Protocol of the Session on June 30, 2011

Die Ehec-Krise hat gezeigt, dass das Vertrauen der Verbrau cher in regionale Erzeugnisse sehr hoch ist. Direkt vermark tende Betriebe hatten deshalb nicht so hohe Umsatzeinbußen wie ihre indirekt absetzenden Kollegen. Gerade durch den di rekten Kontakt zum Kunden und die damit verbundene Trans parenz der Produktion gewinnen regionale Erzeugnisse an Wertschätzung.

Nichtsdestotrotz haben einige Betriebe empfindliche Einbu ßen erlitten, die nicht über das EU-Entschädigungsprogramm

ausgeglichen werden können. Dies gilt vor allem für die Sprossenbetriebe in Baden-Württemberg. Leider ist aufgrund der EU-Entscheidung derzeit keine direkte finanzielle Unter stützung dieser Betriebe möglich. Eine weitere Öffnung des Entschädigungsprogramms der EU ist nach derzeitigem Sach stand leider nicht abzusehen.

Allerdings hat die landwirtschaftliche Rentenbank ihr Förder programm (Liquiditätssicherung) auch für diese Erzeuger ge öffnet. Außerdem können Betriebe, die Umsatzeinbußen in folge der Ehec-Krise erlitten haben, für ihre Mitarbeiter einen Antrag auf Kurzarbeit bei der zuständigen Arbeitsverwaltung stellen. Darüber hinaus haben wir die Marketing- und Absatz förderungsgesellschaft für Agrar- und Forstprodukte aus Ba den-Württemberg – MBW – gebeten, Marketingmaßnahmen zu konzipieren und umzusetzen.

Selbstverständlich werden wir die Ehec-Krise und ihre Aus wirkungen auf den Gemüsesektor aufarbeiten.

Wir kommen zu Punkt 8 der Tagesordnung:

Antrag der Fraktion der CDU und Stellungnahme des Mi nisteriums für Kultus, Jugend und Sport – Das „Bildungs haus 3–10“ schafft gleiche Startchancen – Drucksache 15/33

Ihnen liegt dazu der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU, Drucksache 15/173, vor.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion. Für die Ausspra che gelten gestaffelte Redezeiten.

Das Wort zur Begründung des Antrags erhält für die CDUFraktion Herr Abg. Wacker.

Sehr geehrter Herr Präsident, mei ne Damen und Herren! Wenn wir auf die letzten Landtagsde batten der letzten Legislaturperiode zurückblicken, in denen wir über die frühkindliche Bildung diskutiert haben, muss ich rückwirkend feststellen, dass es im Grundsatz große Einigkeit gab, dass der Ausbau der frühkindlichen Bildung in BadenWürttemberg einen besonderen Stellenwert hatte. Deswegen haben, so meine ich, zu diesem Thema vernünftige, durchaus kontroverse, aber konstruktive Debatten stattgefunden.

Die frühere Landesregierung hat wichtige Gleise in die Zu kunft gelegt, gerade um dieses Ziel des Ausbaus der frühkind lichen Bildung zu verfolgen. Ich nenne stichwortartig drei Beispiele: erstens die flächendeckende Einführung des Orien tierungsplans, der in unseren Kindergärten hohe Akzeptanz genießt, und die Erhöhung des Personalschlüssels, die hierfür vollzogen wurde. Als zweites Beispiel erwähne ich die flä chendeckende Einführung der Sprachförderung für Kinder, die einen besonderen Sprachförderbedarf haben, und als drit tes Beispiel die Weiterentwicklung der Erzieherinnenausbil dung und den Ausbau der Ausbildungskapazitäten, um für die nächsten Jahre dem Bedarf an Erzieherinnen Rechnung zu tra gen.

Sie, meine Damen und Herren von der Landesregierung, knüpfen in Ihrem Koalitionsvertrag eigentlich an diese Maß nahmen an. Das begrüßen wir zunächst einmal grundsätzlich. Wir bieten Ihnen, Herr Staatssekretär, wenn es um die Ent wicklung und den Ausbau eines Gesamtkonzepts geht – auch diesen Begriff haben Sie in Ihren Koalitionsvertrag aufgenom men –, konstruktive Mitwirkung an, weil wir uns wünschen, dass die frühkindliche Bildung in diesem Haus auch in Zu kunft einen Grundkonsens genießt.

Ein besonderer Akzent liegt auf den Bildungshäusern. Wir ha ben in Baden-Württemberg nahezu 200 Bildungshäuser, da von sind 33 Modellstandorte, die es seit dem Jahr 2008 gibt. Deswegen überrascht es mich schon, dass die Landesregie rung in ihrer Stellungnahme zu unserem Antrag nur sehr ma ger auf unsere Frage eingeht, welche Befunde es bezüglich der Wirksamkeit gibt. Deswegen habe ich leider den Verdacht, dass Sie sich zumindest im Moment mit diesem Teil der früh kindlichen Bildung und diesem ganz besonders innovativen Ansatz nicht intensiv beschäftigen wollen. Dabei genießen die Bildungshäuser auch bundesweit ganz besondere Beachtung.

Worum geht es dabei im Kern? Es geht darum, dass wir den Kindern einen nahtlosen Übergang vom Kindergarten in die Grundschule ermöglichen. Es geht darum, dass die Kinder sehr früh Lernfreude vermittelt bekommen, damit ihnen un abhängig von ihrer sozialen Herkunft ein guter Start in der Grundschule gelingt. Im Kern geht es auch darum, dass die Fachkräfte in den Kindergärten und die Grundschulpädago gen gemeinsame pädagogische Konzepte entwickeln können, damit dieser Übergang, von dem ich gerade gesprochen habe, auch wirklich gelingt.

Wir haben erste Erkenntnisse über die Wirksamkeit. Diese 33 Standorte werden vom Transferzentrum für Neurowissen schaften und Lernen in Ulm, dem „Spitzer-Institut“, wissen schaftlich sehr intensiv begleitet. Wir können nach Auskunft der Landesregierung im Sommer 2012 konkrete abschließen de Ergebnisse erwarten.

Meine Damen und Herren, Ziel ist es, dass ähnlich dem ge meinsamen Lernen von Kindern im Kindergarten auch ge meinsames Lernen in Lerngruppen der Grundschule gelingen kann. Wir haben Befunde darüber – auch dies belegen Zwi schenberichte, die vorliegen –, dass es einen Zugewinn an per sonalen Kompetenzen gibt, dass auch die sozialen Kompeten zen gestiegen sind und dass beide Lerngruppen, sowohl die Kinder in den Kindergärten als auch die in den Grundschulen, davon profitieren.

Die ersten Befunde belegen, dass an diesen Modellstandorten früh ein Interesse an Lesen und Schreiben geweckt wird. Das ist ganz entscheidend. Wir sprechen doch über Sprach- und Lesekompetenz. Deswegen müssen wir auch jeden innovati ven Ansatz verfolgen, damit diese Kompetenzen sehr früh ge fördert werden. Gerade deswegen sind diese Bildungshäuser auch so wichtig, zumal – auch das ist ein wichtiger Ansatz – auch die Erzieherinnen und die Grundschullehrkräfte gemein sam davon profitieren. Denn es findet ein sehr intensiver Aus tausch zwischen den Elementarpädagogen und den Grund schulpädagogen statt.

Was mich sehr verwundert – zumal es genau diese Zwischen ergebnisse gibt, die auch öffentlich zugänglich sind –, ist, dass Sie nach all diesen Erkenntnissen in Ihrer Stellungnahme zu

unserem Antrag einfach behaupten, dass lediglich „anekdo tisch“ darüber berichtet werden könne. Das verwundert sehr. Deswegen fragen wir in unserem Antrag auch danach und for dern ein, dass Sie nach Vorlage der Abschlussergebnisse aus führlich darüber berichten.

Die Bildungshäuser sind sehr beliebt. Sie sind ein wichtiger Standortfaktor, vor allem für kleine Kommunen. Deswegen ist die Nachfrage sehr groß. Deshalb hat bereits die frühere Landesregierung den Ausbau auf nahezu 200 Standorte be schlossen. Weil wir Bildungsbiografien ohne Brüche ermög lichen wollen, wollen wir eine Weiterentwicklung dieser Bil dungshäuser in die gesamte Fläche des Landes mit Augen maß.

Deswegen wollen wir, dass nach Vorlage einer positiven Be wertung des Abschlussberichts – die Tendenzen sprechen da für, dass es am Ende eine solche positive Bewertung geben wird – im Jahr 2013 nach einer entsprechenden Vorbereitungs zeit Ihres Hauses dann auch mit einer weiteren Tranche des Ausbaus in der Fläche begonnen werden kann.

Ich hoffe, dass wir auch an dem Beispiel der Bildungshäuser den Grundkonsens bewahren. Wenn Sie sagen, dass Sie die sen Weg gemeinsam mit uns gehen wollen, dann werden wir Sie dabei auch tatkräftig unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort für die Frak tion GRÜNE erteile ich Frau Abg. Boser.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Der Anfang ist das Wichtigste – dieser Satz ist nicht neu, aber er gilt für vieles und insbesondere bei der Bil dung. Er stellt uns zugleich vor eine große Herausforderung: alle Kinder gleichermaßen so früh wie möglich in all ihren Begabungen zu fördern. Wir, die Regierungskoalition, neh men diese Herausforderung an, und wir nehmen sie sehr ernst.

Gute Förderung beruht auf guten Konzepten und passenden Rahmenbedingungen. Für den frühkindlichen Bereich ist der Orientierungsplan hier richtungweisend. Deshalb ist er für uns eines der wichtigsten Instrumente für flächendeckende gute frühkindliche Bildung. Viele Kindergärten haben ihn schon eingeführt. Es ist nun unsere gemeinsame Aufgabe mit den Kommunen, ihn mit den geeigneten Rahmenbedingungen im ganzen Land umzusetzen.

(Beifall bei den Grünen)

Denn unser Anspruch ist, dass alle Kinder im Land die glei chen Bildungschancen erhalten.

Das Bildungshaus hingegen ist eines der Beispiele, wie der flächendeckende Ausbau der frühkindlichen Bildung in den vergangenen Jahren nicht funktioniert hat. Bei 7 000 Kinder tageseinrichtungen in Baden-Württemberg sind gerade ein mal 200 in den Genuss dieses Projekts gekommen – ein ver schwindend geringer Anteil. Selbst bei diesen 200 Einrichtun gen schwanken Kooperation und Qualität beträchtlich. Die Kooperation zwischen Kindergarten und Grundschule ist in vielen dieser Einrichtungen minimal. Für ordentliche Förde

rung braucht man Zeit und entsprechende finanzielle Ressour cen. Die Bildungshäuser wiederum haben sich als teuer er wiesen, und ihre Effektivität ist bislang nicht abgesichert.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Exministerin Schick hat auf der „didacta“ im Zusammenhang mit den Bildungshäusern sogar davon gesprochen, dass sie virtuell seien – ein Leitgedanke, mehr nicht. Was aber soll ein virtuelles Modell in der Fläche? Das frage ich Sie. Wir kön nen uns virtuelle frühkindliche Bildung nun wirklich nicht leisten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Was die „Bildungshäuser 3–10“ betrifft, vertritt die Oppositi on übrigens bemerkenswerterweise die von uns Grünen schon lange vertretene Ansicht, dass individuelle Förderung und län geres gemeinsames Lernen zum Wohl der Kinder beitragen. Ich würde diesen Sinneswandel durchaus begrüßen. Aber lei der bezieht sich diese Einsicht bei Ihnen nur auf die Kinder von drei bis zehn Jahren. Ab dem Alter von zehn Jahren wird für Sie aus dem längeren gemeinsamen Lernen schlagartig Gleichmacherei.

(Zuruf von der CDU: Was?)

Den Begriff „Einheitsschule“ sollten Sie wirklich nicht wei ter verwenden, wenn es Ihnen mit dem Erkenntnisgewinn ernst ist, dass längeres gemeinsames Lernen für unsere Kin der viele Chancen bietet und dass es tatsächlich vor allem auf die individuelle Förderung ankommt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Dass Sie, liebe Damen und Herren von der Opposition, aber noch immer so beharrlich die innovativen und mutigen An sätze aus vielen Kommunen, längeres gemeinsames Lernen möglich zu machen, schlechtreden, obwohl Ihre eigene Bun despartei beschlossen hat, dem dreigliedrigen Schulsystem den Rücken zu kehren, zeugt davon, dass Sie das Prinzip der Chancengerechtigkeit nicht verstanden haben.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wir Grünen werden unser gemeinsames Engagement mit der SPD darauf richten, die Versäumnisse der vergangenen Jahre mit einem Konzept der frühkindlichen Bildung auszugleichen, das alle Einrichtungen erreicht und das sich im Orientierungs plan auch mit Kindern unter drei Jahren beschäftigt. Dabei werden wir die bestehenden Konzepte respektieren. Aber wir müssen selbstverständlich darauf achten, dass die finanziel len Mittel in der Breite ankommen und nicht auf ein paar we nige Einrichtungen gebündelt und verteilt werden.

Jedes Kind in diesem Land hat ein Recht darauf, die bestmög lichen Startchancen zu erhalten. Wir als Vertreter der Bürge rinnen und Bürger in Baden-Württemberg haben die Pflicht, dies möglich zu machen.

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Diese Pflicht werden wir Grünen gemeinsam mit der SPD er füllen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die Fraktion GRÜNE stehen echte Chancengerechtigkeit und jedes einzelne Kind im Mittelpunkt. Deshalb wollen wir mit den verfügbaren Mitteln sorgsam umgehen und die Din ge in die Fläche bringen, die Hand und Fuß haben, statt uns in Projekten zu verzetteln.

Die wissenschaftliche Evaluation der Bildungshäuser ist noch nicht einmal abgeschlossen. Mit ihnen in die Fläche zu gehen wäre daher nicht sinnvoll. Der Orientierungsplan, mit vernünf tigen Rahmenbedingungen in die Fläche gebracht, lässt alle Kinder kontinuierlich profitieren und nicht nur einige ein we nig.

Im Übrigen wollen wir auch keine Verschulung des Kinder gartens. Denn der Kindergarten ist keine Kinderschule, son dern ein Ort, an dem Kinder gemeinsam Kinder bleiben und spielerisch lernen dürfen.

(Beifall bei den Grünen)

Frühkindliche Bildung bedeutet eben nicht, ein Kind schul reif zu machen. Denn nicht das Kind muss den Institutionen der Bildung und Betreuung angepasst werden, sondern die Einrichtungen müssen kindgerecht und an die individuelle Entwicklung der Kinder angepasst sein und die Kinder kon sequent individuell fördern. Das ist unser Anspruch.