Protocol of the Session on February 27, 2013

(Oh-Rufe von den Grünen und der SPD – Zuruf von der SPD: Kein Neid! – Abg. Helen Heberer SPD: Bringen Sie einmal etwas Neues!)

das ist so –, machen Sie den Mindestlohn zum Wahlkampf thema, umetikettieren Peer Steinbrück zum Karl Liebknecht und hängen ihm das Mäntlein sozialer Gerechtigkeit um.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU – Abg. Flori an Wahl SPD: Zum Thema, bitte!)

Wir von der CDU fordern eine Lohnuntergrenze. Das ist kein semantischer Taschenspielertrick, sondern ein fundamentaler Unterschied. Das erläutere ich Ihnen gern: Mit Ihrer Forde rung nach einem Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde wollen Sie flächendeckend, von Helgoland bis Weil am Rhein, von Trier bis Passau, eine staatlich verordnete, gesetzliche „Lohn flatrate“, ohne auf die gesamtvolkswirtschaftlichen Rahmen bedingungen Rücksicht zu nehmen.

(Abg. Florian Wahl SPD: Wollen Sie jetzt einen Min destlohn oder nicht?)

Die CDU hingegen will mit marktwirtschaftlichen Instrumen ten Lohnuntergrenzen mit branchen- und regionalspezifischen Differenzierungen festlegen.

Klar ist doch: Menschen werden nur beschäftigt, wenn der un ternehmerische Ertrag aus ihrer Arbeit unter den Kosten des Arbeitsplatzes liegt. Ist das nicht der Fall, erfolgen konsequen te Rationalisierung, Automatisierung, Verlagerung der Pro duktion ins Ausland, aber auch unbezahlte Überstunden oder illegale Beschäftigung, weil der Arbeitgeber ansonsten den Arbeitsplatz subventioniert.

Wir wollen aber auch nicht, dass der Staat Geschäftsmodelle finanziert, die bei seriöser Bezahlung nicht funktionieren. Ei ne staatliche Subventionierung des Arbeitsplatzes ist volks wirtschaftlich unrentabel, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Staat Geringverdienern das Einkommen auf HartzIV-Niveau aufstockt und dafür eine jährliche Lohnsubventi on von 11 Milliarden € aufbringt.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Die CDU will, dass nicht das Arbeits- und Sozialministerium und nicht das Parlament Lohnuntergrenzen festlegen. Viel mehr sollen diejenigen, die das Wirtschaftsleben gestalten, es selbst in die Hand nehmen und regeln, nämlich die Arbeitge ber, die Tarifvertragsparteien und die Gewerkschaften.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Parlament wird aus diesen Verkehrskreisen eine Lohnun tergrenzenkommission berufen, die dezidiert branchenspezi fischen Unterschieden und regionalen Besonderheiten gerecht wird. Das Netz soll dabei sehr dicht geknüpft werden, sodass niemand durchfällt. Der wissenschaftliche Praktikant, der bei der grünen Vorzeigefrau Bärbel Höhn arbeitet – sie war im merhin Ministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin –, darf hoffen, dass sein Stundenlohn von derzeit 4 € erhöht wird.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Dieter Hillebrand CDU: Hört, hört! – Zuruf von der CDU: Aha!)

Sie führen aus, die Einführung eines Mindestlohns erzeuge Nachfrageeffekte, weil die Menschen mehr Geld ausgäben, und es sei auch vorstellbar, dass Arbeitgeber in die Qualifizie rung ihrer Arbeitnehmer investierten, wenn die Arbeitgeber den Mindestlohn bezahlen müssten. Aber das ist nur Theorie.

Die Wirklichkeit in den 20 europäischen Ländern, in denen es Mindestlöhne gibt, sieht anders aus. In Frankreich bekommen über 15 % der Beschäftigten einen flächendeckenden Min destlohn von 9,22 € pro Stunde. Frankreich hat eine hohe Ar beitslosigkeit bei Frauen und Jugendlichen. In Spanien sieht es nicht viel anders aus. Die negativen Beschäftigungseffek te, die dem Mindestlohn geschuldet werden, sind bewiesen.

Wir haben eine föderale Struktur. Wenn man so will, sind die Volkswirtschaften der einzelnen Bundesländer unterschied lich. Ansonsten gäbe es auch keinen Länderfinanzausgleich. Auf diese Unterschiede muss man reagieren.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Hinzu kommt: Ein Mindestlohn von 8,50 € pro Stunde ver letzt die verfassungsrechtlich garantierte Tarifautonomie. Wir haben Tarifverträge mit Stundenlöhnen von weniger als 8,50 €, insbesondere in Ostdeutschland, aber auch bei uns, und zwar im Reinigungs- und im Pflegebereich. Dies ist insbesondere bei kirchlichen Trägern der Fall, die wohl Matthäus nicht ge lesen haben.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Wenn tariflich weniger als 8,50 € pro Stunde bezahlt werden, finde ich das bedauerlich. Das ist rechtsstaatlich jedoch nicht angreifbar. Der Staat kann erst dann einschreiten, wenn die Schwelle zum sittenwidrigen Lohn überschritten wird. Diese Schwelle haben wir aber nie definiert, sondern dies der Recht sprechung überlassen. Hier könnten wir als Gesetzgeber kor rigierend eingreifen.

Die CDU spricht sich klar für Lohnuntergrenzen aus. Diese festzusetzen betrachten wir aber nicht als eine Aufgabe des Gesetzgebers, sondern als eine Aufgabe der Wirtschaft und der Tarifvertragsparteien. Wir wollen eine Kommission ein setzen, die wie ein Beliehener rechtlich verbindliche Lohnun tergrenzen festlegt und Unterschiede in den Branchen und Re gionen bewertet, in denen es keine Regelung gibt.

Wir wollen gutes Geld für gute Arbeit, aber keinen staatsdiri gistischen Einheitsbrei.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Fraktion GRÜNE spricht Kollege Lucha.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Lieber Herr Löffler,

(Abg. Peter Hauk CDU: Herr Doktor! So viel Zeit muss sein! – Heiterkeit des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

zwischen Staatsdirigismus und der notwendigen ordnungspo litischen Kraft in einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft liegt die politische Verantwortung, die wir als Parlament und politische Gestalter übernehmen müssen. Diese Verantwor tung übernehmen wir bei dieser Debatte.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Dieter Hillebrand CDU)

Es reicht ein Blick über die Alpen, um feststellen zu können, wozu Staatsversagen und das Fehlen klarer ordnungspoliti scher Bekenntnisse zum Leitbild einer Gesellschaft führen. Dann erhalten durchgeknallte Despoten zwei Drittel der Wäh lerstimmen, weil die Menschen nicht mehr wissen, woran sie sich orientieren müssen. Das ist das Ergebnis einer Politik, die keine klaren Werte definiert.

Wir haben schon vor 20 Jahren in der Sozialwissenschaft das Phänomen der „Working poor“ diskutiert. Dieses Problem kam aus Amerika, weil das dort in der neoliberalen Hire-and

fire-Gesellschaft vorgelebt wurde. Das Unanständigste von al lem, was es geben kann, ist, zu arbeiten und dennoch arm zu bleiben. Das ist eine moralische Abwertung der Menschen und der Arbeit an sich, die wir nicht weiter akzeptieren können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir bedanken uns ganz ausdrücklich bei den Kollegen von der SPD, die die heutige Debatte initiiert haben. Außerdem bedanken wir uns bei unserer Sozialministerin und der Regie rung insgesamt, dass sie nun endlich gemeinsam mit den A-Ländern und den G-Ländern eine Bundesratsinitiative ein bringt, um die Bedeutung von Arbeit

(Abg. Peter Hauk CDU: Da sieht man, dass die Grü nen doch eine linke Partei sind!)

wir haben wenigstens noch ein Profil; was bei Ihnen „christ lich“ bedeutet, wissen Sie doch selbst nicht mehr –, die Funk tion von Arbeit und den Anspruch darauf, von Arbeit leben zu können, als gesamtgesellschaftliche Aufgabe für alle – für uns, die Politik, für die handelnden Akteure, beispielsweise für die Arbeitgeber, und für die Konsumenten – zu formulieren und deutlich zu machen, dass die Suche nach der immer billige ren Dienstleistung – dies auch noch in einem Gewerbe, das tarifrechtlich nicht geschützt ist – nicht opportun ist, weil das moralisch und volkswirtschaftlich schädlich ist. Das ist die Debatte, die wir führen müssen, und deshalb ist die heutige Diskussion sehr wichtig.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Derzeit beziehen ca. 6,5 Millionen Menschen in Deutschland einen Arbeitslohn, der unterhalb der Niedriglohnschwelle liegt. Vier Millionen Menschen beziehen derzeit einen Ar beitslohn von weniger als 7,50 € pro Stunde. Wir wissen, dass derzeit 300 000 Vollzeitbeschäftigte zur Aufstockung ALG II bekommen. Insgesamt erhalten 1,2 Millionen Berufstätige in Deutschland Unterstützung des Staates.

Das betrifft viele Menschen, die keine Nachteile haben, die keine Eingliederungshemmnisse haben. Vielmehr werden sie zerrieben von einem Gewinnstreben, von dem Aufbau, der Struktur der Wettbewerbswirtschaft, in der sie das schwächs te Glied sind. Wir, die Politik, müssten uns schützend davor stellen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Deswegen müssen wir die ganz klare Botschaft senden – es ist eine volkswirtschaftliche Verantwortung, es ist eine sozi alpolitische Verantwortung; es ist eine sozialpsychologische Botschaft an die Bevölkerung –: Solidarität mit der Bevölke rung, Identifikation mit dem Staat. Wir kümmern uns um die jenigen, die weiter weg sind, die sonst nicht so viele Chancen haben.

Bislang konnte in der Debatte – auch zum Thema Bankenret tung – nicht vermittelt werden, wieso einerseits mit Milliar den jongliert wird,

(Abg. Bärbl Mielich GRÜNE: Sehr gut!)

während es uns andererseits nicht gelingt, Bedingungen zu schaffen, die sicherstellen, dass die Menschen von ihrer Ar

beit leben können. Deshalb ist die Debatte sehr wichtig. Ich denke, wir werden das durchsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die Fraktion der FDP/DVP spricht Kollege Dr. Rülke.

Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal ist es in einer sozialen Marktwirtschaft die Aufgabe der Tarifpartner, die Lohnfindung gemeinsam vorzunehmen. In aller Regel gelingt dies auch. Die Gewerkschaften haben mit Sicherheit an die ser Stelle eine wichtige und richtige Funktion.

Nun ist es sicher so, dass dies in manchen Branchen nicht funktioniert, beispielsweise weil sich zu wenige Unternehmen in Arbeitgeberverbänden organisiert haben. In der Tat kann es sein, dass an dieser Stelle die Politik gefordert ist, sozusagen lenkend einzugreifen. Das kann durchaus auch in einer sozi alen Marktwirtschaft eine ordnungspolitische Aufgabe sein.

Es gibt Verfahren, um diese Probleme zu lösen – Kollege Löff ler hat es bereits angesprochen –, beispielsweise das Tarifver tragsgesetz, das Mindestarbeitsbedingungengesetz oder auch die Arbeitnehmerentsenderichtlinie.

Nun fordern Sie einen einheitlichen flächendeckenden Min destlohn, meine Damen und Herren. Ich frage mich an dieser Stelle schon, warum Sie diesen einheitlichen flächendecken den Mindestlohn nicht eingeführt haben, als Sie es konnten. Sozialdemokraten und Grüne haben Deutschland sieben Jah re lang regiert.