrücklich bei diesen Menschen bedanken.
Unter dem Druck der Ereignisse hat nun ein Sondergipfel stattgefunden, und man muss sich einmal anschauen, was da bei herausgekommen ist: Die Verdreifachung der Mittel für die Seenotrettung klingt richtig gut, aber – da muss ich „aber“ sagen – diese Maßnahme ist eben nicht so weitreichend wie „Mare Nostrum“, weil sie sich auf diese 30-Meilen-Zone be schränkt und nicht da wirkt, wo die Hilfe am dringendsten ge braucht wird: an der Küste Libyens, von wo aus sich im Mo ment die meisten Flüchtlinge auf den Weg über das Mittel meer machen.
Stattdessen sagt man jetzt: Man muss die Schleuserkrimina lität bekämpfen – richtig –, Schleuserschiffe versenken. Aber Sie wissen alle, dass das ein sehr, sehr fragwürdiges Unter
fangen ist. Hierzu bedarf es wahrscheinlich eines UN-Man dats. Nicht ohne Grund kommt auch die Kritik aus dem Vati kan, dass das Ganze mit dem Völkerrecht unvereinbar sei.
Die Menschen werden trotzdem kommen, wenn man nicht da für sorgt, dass es auch legale Zuwanderungsmöglichkeiten gibt.
Am Wochenende wurden in einer Zeitung Beispiele von den wenigen Menschen gebracht, die das Unglück überlebt haben. Ich will einmal ein kurzes Beispiel zitieren.
Irfan aus Pakistan: Es war zu gefährlich in Pakistan. Wir haben große Probleme – mit al Qaida und anderen Ter roristen. Es gibt Anschläge, und wenn sie dich ins Visier genommen haben, bist du nicht mehr sicher. Sie haben schon meine beiden Brüder getötet. Ich musste weg. Das einzige Visum, das ich bekommen habe, war ein libysches. Das war 2013. Aber in Libyen war es schlimmer als bei uns in Pakistan. Dort herrschte auch kein Frieden. Also habe ich beschlossen, nach Italien zu gehen.
Und so weiter.
Hätte diese Person es jetzt nicht geschafft, sie würde sich im mer wieder – weil ihr gar keine andere Möglichkeit bleibt – auf den Weg nach Europa machen.
In dieser Situation befinden sich viele Menschen, die im Mo ment in Libyen, in Nordafrika irgendwo warten. Europa ist der Rettungsanker. Deshalb ist es nötig, legale Zuwanderungs möglichkeiten zu schaffen.
Natürlich müssen wir auch die Fluchtursachen bekämpfen. Das Thema Afrika ist angesprochen worden. Natürlich müs sen wir uns um Afrika kümmern. Wir brauchen eine bessere Koordinierung zwischen den Ländern, und wir brauchen na türlich auch eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge.
Das sind Themen für die nächsten Gipfel. Aber diese Fragen werden sich nicht von heute auf morgen lösen lassen. Des halb, meine Damen und Herren, gibt es keine Alternative zu „Mare Nostrum“. Das ist auch das, was wir wieder einfordern, wofür wir uns einsetzen: eine Seenotrettung, die sich eben nicht nur auf die europäischen Küsten beschränkt, sondern im gesamten Mittelmeer tätig ist. Die Alternative zu „Mare Nos trum“ heißt erneutes Sterben – Massengrab Mittelmeer.
Vielen Dank.
Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Der Kollege Glück hat zu Recht gefragt: Was können wir hier in Baden-Württemberg machen? Natür lich kann man über den Bundesrat etwas machen, gemeinsam mit anderen, und genau das werden wir auch tun. Dazu haben wir gerade eine Anfrage vorgelegt.
Aber wir können noch etwas anderes machen. Wir können als Parlament von Baden-Württemberg hier Stellung beziehen. Stellung zu beziehen in der Frage der Flüchtlingspolitik ist ei ne ganz wichtige Sache. Die Menschen schauen, was hier drin passiert, ob wir es schaffen, uns gemeinsam für eine humane Zuwanderung auszusprechen. Das ist eine ganz wichtige Fra ge, ebenso wie die Frage: Wie gehen wir mit einer Flüchtlings politik um, die wir nicht akzeptieren, die dazu führt, dass Menschen ums Leben kommen? Dass wir dazu Stellung be ziehen, das wird von uns erwartet, und das sollten wir tatsäch lich parteiübergreifend gemeinsam machen. Deshalb ist es notwendig und richtig, dass wir diese Debatte führen und hier Stellung beziehen.
Das Zweite, was wir hier von Baden-Württemberg aus ma chen können: Wenn es um die Nothilfe für die Mitgliedsstaa ten an den Außengrenzen geht, dann können wir auch etwas machen. Die sind nämlich in einer ganz anderen Weise betrof fen. Wir dürfen nicht bloß darüber diskutieren, wie nun die gerechte Verteilung aussieht, und fragen: Überfordern wir hier unsere Gesellschaft? Eine Überforderung erleben ganz ande re Länder, z. B. die Türkei. Dort befinden sich Millionen Men schen in den Flüchtlingslagern. Darauf muss man einmal hin weisen. Dies gilt auch für die afrikanischen Länder; diese sind mit ihren Flüchtlingen in einer Art und Weise überfordert, wie wir es uns hier kaum vorstellen können. Hier von Überforde rung zu reden, führt daher nicht zu einer größeren Akzeptanz.
Wir müssen tatsächlich anfangen, den Staaten zu helfen, die überfordert sind, und das sind auch europäische Staaten. Das sind Griechenland und vor allem Italien. Da können wir eini ges machen. Vor allem müssen wir aufhören, eine schiefe De batte zu führen, wie sie in diesem Land immer wieder geführt wird. Da sagt man: „Griechen, spart ein bisschen mehr, aber die Flüchtlinge müsst ihr anständig unterbringen.“ Das passt alles nicht zusammen. Ich denke, wir können hier einiges tun, um diesen Mitgliedsstaaten zu helfen.
Jetzt komme ich noch einmal zur Verdreifachung der Mittel. Das ist ein richtiger Schritt. Was aber haben wir für die Ban kenrettung ausgegeben? Da haben wir viele Sondergipfel ver anstaltet. Auch was die Rettung der Handelsschiffe anbelangt, organisieren wir sehr viel und engagieren uns stark am Kap Horn mit ganz vielen Schiffen. – Jetzt stellt Deutschland zwei Schiffe; das ist in der Relation sehr, sehr wenig. Ich denke, wir sind alle aufgefordert, Stellung zu beziehen und mit da für zu sorgen, dass in dieser Frage künftig mehr Engagement von Deutschland ausgeht.
Vielen Dank.
Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Die Landesregierung ist europapolitisch gut aufgestellt. Das zeigt der vorliegende Bericht. Das sieht man an dem gesamten Bereich der EU-Strukturpolitik. Bei spiele sind RegioWIN oder auch der ESF, bei denen BadenWürttemberg ohne Zweifel eine Vorreiterrolle spielt, aber auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, für die Ba
den-Württemberg in dieser Förderperiode immerhin insge samt 78 Millionen € bekommt.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch einmal wie Kollege Reinhart das Beteiligungsgesetz ansprechen – das ist ein wich tiges Thema – und mich bei der Landesregierung bedanken, dass sie bei diesem Thema nicht lockerlässt. Das ist uns allen sehr wichtig.
Gratulieren möchte ich zudem unseren bayerischen Kollegen, die über eine Geschäftsordnungsänderung bewirkt haben, dass die Kompetenzen des Europaausschusses innerhalb des Land tags ganz deutlich gestiegen sind. Sie haben dadurch u. a. be wirkt, dass der Landtag künftig wesentlich frühzeitiger bei EU-Vorhaben eingebunden ist.
Ich denke, wir sollten uns diese Geschäftsordnungsänderung einmal ganz genau ansehen. Eine frühzeitigere Einbindung und eine frühzeitige Positionierung des Landtags ist vor al lem bei solch schwierigen Themen wie etwa TTIP und CETA wichtig. Dabei geht es vor allem darum, inwieweit durch sol che Abkommen parlamentarische Rechte eingeschränkt wer den. Die Bürgerinnen und Bürger sind da sehr kritisch, und das erwarten sie auch von uns.
Ganz nebenbei sei bei diesem Thema erwähnt: Ich finde es bemerkenswert, wie wenig Politikverdrossenheit es genau bei diesem Punkt gibt. Ich finde, hier müssen wir unsere Haus aufgaben machen und alles tun, damit wir bei diesen Fragen mehr Transparenz erreichen.
Aber ich fürchte, dass im Moment solche Themen wie Struk turpolitik die Bürgerinnen und Bürger nicht so arg interessie ren. Die Menschen treiben natürlich ganz andere Themen um, wie der internationale Terrorismus und die vielen Krisen vor unserer Haustür. Dabei spielt natürlich das Thema Flüchtlin ge – es ist hier angesprochen worden – eine ganz wesentliche Rolle. Natürlich wirken solche Bemerkungen, wie sie im Mo ment aus Griechenland kommen, vielleicht etwas komisch und sind nicht unbedingt hilfreich. Aber das führt dazu, dass die Flüchtlingsproblematik insgesamt anders gesehen wird. Die Menschen begreifen, dass südeuropäische Länder mit den Flüchtlingsströmen wesentlich stärker zu tun haben als unser Land und welche Auswirkungen die Dublin-Verordnung für andere Länder hat. Ich bin froh, dass die Diskussion dadurch verstärkt wird.
Bitte?
Ja, weil sie so viele Flüchtlinge haben.
Aber die Flüchtlingsproblematik ist natürlich nicht der einzi ge Grund, warum das Thema Griechenland gerade hochkocht. Da erringt eine linke Partei oder, besser gesagt, ein linkes Bündnis einen Überraschungssieg, und zwei Politiker werden
sozusagen über Nacht zu Popstars. Sie werden es deshalb, weil sie eben etwas wagen, was sich die Vorgängerregierung nicht getraut hat. Sie stellen sich nämlich gegen die Troika, die wirklich auf ganzer Linie versagt hat.
Denn in allen diesen Krisenländern sind die Schulden wesent lich angewachsen und nicht zurückgegangen. Am Montag abend gab es dazu eine Fernsehsendung in der ARD.
Dort wurde gesagt, dass das die erste Schuldenrevolte gegen eine falsche Politik gewesen sei. Diesen Satz fand ich sehr be merkenswert.
Gleichzeitig hat aber eine wahnsinnige Medienkampagne ein gesetzt. „Griechenland am Abgrund“, so hieß gestern Abend eine Sendung. Die Frage ist: War Griechenland unter der al ten Regierung eigentlich nicht am Abgrund? Den Vogel schießt wie immer die „Bild“-Zeitung ab,
wenn sie solche Kampagnen macht wie „Bild-Leser sagen NEIN“ oder „Was die Griechen von den Deutschen alles ge schenkt bekommen“.
Am Schluss gern.
Ich muss mich wirklich fragen: Wie kommen sich eigentlich die Griechen vor, die bei uns hier leben? 400 000 Griechin nen und Griechen leben in Deutschland, ca. 80 000 Griechen hier in Baden-Württemberg. Ich frage mich: Müssen wir nicht auch etwas dafür tun, dass Menschen, die hier immer gut in tegriert waren, in diesem Land nicht zu Außenseitern werden?
Wir hatten vor einigen Jahren schon einmal eine ähnlich schwie rige Situation. Damals haben u. a. die kommunalen Landes verbände angefangen, Kontakte nach Griechenland aufzubau en. Sie haben viele Initiativen ergriffen, um gemeinsame Pro jekte mit griechischen Kommunen auf den Weg zu bringen. Ich finde, das ist der richtige Weg. Wir müssen alles tun, um in einer schwierigen Situation unsere griechischen Freunde, die hier leben, nicht zu isolieren.
Wir müssen auch etwas tun, damit sich die Situation nicht mit jedem Satz wieder neu hochschaukelt und das Klima in unse rem Land vergiftet.
Vielen Dank.
Europa braucht mehr Investiti onen. Darüber sind wir hier im Haus alle einig. Europa hätte eine Investitionsoffensive schon wesentlich früher gebraucht. Auch das ist mittlerweile schon fast einhellige Meinung. Viel zu lange war die europäische Politik viel zu einseitig auf rei nes Sparen ausgerichtet, und in Sachen Investitionen hat sich die alte Kommission im Wesentlichen auf Ankündigungen be schränkt. Jedenfalls meine ich: Hätte es schon früher flankie rende Maßnahmen gegeben, hätte Mario Draghi wahrschein lich nicht mit einem Anleihenkauf der EZB in die Bresche springen müssen.
Nun gibt es also in Brüssel die Abkehr von der bisherigen Po litik – hin zu mehr Investitionen, zu Maßnahmen zur Ankur belung der Wirtschaft, was in Krisenzeiten das Gebot der Stunde ist und viel zu lange verschlafen wurde. Denn nur Spa ren funktioniert bekanntlich nicht, führt zu weiterem Schrump fen der Wirtschaft und ganz sicher nicht dazu, dass hoch ver schuldete Länder ihre Schulden werden zurückzahlen können. Sparen ist eben nicht in jeder Situation eine Kardinalstugend.
Übrigens lohnt sich der Blick zurück auf Deutschland in der Krise. Wir haben damals Konjunkturpakete aufgelegt. Und was hat Europa gemacht? Es hat Spardiktate verhängt. Was für uns damals richtig war, müssen wir jetzt auch den Ländern zugestehen, die sich noch mitten in der Krise befinden. Das heißt, wir müssen aufhören, andere auszubremsen, wenn sie investieren wollen, und wir müssen aufhören, ihnen neue Spardiktate aufs Auge zu drücken.
Das sage ich ganz bewusst auch mit Blick auf den Ausgang der Wahlen in Griechenland, die ja nichts anderes waren als der Aufschrei eines Volkes, das Europa gesagt hat: „So kön nen wir nicht mehr weiter.“ Die Sparmaßnahmen dort haben nämlich nicht zu Strukturreformen und schon gar nicht zur Schuldenreduzierung geführt, sondern zur Verarmung großer Teile der Bevölkerung, zu einer beispiellosen Arbeitslosigkeit und dazu, dass viele Menschen dem Land den Rücken keh ren. Die Investitionsquote dort ist sogar um mehr als 60 % ge sunken.
Erlauben Sie mir noch diese Bemerkung: Was im Moment in Griechenland passiert, wird nicht ohne Auswirkungen auf Länder wie Spanien, Portugal, Italien und andere bleiben. Sich eben nicht dem Diktat der Troika zu beugen hat für viele Men schen in vielen Ländern durchaus seinen Charme und wird künftige Wahlen beeinflussen.
Insofern steht nicht allein das Thema „Umgang mit Schulden“ ganz oben auf der europäischen Agenda, sondern noch viel mehr das Thema Investitionen. Mit der Investitionsoffensive,
über die wir heute reden, ist der neuen EU-Kommission gleich zu Beginn ihrer Amtszeit tatsächlich ein Punktsieg gelungen. Überall in Europa wird wieder über Investieren geredet und nicht nur über Sparen. Dass das Ganze bereits zu einem Pa radigmenwechsel in der europäischen Wirtschaftspolitik führt, das wage ich allerdings nicht zu behaupten.
Nur so viel: Laut Kommissionspräsident Juncker will die EU mit einem völlig neuen Ansatz, das heißt mit vergleichswei se wenigen Mitteln, privates Investitionskapital anlocken, um damit vor allem strategische Investitionen in grenzüberschrei tende Infrastruktur, in den Breitbandausbau, in neue Energi en und in die Förderung der KMUs zu tätigen. Dadurch könn ten jede Menge neuer Arbeitsplätze geschaffen werden: Von 1,3 Millionen ist da die Rede und auch davon, dass das BIP der EU so um 400 Milliarden € gesteigert werden könnte. Das würde die Vertrauenskrise bei den Investoren beenden, und aus jedem bereitgestellten Euro aus öffentlichen Mitteln könn te das 15-Fache an Investitionskapital angelockt werden.
Besonders wichtig ist, dass nach den bisherigen Plänen zu sätzliche, von den Mitgliedsstaaten direkt einbezahlte Mittel nicht auf die Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts angerechnet werden. Deshalb würde nach Meinung vieler Ex perten die angenommene Hebelwirkung tatsächlich funktio nieren. Mir persönlich scheint das 15-Fache etwas zu hoch ge griffen. Aber auch das Achtfache, wovon wir bei öffentlichen Investitionen in Baden-Württemberg ausgehen, wäre ja nicht ganz schlecht.
So weit also die optimistischen Meldungen aus Brüssel. Und noch eine gute Nachricht: Das Programm soll ohne neue Mit tel auskommen.
Eine weniger gute Nachricht gibt es allerdings auch. Sie be sagt, dass die Mittel, die für den sogenannten Garantiefonds vorgesehen sind – insgesamt 21 Milliarden €, davon 16 Mil liarden € aus dem EU-Haushalt und 5 Milliarden € von der Europäischen Investitionsbank –, nur aus anderen Förderpro grammen wie beispielsweise Horizon 2020 umgeschichtet werden. Im Klartext heißt das: Sie fehlen an anderer Stelle. Damit werden Mittel gebunden, die an anderer Stelle mehr Nutzen bringen können. Der Verdacht des Etikettenschwin dels liegt da schon sehr nah.
Das alles trifft Baden-Württemberg in besonderem Maß und hängt mit den genannten Webfehlern des Programms zusam men, aber auch mit dem ehrgeizigen Zeitplan, den die EU bei der Umsetzung verfolgt. Bereits bis zur Jahresmitte soll mit den unterschiedlichen Projekten begonnen werden. Deshalb hat der Bund seine Projektlisten – mit Projekten über immer hin 89 Milliarden € – auch bereits vorgelegt, allerdings ohne die Länder, insbesondere Baden-Württemberg, entsprechend einzubinden. Zumindest scheint es, dass die Länder sehr un terschiedlich eingebunden wurden. Inwieweit der Bund die Länder entsprechend informiert hat, werden wir ja noch von der Landesregierung erfahren. Jedenfalls – so viel lässt sich sagen – war die Kommunikation des Bundesfinanzministeri ums nicht gerade optimal.
Denn nur so ist es zu erklären, dass die Projektideen aus Deutschland offensichtlich asymmetrisch eingesammelt wur den. Und auch nicht alle Projekte scheinen eine wirkliche eu ropäische Dimension aufzuweisen. Das wurde auch von der
Landesregierung entsprechend kritisiert. So hat Ministerprä sident Kretschmann diese Woche in Brüssel sehr deutliche Worte gefunden, vor allem auch, was die Finanzierung der Breitbandverkabelung anbelangt.
Noch ein Punkt zur Verkehrsinfrastruktur. Uns ist es in die sem Zusammenhang wichtig, dass auch die Kommunen von dieser Offensive profitieren. Deshalb fordern wir Nachver handlungen, vor allem, was die künftigen Regelungen, die dem GVFG nachfolgen, betrifft.
Am problematischsten wirken sich die Umschichtungen al lerdings im Wissenschaftsbereich aus – zum einen wegen des fehlenden Mitspracherechts bei den künftigen Forschungspro jekten, zum anderen aber auch, weil den Projekten selbst kla re wissenschaftliche Begründungen fehlen. Deshalb hat das Wissenschaftsministerium im Bundesrat eine ablehnende Stel lungnahme vorgelegt, die einstimmig angenommen wurde.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Auch ein für Europa rich tiges Programm ist nicht automatisch gut für Baden-Württem berg. Was aber nicht gut ist für Baden-Württemberg, das kann auch nicht gut sein für Europa. Bei allem Verständnis dafür, dass Investitionen vorrangig in schwächere Länder fließen – es hilft niemandem weiter, wenn Baden-Württemberg ausge rechnet auf dem Gebiet geschwächt wird, auf dem es ohne Zweifel exzellent ist, nämlich bei Wissenschaft und For schung. Um es mit den Worten des Ministerpräsidenten aus zudrücken: Die Schwächeren werden nicht gestärkt, indem die Stärkeren geschwächt werden.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, mit den Län dern, mit Baden-Württemberg an einem Strang zu ziehen und bei der EU nachzuverhandeln. Konkret bedeutet dies: Es darf nicht nur umgeschichtet, sondern es müssen zusätzliche Mit tel eingestellt werden.
Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Meine Vorredner haben es bereits an gesprochen: Wir hatten heute eine großartige Gedenkfeier zum 25. Jahrestag des Mauerfalls. Aber auch an einem solchen Tag darf man einmal nachfragen, ob das, was Willy Brandt einst gesagt hat – „Es wächst zusammen, was zusammengehört“ –, in allen Bereichen eingetreten ist.
Ich denke, in vielerlei Hinsicht, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, war die Wiedervereinigung eine schwere Geburt. Bis heute konnte das soziale Gefälle zwischen West und Ost nicht wirklich und in allen Punkten beseitigt werden, auch, wenn viel Großartiges geleistet wurde. Manchmal wiegt die Last der Wirklichkeit eben stärker als die große Idee.
Heute ist das vereinte Europa die große Idee, die sich an der Realität messen lassen muss. Das Wohlstandsgefälle verläuft – heute noch ausgeprägter als früher – zwischen Nord und Süd. Gegen Widerstand wurde eine Austeritätspolitik durch gesetzt, die das Gefälle nicht abgebaut und die sozialen Pro bleme nicht gelöst, sondern eher verschärft hat.
Es wäre schön, wenn wir heute sagen könnten, dass es auf wärtsgeht. Aber trotz vieler Anstrengungen verschärft sich die Spaltung in Europa, und zwar von Quartalsbericht zu Quar talsbericht. Im Schnitt gibt es in der Eurozone viel zu wenig Wachstum. Selbst in Deutschland zeichnet sich ab, dass das Wirtschaftswachstum schwächer wird.
Hinzu kommen die politischen Krisen rund um das Mittel meer. Von wegen arabischer Frühling! Davon ist wenig übrig geblieben, wie man u. a. anhand der Flüchtlingsproblematik sieht.
Werner Schulz hat es heute Morgen angesprochen: Wenn wir heute feiern, dass Mauern gefallen sind, dann sollten wir rund um Europa auch keine neuen Mauern aufbauen.
Zu der gesamten Situation kommt noch eine neue Problema tik hinzu: eine Abstimmung in Katalonien, die zwar keine Rechtskraft hat, uns in Baden-Württemberg jedoch wegen der „Vier Motoren“ durchaus betrifft.
Wozu eine politische Zergliederung führen kann, haben wir im ehemaligen Jugoslawien bitter erleben müssen. Auch wenn es uns nicht zusteht, anderen Ratschläge zu erteilen, so kann man trotzdem sagen: Beide Seiten, Spanien und Katalonien, haben zu einer Eskalation der Situation beigetragen – der spa nische Staat deshalb, weil er dem Verfassungsgericht noch im Nachhinein ein schon beschlossenes Autonomiestatut vorge legt hat.
Wir können auf unser föderatives System verweisen. Darin liegt auch für Spanien die Lösung. Das kann durchaus ein Vor teil sein. Was wir nämlich ganz sicher nicht brauchen, ist ein Mehr an Nationalstaat, und wir brauchen auch nicht mehr Na tionalstaaten in Europa.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Europa ist dabei, aus den Fugen zu geraten, wenn nicht schnellstmöglich gegengesteu ert wird. Das sieht der EU-Kommissionspräsident im Übrigen genauso, der bei seiner Vorstellung der europapolitischen Agenda gesagt hat – ich zitiere –:
Wir müssen offen für Veränderungen sein. Wir müssen zei gen, dass die Kommission zu Veränderungen fähig ist.
Ob er dafür allerdings der Richtige ist – das wurde bereits an gesprochen –, ist nach der Diskussion über das Steuerparadies Luxemburg zu hinterfragen.
Ich hoffe auf jeden Fall, dass die Ratspräsidentschaft in Itali en mehr bewegt. Auch dort sind die Ziele ähnlich formuliert: mehr Wachstum und Beschäftigung. Dafür braucht es natür lich verstärkt das Vertrauen der Bevölkerung. Deshalb hat Ita lien dort, wo die Probleme begründet liegen, gehandelt und zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit bereits einen gro ßen Anlauf gemacht.
Zu diesem Thema gab es jetzt eine erste Veranstaltung in Mai land. Italien hat dort noch einmal deutlich gemacht, dass die Jugendarbeitslosigkeit allein mit Sondermaßnahmen nicht be kämpft werden kann. Vielmehr bedarf es vor allem eines wachsenden Mittelstands. Der Mittelstand wiederum braucht den Zugang zu den Krediten. Das klappt nämlich immer noch nicht. Europa redet zwar viel darüber, aber bisher wurde we nig davon umgesetzt.
Leider hat diese Veranstaltung fast mit einem Skandal geen det. Präsident Hollande hat mehr Mittel zum Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit gefordert, und Kanzlerin Merkel hat dies abgelehnt. Die Vorstellungen liegen in Europa also im mer noch meilenweit auseinander.
Mir ist wichtig, dass unsere Landesregierung ihren Beitrag zum Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit leistet. Es gibt viele unterschiedliche Projekte bei uns und in Europa; wir ma chen vieles, und andere sind dabei auch aktiv. Bislang wurde aber noch wenig in Richtung Kooperation getan. Ich bin froh, dass wir uns auch im Europaausschuss einig darin sind, dass hier mehr passieren muss. Im Doppelhaushalt wird nun die Einrichtung einer entsprechenden Kooperationsstelle finan ziert. Das hilft den jungen Menschen, die ins Land kommen, um hier eine Ausbildung erfolgreich zu absolvieren, und es
trägt auch dazu bei, die Anstrengungen in den jeweiligen Län dern zu unterstützen.
Ich weiß, dass meine Redezeit bereits abgelaufen ist.
Ich würde dennoch gern noch einen letzten Punkt anführen, und zwar zum Thema Flücht lingsproblematik. Das Thema Mauern habe ich bereits ange sprochen. Mir wäre es wichtig, dass auch von hier ein Signal ausgeht. „Mare Nostrum“ ist beendet. Italien hat dabei Her vorragendes geleistet und hat 100 000 Menschen das Leben gerettet. Das Nachfolgeprogramm der EU sieht leider vor, Menschen nur noch innerhalb einer Zone von 35 Meilen zu retten. Das sollten wir so nicht akzeptieren. Ich hoffe daher, dass demnächst auch vom Bundesrat eine Initiative ausgeht, um „Mare Nostrum“ als europäisches Programm fortzufüh ren.
Vielen Dank.
Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Wir behandeln Europa als letzten Punkt vor der Sommerpause; daher will ich mich auf wenige The men beschränken.
Trotzdem steht dieser Punkt fast am Ende vor der Sommerpause, und gerade jetzt gibt es zu Europa besonders viel zu sagen.